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Gestern schmunzelte ich. Denn ich las nach langer Zeit mal wieder die „FAZ am Sonntag“ (leider weiterhin ein in die schmerzhafte Langeweile abgerutschtes Blatt), genauer ein Interview mit Medienunternehmer Sebastian Turner.

Der hat ein Buch namens „Deep Journalism“ verfasst und in dem geht es um das, was er gerade als Medien-Startup angeschoben hat:

„Um hochwertigen Journalismus wieder in Erlöse zu verwandeln, hilft ein Modell, das man mit den beiden Begriffen „Vertikalisierung“ und „Rebundling‘ beschreiben kann. Vertikalisierung heißt, wie der Name schon andeutet, dass man in die Tiefe geht. Man tut also das, was gute und stark besetzte Redaktionen in der Vergangenheit schon gemacht haben, aber man verdient zusätzliches Geld und kann damit die ausbleibenden Werbeeinnahmen ersetzen und sogar noch mehr in die Tiefe gehen. Dieser zusätzliche Erlös entsteht durch eine Art Fachabonnement. Das Angebot anders zu bündeln, nennt sich Rebundling: Ich habe dieses Verfahren beim „Tagesspiegel“ eingeführt. Das hat ihn von Platz vier auf Platz eins in Berlin gebracht und war für mich Anlass, rund um diese Idee ein neues Medienhaus zu gründen, Table Media.“

Hinter Table Media aber steckt eine aus meiner Sicht gute und richtige Idee. Das Unternehmen schafft eigene Redaktionen für sehr spezifische Themen, die dann auf Newsletter-Basis ein Fachpublikum bedienen. Und das soll dann Preise zahlen bis zu 200 Euro monatlich.

Und weil Sebastian Turner im üblichen Strunzton des Medienmanagements ungefragt einwirft, was für eine geile Sau er ist, darf ich das jetzt vielleicht auch – der Basti hat angefangen.

Hier im Blog ging es in den vergangenen 18 Jahren ja mehrfach um Paid Content und meine Skepsis gegenüber der Art und Weise, wie deutsche Verlage dieses Geschäftskonzept interpretieren.

2009 schrieb ich:

„Bezahlte Inhalte online stehen in direktem Widerspruch zu einer Zeitung, deren Ziel die Gewinnung möglichst vieler Leser ist. Denn je breiter meine Zielgruppe, desto austauschbarer werden meine Inhalte…

Paid Content, wie der Niederrheiner sagt, ist durchaus im Web möglich – aber eben nur bei speziellen, sehr tief gehenden Inhalten, zum Beispiel im Rahmen von juristischen Datenbanken.“

2014 gab es dann sogar marxistische Tendenzen in den Verlagen zu beobachten. Michael Bröcker, damals Chefredakteur der „Rheinischen Post“, heute bei Gabor Steingart engagiert, schrieb damals:

„Unsere journalistischen Inhalte haben einen Wert (und deshalb einen Preis).“ 

Mein Kommentar:

„…die Vorstellung, dass ein Gegenstand einen Wert hat, der sich aus dem mit seiner Produktion verbundenen Aufwände ergibt, stammt aus der Arbeitswerttheorie. Die ist hoch umstritten, jedoch unter Marxisten sehr beliebt.

In meinem Studium wurde mir eher vermittelt, dass ein Wert eine sehr subjektive Größe ist und sich maßgeblich von der objektiven Messgröße „Preis“ unterscheidet.“

Und ich fragte:

„Was, wenn die Menschen noch nie in der Neuzeit für die Inhalte einer Zeitung oder Zeitschrift gezahlt hätten – sondern für die Dienstleistung der Nachrichtenaggregation und der physischen Produktion?

Dann…. würden gerade all die Verlage, die auf Paid Content setzen in die falsche Richtung rennen.“

2022 fieselte ich das weiter auseinander unter dem Titel „Warum Paid Content Verlage (so) nicht retten wird“.

Bei all dem muss man sich vor Augen führen, wie lange Verlage schon über das Thema „Bezahlen im Netz“ nachdenken – 22 verdammte Jahre (mindestens).

Denn schon 2001 schrieb der damalige „Handelsblatt“-Vize Bernd Ziesemer:

Viele Versuche in Deutschland sind dagegen gescheitert. Und alle Umfragen signalisieren: So leicht lassen sich die Nutzer das Geld nicht aus der Tasche ziehen.

Doch die Ergebnisse solcher Repräsentativumfragen werden oft falsch interpretiert. Natürlich wird niemand für Inhalte zahlen, die er woanders auch umsonst bekommen kann. Das gilt insbesondere, wenn die Angebote weitgehend austauschbar sind (Beispiel: Börsenkurse).

Also keine Chance für bezahltes Internet? Doch. Aber nur, wenn mindestens vier Bedingungen erfüllt sind: Originäre Qualitätsinhalte, erstklassige Internet-Funktionalitäten, einfache und sichere Zahlungsmöglichkeiten, eine starke Marke.“

Bis heute werden diese Kriterien nicht erfüllt. Die Qualität der Inhalte sinkt, grundlegende Digitalfunktionalitäten wie eine medienmarkenübergreifende Aggregation oder eine leichte Abo-Verwaltung fehlen, die Medienmarken sind bestenfalls schwammig definiert. Nur sichere Zahlungssysteme, die gibt es – sie werden auch nicht von Verlagen entworfen.

Seit Jahrzehnten ist Paid Content für Journalismus etwas, das im Rottweiler „Narrenstüble“ ein geeignetes Vereinslokal finden könnte. Wer das nicht glaubt, dem sei dieser Artikel von 2013 ans Herz gelegt. 

Und nun Table Media. 

Die Qualität der Produkte aus diesem Haus kann ich nicht einschätzen, freue mich aber über kundige Stimmen. In der Redaktion tauchen aber bemerkenswerte Namen auf, die ich noch aus „Handelsblatt“-Tagen kenn.

Die für mich entscheidende Frage ist, in wie weit diese AutorInnen sich vom journalistischen Alltag lösen können und nicht versuchen klickheischerische Schlagzeilen oder viral gehende News-Drehs zu produzieren.

Der (die?, das?) gratis zu habende Berlin.Table am Morgen ist jedenfalls schon mal besser als all die meinungshysterischen und nur auf das eigene Medium fokussierten Chefredakteurs-Newsletter, die es quer über die Republik gibt.

Sprich: Rein konzeptionell ist Table Media und das buzzwordige „Deep Journalism“ ein Modell, das seit 20 Jahren rational als richtiger Weg für Paid Content erkennbar ist – mit Sebastian Turner macht es endlich jemand systematisch und eigenständig.

Noch dazu umgeht Turner auch das moralische Problem von Bezahlinhalten: Wer eine Bezahlschranke vor allgemeinen Nachrichten runterlässt, der schließt die Gesellschaft eben von jenen Informationen aus. Informationen, die in einer Zeit der wütenden Debatten und der Polarisierung dringend nötig wären. Das ist auch der Grund, warum hochrangige Menschen keine Interviews geben sollten, die hinter einer Paywall landen – ich habe das mal Linnemanns Regel getauft.

Verlage, die so vorgehen, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie damit nicht gegen ihre in der Verfassung festgehaltene Sonderrolle in der Gesellschaft verstoßen.

Die Informationen von Table Media jedoch sind Fachinformationen. Somit sind sie also für die breite Bevölkerung von deutlich gesenktem Interesse.

Weshalb ich sehr gespannt bin, wie sich das Startup entwickeln wird.

Aber.

Von „erstklassigen Internetfunktionalitäten“ schrieb mein Ex-Chef Ziesemer 2001. „Paid Content muss man können können“ hieß ein Artikel hier 2013. Später versuchte ich noch einmal detaillierter darzustellen, warum nach meiner Meinung deutsche Verlage beim Paid Content in Konkurrenz nicht nur zur „New York Times“ in Konkurrenz stehen, sondern genauso zu Netflix oder Audible.

Weshalb meine Hoffnung für Table Media schon wieder einen Dämpfer bekam, als ich nach nur wenigen Klicks die erste 404-Meldung bekam:

Kann passieren, klar. Man kann aber auch ein Progrämmchen über die Seite laufen lassen, die solche Fehlverlinkungen erkennt. Dass die Double-Opt-In-Mail etliche Minuten braucht, das hat man auch schon besser gesehen.

Außerdem: Nirgends transparent einen Preis unterzubringen ist ermüdend gestrig und widerspricht auch den Erkenntnissen aus der Käuferforschung. Stattdessen, heißt es in der Begrüßungsmail, könne ich mit dem „Vertriebsteam“ sprechen.

Ich will mit keinem Vertriebsteam sprechen, weder bei Table Media noch irgendwo sonst. Was soll so was?

Für den „Testzugang“ werden außerdem keine Regeln definiert, außer dass er nach 30 Tagen endet.  Und dass man seine „Institution“, Position und sogar seine Telefonnummer angeben muss, ist nicht mal im Ansatz zeitgemäß. Immerhin darf man Sebastian Turner somit wohl als Datenkrake titulieren.

Und, auch klar: Man könnte so eine Seite auch in schön machen. Oder in leserfreundlich.

Könnte.

Wenn man wollte.


Kommentare


Sebastian Turner 31. Mai 2023 um 20:54

Lieber Herr Knüwer, danke für die guten Ratschläge. Manche stehen schon auf unserem Hausaufgabenzettel, die anderen kommen jetzt drauf. Wir müssen als Startup leider Prioritäten setzen, nicht alles geht auf einmal – aber nacheinander. Die erste Priorität ist redaktionelle Qualität, nur mit einem kompetenten Team treten wir an. Alles andere ziehen wir nach – und wenn wir trödeln, lese ich das sicher bei Ihnen. Dafür schon jetzt besten Dank. Beste Grüße Sebastian Turner

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