Der aktuelle Kandidat für das Wort des Sommers 2024 ist „brat“.
So bezeichnete die Sängerin Charli XCX US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris (und ihr jüngstes Album). Harris Kommunikationsleute reagierten prompt und posteten eine Kachel im Look von Charli XCX.
Was bedeutet brat?
Eigentlich ist der Begriff negativ besetzt und bezeichnet eine junge Frau, die verwöhnt ist, vielleicht aus reichem Haus kommt, und sich auch so benimmt. „Verzogene Göre“ wäre vielleicht die passendste Übersetzung. Allerdings ist diese Negativität immer verbunden mit weiteren Vokabeln wie „spoiled brat“ oder „Hollywood brat“. Nimmt man diese Zusatzbegriffe weg, ist das Wort kaum besetzt – was Charli XCX genutzt hat.
Sie definiert mit ihrem Album „brat“ neu und macht daraus selbstbewusste Frauen, die ihren Wert kennen und ihren Weg gehen, Spaß haben wollen, gleichzeitig aber zu ihren Schwächen und auch Fehltritten mit einem Hauch Selbstironie stehen.
„360“, der erste Song des Albums, weist den Weg:
„I went my own way and I made itI’m your favorite reference, babyCall me Gabbriette, you’re so inspiredAh, ahI’m tectonic, moves, I make ‚emShock you like defibrillatorsNo style, I can’t relateI’ll always be the one, ah
…
That city sewer slut’s the vibeInternationally recognizedI set the tone, it’s my designAnd it’s stuck in your mindLegacy is undebatedYou gon‘ jump if A. G. made itIf you love it, if you hate itI don’t fucking care what you think“
Zu dieser neuen Definition von brat passt Kamala Harris Auftreten und die Reaktion darauf.
Es gibt jenes Video, in dem sie ihre Mutter zitiert. Diese habe ihr immer gesagt, sie sei nicht von der Kokospalme gefallen, sondern lebe im Kontext. Sie tut das hektisch, lacht zu laut, es wirkt ein wenig unangenehm – aber absolut positiv.
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Frau mit dunkler Hautfarbe plus Erwähnung einer Palme – noch im Winter hätte sich diese Szene ausschließlich in rassistisches Memes verwandelt.
Allerdings ist Kamala Harris stark auf TikTok und weniger auf Twitter. Und dort feiert die GenZ ihr Zitat – denn es ist brat. Auf TikTok sammeln die Remixes Millionen von Views ein – zum Beispiel der zum Song „360“:
@flextillerson kamala harris edit to 360 by charli xcx. brat presidency #kamalaharris #kamala #biden #harris2024 #charli #charlixcx #brat #360 ♬ original sound – aly
Ich sehe das als Signal: Es gibt zwei große Sehnsüchte in großen Teilen der Bevölkerung. Zum einen ist da die nach Positivität. Die Welt scheint so düster, dass es kaum zu ertragen ist. Deshalb träumen so viele davon, auszuwandern: In einem anderen Land geht es vielleicht auch nicht besser zu, man kann sich aber von der Negativität besser isolieren, weil man die dortige Sprach nicht spricht.
Die andere Sehnsucht ist die, nicht mehr auf jedes Wort achten zu müssen. Dieses Gefühl haben nicht nur rechtsblinkende Woke-Hasser, sondern auch sehr weite Teile der Gesellschaft. Eigene Erfahrungen mit Vorwürfen der falschen Wortwahl haben dabei die Wenigsten gesammelt, doch sehen sie eben, wie schnell es wütende Kritik gibt, wenn man nicht die von übermotivierten Aktivisten geforderte Vokabelwahl trifft.
Wer brat ist, der erkennt, dass seine Worte einen Fehltritt darstellen, aber sie oder er weiß, dass so was passiert und nimmt es hin – lachend.
In diesen beiden Sehnsüchten, verschmolzen im Summer of brat, liegt eine große Chance für alle Kommunikatoren, sowohl im politischen wir im wirtschaftlichen Raum.
Wer Gehör bei den Menschen finden will, sollte positiv sein, optimistisch, selbstbewusst, aber auch selbstironisch, rau und mit einer Tonalität, die missverstanden werden kann – aber immer verstanden wird.
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