„In the mean time“ – in der Zwischen-Zeit.
So lautete das Motto der re:publica 2021. Es war Pandemie, Deutschlands einflussreichste Digitalkonferenz fand nur als Stream statt. Das Motto war auch ein Anstoßsignal, gepaart mit Hoffnung – es wird wieder anders werden und wir sollten uns Gedanken machen, was dann kommt.
In diesem Jahr wollte sich die re:publica mit Generationen beschäftigen, doch als das Motto „Generation XYZ“ beschlossen wurde, war die Welt noch eine andere, eine ohne Trump, eine mit Ampelregierung, eine mit mehr Hoffnung auf Frieden und weniger Rechtsradikalismus.
Aus diesen Gründen sei es besonders schwer gewesen, das Programm der rp25 zusammenzustellen, hieß es gleich zu Beginn. Eine Konferenz kann sich halt nicht so schnell wandeln wie die Welt es in diesen Zeiten tut.
Eigentlich wäre jener 21er-Titel deshalb der bessere gewesen, denn die re:publica 2025 fühlte sich an wie Zwischen-Zeit, wie ein Superhelden-Film, bei dem, kurz bevor der Held zum entscheidenden Schlag ausholt, eine Zeitlupen-Sequenz einsetzt, um das Publikum auf den entscheidenden Moment vorzubereiten.
Denn dies ist die Zeit eines Glaubenswechsels, oder wie Ex-Kanzler sagen, einer „Zeitenwende“. Die Welt hat sich in verschiedenen Punkten anders entwickelt, als erwartet – was also tun?
Was zum Beispiel damit anfangen, dass sich jenes Bonmot bewahrheitet, laut dem Konservatismus bedeutet, sich so lange gegen Fortschritt zu wehren, bis dieser unausweichlich ist und dann zu behaupten, man habe ihn erfunden?
In diese Kategorie fiel der Auftritt des ersten Digitalministers Karsten Wildberger. Seine Pläne für eine Emanzipation von US-Techkonzernen, seine Streben nach Verwaltungsdigitalisierung und mehr Datenschutz für Bürger sind Forderungen, die man von der re:publica bestens kennt – nur eben nicht von Konservativen, sondern von Progressiven. Neben mir saß während Wildbergers Rede eine bekannte Person des politischen Lebens aus dem linken Spektrum und sie nickte mehrfach anerkennend.
Und was soll man damit anfangen, dass die GenZ nicht mehr der Hoffnungsträger der Demokratie ist? Die Leipziger Autoritarismus Studie habe dafür gesorgt, dass der „Glaube zurückgeht, dass sich Rechtsradikalismus von selbst erledige, weil Junge eher links sind“, konstatierten Miro Dittrich und Thilo Manamenn vom Center for Monitoring, Analyse & Strategie (CeMas).
Stattdessen beobachten sie eine schnelle Radikalisierung gerade von männlichen Jugendlichen und ein steigendes Selbstbewusstsein dieser Neonazi-Szene, gepaart mit der Bereitschaft zu Gewalt. Die Rekrutierung verlaufe dabei schon in jungem Alter und auf scheinbar – wieder so ein Glaube, der ins Wanken kommt – harmlosen Plattformen wie Roblox.
Die Situation ist komplex, das zeigte auch der Vortrag von Yasmin Al-Douri, Mitgründerin des Responsible Technology Hub, und Alexander Sobieska vom Lehrstuhl für Ethik der KI und Neurowissenschaften der TU München.
Sie gingen dem Mythos nach, dass TikTok Jugendliche radikalisiere. Ihre Antwort: Ja, aber es ist komplizierter. Denn Radikalisierung passiere ja nicht durch schlichtes Betrachten radikaler Inhalte, sondern sei das Ergebnis individueller Sinnsuche, dem Wunsch nach Zugehörigkeit, wahrgenommenen Ungerechtigkeiten und emotionalen Narrativen.
Die beiden arbeiteten mit 500 Personen, die neue TikTok-Accounts gründeten und beobachteten deren Verhalten. Dabei zeigte sich, dass die Plattform eben nicht rechte Inhalte anzeigt, sondern emotional aufputschende – noch bevor der Algorithmus irgendetwas über die Nutzer weiß. Somit entsteht eine Daueraufmerksamkeit, gebaut auf Gefühlen und dies erleichtert die Radikalisierung. Denn Radikale liefern scheinbar simple Methoden, um die aufgewühlte Gefühlswelt wieder in Ordnung zu bringen.
TikTok radikalisiert also nicht durch ideologische Indoktrination, sondern durch die Manipulation von Aufmerksamkeit und Identität. Und dies ist nur möglich, weil sich diese Manipulation in anderen Bereichen des Lebens spiegelt.
Zusammenhangloser Einschub: Al-Douri, Sobieska, Dittrich und Manemann sind Teil einer erfreulichen Veränderung auf der re:publica. Traditionell waren Vorträge junger, deutscher Wissenschaftler zu oft so holprig, dass sie schwer erträglich und manchmal schwer verständlich waren. Das hat sich erledigt: Da wächst eine neue Generation heran und sie hält tolle Vorträge.
An diesen Themen zeigt sich schon: War die re:publica immer eine DIGITALE Gesellschaftskonferenz, so war sie in diesem Jahr eine digitale GESELLSCHAFTSkonferenz. Denn die Zeiten sind ernst und das Digitale ist keine andere Welt mehr, es ist der mächtigste Faktor unserer Zeit.
Persönlicher Triumph: Gemeinsam mit Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach einen Vortrag im Preußen Münster-Trikot halten – NATÜRLICH NUR, WEIL ES INHALTLICH PASSTE!
Doch was tun, um unsere Gesellschaftsordnung zu erhalten?
Regulierung der Technologie? Ja, das kam durchaus vor, aber eben auch subjektiv für mich bemerkenswert selten. Stattdessen war die am häufigsten in den Raum gestellte Lösung eine fast esoterisch anmutende, weil aus den Geisteswissenschaften kommende: Wir brauchen neue Narrative, die auf Fakten fußen.
„Wir müssen aus dem Verteidigungsmodus raus und viel stärker wieder zeigen, dass wir eine Vision haben“, sagte zum Beispiel die Grünen-MdB Ricarda Lang.
So sah es auch die freie Journalistin Sally Lisa Starken, die für ihr Buch „Zu Besuch am rechten Rand“ in Ostdeutschland unterwegs war:
„Politiker sollten Zukunftsvisionen nach vorne stellen und erzählen, was sie mit dem Land vorhaben“, sagte sie. Der jüngste Wahlkampf sei exemplarisch dafür, was in der Politik falsch laufe. Friedrich Merz habe zwar angekündigt, im Wahlkampf über Wirtschaft reden zu wollen, am Ende aber sei alles fixiert gewesen auf das Thema Migration. Starken forderte mehr Informationen und mehr politische Aufklärung.
Und dabei schwang das mit, was im vergangenen Jahr für mich die re:publica dominierte – Medienkritik. Auch diesmal gab es davon reichlich und das an einem Ort, der nicht weiter entfernt sein könnte von Lügenpresse-Schreiereien.
Wie dieses neue Narrativ konkret aussehen könnte, das aber blieb schwammig und deshalb war die rp25 für mich so zwischenzeitig. Selbst Keynotes mit sehr konkreten Themen faserten in ihren Finals aus. Zum Beispiel die des Journalisten Janosch Delcker, der sich mit KI-Implataten im Hirn beschäftigt. Die sind keine ferne Science-Fiction, sondern könnten schon recht bald zum Beispiel Depressionen heilen – aber eben auch die Gedankenwelt manipulieren. Seine Lösung: Wissen über KI. Hm, ja, also, hm.
Während der Inhalt der neuen Geschichten, die wir uns erzählen müssen, offen ist, zeichnete sich ein wenig ab, wer in der Lage sein könnte, Gehör zu finden.
Denn die re:publica ist für Nicht-Berliner ja auch eine Art Politiker-Zoo (und das ist nicht negativ gemeint). Es ist halt für Auswärtige eine der seltenen Gelegenheiten, prominente Mitglieder von Regierung und Opposition mal live zu erleben – diese Funktion der Konferenz wird gern unterschätzt.
Denn die rp ist ein besonderes Forum: Ja, sie ist politisch progressiv. Aber sie hört eben auch zu. In all den Jahren habe ich nur zweimal erlebt, dass Politiker ernsthaft Unmut ernteten. 2016 blamierte sich Günther Oettinger mit geballter Inkompetenz, 2023 verschrammte Christian Lindner seinen eigentlich respektablen Auftritt, weil er unter Zeitdruck unbedingt noch ein paar Thesen lautstark rausrufen musste.
Es zeugt von Unsicherheit, wenn Digitalminister Wildberger dann einen Vortrag mit nur wenigen Nachfragen als Format wählt. Erst recht, wenn er die offensichtlichste Nachfrage nicht beantworten kann. Denn gefühlt 23 Mal forderte er auf, sich an seinem Themenfeld zu beteiligen – als er gefragte wurde, wie das denn erfolgen sollte, hatte er keine Antwort. Die re:publica ist halt nicht der Ort für Floskeln, die auf den Marktplätzen der Republik nicht weiter auffallen – das sollten kundige Ministerialreferenten eigentlich wissen.
Wie anders dagegen Ricarda Lang: schlagfertig, humorvoll, mit viel Power gesegnet. Ihr würde man ein neues Narrativ glauben. Fun Fact, das selbst dem re:publica-Gründerteam nicht bekannt war: Lang war mal Stage-Moderatorin auf der Konferenz.
Doch das mit dem Narrativ-Erzählen trifft noch viel mehr auf den Superstar der rp25 zu: Heidi Reichinnek. Selten, vielleicht nie zuvor habe ich so viele Menschen im Zuschauersaal der Stage 1 erlebt. Alle Plätze waren besetzt, selbst jene Bodenplätze mit Sicht auf die Bühne, überall, wo jemand stehen konnte, ohne anderen die Sicht zu blockieren, standen Menschen.
Alles Linken-Wähler? Mit Sicherheit nicht. Sondern sehr viele, die mal schauen wollten, wie sich das TikTok-Phänomen Reichinnek so auf der Bühne anfühlt. Management Summary: schockierend gut. Niemand muss mit Reichinnek einer Meinung sein, das will sie selbst laut eigenen Worten nicht. Doch wie sie mit Dynamik, ohne Klauseln und mit strahlender Freude für Demokratie eintritt – das kann niemand kalt lassen.
Reichinnek, Lang, Wildberger, die jungen Wissenschaftler, genauso aber Bob Netzlehrer Blume, Igrid Brodnik oder Katharina Nocun, sie alle machten die rp25 wie zum ersten Anlauf eines Weitspringers nach langer Verletzung: Man weiß, man braucht viel Speed und viel Kraft, das Timing muss stimmen – doch ob es dann ohne Schmerzen abläuft, wo man landet und wie weit es geht, all das ist offen.
Vielleicht sehen wir das dann vielleicht vom 18. bis 20. Mai kommenden Jahres – bei der re:publica 2026.
Fotos:
Thomas Knüwer
Gregor Fischer, Jan Zappner/re:publica
Kommentare
Moritz Meyer 4. Juni 2025 um 8:43
Sehr schöne Zusammenfassung, Thomas. Ich habe Wildberger etwas kritischer gesehen als du. Das war mir zu floskelig, zu viel Selbstverständlichkeiten, zu wenig greifbar. Ich glaube, er und sein Kommunikationsteam haben die Republica unterschätzt. Aber da sind sie ja nicht die ersten.
Heidi Reichinnek und Ricarda Lang habe ich beide verpasst. Meine Tochter (14) war in beiden Talks da, hat sich tapfer durch die zwischenzeitliche Session von Maurice Höfgen zur Schuldenbremse gekämpft, um "Heidi von TikTok" zu erleben. War ein richtiges Highlight für sie, hat sie per Roundsnap an alle ihre Freundinnen zu Hause geschickt. Mehr kann man nicht erwarten, finde ich.