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Gerade ist mir fast die Kaffeetasse aus der Hand gefallen. Weil der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung getroffen hat, die in ihrer Deutlichkeit für mich eine Sensation ist – und die eine Menge im deutschen Sport verändern wird.

Der EuGH hat tatsächlich klar gesagt: Es gibt keinen Grund für ein staatliches Glücksspiel-Monopol in Deutschland.

Wow.

Damit endet vielleicht – bei der Absurdität dessen, was bisher passiert ist, bin ich lieber vorsichtig – die schlimmste PR-Schlammschlacht, die ich während meiner Zeit beim Handelsblatt betreut habe.

Eigentlich begann alles in den Zeiten der deutschen Wiedervereinigung. Eigentlich waren Sportwetten in Deutschland nur erlaubt, wenn es um Pferde ging – alles andere lag beim Staat. Der betrieb über Jahrzehnte das gähnend langweilige Toto. In den Wirren der Wendezeit wurde aber übersehen, dass es vier Lizenzen aus DDR-Zeiten gab, die nicht nur Pferdewetten erlaubten, sondern alle Arten von Sportwetten. Die Inhaber dieser Lizenzen wurden mit ausländischem Geld in eine neue Umlaufbahn geschossen.

Der breiten Öffentlichkeit war das zunächst egal – bis Robert Hoyzer kam, der Schieber-Schiri. Dessen Betrug wurde zwar über das staatliche Oddset-Angebot abgewickelt – doch nutzten die Lottogesellschaften dies schnell als PR um zu versuchen, vor allem den Fußballwett-Markt in ein staatliches Monopol zu verwandeln. Vorgeschoben wurde dabei von Seiten der Landes-Lottogesellschaften das Argument der Spielsucht: Nur sie könnten diese kontrollieren. Tatsächlich aber gibt es praktisch keine ernstzunehmende Studie, die nahelegt, das Sportwetten Spielsucht fördern würden. Noch bemerkenswerter ist, dass während die Debatte lief, mehr Spielautomaten zugelassen wurden – die eindeutig Spielsucht fördern.

Das Bundesverfassungsgericht machte die Sache nicht unbedingt besser. Es war eine kaspertheatereska Anhörung, die mit den wunderbaren Worten der Klägerin – einer Anbieterin von Pferdwetten, die natürlich von den privaten Wettanbietern vorgeschoben wurde – endete: „Sehens, i klag jetzt seit 1997. Aus Respekt vor dem Gericht hab ich noch keine einzige Sportwette angenommen, sondern nur Pferdewetten. Und deshalb bin ich mittlerweile in den roten Zahlen.” Selbst einer der Richter applaudierte.

Das Urteil fiel dann kryptisch aus. Ein staatliches Monopol sei geeignet, Spielsucht zu bekämpfen – aber nicht in seiner derzeitigen Form. Entweder die Lottogesellschaften müssten ihre Werbung einstellen – oder ein Lizenzierungsverfahren für private Anbieter geschaffen werden, meinten die Richter. Die Folge waren hektische Aktivitäten im Lotto-Block. Werbung für Oddset verschwand, die Hinweise auf neue Lotto-Jackpot-Gipfel mutierten zur „Verbraucherinformation“.

Während das Gericht dann über Monate beriet, tobte die Hoyzer-Affaire. Und munter wurden Sportwettenanbieter in einen Topf geworfen mit den Spielverschiebern. Tatsächlich aber haben die Anbieter mit dieser Wettmafia nichts zu tun: Ihnen wären saubere Spiele lieber, denn ihr Risikomanagement arbeitet noch immer präziser als der Kopf der einzelnen Spieler. Verschobene Spiele sind der Schaden der Wettanbieter – nicht ihr Gewinn. Solche Details aber waren egal. Selbst der „Spiegel“ machte vor Rufmord-Ansätzen nicht halt.Ob er sich jemals bei Ansgar Brinkmann entschuldigt hat? Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ dagegen machte aus Betanwin, damals schon mehr als eine Milliarde Euro umsetzend, eine „Internet-Bude“.

Nach einiger Zeit verloren sich aber auch Journalisten in einem rechtlichen Dschungel, wie es ihn in Deutschland vielleicht kein zweites Mal gibt. Denn die alten DDR-Lizenzen – die konnten nicht einfach widerrufen werden. Und so lieferten sich Landgerichte Scharmützel mit Oberlandesgerichten, wurde hier so und dort anders Recht gesprochen. Da durften Fußball-Vereine zwar Bandenwerbung für einen Wettanbieter machen, ihr Gegner aber durfte nicht mit einem Trikot mit Sportwetten-Logo auflaufen – aber das galt nur für bestimmte Regierungsbezirke oder Bundesländer. Polizisten in Dortmund forderten einen Jogger auf, sein T-Shirt auszuziehen – weil ein Sportwetten-Logo drauf war. Staatsanwaltschaften schlossen in der einen Stadt Wettannahmestellen – ein paar Kilometer weiter blieben diese unbehelligt. Das erwähnten die oft manipulativen Pressemitteilungen aber nicht.Ebensowenig wie die „Sonderveröffentlichungen“, die sich die Lottogesellschaften über die PR-Agentur CNC bei seriös erscheinenden Medien einkauften. Der „Rheinische Merkur“ bot CNC-Chef Siegmar Mosdorf sogar noch Raum für ein Kommentärchen – war im Preis wahrscheinlich mit drin. Auch Staatssekretäre waren sich für Lügen nicht zu schade. Beispiel Jürgen Staupe: Der Sachse behauptete, in Italien sei ein Staatsmonopol auf Wetten durchgesetzt worden – tatsächlich fiel es.

Tja, Lottogesellschaften sind eben wunderbare Pöstchengeber der Politik. Staube war nebenbei Aufsichtsrat von Sachsenlotto. Genau wie der gegen private Wettanbieter schießende Bremer Bürgermeister Thomas Röwekamp im Aufsichtsrat von Lotto Bremen saß. Aber sicher hat das unabhängigen Entscheidungen nicht vorgebeugt.

Was für ein Irrsinn. Und warum?

Weil es scheinbar um die Haushalte der Länder geht. Die nämlich profitieren von den Einnahmen der Lottogesellschaften. Nur: So unglaublich viel Geld bringt Oddset nicht – und hat es nie. Tatsächlich fürchten die Länder, dass nach den Sportwetten das Lotto-Monopol kippt. Und mutmaßlich wird genau das passieren.

Schon meldet sich wieder der Bayerische Lottochef Erwin Horak zu Wort. Der „FTD“ sagte er: „Wir vertrauen auf die Politik in Bund und Ländern, dass die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, damit das in Deutschland bewährte Staatsvertragsmodell Bestand haben wird.“

Wir dürfen hoffen, dass dies nicht der Fall ist. Denn Oddset ist nach meinen Erfahrungen nicht gewappnet, das eigentliche Übel in Sachen Sportwetten zu bekämpfen: die internationale Schieberei. Das können die freien Wettanbietern, vor allem die großen, internationalen besser. Sie sind besser vernetzt, haben die bessere Risikovorsorge.

Was der Staat tun sollte? Eine Wettsteuer einführen, so wie in England. Und das mit dem Lotto-Monopol, könnte kein so großes Problem sein. Letztlich geht es um die Höhe des Jackpots – und diese Jackpots sind recht hoch, wie mir die zuständigen Verbraucherinformationen ständig im Radio mitteilen.


Kommentare


_Flin_ 8. September 2010 um 19:44

Und wer war mal wieder mitten drin? Meine Münchner Löwen. Mit dem Trikotsponsor betandwin. Da hiess es dann wieder „1860 Chaosclub“ und der gutdotierte Sponsorenvertrag des dauernd am Rand der Pleite spazierenden Vereins musste gelöst werden.

War prima.

Hoffentlich hat der ganze Irrsinn jetzt endlich ein Ende. Allein dass man in Deutschland nicht im Internet Lotto spielen kann, ist ja eine Lächerlichkeit sondersgleichen und wirklich typisch für dieses unser Land.

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WZagl 12. September 2010 um 9:23

Natürlich ist es ein Unterschied, ob man ein Mal pro Woche im Lottogeschäft einen Tipp abgibt oder ob man 24 Stunden pro Tag ganz bequem auf alles Mögliche wetten kann. Das Gleiche gilt für Spielautomaten. Dort kommt hinzu, dass die Betreiber das Alter kontrollieren, dass sie keinen Alkohol ausschenken dürfen, dass die Öffnungszeiten begrenzt sind usw. Wer da keinen Unterschied zu ubiquitären Internetwetten sieht, ist bestenfalls uninformiert.

Richtig ist, dass der Anteil pathologischer Spieler beim Automatenspiel am höchsten ist. Falsch ist, dass es bei Wettspielen keine pathologischen Spieler gibt. Tatsächlich liegen Pferdewetten auf Platz 2 der „Suchtcharts“. (Platz 3: Casinospiele, Platz 4: Sportwetten allgemein.)

Dass Politiker bzw. staatliche Lottogesellschaften mitunter Lobbyismus betreiben, ist sicherlich richtig. Die Betreiber von Wettbüros hingegen handeln aus rein altruistischen Gründen und zum Wohle der Gesellschaft? Natürlich! Und so eine bodenständige Münchnerin, deren Wettbüro in den roten Zahlen ist – Applaus vom Richter! -, ist natürlich ein besseres Beispiel als, sagen wir mal, eine Großverdiener wie Hannes Androsch (bwin), mit einem geschätzen Vermögen von mehreren hundert Millionen Euro (Applaus von Guido Westerwelle).

Wie Du ganz richtigst anmerkst, würde eine Liberalisierung vor allem die staatlichen Anbieter treffen. Mit all den Folgen für die Betreiber der Annahmestellen. Leider leider werden die privaten Anbieter aus steuerrechtlichen Gründen keine Niederlassung in Deutschland betreiben können, aber wenn Herr Androsch dadurch seine Zweityacht ordnungsgemäß finanzieren kann, dann wollen wir mal nicht so kleinlich sein.

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Thomas Knüwer 13. September 2010 um 11:06

@wzagl: Da müssen wir ein wenig detaillierter werden.

Sie dürfen mich gern korrigieren, wenn ich etwas übersehen habe. Aber: Es gibt keine wissenschaftlich seriöse Studie darüber, ob Sportwetten süchtig machen. Tatsächlich gibt es nur eine Untersuchung unter Spielsüchtigen, die dann eben auch Sportwetten machen. Das aber reicht einfach nicht.

Der Unterschied zwischen dem Lobbyismus der freien Wirtschaft und dem der Politiker ist: Bei ersteren kenne ich die Motive. Zweitere offenbaren Sie nicht. Wenn die staatlichen Lottogesellschaften über ein PR-Agentur Beilagen in Zeitungen buchen, wenn Aufsichtsratsmitglieder von Lottogesellschaften gleichzeitig über die private Konkurrenz entscheiden – dann ist das eklig und aus meiner Sicht sind die Begriffe „mafiöse Struktur“ oder „Bananenrepublik“ erlaubt.

Mich dünkt aber ohnehin, dass hier eine PR-Agentur Astroturfing betreibt. Deshalb auch der wirklich dumme Hinweis auf die Annahmestellen. Die würden ja bei einer Liberalisierung mehr einnehmen können – durch private Anbieter.

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