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„This reminds me of Cebit in the late 90s“, sagt die Dame von PR-Newswire. Wir sitzen zu viert eng zusammengequetscht in ihrem Kleinwagen. Der Shuttle-Service vom Hotel zur Digital-Konferenz SXSW war wieder mal komplett überlastet. Sie hatte in das Träubchen der Wartenden gefragt, ob sie jemand mitnehmen könne zum Austin Convention Center  – ich hatte Glück. Aus Deutschland sei ich? Da sei sie nur zweimal gewesen, zur Cebit in Hannover 98 und 99. Und irgendwie sei das hier in Texas so wie damals in Niedersachsen.

Stimmt. Sie trifft den Punkt. Die SXSW ist die Cebit des 21. Jahrhunderts.

Dazu muss man den vielen Cebit-Hassern ja sagen, dass die Messe tatsächlich einmal global wichtig war. In den 90ern wurden viele wegweisende Innovationen zuerst dort vorgestellt. Doch es waren eben Neuerungen aus der Harcore-IT. Rund eine Woche lang war Hannover dann rappelvoll, tagsüber liefen (oder standen) die Besucher sich Blasen an den Füßen, abends ging es von Party zu Party – die Einladung zu einer solchen oder auch nur das Wissen, wo die beste Feier läuft, waren Gold. Und seien wir ehrlich: Schön war das nicht – weder Hannover noch die Messehallen. Aber es waren fiebrige, besondere Tage nach denen man ein Gefühl dafür hatte, was als nächstes kommt.

Und genauso ist die SXSW.

Sie ist riesig: 19364 Teilnehmer.

Sie ist eine Startrampe für Innovationen: Einige davon habe ich ja schon beschrieben, aber in meinen Notizen dürften sich noch einige mehr finden.

Sie ein großartiger Platz, um interessante Menschen kennenzulernen: Dabei geht es erstaunlich locker zu. Schon in der Taxi-Schlange zum Flughafen lernte ich das erste Gründerteam kennen, immer wieder ergeben sich Gelegenheiten, sich kennenzulernen. Die Attitüde ist halt Amerikanisch: Sitzt man in einer Diskussion nebeneinander, stellt man sich mal vor. Das ist das Gegenteil zum deutschen Schweigertum. Bestes Beispiel dafür war Foursquare-Chef Dennis Crowley: Über Stunden vergnügte er sich in der Pepsi-Foursquare-Lounge und war so für jeden zu sprechen.

Sie ist nicht schön: Austin ist eine alles andere als hübsche Stadt. Downtown gibt es keinen ordentlichen Buchladen, ohnehin kaum Geschäfte. Dafür dehnt sich der Ort über eine riesige Fläche. Auch das Convention Center und all die Hotels, in denen SXSW-Veranstaltungen laufen, strahlen jenes deprimierende Flair amerikanischer Konferenzzonen aus. Viele Säle heißen auch noch „Ballrooms“ was vermuten lässt, dass in ihnen sogar Hochzeiten gefeiert werden. Das macht die hohe Scheidungsquote in den USA erklärlich. Einzige Ausnahme: Es gibt eine Reihe toller, shabby-chic Partylokationen.

Sie ist feierwütig: Die Zahl der Partys an jedem Abend ist unübersehbar. Einladungen sind heiß begehrt, oder das Wissen, wie man ohne reinkommt.

Was ich mich frage: Könnte so Hannover im Jahr 2011 aussehen? Wenn die Cebit sich nicht so massiv gegen das Internet gewendet hätte? Wenn man Startups das Feld bereitet hätte? Kreativer gewesen wäre?

Eine Chance hätte vielleicht bestanden. Doch generell fällt auf, dass auch im Bereich der Digital-Veranstaltungen Deutschland hinten anhängt. Für Austin ist die SXSW die größte Veranstaltung im Jahr. Ein Ur-Einwohner berichtete von den Anfängen: Einst sei die Stadt Mitte März komplett leer gewesen – Schulferien, Spring Break auf amerikanisch. Die Wirte der 6th Street, der Bar-Meile, hätten gegrübelt, wie sie ihre Ausgaben in jener Zeit aufpolieren könnten. Ergebnis: ein Band-Wettbewerb, den sie South by Southwest tauften – oder kurz SXSW.

Das war vor 25 Jahren. Heute ist aus dem Band-Wettbewerb ein gigantisches Musikfestival geworden, ein Film-Fest kam dazu und eben eine Interaktiv-Konferenz.

Auch Amsterdam schmückt sich mit einer großen Digital-Konferenz, der Picnic. Paris hat die Le Web. Städte unterstützen diese Kongresse massiv. Zum einen, weil sie Besucher bringen. Zum anderen, weil es kommunikative Besucher sind, die über ihre Besuche auch noch aktiv berichten.

Welches Potenzial möglicherweise darin liegen könnte, haben deutsche Kommunen noch nicht recht erkannt. Berlin unterstützt die Berlin Web Week – doch die ist verhältnismäßig klein. Stattdessen zerbröseln die Länder und Städte jedes Engagement auf, jeder bekommt vielleicht ein kleines Häppchen. Etwas großes kann daraus nicht werden.

Symptomatisch ist da auch, dass andere Nationen bei der SXSW durchaus mit Rednern vertreten waren. Bei Technology Summit, dem Anhängsel des Interaktiv-Parts am fünften Tag, wurden einzelne Ländern intensiv vorgestellt – eine tolle Druckbetankung. Bei der deutschen Präsentation war ich nicht, denn als einziger Redner war ein Vertreter der c/o Pop angekündigt.

Vielleicht ergibt sich ja etwas im kommenden Jahr. Dann werden erheblich mehr Deutsche anreisen, das scheint sicher. Und vielleicht lässt sich dann mal ein deutsches Treffen organisieren, vielleicht kann man einige Redner platzieren – dem Digital-Standort D könnte das zuträglich sein. Möglich ist so etwas. So mietete das Reeperbahn Festival zum SXSW-Musikteil eine Burger-Bude als Treffpunkt – sie war gut gefüllt.

Für mich aber ist auch sicher: Ich werde, so es eben möglich ist, bei der SXSW 2012 auch wieder dabei sein. Denn eines unterscheidet sie glücklicherweise von der Cebit: Das Wetter ist besser – und die jährliche Cebit-Erkältung bleibt damit aus.

Und damit blendet auch Indiskretion Ehrensache zurück in den deutschen Alltag.


Kommentare


teekay 21. März 2011 um 13:08

Danke fuer Deine Berichte von SXSW-habe den Konferenzbesuch gerne virtuell mitverfolgt!

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miki devic 21. März 2011 um 13:09

Toller Beitrag Thomas, der es auf den Punkt bringt. Danke.

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stk 21. März 2011 um 14:26

Ebenfalls Danke fuer die Berichterstattung. Als Ulmer haette mich ja gereizt, auszuprobieren, ob auch die Car2Gos in Austin mit meinem RFID-Siegel funktionieren 😉

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MrsLaine 21. März 2011 um 17:41

Ich war auch in Austin und ich habe es ganz ähnlich empfunden. Ich saß am Freitag Mittag für eine Stunde in der Eingangshalle im ACC und habe die ganze Zeit mit hoch interessanten Menschen geredet.

Ich wohne seit drei Jahren nicht mehr in Deutschland und ich dachte immer, vielleicht höre ich einfach nicht von den guten Veranstaltung, die es doch in Berlin, Hamburg, Köln oder München sicher geben wird. Vielleicht, dachte ich, lese ich die falschen Blogs und höre die falschen Podcasts.
Nachdem ich jetzt aber (zum ersten Mal) bei der SxSW war ist mir klar, es gibt in Deutschland einfach nicht diese Menschen, die einen Saal mit 2-4 Tausend Menschen begeistern können. Keinen Priebatsch, keinen Vaynerchuck.
Selbst die gruseligen Folien von Dr. Craig Venter haben die Besucher nicht abgeschreckt, sich am Montag Morgen mit Genmanipulation und synthetischen Lebensformen zu befassen. Was hatte das mit Internet zu tun? Wenig bis garnichts. Aber es hatte mit Zukunft und Technologie zu tun. Und es schien genug Leute zu interessieren. Gut, dass da auch die Veranstalter mal über den Tellerrand geschaut haben.

Und wenn ich höre, dass bei der CeBit der Zugang zum WiFi 10 Euro kostet, dann habe ich dazu auch keine weiteren Fragen mehr.

Vielen Dank für die Berichterstattung. Vielleicht treffen wir uns ja nächstes Jahr beim „Germans@SxSW Meet Up“

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Shoota [Mobile] 21. März 2011 um 22:10

Besten dank fuers digitale miterleben der sxsw.

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Netzwert Reloaded XLIX: Paid-Content-Träume und ein Manifest 21. März 2012 um 10:33

[…] in diesem Jahr habe ich es leider nicht geschafft zur SXSW zu fahren, dem großen Tech-Festival. Im vergangenen Jahr schrieb ich, sie sei für mich die Cebit des 21. Jahrhunderts. Vor 10 Jahren versuchte jene Cebit den Spieß noch herumzudrehen: Sie wollte in die USA […]

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Augmented Reality im Kundenservice | Smart Service 18. April 2013 um 7:30

[…] bietet die bedeutende Technologie-Messe – die “Cebit des 21. Jahrhunderts” – vor allem Startups die Möglichkeit ihre digitalen Ideen, Produkte und Spielereien zu […]

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SXSW 2014 – Cebit des 21. Jahrhunderts 16. März 2014 um 19:28

[…] 2011 schrieb ich, die SXSW sei so etwas wie die Cebit des 21. Jahrhunderts. Das ist sie heute noch viel mehr. Austin wird zum globalen Treffpunkt der Web-Branche und die ist ein Taktgeber für viele andere Bereiche des Wirtschaftslebens. All dies hätte auch in Hannover passieren können, doch die Cebit hat ihre Chance verspielt, weil sie sich nie wirklich den Ansprüchen dieser Industrie (mehr Konferenz, weniger Messe, niedrigere Preise für Präsenzen, stärkere Vernetzung) beugen wollte. Und wie bei der Cebit in ihren Hoch-Zeiten ist auch die SXSW Stress: Man hetzt durch die volle Stadt von Podium zu Podium, statt von Stand zu Stand. Man lernt neue Menschen kennen, entdeckt frische Ideen, staunt und lässt sich inspirieren. Und, ja, abends feiert man bevor man in sein Messequartier, das heute von AirBnB vermietet wird, zurückkehrt. […]

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