„Arbeitest Du da eigentlich auch?“
Verständliche Frage in der jüngsten Vergangenheit, genauer zwischen dem 7. und 11. März. Denn in diesen Tagen war mein Twitter-, Instagram- und Facebook-Stream eher voll mit lustigen Bildern als mit Handfesterem.
Doch, doch, ich habe auch gearbeitet, vor allem in Form von Zuhören, Reden, Nachdenken. In diesen Tagen besuchte ich zum dritten Mal die SXSW (gesprochen South by Southwest), die größte Digitalkonferenz der Welt in Austin/Texas. Ich halte nichts mehr von Podienzusammenfassungen, wie ich schon schrieb (und Sie, liebe Leser anscheinend auch nicht). Und doch gibt es zwei Gründe, noch einmal auf die Konferenz einzugehen:
1. Die Zahl der deutschen Besucher ist drastisch angestiegen
Als ich 2011 das erste Mal in Austin war, war ich ein Exot. Die Zahl der Germans, war überschaubar, die Amerikaner wunderten sich noch, dass jemand „all the way“ herüberfliegt für eine Konferenz. Heute ist das anders. Während die Zahl der SXSW Interactive-Teilnehmer insgesamt bei 30.000 stagnieren dürfte, stieg der Anteil der Ausländer drastisch an. Das fiel auch der „New York Times“ deutlich auf: „Foreign Influx Gives Annual Tech Event an International Flavor“ überschrieb sie ihren ersten Artikel in diesem Jahr.
Auch in den üblichen Warteschlangen vor Diskussionen traf ich mehr Franzosen, Japaner und Brasilianer als je zuvor. All die Nationen mieten nicht nur einen Stand auf der Expo sondern betreiben auch Nationenhäuser mit eigenen Veranstaltungen. Dies dürfte auch eine Folge der SXSW-Strategie sein: 2011 durften sich Ländermärkte auf Podien präsentieren und wer dort sprach, verbreitete mutmaßlich die Kunde von dem Monster-Event in Texas.
Die Germans hingen viel zusammen, was durchaus verständlich ist. So gab es im Norden der Stadt eine Ansammlung von sechs, von Deutschen bewohnten AirBnB-Häusern in einer Nachbarschaft. Und am ersten Abend machten sich 70 Deutsche mit einem amerikanischen Schulbus auf zum BBQ-Ausflug (dicker Dank an Simon Harlinghausen für die Organisation). So ist das einfach im Ausland, nicht nur bei Deutschen. Doch sollten wir alle, die wir regelmäßig zur SXSW fahren, künftig versuchen, eine Filterblase zu vermeiden.
Endlich waren auch deutsche Medien weiträumig vertreten: „Handelsblatt“, Sueddeutsche.de, Spiegel Online, Zeit.de, Stern.de – sie alle waren vor Ort, häufig sogar mit der Chefetage. Was sie berichteten ist aus aus meiner Sicht qualitativ schwer ausbaubedürftig. Aber: Es war ein erster Schritt.
2. Die Bedeutung der SXSW steigt
Wo wir schon bei deutschen Medien sind. Wenn sie über die SXSW berichten, taucht immer noch der Unsinn auf: „Alle suchen nach dem nächsten Twitter“. Zeit.de titulierte die Konferenz gar als „ehemalige Spaßveranstaltung“.
Wieder einmal möchte man Berichterstatter nehmen und ihnen rechts und links eine Ohrfeige verpassen, auf dass sie zur Besinnung kommen. Die SXSW war nie die große „Hier entsteht der nächste, heiße Scheiß“-Veranstaltung. Nur zwei Web-Dienste schafften hier ihren Durchbruch: Twitter durch puren Zufall, Foursquare geplant. Das wars – in 20 Jahren der Existenz.
Genauso blödsinnig ist die Behauptung einer Spaßveranstaltung. Seit Jahren schon ist die Konferenz vor allem getrieben vom Business. Nur: Der Business-Fokus verschiebt sich. Waren es noch 2011 die Startups, die den Takt vorgaben und auch für die Belustigungen sorgten, sind es heute andere Branchen, die digitale Instrumente nutzen: Vernetzte Autos waren ein wichtiges Thema in diesem Jahr, die großen Konsumgüterkonzerne diskutierten über Marketing, ein Sonderteil widmete sich dem Sport-Business.
Das macht die SXSW uncooler – aber ernsthafter. Und sie wird für die Wirtschaft wichtiger, weil sie kein Treff der Tech-Branche mehr ist, sondern ein gesamtwirtschaftliches Zusammenkommen.
Ihre Bedeutung steigt auch durch das Thema Überwachung und Sicherheit. Die Snowdon-Affäre hat die Zahl der Debatten zu IT-Sicherheit, NSA und Netzpolitik kräftig steigen lassen. Die Videoübertragungen von Edward Snowden und Glenn Greenwald sorgten für globale Aufmerksamkeit und auch dies steigert die Bedeutung der SXSW.
Die coolsten Kids des Silicon Valley sind vielleicht nicht mehr auf den Podien in Austin. Das heißt aber nicht, dass sie nicht anreisen. So war zu hören, dass Ashton Kutcher mit Kevin Rose um die Häuser zog, auch eine Party der beiden soll es gegeben haben. Beide sollen sich massiv mit Startup-Gründern getroffen haben.
2011 schrieb ich, die SXSW sei so etwas wie die Cebit des 21. Jahrhunderts. Das ist sie heute noch viel mehr. Austin wird zum globalen Treffpunkt der Web-Branche und die ist ein Taktgeber für viele andere Bereiche des Wirtschaftslebens. All dies hätte auch in Hannover passieren können, doch die Cebit hat ihre Chance verspielt, weil sie sich nie wirklich den Ansprüchen dieser Industrie (mehr Konferenz, weniger Messe, niedrigere Preise für Präsenzen, stärkere Vernetzung) beugen wollte. Und wie bei der Cebit in ihren Hoch-Zeiten ist auch die SXSW Stress: Man hetzt durch die volle Stadt von Podium zu Podium, statt von Stand zu Stand. Man lernt neue Menschen kennen, entdeckt frische Ideen, staunt und lässt sich inspirieren. Und, ja, abends feiert man bevor man in sein Messequartier, das heute von AirBnB vermietet wird, zurückkehrt.
3. Die deutsche Präsenz macht sich
Im vergangenen Jahr ärgerte ich mich sehr über die offizielle, deutsche Präsenz. Dieser Artikel, erfuhr ich von mehreren Seiten, schlug einigermaßen hohe Wellen bei den Organisatoren (wahrscheinlich war ich aber auch fast der einzige, der irgendetwas über dieses Trauerspiel schrieb).
Deshalb ist es nun genauso opportun ist, die deutsche Präsenz 2014 zu loben.
(Disclosure: Im Rahmen des Deutschen Hauses veranstalteten Ulrike Langer, Richard Gutjahr, Daniel Fiene und ich – unhonoriert – eine Ausgabe des Digitalen Quartetts. Leider wackelte das Wlan derart, dass die Sendung nicht betrachtbar war. Den Besuchern im Saal aber hat es anscheinend gefallen. Am folgenden Tag moderierte ich – gegen Honorar – eine Diskussion zur Zukunft der Medien.)
Das beginnt mit dem Stand: Vergangenes Jahr war er mehr Fußgängerzone Gelsenkirchen, dieses Jahr Berlin-Mitte. Und entsprechend war er auch nie völlig leer, bei Events sogar gut gefüllt.
Ja, das da oben ist der deutsche Stand – vergleichen Sie dies mit 2013:
Und noch ein Vergleich: So sah es in diesem Jahr am britischen Stand aus, der 2013 noch bestens besucht war…
Ähnliches trifft für das Deutsche Haus zu: Auch hier gab es einige Veranstaltungen, die nicht nur gut gefüllt waren, sondern zu denen auch internationale Gäste kamen. Das größte Problem der internationalen Häuser ist es nämlich, Besucher anzuziehen, die nicht aus den jeweiligen Nationen stammen.
Kurz: Die deutsche Präsenz auf der SXSW 2014 war respektabel.
Weshalb für das kommende Jahr die drei organisierenden Ländern Berlin, NRW und Hamburg enger zusammenarbeiten sollten. Man hatte den Eindruck: Da hat jeweils ein Bundesland einen Tag lang das Haus übernommen und bespielt. Entsprechend wurden dann auch Hashtags mit Länderkennung aufdoktriniert. Im Gegensatz dazu gaben zum Beispiel die Franzosen ein geschlosseneres Bild ab unter dem Dachschlagwort #BonjourSXSW. Es wäre toll, würden die Länder-Egos hinter dem Größeren zurücktreten: Es geht um deutsche Präsenz.
Dazu gehört auch, die Frage zu klären, warum diese in Texas ist. Die Botschaft schien nicht klar: Sollten Gründer angezogen werden? IT-Fachkräfte? Besucher für das Reeperbahn Festival? Gutes Marketing lässt sich auf klare Botschaften reduzieren, dies sollte hier auch passieren.
Inhaltlich sollte die Frage gestellt werden – und ich habe auch nicht die ultimative Antwort – welche Themen die gewünschte Zielgruppe anziehen. Der Startup-Pitch am Hamburger Tag soll, so berichteten mir mehrere Quellen, praktisch besucherfrei gewesen sein. Kein Wunder: Es gibt genug Startup-Präsentationen in Austin. Warum sich dann auf den Weg machen ins Deutsche Haus, um drei aus Hamburg zu hören?
Und schließlich sollte der German Filterblasenbildung entgegen gearbeitet werden. Natürlich ist es schwer, internationale Besucher bei einer solch großen Veranstaltung anzulocken. Doch vielleicht liegt die Antwort in der Nachbarschaft des Deutschen Hauses. Dort waren nämlich noch andere Länderpräsenzen. Warum nicht mit denen arbeiten? Warum nicht ein Nation-House-Hopping? Warum nicht Treffs deutscher mit brasilianischen Gründern?
Dies soll kein Gemeckere sein, weshalb ich nochmals ausdrücklich betone: Der Auftritt in diesem Jahr war respektabel.
Wäre es nicht toll, würde er 2015 fucking awesome?
(Foto Digitales Quartett: Tankersley).
Nachtrag vom 21.3.14: Mehr zur Internationalität der SXSW auch in dieser Infografik:
Kommentare
achimh 17. März 2014 um 2:05
Der Zusammenfassung kann ich größtenteils nur zustimmen, auch der Entwicklung seit 2011 – die mache ich ja auch vor Ort seitdem schon mit. Schön zusammengeschrieben.
CeBIT 2014 – Relaunch geglueckt? Ein Kommentar | Mobilegeeks.de | Allgemein 17. März 2014 um 12:06
[…] mit der SXSW und laesst all dies in einen aktuellen Blogpost gipfeln, der davon spricht dass die SXSW in Austin die CeBIT des 21. Jahrhunderts […]
kassanja 17. März 2014 um 13:23
Gefühlt mag das mehr Anstieg sein, aber faktisch stimmt das nicht. Laut Auskunft der SXSW waren 2012 insgesamt 404 Deutsche in Austin, 2013 waren es 381 und in diesem Jahr 387.
Thomas Knüwer 17. März 2014 um 17:37
Danke für den Hinweis. Mein Äußerung bezog sich auf 2011. Hast Du da auch die Zahlen?
Tim 17. März 2014 um 14:17
Die deutschen Medien berichten natürlich lieber über Buchmessen, auf denen sich Fachleute über – vom Publikum geliebte – Innovationen und Anbieter beklagen, die nicht aus Deutschland stammen.
Alfonso von Wunschheim 17. März 2014 um 16:09
Wahrscheinlich sind ja deine Quellen die gleichen zur Besucherfreiheit des Startup-Pitches und der Wertschätzung eures Quartetts – Der Startup-Pitch wahr nämlich mit 50 Leuten anständig besucht und euer Blind-Guest Format schlecht vorbereitet und viel zu langwierig für eine Live-Veranstaltung…
Thomas Knüwer 17. März 2014 um 17:40
Ich habe mich da vielleicht unkorrekt ausgedrückt. Unter Gästen verstehe ich: internationale Gäste. Mir wurde von drei Seiten unabhängig voneinander berichtet, dass das Publikum sich aus Hamburgern, Jury und Startups zusammensetzte. Auf den Bildern sehe ich diesen Eindruck bestätig.
Kritik wurde übrigens auch an der Tatsache geübt, dass die Reisekosten der Startups nach langem Hin und Her nicht voll übernommen wurden.
kassanja 17. März 2014 um 18:10
Von 2011 zu 2012 gab es laut SXSW einen Sprung von 249 auf 404. In der Tat ein größerer Sprung. In den letzten 3 Jahren gab es jedoch keinen Sprung und du schreibst oben ja über dieses Jahr. Vielleicht solltest du das kenntlicher machen, dann ist es nicht so missverständlich. Zu den Reisekosten der Startups: Woher kommt diese unwahre Info? Die drei Hamburger Startups haben Flug, Übernachtung und Badge bezahlt bekommen. Zum Publikum: Ja, es waren Hamburger da, auch viele Deutsche, ebenso aber auch einige Investoren aus dem Investoren-Netzwerk urban.us. Es waren Franzosen, Belgier und Engländer da. Es hätten natürlich noch deutlich mehr Investoren da sein können, aber Investoren zu treffen war ja auf der gesamten SXSW schwierig. So hörte ich von diversen internationalen Startups die im offiziellen SXSW Accelerator gepitcht haben, dass man dort quasi kaum auf Investoren traf. Auch über ordentlich Presseaufmerksamkeit (AP, SpOn, BR, ARD, dpa etc) dürfen sich die Startups freuen Anyway: Konstruktive Kritik kann jeder gerne äußern, zu behaupten, dass der Pitch besucherfrei war, entspricht einfach nicht der Wahrheit.
Jörg 17. März 2014 um 18:31
Ich durfte ja vor Ort pitchen und kann zu den Reisekosten sagen: Wir sind sehr froh über die finanzielle Unterstützung ohne irgendein Hin und Her.
Zum Publikum: Klar waren am Nachmittag viele Hamburger da, aber neben der dpa und dem BR war auch die AP und einer der wichtigsten US-Partner von Ernst & Young vor Ort. Finde ich bei dem Überangebot vor Ort schon recht ordentlich.
Danke Hamburg für die Unterstützung!
Link AP http://www.apimages.com/Search?query=hamburg+interactive+day&ss=10&st=kw&entitysearch=&toItem=15&orderBy=Newest
Link dpa www.huffingtonpost.de/2014/03/10/south-by-southwest-gruender-deutschland_n_4934457.html
Link BR http://www.br.de/import/audiovideo/sxsw-south-by-southwest-2014-joerg-land-tinnitracks-100.html
http://www.br.de/themen/ratgeber/inhalt/computer/sxsw-south-by-southwest-2014-austin-roundup-100.html
Links anne Ruhr (17.03.2014) » Pottblog 18. März 2014 um 6:23
[…] SXSW 2014 – Cebit des 21. Jahrhunderts (Indiskretion Ehrensache) – […]
Mirko Whitfield 18. März 2014 um 10:48
There were 496 German delegates registered for SXSW 2014. A record attendance.
SXSW 2013 – 381 German delegates
SXSW 2012 – 404 German delegates
SXSW 2011 – 249 German delegates
So, 2013 was the odd year out.
This was a record year and we had more than 4500 delegates just from Europe (including 1734 from the UK alone). For example, there were 479 delegates from the Netherlands, 331 from Sweden, 258 from Denmark, 261 from Norway, 228 from France …
Best regards,
Mirko Whitfield
SXSW Europe & Int’l Business Development
kassanja 18. März 2014 um 18:02
Thanks Mirko – sounds like you had a lot of last minute registrations. Great to hear this! Congrats!
Die CeBIT ist nicht die SXSW – und das ist auch gut so! Oder: Wer Äpfel mit Birnen vergleicht | Kroker's Look @ IT 19. März 2014 um 7:31
[…] versteigt sich sogar einmal mehr zum finalen Abgesang: Die Digitalkonferenz South by Southwest im texanischen Austin, im Szenejargon kurz SXSW genannt, sei die wahre CeBIT des 21. […]
SXSW 2016 I: Der Zirkus ist zurück in Austin 19. März 2016 um 20:16
[…] 2014 schrieb ich, dass die SXSW die Cebit des 21. Jahrhunderts ist. Diese Meinung sah ich in diesem Jahr […]