„Leute, ich freu mich schon auf die SXSW 2017.“
Das sagt der geschätzte Herr Fiene am letzten Morgen unseres Trips zur größten Digitalkonferenz der Welt in Austin – und fasst damit die Gefühlslage der Reisegruppe aus Journalisten, Beratern und einem Fondsmanager, der ich zum vierten Mal angehörte, sehr gut zusammen.
Eigentlich müssten wir jetzt gestresst sein. Fünf Tage auf einer Konferenz mit 34.000 Teilnehmern und hunderten von Vorträgen, Sessions und Paneln (allein die Vorbereitung kostet einen Arbeitstag), ständig hin und her wechselnd zwischen dem Convention Center und den Tagungsräumen der Hotels, und das in Temperaturdifferenzen zwischen 33 Grad draußen und 20 Grad in den Sälen (oder minus 5 Grad, wenn man die volle Leistungsfähigkeit der Klimaanlage des Conventions Centers genießen durfte). Dazu die Gänge zu Länderhäusern und Firmenrepräsentanzen, gepaart mit Mittagessen bei einem der vielen Foodtrucks.
Aber wir sind nicht gestresst. Wir sind inspiriert, begeistert, voll mit Ideen. Einige davon wird es hier im in der Indiskretion in den kommenden Tagen aufgearbeitet geben (Tageszusammenfassungen von Konferenzen finde ich wenig sinnvoll, ich bündele die Eindrücke lieber) .
In jedem Jahr drängt sich dabei der Vergleich mit der Cebit auf – denn sie läuft parallel. Das ist ein wenig unfair, schließlich ist die Cebit eine Messe, die South-by aber eine Konferenz.
Trotzdem war gerade in diesem Jahr die Differenz fast schon schockierend. Aus Hannover tauchten in meinem Nachrichtenstrom leere Hallen auf, die Witze über kostenpflichtiges Wlan und Fotoverbots-Icons.
Die SXSW dagegen näherte sich in einem Punkt der bunten Vergangenheit der Cebit: Die Zahl der Marken, die sich in eigenen Häusern (besser: gemieteten Bars und Restaurants) aufwendig inszenieren, steigt wieder. Und diese Inszenierungen von Samsung, Sony oder McDonald’s erinnern an die Stände der Cebits von 1998 bis 2002.
Schon 2014 schrieb ich, dass die SXSW die Cebit des 21. Jahrhunderts ist. Diese Meinung sah ich in diesem Jahr bekräftigt.
Denn so wie das Internet alle Bereiche des Wirtschaftens, Arbeitens, der Regierung und des Lebens durchzieht, so werden die Tage in Austin immer bunter und vielfältiger. Inzwischen gibt es Seiten-Konferenzen zu Themen wie Sportmanagement, Digitalisierung der Mode, Food, Virtual/Augmented Reality oder Healthtech (ich rechne im kommenden Jahr mit dem Thema Industrie), Wissenschaft und Politik sind präsent – an der Spitze natürlich Barrack Obama als Keynote-Redner. Und die Organisatoren schafften es in diesem Jahr besser als 2015, diese Themenvielfalt zu strukturieren und den Panels Qualität einzuhauchen.
Hinzu kommt die Popkultur. Wenn ich hier von der SXSW schreibe, meine ich den Interactive-Teil. Doch einen Tag später startet schon die Musikkonferenz inklusive Konzertprogramm sowie eine Gaming-Konferenz, über alle Tage hinweg läuft ein Filmfestival. Diese Nähe ist sinnvoll, wie eine Session mit Meta zeigte. Das Unternehmen entwickelt digitale Film-Designs, zum Beispiel das Aussehen der Augmented Reality-Funktionen in der Maske von „Iron Man“.
Gleichzeitig aber entwickelte Meta eine eigene Augmented Reality-Brille, die nach Meinung von CEO Meron Gribetz die derzeit leistungsfähigste sei. Sein Ziel ist die Entwicklung einer neuen Mensch-Maschine-Beziehung: „Letztlich arbeiten wir noch immer auf der Basis dessen, was Steve Jobs 1979 entwickelt hat – Fenster auf einem Desktop.“ Er glaubt: „In 5 Jahren wird man einen Glasstreifen kaufen können, den man wie eine Brille trägt und der fast nichts wiegt. Es wird 100x einfacher zu nutzen sein als ein Macintosh.“
So wie einst bei „Minority Report“ speist sich die Realität aus der Science Fiction. Außerdem reagiert die Popkultur heute schneller auf gesellschaftliche Entwicklungen. Die Hacker-Serie „Mr. Robot“, zum Beispiel. Vergangenes Jahr war sie via Guerilla Marketing omnipräsent in Austin. Der Erfolg: ein Erfolg. Die zweite Staffel startet bald in den USA und als Dank lief das Team diesmal mit Hauptdarstellern, Gratis-T-Shirts und einem Riesenrad auf.
Ist das ein Zirkus? Klar ist das ein Zirkus. Und er war in diesem Jahr bunter und rummeliger als in den vergangenen zwei bis drei Jahren.
Aber genau so einen Jahrmarkt braucht man, um eine energiegeladene Stimmung zu erzeugen. Denn derweil schrieb mit Tim Cole ein Urgestein des deutschen Tech-Journalismus einen Abgesang auf die Cebit:
„Das Problem der CeBIT ist, dass sie verarmt. Die Aussteller bleiben weg, Zuschauer kommen alle mit einer kostenlosen Messekarte rein. Die Folgen sind deutlich zu spüren: WLAN war früher natürlich überall auf der CeBIT umsonst. Jetzt müssen wir dafür bezahlen. Der Presse-Shuttle, der uns Journalisten wirklich das Leben leichter gemacht hat, ist nach 29 Jahren abgeschafft worden, genau wie das Presserestaurant, wo man sich früher ungestört mit Informanten und Kollegen treffen konnte. Überall wird/muss gespart werden, und so baut man sich schrittweise selbst ab. Meine Prognose: Die CeBIT wird es, zumindest als eigenständige Messe, höchsten noch 3-4 Jahre geben.“
Ich glaube, dass es noch fünf Jahre werden – doch das Ende der Cebit ist absehbar. Und vermutlich wird die Deutsche Messe versuchen, sie in die Hannover Messe einzugliedern. Folge: Alle Themen außerhalb von SAP und Industrial Internet würden marginalisiert. Während das Internet sich in der Realität über alle Felder legt, müsste es sich in Hannover der produzierenden Industrie unterordnen – das kann und wird nicht gutgehen.
Die Cebit hat nicht begriffen, dass es Zirkus und Rummel braucht, um Menschen anzuziehen. Natürlich klagten Unternehmen über die Taschenabgreifer, die Standausrüstungsdiebe, die Rentner und Schüler. Doch als die weg waren, wurde es leer. Fühlt man sich in einer leeren Messehalle inspiriert? Hat man die Power, um mit anreisenden Geschäftspartnern Deals zu machen? Nein. Vielmehr gibt es kaum etwas Deprimierenderes als eine stille Messehalle.
Im Gegensatz dazu ist die SXSW auf einem guten Weg, eine globale Leitkonferenz für das Digitale Zeitalter zu werden – die noch dazu Spaß macht. Weshalb unsere Airbnb-WG nur noch auf die Bekanntgabe der genauen Daten wartet, um zu buchen. Allein, um zu sehen, ob Meta-Chef Gribetz Wort hält. Er versprach: Bis zur SXSW 2017 werde keiner seiner 100 Mitarbeiter mehr mit einem Computermonitor arbeiten – sie alle würden umsteigen auf Augmented Reality-Brillen.
Dies ist ein Beitrag aus einer Reihe zu meinen Eindrücken von der SXSW2016. Alle Beiträge finden Sie unter diesem Link.
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