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In den Zeiten sterbender Tageszeitungen, sinkender Auflagen und Werbeerlöse ist Kostenbewusstsein der neue Fetisch in Redaktionen. Das ist nicht erst gestern so, sondern seit zu langen Jahren.

Zu den unschönen und den Journalismus schädigenden Auswirkungen gehören Beschränkungen im Reiseetat, in akuten Zeiten gar ein Reiseverbot. Wenn sie heute wissen möchten, wo es in Großstädten die abgewracktesten Herbergen gibt, sprechen sie mit Journalisten – die haben alles knapp oberhalb von Stundenhotels schon bewohnt.

selfie baconWenn dann gereist werden darf, müssen sich die reisenden Redakteure auch noch für jeden Kilometer rechtfertigen, gerade so, als sei solch ein Trip eine reine Verlustierung. Deshalb muss auch möglichst während oder kurz nach jener Reise etwas „dabei herauskommen“, also Artikel. Reisen, allein um jemand zu treffen, über den man mittelfristig etwas schreiben möchte, sind meist nicht mehr möglich. Dies ist umso trauriger, weil der Rechtfertigungsdruck hochgehalten wird von Ressortleitern und Chefredakteuren – also anderen Journalisten die wissen müssten, dass Hintergrundrecherchen und langfristige Informationssammlung wichtiger sind, als das sofortige Widerkäuen des Gesehenen.

Die Folgen dieser Unsitte zeigen sich in diesen Tagen bei Sueddeutsche.de und Spiegel Online. Beide sind auf der größten Digitalkonferenz der Welt vertreten, der SXSW (gesprochen South by Southwest) in Austin.

Waren es in den vergangenen Jahren wenige deutsche Crossmedia-Journalisten wie Ulrike Langer oder Daniel Fiene, die berichteten, sind in diesem Jahr gefühlt alle Online-Chefredakteure der deutschen Republik angereist. Das ist prima und gut so. Die SXSW ist eine wichtige Veranstaltung.

Die Chefs von Süddeutsche.de und Spiegel Online haben Reporter mitgebracht. Das ist für Unternehmen mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen ein gewisses Investment. Das Ergebnis: Rechtfertigungsdruck.

Um den zu senken greifen beide Häuser reflexartig in die Folterkammer des Onlinejournalismus und präsentieren – Live-Ticker.

Liveticker sind ein probates Instrument bei sich verändernden Nachrichtenlagen, bei Fußballspielen, in Momenten, da Menschen ein hohes Interesse haben, so schnell wie möglich Nachrichten zu bekommen. Das ist im Fall der SXSW exakt überhaupt nicht der Fall. Selbst Fachleute der Digitalbranche – und allein die interessieren sich überhaupt für die Konferenz – lechzen nicht am Monitor nach irgendwelchen heißen News. Auch ihnen wäre mehr geholfen mit Themen, Interviews, dem Nachdenken über Trends.

Stattdessen bekommen sie journalistisches Scheitern geboten. Schon der erste Post der „Süddeutschen“ zeigt, wie irrsinnig dieser Liveticker-Versuch werden wird:

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So geht es munter weiter. Der Nachrichtenticker wird bei SZ.de zum Dauerkommentar und der ist vor allem skeptisch. Häufig nehmen die Kommentare des Tickerers mehr Raum ein als die Äußerungen auf dem Podium. Und dann wird so getan, als klebten mitten in der Nacht tausende in Deutschland am Ticker und könnten nicht abwarten, bis die nächsten Zeilen durch die Datenleitung rauschen:

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Spiegel Online ist deutlich nachrichtlicher. Doch während Twitter-Nutzer bei Konferenzen bei jedem Tweet trotz Platzbegrenzung versuchen, Zitat und Zitatgeber unterzubringen, haut Spon munter ein Zitat nach dem anderen raus. Wer es gesagt hat? Egal. Hauptsache man ist dabei.

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Zwischendrin – ohne Erklärung – Tweets anderer SXSW-Teilnehmer. Da tauchen dann zum Beispiel die automatisierten, ironischen Wetter-Tweets von Daniel Fiene auf:

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Noch merkwürdiger: Ein Tweet des Twitteraccounts ProfJeffJarvis.  Warum Spiegel Online in einen Nachrichtenticker einen Text eines Satire-Fake-Accounts einbaut? Gute Frage. Verstehen dürfte das kein Leser, weder inhaltlich noch konzeptionell. 

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Ebenfalls lustig: Zwei Tage lang versucht man, die Leser an den Ticker aus Austin heranzführen. Am Sonntag dann: kein Ticker. Denn Spiegel Online gestaltete einen Tag im Deutschen Haus (in dessen Rahmen auch das Digitale Quartett stattfand). Selbst von diesen Diskussionen wurde plötzlich nicht mehr getickert.

Weder bei Spiegel Online noch bei Sueddeutsche.de habe ich den Eindruck, dass man sich Gedanken darüber gemacht hat, was für den Leser interessant oder warum solch ein Ticker-Format sinnvoll sein könnte.

Diese Ticker sind wie Selfies: selbstdarstellerisch, mit einem schiefen Winkel aufgenommen und oft verwackelt. Sie sind der brüllende Ruf: Schaut her, ich bin da und habe wichtige Menschen getroffen. Mehrwert für den Leser liefert der Selfie-Journalismus nicht.

Natürlich gibt es auch richtige Artikel zu lesen. Doch das Tickern senkt eben die Zeit, die man in sie investieren kann. Und so gibt es bei SZ.de Allgemeinplätze wie:

„Das nächste große Ding ist in diesem Jahr zwischen Design-Workshops und Katzencontent-Vorträgen zwar nicht so recht zu entdecken, doch das spielt keine Rolle: Die SXSW, so vermerkt es ein Nutzer des anonymen Mobilnetzwerks Secret, sei ja letztlich vor allem eine Art Burning-Man-Festival für Menschen, die keine Lust auf Zelten hätten.“

Ach ja: Kennen Sie Burning Man? Keine Sorge: Tun die Wenigsten. Die „Süddeutsche“ aber erklärt das auch nicht weiter. Und das mit dem nächsten großen Ding hält sich hartnäckig, obwohl in der Geschichte der SXSW nur zwei Dienste hier groß wurden: Twitter durch puren Zufall und Foursquare geplant.

Wer versucht, irgendwelche Trends der Konferenz auszumachen muss scheitern: Dies ist keine kuschelige Veranstaltung, bei der Besucher einen Großteil der Redner mitnehmen können. Es gibt mehrere tausend Podien, Vorträge und Workshops, die SXSW ist ein hoch spannender Moloch. Und dann kommen irgendwann auch wieder die Partys ins Spiel, auch die Süddeutsche schlagzeilt „Kampf um den Party-Platz“, gerade so als sei das beim Ärztekongress, der Cebit oder irgendeiner anderen beruflichen Großveranstaltung anders: Nach einem langen Tag will man auch mal Entspannung, Menschen sind so, Journalisten vielleicht nicht. Die müssen ja ihre Podienzusammenfassungen schreiben, für die wegen des Tickerns tagsüber keine Zeit blieb.

Die SXSW ist großartig, um Trendströme einzuordnen. Jedes Podium kann ein Puzzleteil sein und am Ende hat man ein besseres Bild davon, wie die Zukunft aussehen könnte. Für solche Langfristbetrachtungen aber bleibt keine Zeit. 

Man darf das den Reportern vielleicht nicht einmal übel nehmen. Wollen sie nach Austin müssen sie einfach schreiben, um reisen zu dürfen. Was sie schreiben ist zweitrangig.

Aus dieser Rechtfertigungsmühle müssen Redaktionen raus. Die knappe Zeit der Autoren ist zu wertvoll um sie mit Tickern zu vergeuden, wenn es nichts zu tickern gibt. Gleichzeitig müssen Journalisten reisen um Qualität zu liefern. Irgendwie ist das jedem klar, nur dem Controlling nicht. Zu leiden hat darunter dann der Leser.

Ich selbst habe früher auch während Podien Zitate getwittert und abends bis in die Nacht Tageszusammenfassungen geschrieben. Das tue ich heute nicht mehr. Warum? Diese Artikel hatten durchgängig massiv weniger Abrufe als jeder andere Artikel hier in der Indiskretion. Vielleicht sollten SZ.de und Spon mal ihre Klickstatistiken checken.

 


Kommentare


Links anne Ruhr (10.03.2014) » Pottblog 10. März 2014 um 8:20

[…] Journalistische Selfies aus Austin (Indiskretion Ehrensache) – Thomas Knüwer berichtet über die Berichte von SPON und SZ aus Austin (Texas), wo derzeit die South by Southwest (SXSW) stattfindet. […]

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sandhya matthes 12. März 2014 um 23:03

Interesting and amusing as always. Have to disagree with one point: Ärztekongress are sadly nothing like this! No fancy podiums for the speakers, no cool bands and no big parties.

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SXSW 2014 – Cebit des 21. Jahrhunderts 16. März 2014 um 19:21

[…] Digitalkonferenz der Welt in Austin/Texas. Ich halte nichts mehr von Podienzusammenfassungen, wie ich schon schrieb (und Sie, liebe Leser anscheinend auch nicht). Und doch gibt es zwei Gründe, noch einmal auf die Konferenz […]

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