Skip to main content

Nein, es war wohl wieder keiner da. Wie auch in den vergangenen drei Jahren auf der Picnic, jenem Zukunftskongress in Amsterdam, war kein Vertreter eines großen, deutschen Verlags anzutreffen. Dabei war auch diesmal so einiges dabei, was Medienhäusern zu denken hätte geben können.

Das Ergebnis dieses Im-eigenen-Saft-Schmorens war vor einiger Zeit zu besichtigen, beim Zeitungsverlegerkongress in Fulda. Was haben wir gelacht, vor einem Jahr auf der Techcrunch50. Da präsentierte ein skurril wirkender Japaner, Gründer eines Unternehmens namens Tonchidot, eine Augmented-Reality-Anwendung für das Iphone. Augemented Reality, also erweiterte Realität, bedeutet die Anreicherung der wirklichen Welt, zum Beispiel durch digitale Information.

Und Tonchidot versprach, man würde die auf dem Display seines Handys nicht nur das Bild sehen, das die Kamera des Gerätes gerade aufnimmt, sondern dies würde angereichert durch zig Informationen. In einer Straße würde dann zu sehen sein, wo welches Restaurant liegt, wie es bewertet wird, oder welche Speisekarte es hat.

„Viel zu futuristisch“, meinten viele, und der Raum war gefüllt mit den von Haus aus wenig technikskeptischen Bewohnern des Silicon Valley.

Ein Jahr später der Zukunftskongress Picnic in Amsterdam – und alles ist anders. Was vor einem Jahr noch weit entfernt schien, ist schon Realität. Zum Tennisturnier in Wimbledon gab es eine Anwendung, die genau das tat. Wer über das Gelände des Clubs schritt, konnte auf dem Display des Iphone gezeigt bekommen, wo welches Match lief oder wo er die berühmten Erdbeeren mit Sahne bekommt.

Solche Momente nennt der Amerikaner „mind blowing“, was auf Deutsch übersetzt zu sehr nach Horrorfilm klingt. Auf der Picnic in Amsterdam habe ich sie in Serie. Leider schaffte ich es diesmal nur für einen Tag – aber auch das war bereichernd und inspirierend.

Weiterhin ist es für mich völlig unverständlich, warum ich bei Konferenzen wie dieser nicht auf Vertreter deutscher Medienhäuser treffe. Hier fänden sie handfeste Innovationen für ihr Geschäft. Ich erinnere zum Beispiel mal an die Scanner-Idee aus dem vergangenen Jahr, die ich weiter für spannend halte:

Link: Touching Media

Nein, gerade Zeitungsverleger aus Germany scheinen lieber unter sich bleiben zu wollen. Bestenfalls die Telekom darf mal etwas einwerfen. Und dann entsteht so etwas wie jüngst in Fulda.

Dort trafen sich die Zeitungsverleger des Landes. Und ich frage mich, ob es bei der Präsentation der Ansätze für eine „Zeitung von morgen“ Applaus gegeben hat, erfreutes Aufjuchzen, vielleicht gar Jubel.

Diese Ideen wurden entwickelt vom Verlegerverband BDZV und dem Creation Center der Deutschen Telekom, berichtet W&V Online. Letztere, das kann ich nur aus den Vorschlägen folgern, hat entweder keinen Beitrag geleistet oder sich einen Jokus daraus gemacht, die Verleger Ideen präsentieren zu lassen, die anmuten, als hätte ein Truppe Grundschüler an dem Projekt gearbeitet. Oder natürlich, es steht um die Telekom noch schlimmer, als man denkt.

Die Ideen im Einzelnen:

– Amazon-Zeitung: Unter einem Artikel stehen weitere Artikel auf der Basis des Nutzerverhaltens. Das ist hübsch und eine gute Idee. Aber, bitte, darauf kommen Verlage im Jahr 2009? Trotzdem, das soll nicht meckerig daher kommen: Wenn das System funktioniert, was wohl nur eine längere Prüfung beweisen kann, ist es eine gute Idee.

– Nachrichtenfenster für daheim: Allen Ernstes sollen sich Nutzer einen digitalen Bilderrahmen in die Wohnung stellen, auf dem Nachrichten erscheinen. Und Werbung. Sicher toll für jeden, der sich gern mal ein Werbeplakat von Persil an die Wand tackert und einem Energiesparbirnenfluter darauf richtet. Und toll für die Telekom, die das Ding wahrscheinlich entwickeln soll.

Also, ich würd das ja netter machen als einen digitalen Bilderrahmen. Knuffiger. Unauffälliger. Ein nettes Gadget, halt. Und ich würde es Chumby nennen – wenn es den nicht schon gäbe. Seit 2006.

– Leserinhalte verkaufen: Die Südwest-Zeitung bitte Leser um Rezepte und verkauft dieses dann. Verlagsraubrittertum darf man das wohl nennen. Sicherlich steht in den AGB, dass die Einsender der Rezepte die volle Verantwortung übernehmen, falls irgendjemand mal eine Anleitung schon mal irgendwo unter Urheberrecht veröffentlicht hat. Gut, vielleicht sehen die Leser das auch als milde Spende, damit bei den Verlagen irgendwo Geld reinkommt. Als nächsten Schritt werden Leser vielleicht auch Artikel schreiben. Und die werden dann abgedruckt, zum Beispiel in einer Zeitungsbeilage. Wir nennen sie mal… Opinio. Ach nein, das hieß ja „Opinio“ und die „Rheinisch Post“ war damit eher so unterdurchschnittlich erfolgreich. Im Jahr 2006, übrigens.

– Artikel weitermailen: Die lustigste Idee aber kommt aus dem Hause Madsack. Zitat „W&V“:„Leser sollen dabei gegen ein Entgeld Artikel per E-Mail an Freunde verschicken können.“ Ja, das ist tatsächlich so gemeint, wie mir Madsack bestätigte. Es soll eine gemeinsame Datenbank aller Zeitungen geben und Leser sollen dann Freunden einen Artikel gegen Geld zumailen können. Abgesehen davon, dass viele einzelne Objekte genau diese Funktion längst haben, so existierte beim Handelsblatt mal eine weiter entwickelte Variante. Wer eine E-Mail mit der Seite einer Ausgabe, einem Stichwort des Artikels und der E-Mail-Adresse eines Kontaktes an eine Zentraladresse mailte, der löste eine Hinweismail an jenen Kontakt aus. Der Haken: Das wollte einfach niemand. Und nun soll gegen Geld etwas ähnliches funktionieren?

Das Innovationsniveau der deutschen Verleger ist auf einem erschreckenden Stand. All diese Vorschläge wären 1999 interessant gewesen. Im Jahr 2006 hätte man schon mitleidig gelächelt.Aber nun haben wir das Jahr 2009 und stecken mitten in einer schweren Krise. Es muss die Frage erlaubt sein, wann die Medienunternehmen sich wenigstens am Puls der Zeit befinden. Dass sie selbst irgendwann den Innovationstakt angeben, daran glauben sie selbst wahrscheinlich nicht mehr.


Kommentare


ring2 25. September 2009 um 17:36

Ich würde für das Ausdrucken von Artikeln Geld verlangen.

Antworten

Chat Atkins 25. September 2009 um 17:47

Ach, ich glaube, die wollen alle nur ihren alten Kaiser Wilhelm wieder haben, mit \’nem Bart, mit \’nem Bart, mit so\’nem Bart …

Antworten

seonor 26. September 2009 um 16:03

Für alle die eine Webcam haben und das aus dem Video mal selbst testen wollen:

http://www.julianperretta.com/ride_my_star/

Antworten

Der Tom 28. September 2009 um 12:34

Eine Website mit vielen imposanten \“Augmented Reality\“-Beispielen zum selbertesten:

http://www.metaio.de/demo/demo/

P.S. Übrigens \“Made in Germany\“ (München)

Antworten

Augmented Reality plus Foursquare 7. Juli 2010 um 18:13

[…] 2009: Beim Zukunftskongress Picnic wird die Wimbledon-Iphone-App gezeigt. Besucher des Tennisturnier sehen ihre Umgebung mit Hinweisen, die aus dem Web gezogen werden: Wo […]

Antworten

E-Culture Fair, Dortmund: schlecht vermarktete Gehirnflutung 26. August 2010 um 17:25

[…] historische Ansichten ermöglichen. Das bedeutet: Die großartige, wundervolle und inspirierende Konferenz Picnic (22. – 24. September) wird nochmal interessanter als ohnehin. Noch wer […]

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*