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Das goldene Kalb der Verlage ist in diesen Tagen das Bewegtbild im Internet. Ich aber frage mich: Ist das Kalb nicht eher eine Schimäre? Die Morgennachrichten des Medienbranchen-Blogs Turi2 wirken heute wie ein Web-Video-Spezial. Ich zitiere mal ein paar Schlagzeilen:

– TV-Offensive: Focus Online verdoppelt Bewegtbild
– Pfingstwunder 2.0: ARD Mediathek endlich online
– ARD und ZDF erstreiten sich mehr Freiräume im Web
– HBO: Der Bezahlsender aus den USA steht offenbar kurz davor, seine Sendungen auch via iTunes zu verkaufen
– NBC setzt auf online: Neue Folgen der Serien „Heroes“ und „The Office“ sind ab Juli auf der Homepage abrufbar
– Twitter leicht gemacht: Videowettbewerb soll erklären „Was ist Twitter?“

Ganz schön viel Web-Video für einen Morgen. Andererseits dürfte es die Interessen der Leser aus der Verlagsbranche treffen. Sie haben in diesen Tagen Bewegtbilder im Netz zum neuen Hoffnungsträger erkoren.

Spricht man mit ihnen aber detaillierter über dieses Thema, kommt Überraschendes dabei heraus. Da wird ernsthaft davon geträumt, dass doch eine Million Abrufe pro Video möglich sein müssten – „guck Dir nur die Einschaltquoten im Fernsehen an“. Und außerdem seien diese Videos „doch mit ganz wenig Aufwand zu machen“. Fast scheint es, die Videos seien der feuchte Traum jedes Managers: Paradiesische Einnahmen zu versteppten Kosten.

Ja, so einfach kann die Welt sein, wenn man in der kaufmännischen Abteilung eines Verlags arbeitet oder bei einem Media-Vermarkter.

Da draußen aber sieht das alles anders aus. Ja, es gibt sehr erfolgreiche Videoformate. Sie kommen aus den USA. Beim Medienkongress DLD berichtete Dina Kaplan von Blip.tv, sie habe schon mehrere fünfstellige Schecks an die Videoblogger überreicht, die Blip vermarktet.

Kein Wunder. Denn zunächst einmal sind englischsprachige Videos natürlich reichweitenstärker als deutsche. Doch auch abgesehen von der Sprachbarriere zeigt Blip, welche drei Dinge aus meiner Sicht derzeit entscheidend sind, um mit Videoformaten Erfolg zu haben:

1. Einbindbarkeit
Eine Seite allein, und sei sie noch so groß, wird nicht die Reichweite ermöglichen, um Web-Videos zum Erfolg zu machen. Sie müssen frei verteilbar über das Netz sein, problemlos einbindbar überall dort, wo die Zuschauer sie haben möchte. Das freut auch den Anzeigenkunden: Denn in Videos integrierte Werbung wird ja dann auch überall gezeigt.

Leider aber glauben Verlage noch immer, die Nutzer würden auf ihre Homepages gezogen, um eine bestimmte Video-Show zu sehen. Dafür aber reicht die Attraktivität bei weitem nicht. Es müsste schon ein extrem begehrenswerter Inhalt sein, der solch einen Leserstrom auslösen könnte. Beispiel Ehrensenf: Seit das Video bei Spiegel Online gelandet ist, hat es nicht nur an Qualität verloren – sondern auch an Bedeutung. Über Ehrensenf redet heute kaum noch jemand.
Ohne Reichweite aber auch keine Diskussion – und somit keine Bedeutung im Netz. Womit wir bei Punkt 2 wären:

2. Kommunikation mit dem Zuschauer
Es reicht einfach nicht mehr, gute Bilder zu machen. Die gibt es auch im Fernsehen. Spannend sind Videos im Netz ja eben auch, weil dort ein neues Gemeinschaftserlebnis entstehen kann – durch Kommentare und Meta-Kommunikation.

Vor allem in einem frühen Stadium eines Videoformats ist die Kommunikation mit dem Zuschauer nötig, um sich eine feste Anhängerschaft aufzubauen. Dabei reicht es nicht, eine Kommentarfunktion auf der Homepage des Videokanals einzukleben. Auf die Kommentare muss reagiert werden, gelegentlich sollten Vorschläge von Zuschauern im Video aufgenommen werden.

Selbst eines der langweiligsten TV-Formate kann dadurch mit Meta-Kommunikation eine neue Dimension bekommen. Kürzlich war Sascha Lobo zu Gast bei „Menschen bei Maischberger“. Selbst seine klugen Kommentare konnten nicht verhindern, dass die Sendung grauenvoll unstrukturiert und quälend langweilig wurde. Doch gleichzeitig lief über den Kurznachrichtendienst Twitter eine interessante Live-Kommentierung, Lobo selbst hatte zu einer Party geladen (die Sendung war aufgezeichnet), von der es einen Live-Stream gab. Und was das bewirkte, steht wunderschön in Wirres.net:

„dann, nach gefühlten 3 stunden ist die sendung vorbei und ich lese bei twitter was die leute bei twitter während der sendung über die sendung gesagt haben nach und fühle mich gleich doppelt gut vertreten. ich lese und sehe ich bin kein freak, was ich gesehen und gefühlt habe habe ich nicht alleine gesehen und gefühlt. es gibt noch intelligenz und gemeinsinn in der welt.

wie gesagt, das was ich gerade geschrieben habe muss man nicht nachvollziehen können, muss nochnichtmal ich wirklich nachvollziehen können, es fühlt sich nur ganz gut an. so war fernsehen früher auch: fernsehen als gemeinschaftserlebnis. früher hats bis zur ersten pause am nächsten tag gedauert, dass man das selbst gesehene mit dem gesehenen der anderen abgleicht, jetzt gehts quasi live. so, irgendwie, könnte das nochmal was werden, mit dem fernsehen und mir.“

Diese Kommunikation erfordert Zeit, Engagement und Willen. Drei Elemente, die Verlage nicht haben. Sie haben es verlernt – wenn sie es überhaupt je beherrschten – mit einem Teil der Kunden zu kommunizieren. Einem Teil schreibe ich, weil es eben immer zwei Kundengruppen bei Verlagen gibt: Leser und Anzeigenschalter. Mit der zweiten Gruppe kommunizieren Verlage viel – mit der ersten per Massenbriefbombardement.

Diese Kommunikationsschwäche setzt sich bis in die Redaktionen fort. Die meisten Journalisten kommunizieren nur sehr ungern mit ihren Lesern. „Leserbriefschreiber sind Fundamentalisten“, wie „FAZ“-Mitherausgeber Nonnenmacher öffentlich urteilte. Und das führt zu Punkt 3:

3. Entweder starke redaktionelle Leistung oder echte Typen vor der Kamera
Echte Typen werden in Redaktionen immer seltener. Das ist kaum noch jemand, den man vor einer Kamera sehen mag, der so außergewöhnlich ist, dass er ein eigenes Format trägt. Matthias Matussek ist so einer und auch Harals Martenstein:

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Beide Videoformate muss man nicht gut finden. Doch beide Macher sind Leute, die eckig und kantig daher kommen und die bereit sind, mehr zu tun, als vor der Kamera einen Text vom Teleprompter abzulesen. Zumindest Matussek macht sich auch mal zum Affen – und das ist manchmal einfach nötig. Nicht immer – aber manchmal.

Die Alternativ zu den echten Typen ist eine hohe redaktionelle Leistung. Dabei bewegt die sich aber in eine komplett andere Richtung als beim klassischen Fernsehen. Web-Videos werden dann geschaut, wenn der Nutzer es will und auf dem Endgerät, das er wählt. Somit sind gewisse eiserne TV-Regel dehn-, gar brechbar. Nehmen wir nur die hektischen Schnitte und das schnelle Sprechen von Ze Frank: Jeder TV-Redakteur bekäme einen Herzkaspar, legte ihm jemand solch einen Film zur Ausstrahlung vor:

Das fabelhafte Team von Wallstrip dagegen setzt bewusst Bilder gegen den gesprochenen Text. Solch eine Schere führt bei TV-Sendern zu Kollerattacken der Vorgesetzten:

Wallstrip ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie hoch der redaktionelle Einsatz manchmal sein muss, um ein gutes Web-Video zu produzieren:

Verlage aber glauben, Web-Videos seien wie Fernsehen. Sie basteln sich Winz-Studios mit einer grünen Wand und einem Teleprompter. Dort sollen dann Redakteure stehen und vorgeschriebene Texte ablesen. Das aber will keiner sehen. Denn Bild kommt keine Funktion zu. Und Versuche, Fernsehen besser zu machen als das Fernsehen sind reine Hybris. Es gibt einen Bedarf an klassischen Nachrichtenformaten und den decken die Online-Angebote der TV-Sender ab, egal ob RTL oder ZDF. Auch die neue ARD Mediathek wird kaum so grottenhaft schlecht bleiben, wie sie sich derzeit präsentiert.

Und so tanzen die Verlagsmanager um das goldene Kalb namens Web-Video, das in Wahrheit eine Schimäre ist. Ein goldenes Kalb gibt es zwar, doch das steht ungeschliffen und in Einzelteile verpuzzelt ein paar Meter weiter. Um es zum Geld sprudelnden Götzen zu machen, müssten die Betenden erstmal das Goldschmiedhandwerk erlernen. Aber dazu sind sie nicht bereit. Es würde zu viel Zeit, zu viel Mühe und zu viel Geld kosten.


Kommentare


hape 13. Mai 2008 um 14:44

Zur Ergänzung: In der ARD/ZDF-Onlinestudie 2007 sagten auf die Frage \“Sehen Sie zumindest selten Videodateien im Internet?\“ 75% der Internetnutzer \“Nein\“. Was \“Powerusern\“ unvorstellbar ist: Die übergroße Mehrheit der Netznutzer interessiert sich nicht für Videos im Web. Man gibt also möglicherweise viel Geld aus, um eine Minderheit zu bedienen. Geld, das besser in Recherche angelegt wäre, um exklusive Meldungen produzieren zu können.

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Christoph Dernbach 13. Mai 2008 um 14:49

Den Kontrast zwischen Bildern und gesprochenem Text hat im US-Fernsehen Stephen Colbert in seiner TV-Kolumne \“The Word\“ zur Perfektion getrieben.
Hier mit einem Gast-Aftritt von John Edwards:
http://www.comedycentral.com/colbertreport/videos.jhtml?videoId=166019

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STU 13. Mai 2008 um 15:09

Naja, die Sendung ohne Namen hat das noch viel extremer betrieben. Aber sowas geht halt nur auf einem öffentlich-rechtlichen.

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cdv 13. Mai 2008 um 15:30

Für die Verlage kann es doch nur heißen, sich frische und junge Kräfte zu suchen, die machen zu lassen, gegebenenfalls redaktionelle Kompetenz hinzufügen. SpOn hat doch \“Ehrensenf\“ auch schon eingebunden.

@hape: Ist nicht Dein Ernst, oder? (Wer fragt denn da wen? – Ergebnis vorhersehbar…)

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Jochen Hoff 13. Mai 2008 um 15:39

Obwohl ich mich selbst mit dem Gedanken trage einen Videopodcast aufzulegen, sehe ich zwei wesentliche Probleme. Ich kann beim Lesen meine Lesegeschwindigkteit erhöhen und Texte überfliegen, bei Videowortbeiträgen geht das nicht.

Kommt Martenstein noch zu einem vernünftigen Schluss oder fällt er wieder über die eigenen Füße. Ich erfahre es nicht, weil ich schon weg bin. Video kostet Zeit. Zeit ist in der Informationsflut des Netzes der größte Mangel. Warum also soll ich mich auf ein WAZ Video einlassen, wo ich schon die Texte meist als Müll empfinde.

Thomas Knüwer hat recht. Es reicht nicht Videos anzubieten, aber selbst wenn Kommentare – was auf Watch-Berlin z.B. nicht genutzt wird, weil die Autoren nicht mitmachen – und die Möglichkeit zum Einbinden auf andere Websites vorhanden sind, fehlt das wichtigste. Die Empfehlung.

Heute morgen hat Johnny Haeusler einen Link auf ein Video mit Twitter gesetzt. http://www.spreeblick.com/2008/05/13/jede-zelle-meines-korpers-ist-glucklich/ Dem sind viele gefolgt. Vor zwei Stunden kam diese Empfehlung bei mir noch mal per Mail an. Von einem Nichtwitterer.

Wir können die Flut der Information, oder auch der unfreiwilligen Komik wie in diesem Fall nicht mehr allein selektieren. Einer empfiehlt dem anderen, das was er selber für gut hält. Eine Community ohne Regeln entsteht. Ungesteuert. Schwarmintelligenz oder auch Schwarmdummheit.

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hape 13. Mai 2008 um 18:52

@cdv:
Ergebnis vorhersagbar? Nee, die öffentlichen-rechtlichen Sender haben ein Rieseninteresse daran, Audio und Video als Hype darzustellen, weil sie nämlich von Rundfunk auf Multimedia in allen Lebenslagen erweitern wollen. Diese dumme repräsentative jährliche Onlinestudie bringt leider nie die gewünschten Resultate. Dass dann in den Pressemmitteilungen zur Studie Erfolge trotz der Zahlen verkündet werden, ist wieder eine andere Geschichte.

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Marc 13. Mai 2008 um 22:43

\“Video kosten Zeit\“, ist das eine, das andere ist, dass ich deswegen vorher wissen will worum es geht. Ich gucke ein YouTube-Video nicht, weil einer \“witzig\“ schreibt und darauf verlinkt.

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Markus Hündgen 13. Mai 2008 um 23:42

Thomas, du sprichst mir aus der Seele. Aber auch du, als Angestellter eines groooßen Verlages solltest wissen, dass manche Dinge Zeit brauchen. Viel viel Zeit. Was ich sagen will: Es erwarten alle TV und verkennen dabei die wirklich interessanten Dinge, die Videos für den \“alten\“ Journalismus bringen können.

Von daher sehe ich den Hype um Web-Videos (ich hasse den Begriff Web-TV) für gerechtfertigt – aber leider von vielen von der falschen Seite angegangen.

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Dieter Rappold 13. Mai 2008 um 23:45

Super Artikel! Ich bin noch immer ein großer Fan von Anil de Mello und Mobuzz.tv – die haben einen enorm langen Atem und jede Ihrer Sendungen ist wirklich gut gemacht und inhaltlich wertvoll. Meine No1. am iPod touch …

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Chat Atkins 14. Mai 2008 um 0:21

Es salbadert der PR-Mann, es zappelt der Content,
bei Deutschlands Verlegern ist Existenzangst schlicht als Hoffnung durchgebrennt …

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Joe 14. Mai 2008 um 12:05

Nur mal so reingestreut: auf You Tube gibt es einen
etwa 10 Minuten langen Video – clip, in dem sich die
sich die amerikanische Presse, ihr Tun, usw. selber
darstellt. Es ist ein Uralt clip, gedreht vor etwa
sechzig oder siebzig Jahren, in dem sich die Presse selber vorgestellt. Eine Kuriositaet.
Bei allf. Interesse, Suchwoerter bei You Tube:
(kein Tippfehler!)10.38 min.
+old skool journalism film+

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Ralph 15. Mai 2008 um 15:36

Kennt eigentlich jemand Zuschauerzahlen von Webvideos der Verlage? Würde mich mal interessieren. Der Welt-Redaktions-Vodcast zum Beispiel. Gefällt mir persönlich gut, aber wieviele gucken den?
Ich bin jemand, der seit Jahren keinen Fernseher mehr hat, weil ich mich fürs Internet entschieden habe. Darum schaue ich mir auch relativ viele Inhalte per Webvideo an, vom Elektrischen Reporter bis Spiegel.de Videoberichte. Auch den Typ \“Redakteur-vor-blauer-Wand\“ konsumiere ich, wenn der das gut macht. Auch als Erholung vom Lesen, lesen, lesen… Bin vielleicht nicht der typische Mediennutzer, aber andererseits: Vielleicht geht\’s in 10 Jahren vielen so? Und vielleicht waren die Experimente von heute dann doch nicht für die Katz?

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Kerstin Hoffmann 15. Mai 2008 um 20:46

Vielleicht bin ich zu antiquiert, vielleicht bin ich zu sehr von meiner Print-Vergangenheit geprägt. Wahrscheinlich bin ich kein typischer User. Aber ich schätze an Nachrichtenportalen im Netz vor allem, dass ich mich schnell zum Wesentlichen durchklicken, querlesen und Informationen in meiner Zeit, in meiner eigenen, sehr hohen Lesegeschwindigkeit aufnehmen kann. Statt ganze Nachrichtensendungen in genau der vorgegebenen Zeit ganz ansehen zu müssen. Oder eben den einzelnen Beitrag. So \’schaffe\‘ ich auch viel mehr verschiedene Publikationen und kann mir ein viel differenzierteres Bild machen.
Wollte ich mir alle Videos anschauen, bräuchte ich morgens das Vielfache an Zeit, ehe ich alle relevanten oder zumindest für mich interessanten Informationen hätte.
Auch empfohlene Youtube-Videos schaue ich nur, wenn mir bereits die Empfehlung plausibel macht, dass mich das wirklich interessiert – und selbst da bin ich bei den meisten Beiträgen nach einem Drittel wieder raus.
Es ist ja nicht nur eine Frage, wie viele Klicks habe ich, sondern auch wer klickt. Auch wenn die These gewagt sein mag: Lesegeübte Menschen mit wenig Zeit wahrscheinlich seltener als leseungeübte mit viel Freizeit. Je nachdem, welche Zielgruppe ich habe, muss ich das doch mit in Betracht ziehen, oder?

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Erik 20. Mai 2008 um 10:21

Was macht eigentlich heavy.com?

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Steven Rosenbaum: 2. Mai 2011 um 17:32

[…] den Machern der Sendung damals auch Dina Kaplan zählte, die heute die erfolgreiche Videoplattform Blip.tv […]

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