Eigentlich ist der 16. Januar ja zu spät für Jahresvorhersagen. Die sollte man spätestens am 15. Januar beendet haben, genauso wie man sich ab dem 15. Januar nicht mehr „Gutes Neues“ wünschen sollte, das ist albern.
Aber dies ist ein Blog. Und in einem Blog darf der Autor mehr oder weniger veranstalten, was ihm passt. Und deshalb gibt es doch noch eine Vorhersage für 2007: Es wird das Jahr des Kampfes der journalistischen Kulturen. Und er wird blutig werden. Nicht nur bei CNN läuft die Digital Divide wie ein Andreasgraben durch die Redaktion. Praktisch aus jeder Anhäufung von Journalisten, egal ob Zeitung, Magazin oder Fernsehen oder Radio ist derzeit dieses zu hören: Es gibt eine kleine Gruppe von innovativen Mitarbeitern, die das Internet mit offenen Armen empfangen, die Lust auf Blogs haben und auf Podcasts, die ohne Murren für den Online-Auftritt schreiben und sich in der Vielfältigkeit der Medien suhlen wie die Sau im Schlamm.
Und es gibt die andere Gruppe, die größere. Die jene Kollegen für genau das hält: Säue. Kollegenschweine, die nicht auf Arbeitszeiten achten, die nicht erkennen, wie die Verleger, Intendanten und Geschäftsführer sie ausbeuten. Und das mit dem Internet, verbrennt nur Geld und bringt keines. Würden in das klassische Medium investiert, was ins Internet fließt, dann gäbe es keine Zeitungskrise und keine sinkenden Einschaltquoten.
Nun ist auch an letzterer Auffassung – dass Investitionen in die klassischen Produkte in der Tat ihre Attraktivität steigern würden – einiges wahr. Doch wer das Internet verteufelt, verteufelt auch seine Kunden, die Leser und Zuschauer und Zuhörer, die sich ebenso am Netz erfreuen, wie nur wenige Journalisten. Man kann das Web gut finden, oder schlecht – oder gar für eine Seuche. Nur weggehen wird es davon auch nicht mehr.
In dem Maße, in dem die Begeisterung der Internet-Freunde in den Redaktionen steigt, steigt exponentiell der Aggressionspegel der Kollegen. Getrieben wird er von der Angst abgehängt zu werden, die Welt nicht mehr zu begreifen – und somit die Qualifikation für den eigenen Job nicht mehr zu haben, ganz ähnlich wie es der grandiose Film „The Queen“ in der nicht-digitalen Welt am Beispiel von Elisabeth II. schildert. Was nach Meinung mancher Globalisierungsanhänger in die Motivation münden soll, sich fortzubilden und aufzuholen, verwandelt sich in den Redaktionen der Welt in schockstarre Verteidigungshaltung.
Der entspringen dann Kolumnen wie diese (gefunden bei der Strumpette) aus der „Los Angeles Times“:
„That address on the bottom of this column? That is the pathetic, confused death knell of the once-proud newspaper industry, and I want nothing to do with it. Sending an e-mail to that address is about as useful as sending your study group report about Iraq to the president.
Here’s what my Internet-fearing editors have failed to understand: I don’t want to talk to you; I want to talk at you. A column is not my attempt to engage in a conversation with you. I have more than enough people to converse with. And I don’t listen to them either…
I get that you have opinions you want to share. That’s great. You’re the Person of the Year. I just don’t have any interest in them. First of all, I did a tiny bit of research for my column, so I’m already familiar with your brilliant argument. Second, I’ve already written my column, so I can’t even steal your ideas and get paid for them.“
Der Journalist als Künstler. Als Monolith der Meinung. Es ist jenes Bild, dem viele Kollegen noch anhängen. Denn es sicherte eine bequeme Zeit: Niemand kratzte an der Arbeit, war sie einigermaßen sauber gemacht. Doch das Internet ist nicht bequem.
Die andere Seite der journalistischen Front ist anders. Ganz anders. So wie David Carr von der „New York Times“:
„Having a blog (mine, which happens to be about the Oscar race, is at carpetbagger.blogs.nytimes.com) makes me approachable, reader-friendly and engaged. Perhaps too engaged…
Independent bloggers can laugh all they want about the imperious posture of the mainstream media, but I and others at The Times have never been more in touch with readers? every robustly communicated whim than we are today. Not only do I hear what people are saying, but I also care.
Sometimes I wonder whether I care to the point that I neglect other things, like, oh, my job. Tweaking the blog is seductive in a way that a print deadline never is. By the time I am done posting entries, moderating comments and making links, my, has the time flown. I probably should have made some phone calls about next week?s column, but maybe I?ll write about, ah, blogging instead.“
Bloggen statt Arbeiten? Oder ist Bloggen Arbeit?
Dies wird der Ort der Schlacht im Jahr 2007. Denn auch Chefredakteure und Geschäftsführer und Verleger und Intendanten übersehen oft genug, dass jene Arbeit für das Internet eben kein Abfallprodukt ist, das mal eben nebenher erledigt wird. Diese Erkenntnis könnte sie beschleichen, würden sie es selbst versuchen – doch das tun nur wenige.
In den Redaktionen der klassischen Medienhäuser aber kämpfen die Altvorderen in quantitativer Überlegenheit gegen die Internetter. Selten aber kommt die obere Etage als Luftunterstützung zur Hilfe.
Und so wird es kommen, dass die Innovativen keine Lust mehr haben auf das Kämpfen. Sie werden sich selbstständig machen und den Guerilla-Krieg beginnen. Bald schon wird ein Medieninformationsdienst aufmachen, der mit guten Autoren und großer Unabhängigkeit dem Kress-Report zu schaffen machen wird. Ein bekannter deutscher Blogger wird bei einem großen Qualitätsmedium als interne Splittergranate einschlagen. Sicher, viele werden auch bleiben – als Gift in den Venen der Zeitungshäuser, bereit jederzeit interne Streitigkeiten nach außen zu tragen, wie jene um Wiglaf Droste bei der „Taz“.
Es ist der Beginn eines Guerillakriegs. Wie er ausgeht? Fragen Sie mich nicht.
Kommentare
Florian 16. Januar 2007 um 10:55
Wenn die Prognosen so interessant sind, können die auch noch im Februar kommen 🙂 Da muß die öde Debatte \“Blogger vs. Journalisten\“ wohl etwas neu justiert werden.
fnord 16. Januar 2007 um 13:19
\“… wird bei einem großen Qualitätsmedium … einschlagen.\“ Erbitte dezente Hinweise auf das Medium!!elf!
Chat Atkins 16. Januar 2007 um 14:44
… Thomas Knüwer sieht genau dort übrigens das große Schisma voraus …
supatyp 16. Januar 2007 um 17:23
Ja, das hört sich spannend an für Zwei007.
HG 16. Januar 2007 um 18:09
Online-Artikel müssten eigentlich viel besser bezahlt werden als Print-Artikel, weil sie ja über Jahre mit jedem Seitenabruf neu zur Verwendung kommen und währenddessen immer neue Banner um sie herum drappiert werden können. Der Print-Artikel liegt morgen im Altpapier. Die Realität innerhalb der Redaktionen sieht vermutlich anders aus: Die Jungen, die Billigen, die Freien machen Online, die Etablierten machen Print, die Verlage machen Reibach. Online-Texte sind viel zu billig.
HendrikBuhrs 16. Januar 2007 um 18:38
Ich fand die Stein-Kolumne gut geschrieben und gelungen. Wer einem Redakteur wirklich etwas mitteilen möchte, kann im Impressum nachschauen, wie die Telephonnummer oder die Mailadresse der Redaktion lautet. Eine Mailadresse unter den Text zu setzen, lädt zu 90% zusätzliche Querulanten ein, ihren Senf dazuzugeben.
Thomas Knüwer 16. Januar 2007 um 18:50
@Hendrik Buers: Vielleicht sind unsere Leser ja etwas handzahmer, aber trotz E-Mail unter Kommentaren ist die Resonanz sehr, sehr zurückhaltend.
BrainBomb 16. Januar 2007 um 18:54
Journalisten brauchen doch nur eine Kommentarfunktion ohne Registrierungszwang unter ihre \“normalen\“ Online-Artikel einbauen. Schon bloggen sie bezahlt ohne Doppelarbeit.
(Die Welt könnte so einfach sein)
@HendrikBuhrs. Was nützt denn eine EMail an den Redakteur, wenn\’s sonst keiner lesen kann? Gerade Querulanten, die ihren Senf dazugeben, machen ein Thema spannend! Die erste \“Nicht-Nerd\“-Online-Zeitung, die das kapiert, wird einen Riesenerfolg haben.
WAZsolls 17. Januar 2007 um 7:24
Bei uns im lokalen Bereich sieht das ganz anders aus. Die zwei Online-Enthusiasten der Redaktion werden überhaupt nicht wirklich wahrgenommen, sie würden in einem \“blutigen Kampf\“ hoffnungslos untergehen, sie würden noch nicht einmal als satisfaktionsfähig anerkannt.
Andreas Skowronek 17. Januar 2007 um 11:05
Ich pflichte dem von WAZsolls ohne Einschränkung bei.
Deshalb teile ich auch nicht die Einschätzung eines hier prognostizierten \“blutigen Kampfes\“, sondern erwarte allenfalls einen mal schleichend, mal weniger schleichend verlaufenden Verteilungskampf um die Gunst der RezipientInnen ? vulgo: LeserInnen, HörerInnen etc. pp.
Und die Kardinalfrage wird stets lauten: Wie können die Web.2.0-Publizisten Einnahmen generieren?
Weltenweiser 17. Januar 2007 um 11:26
David Carr hatte ich auch verlinkt, da ich es für eine besonders gelungene Analys halte, warum man Blogs schreibt. Die diskussion findet doch in allen Unternehmen statt. Ich erinnere mich, welche Diskussionen es gab, als es um den relaunch unserer Unternehmenswebseite gab. \“Eine was? Tagcloud? Kenne ich nicht, dann kann es auch nicht wichtig sein.\“ Ich setze einfach auf den Zeitfaktor. Journalisten, welche das Internet ignorieren, sterben bald aus. Mangels Anschluss bezüglich der Themenfindung und Recherche im Allgemeinen oder an Altersswäche. Bis dahin heißt es Engelszungen wetzen und Überzeugungsarbeit leisten.
tim 18. Januar 2007 um 0:12
\“Und die Kardinalfrage wird stets lauten: Wie können die Web.2.0-Publizisten Einnahmen generieren?\“
da kann ich gerne auf die sprünge helfen: durch werbeanzeigen und den nötigen traffic. die ultimative leistungsmessung. je mehr leser und je vermarktungstechnisch relevanter die zielgruppe, desto mehr verdienst. schreibst du am publikum vorbei, nagst du am hungertuch. so einfach ist das. harte schule, aber vollkommen gerecht.
D-Weeks beim Spiegel 20. April 2012 um 14:55
[…] Vor fünf Jahren schrieb ich in meinem Jahresausblick, 2007 werde “Das Jahr, in dem wir übereinander herfallen”. Gemeint waren damals die Redaktionen, in denen sich die Fronten aufbauten: Hier die Journalisten, die das Web als Chance und unabwendbar identifizierten – dort Mitarbeiter, deren Haltung Autor der “LA Times” beschrieb: […]