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Gestern berichtete Meedia über nicht unerhebliche Verwerfungen beim „Spiegel“. Da dränge Print-Chefredakteur Georg Mascolo auf eine Bezahlwand für Spiegel Online, denn er hoffe damit die fallende Print-Auflage aufzuhalten. Die Digitalen unter Mathias Müller von Blumencron und Ove Saffe wehrten sich logischweise, sie hätten sogar beim Gesellschafter Gruner + Jahr auf Mascolos Ablösung gedrängt.

Ich habe die Geschichte nicht geglaubt. Meedia hat ja durchaus Freude an steilen Thesen, ich steckte die Meldung in diese Schublade – bis „Horizont“ nachlegte. Zwar hat der Spiegel Verlag inzwischen jenes Begehren auf den Mascolo-Abschuss dementiert, doch berichtet „Horizont“ von einer Konferenz zwischen Kaufleuten und Chefredaktion, bei der Mascolo und von Blumencron heftig gestritten haben sollen:

„So heftig, dass sich dann, so erzählt man sich im Haus, auch Geschäftsführer Ove Saffe gezwungen sah einzugreifen – und sich klar zu positionieren. Saffe, der eher als jemand gilt, der sich lieber später als früher auf eine Richtung festlegt. Er entschied offenkundig: Der Verlag führt keinen Paid Content ein, (nur) um Print zu schützen. Sondern nur, erst und vielleicht dann, wenn Bezahlinhalte eines Tages mal ein eigenes Geschäftsmodell hergeben.“

Dieser Streit ist mehr als nur ein hausinternes Konfliktchen.

Der „Spiegel“ besitzt Signalwirkung in der Branche und deshalb wäre eine so heftige Auseinandersetzung mit so deutlich unterschiedlichen Positionen für mich ein medienhistorisch bedeutender Moment. Es geht aus meine Sicht um nicht weniger als die Frage, ob Deutschlands Verlage den Weg in das digitale Zeitalter finden – oder ob sie durch manisches Klammern an das angestammte Geschäftsmodell ihre Überleben riskieren.

Denn es ist ja kein Wunder, dass dieser Streit sich nun Bahn bricht. Quer über Zeitungs- und Magazin-Verlage versuchen die Beharrer Paid-Content-Modelle durchzudrücken. Gern wird dabei behauptet, dies sei ja ein „Geburtsfehler“ des Web gewesen, kein Geld für Nachrichteninhalte zu verlangen. Das ist natürlich Unsinn, entweder rotierte das Personalkarrussel in Verlagen so schnell oder die Entscheider sind einfach vergesslich: Tatsächlich versuchten sich ja viele schon vor 10 Jahren an Paid Content – erfolglos.

Dafür gibt es ja auch Gründe. Denn bezahlte Inhalte funktionieren im Netz ja wunderbar und werden das auch weiter tun, sogar journalistische in Form von aufwendigen Studien, Büchern oderaufwendig gemachten iPad-Apps. Doch der gemeine Magazin- oder Zeitungsartikel oder jener Online-Artikel, der dem gleich kommt, der verkauft sich eben nicht. Und das hat aus meiner Sicht mehrere Gründe:

1. Der Leser zahlt schon durch den Erwerb seines Computers oder Handys und durch die Datenleitung, dazu kommt seine Zeit, die sich mit Werbung monetarisieren lässt.

2. Kaufe ich einen Song, so habe ich den schon mal gehört oder kenne zumindest den Interpreten. Sprich: Ich weiß, was ich bekomme. Das weiß ich bei einem einzelnen Artikel erst, wenn ich ihn gelesen habe. Dieses Dilemma löst auch kein Monatsabo, denn dazu müsste ich annehmen, dass jenes Medienhaus den gesamten Monat über Inhalte produziert, die interessanter für mich persönlich sind als der große Rest des Web. Leseranalysen der Print-Produkte zeigen aber schon seit Jahren, dass kaum jemand einen substanziellen Teil der Zeitung liest – die meisten steigen innerhalb von Artikeln aus.

3. Kaufe ich einen Film gehe ich davon aus, ihn mehrfach zu schauen. Tue ich das nicht, kann ich ihn leihen. Bei einem Song könnte es sein, dass ich ihn hunderte von malen nutze. Bei Nachrichteninhalten aber weiß ich genau: Ich werde sie exakt ein einziges mal konsumieren.

4. Inhalte hinter Paid Content werden im Social Web nicht weiter empfohlen. Das nimmt einerseits den Spaß mit Freunden darüber zu diskutieren – andererseits verliert die betreffende Medienmarke ihre Bedeutung.

Dabei geht es nicht darum, ob niemand für Nachrichteninhalte zahlt – tausende werden es tun. Die wichtige Frage ist: Werden es genügend tun um den Verlust bei den Anzeigeneinnahmen auszugleichen und die Investition in die Bezahl-Technik zu refinanzieren?

„In der Tat wäre eine Paywall für Spiegel Online wirtschaftlicher und publizistischer Unfug“, schreibt denn auch Meedia heute. Unfug aber treiben deutsche Verlage wahrlich genug – da kommt es auf den einen oder anderen Fall nicht mehr an. Und derzeit wollen viele Entscheider Paid Content. Sie glauben tatsächlich, der harte, Schweiß treibende Weg des Wandels müsse nicht gegangen werden – es reiche oft genug zu behaupten, dass sich nichts ändert. So behaupten sie dann auch, Online-Nachrichtenangebote könnten werbefinanziert keine schwarzen Zahlen schreiben – obwohl Spiegel Online, Sueddeutsche.de oder RP-Online sie Lügen strafen. Ganz nebenbei ist dieses Profit-Center-Denken ein Beweis für das grassierende Mismanagement in Verlagen. Denn Profit Center können nur funktionieren, wenn ihre Verantwortlichen auch die Hoheit über die Kostenseite bekommen. Doch darf eben kein Online-Ableger aus dem Verlagsgebäude ausziehen oder die hausinterne IT rausschmeißen – die kalkulatorischen Kosten werden ihnen aber trotzdem zugerechnet.

Vor fünf Jahren schrieb ich in meinem Jahresausblick, 2007 werde „Das Jahr, in dem wir übereinander herfallen“. Gemeint waren damals die Redaktionen, in denen sich die Fronten aufbauten: Hier die Journalisten, die das Web als Chance und unabwendbar identifizierten – dort Mitarbeiter, deren Haltung Autor der „LA Times“ beschrieb:

„Here’s what my Internet-fearing editors have failed to understand: I don’t want to talk to you; I want to talk at you. A column is not my attempt to engage in a conversation with you. I have more than enough people to converse with. And I don’t listen to them either.“

Tatsächlich war meine Prognose ein Schlag ins Wasser: Der Streit brach sich nicht Bahn, er schwelte weiter. Denn noch war der Leidensdruck in Verlagen noch nicht groß genug. Nun scheint er es zu sein: Die Verlage gerieren sich mit dem Leistungsschutzrecht als Zecken auf dem Innovations-Tiger Google und sie legen jedwedes Berufsethos zu Gunsten dümmster Kampagnen beiseite – wir dürfen das panisch nennen.

Verzweiflung aber war noch nie ein guter Ratgeber. Die analog orientierten Entscheider versuchen den Digitalen das Wasser abzugraben. Gerade so, als würde dies die gute, alte, papierene Zeit zurückbringen. Schon vor einigen Monaten brach ob dieser Frage in der Chefredaktion des „Handelsblatt“ ein Streit aus, die Print-Artikel sollten nicht mehr automatisch online Verwendung finden. Auch der „Spiegel“ kündigte ja an, weniger gedruckte Stücke in den öffentlichen Digital-Diskurs zu leiten.

In jeder Wirtschaftsbranche aber sind gewisse Unternehmen Leuchttürme der Orientierung. Das müssen nicht immer die Größten sein – sie müssen nur ein besonderes Ansehen genießen. So wie der „Spiegel“ in der deutschen Medien-Industrie. Würde er vollständig auf Bezahlinhalte umschwenken, täten die anderen Verlage es auch. Viel bedeutender wäre die Affaire, würde Mascolo über die Frage des Paid Content stürzen – dann setzte sofort das große Zittern der Gedruckt-Chef ein, es wäre der Beginn des digitalen Siegeszugs.


Kommentare


Andreas 20. April 2012 um 20:15

Interessante Gedanken, drei Einwände:

1.
„Der Leser zahlt schon durch den Erwerb seines Computers oder Handys und durch die Datenleitung“

Nun ja, das Argument ist aber so als ob ich sage: Der Leser zahlt schon durch Miete, Sofakauf und Stromrechnung für eine angenehme Leseumgebung und die Voraussetzung, das Buch zu lesen – das Buch selbst hat dann bitte kostenlos zu sein.

Oder der Nutzer hat bereits den Autokauf und das Benzin bezahlt, die Autowäsche muss dann aber kostenlos sein.

2.
„Kaufe ich einen Song, so habe ich den schon mal gehört oder kenne zumindest den Interpreten. Sprich: Ich weiß, was ich bekomme. Das weiß ich bei einem einzelnen Artikel erst, wenn ich ihn gelesen habe.“

3.
Es werden doch sehr viele Bücher verkauft, obwohl die meisten Menschen vorher nicht wirklich wissen, ob der Inhalt ihnen gefällt und sie sehr oft nicht vor haben, es mehrfach zu lesen.
In einer durchschnittlichen Zeitung schreiben eine überschaubare Zahl von Leuten. Lese ich dort regelmäßig, „kenne“ ich eigentlich auch die Autoren und deren Schreibe, ähnlich dem Interpreten der Musik, oder?

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vtaktuell 21. April 2012 um 7:16

„vor“ oder „für“ im zweiten Satz.

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Frank Krings 21. April 2012 um 23:38

Ich finde das 4. Argument gegen Bezahlwände besonders schwerwiegend: Diese Inhalte lassen sich nicht sharen, nicht via FB „liken“, twittern, in Blogs verlinken oder auf Rivva entdecken. Wobei ich mich auch mit Paid Content von Verlags-Apps schwer tue: Denn ich lese eher im „Long Tail“. Also viele einzelne Artikel von zig verschiedenen, sehr speziellen Quellen. Und ich will gar nicht alle News zu versch. Themen „aus einer Hand“ also zB nur von SPIEGEL lesen. Deswegen mag ich die Zite-App, die mir personalisierte News von vielen Anbietern zu einem Thema zB „Gadgets“ liefert. Für so eine App würde ich auch Geld bezahlen.

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Moki 22. April 2012 um 13:57

“Kaufe ich einen Song, so habe ich den schon mal gehört oder kenne zumindest den Interpreten. Sprich: Ich weiß, was ich bekomme. Das weiß ich bei einem einzelnen Artikel erst, wenn ich ihn gelesen habe.”

Ich weiß nicht, ob Songs mit Zeitungsinhalten verglichen werden können. Songs sind Unterhaltung. Zeitungsartikel sind – oder sollten sein – Information, auch wenn sie unterhaltend aufgemacht sein darf. Einzelne Artikel zum Kauf anbieten, ist meines Erachtens allerdings eine völlig unsinnige Idee, da dann das Argument von Herrn Knüwer zu 100% greift. Eine Zeitung könnte sich aber schon als Gesamtausgabe digital verkaufen lassen, da man die Zeitung an sich ja kennt und daher weiß, was man insgesamt von ihr erwarten kann (ähnlich wie beim Song). Man sollte vielleicht als Leser die Chance bekommen, nur bestimmte Gruppen von Inhalten auszuwählen. Eine ideale digitale – vom Leser selbst zusammengestellte – Zeitung könnte doch so aussehen: Politik von der Süddeutschen, Sport: FAZ, Lokal: von der Lokalzeitung am Wohnort, Feuilleton: brauch ich nicht. Und: eine digitale und bezahlte Ausgabe müsste endlich deutlich billiger werden als die gedruckte. Der Verlag spart ja die Druckkosten. Außerdem liegt im digitalen Angebot meines erachtens auch eine riesige Chance für eine Befreiung des Lokaljournalismus von der Knechtschaft der lokalen Anzeigenkunden. Denn online lässt sich Werbung viel unabhängiger vom lokalen Markt machen.

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Karsten 23. April 2012 um 10:53

Guter Artikel, danke Thomas 🙂

Besonders Punkte 3 & 4 treffen es wohl: Man weiß nicht, was man bekommt. Doch eigentlich ist das ja auch bei offline Magazin-/Zeitungsabos nichts anderes. Also warum stecken dort Menschen Geld in eine Publikation, die sie vorher nicht kennen UND ohne Abo am Zeitungsstand sogar kurz probelesen könnten?!

Ich denke es sind 2 1/2 Punkte:

1. Vertrauen. Man vertraut entweder dem gesamten Magazin bzgl. seiner Qualität und/oder den einzelnen Autoren. Man weiß vorher zwar nicht genau, was man bekommt, ist sich aber eben sicher, dass es einen schon (evtl. auch nur in Auszügen) interessieren wird.
2. Faulheit/Zeitmangel. Man ist schlicht und ergreifend zu faul, um sich das Ding am Kiosk zu kaufen oder hat dafür keine Zeit/vergisst es ständig. Ein Abo ist eben bequem, so wie wir.
3. Preisvorteil. Abo ist meist günstiger. Allerdings dürfte der Punkt zu vernachlässigen sein, da man für zweifelhaften Inhalt auch keinen reduzierten Preis zahlen würde.

Gut. Punkt 2 fällt für Online Content weg. Er ist immer und überall bequem verfügbar. Punkt 3 hängt von 2 und noch viel stärker von 1 ab. Deswegen konzentrieren wir uns mal auf das Vertrauen…

Hier liegt nämlich genau die stärkste Möglichkeit für jeden Verlag/Autor heutzutage. Wenn man will und sich ein wenig Mühe macht, kann man eine FAST frei skalierbare Basis des Vertrauens zu seiner Leserschaft aufbauen. Dazu muss man aber von „I want to talk at you“ weg kommen und in der Tat mit seinen Lesern reden. Und das macht kein mir bekanntes, deutsches Magazin bzw. seine Autoren in Regelmäßigkeit. Und eben dies ist ein riesiger Fehler: Alles wird vermenschlicht. Twitternde CEOs werden als sehr positiv wahrgenommen. Eine Heerschar von Unternehmen versucht sich gerade Gesichter zu verpassen. Tweets werden signiert, Facebook Posts mit Namen versehen. Wie um alles in der Welt, kommt dann ein Autor/eine Publikation auf die Idee, dieser Kelch würde an ihnen vorübergehen?

Blickt man über den Tellerrand (also über den großen Teich), so wird einem doch wunderbar vorgemacht, wie es geht. TechCrunch, Mashable, WIRED oder das „neue TechCrunch“ PandoDaily: Alle fordern und fördern die Diskussion zu ihren Artikeln. Und das nicht anonym, nein sowohl Herausgeber, als auch Autoren sind in den Kommentaren vertreten. Hierzulande platzt mir hingegen die Hutschnur, wenn ich bei W&V noch nicht einmal einen Artikel kommentieren kann! So baut man kein Vertrauen auf, meine Freunde. So signalisiert man „Fresst unseren Inhalt und lasst UNS damit in Ruhe!“.

Dazu kommt, dass bei der steigenden Anzahl der Redakteure und Autoren im Netz, keine einheitliche Qualität mehr geboten werden KANN. Jeder wird für sich persönlich immer ein Auf und Ab erleben. Man rückt also eher von der Gesamtpublikation ab, liest aber trotzdem noch seine favorisierten Schreiberlinge (Ich lese z.B. nie SPON, sondern Sascha Lobo, der zufällig bei SPON publiziert. Genauso wie ich Paul Carr folge, egal wo er schreibt). Also ein weiterer Punkt dafür, online eher seine Autoren in den Vordergrund zu stellen.

Und so ginge es auch mit dem Paid Content: Wenn ich weiß „Autor XYZ ist super und ich fühl mich irgendwie mit ihm verbunden, weil er schonmal einen Kommentar von mir beantwortet hat“, dann bin ich auch gern bereit für seine Inhalte einen kleinen Betrag zu zahlen. Von mir aus auch im Abo, wo mir das dann für meine sämtlichen Geräte aufbereitet immer „druckfrisch“ zugeschickt wird (man kann auf die Bequemlichkeit ja immer noch eins draufsetzen 🙂 ).

Solange ich aber dieses Vertrauen zum Verlag (dargestellt durch mein Vertrauen zum Autor) nicht habe, bleibt meine Brieftasche zu.

Man war das ein langer Kommentar. Schwieriges Thema, könnt man noch ne Menge zu sagen. Aber ich hoffe, der Ansatz ist klar geworden?!

LG
Karsten

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Die seltsame Spezies namens Journalist 22. August 2014 um 13:29

[…] hat sich anscheinend nichts geändert. Vor zwei Jahren bloggte ich schon einmal über den damaligen Machtkampf zwischen Saffe und Mascolo. Zwei Jahre der Erstarrung. Und wie wir jetzt von außen wohl urteilen können: Das liegt […]

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Zeitungen: Geld verdienen mit Registrierungspflicht 7. Februar 2015 um 20:39

[…] wieder einmal mit Paywalls. Der ehemalige Handelsblatt-Journalist Thomas Knüwer meint hingegen, dass grundsätzlich kein Geld von Konsumenten für journalistische Artikel im Netz verlangt werden k…. Da bin ich mir zwar nicht so sicher, aber plötzlich zahlen zu müssen, ist tatsächlich wie ein […]

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