Sein Zehnjähriges feierte die Multimedia-Agentur Sinner Schrader gestern in Hamburg. Und mir kam es vor wie 1999 – nur mit schlechterem Essen. Einer meiner Lieblingsszenen aus der Serie „Friends“ zeigt Ross, nachdem er gefeuert wurde und krampfhaft versucht, etwas Gutes daran zu finden: „I’ve been given the gift of time“, sagt er.
Chandler antwortet gespielt begeistert: „And I’ve been given the gift of space – let’s make a continuum!“
Gestern in Hamburg habe ich mich gefühlt, wie in ein solches Raum-Zeit-Kontinuum geworfen. Oder besser in ein Spirit-Geld-Kontinuum, in dem einer gesagt hat, dass er unheimlich viel Lust hätte, mal wieder ein Unternehmen zu gründen, ein anderer, dass er unheimlich viel Lust hätte mal wieder ein wenig Geld in den Sand zu setzen – und gemeinsam versuchen sie eine Idee aus den USA zu kopieren.
Sinner Schrader feierte also gestern seinen 10. Geburtstag mit einem Kongress und einer Party. Der Kongress musste – natürlich – „Web 2.0“ im Untertitel tragen, das gehört sich heute einfach so.
Was genau dieses Web 2.0 ist, konnte auch Matthias Schrader selbst nicht so richtig erklären. Er verstieg sich gar zu der Behauptung, heute hätten Internet-Unternehmen Geschäftsmodelle, die sich rechnen. Vielleicht war das aber auch nur Ironie, die ich nicht verstanden habe.
Es war auf jeden Fall wie damals, 99. Bis auf die Häppchen – früher hätte es ein handfestes Buffet gegeben. Doch ansonsten: Just like in bad old times. Lauter Gründer, deren Laptops sie als waaaahnsinnig Web-2.0-mäßig-drauf auswiesen:
Sie sprachen Sätze wie „Wir haben noch gar keine richtigen Visitenkarten, da muss ich mich entschuldigen“, anschließend folgte dann die Nennung einer sechsstelligen Zahl von Video-/Foto-/Irgendwas-Downloads.
Schöne deutsche Worte wie „veröffentlicht“ wurden ersetzt durch Monster wie „gepublished“. Ja selbst längst in die fernsten Gehirnwindungen verdrängte Gesichter tauchten wieder auf, meist mit dem Satz: „Ich mache jetzt was Eigenes.“ Heute dreht es sich zwar um andere, als um die Alten. Doch wieder ist es ein überschaubarer Kreis von Gesichtern, die als Ansprechpartner, Gründerbeispiel und Pleite-in-spe genutzt, angesprochen oder geschmäht werden. Sogar der Sinner-Schrader-Notizblock mit „Schiffe versenken“ war noch da:
Zugegeben: Eins ist anders – früher wurden solche Iwänts nicht in Weblogs festgehalten. Überall waren in den ersten Reihen der Diskussionsforen hektisch tippende Laptop-Besitzer zu beobachten, die einen tippten schnell, die anderen gelassener.
Ach ja, früher hätte natürlich kein Referent seine Gitarre („Fender Powerpoint“) rausgeholt, um „London Calling“ zu intonieren, wie des Johnny Haeusler vom Spreeblick tat.
Und am Ende gab es eine Party mit viel buntem Licht, Schill-out-Ecken (dass die Hamburger sich immer noch über diesen Ex-Richter und Ex-Politiker lustig machen…), Bionade, dem Champagner der Web-2.0-Generation, einem DJ, einer kleinen Band und dem Magier Heiko Hebig, der das Publikum mit immer neuen technischen Gegenständen verblüffte, die er aus den Taschen seiner Tasche zog:
Es war ein futuristisch-nostalgischer Tag mit schönen, schönen Sätzen:
„Ich hatte auch mal eine Multimediaagentur. Wer hatte die nicht?“
„Skype, Quipe, warum denkt Ihr Euch nicht mal coole Namen aus“
(Johnny Haeusler)
„Web 2.0 verwendet das Aal-Prinzip: Andere arbeiten lassen“
(Andreas Weigend)
Kommentare
Mark Pohlmann 12. Mai 2006 um 13:12
schön, daß es Ihnen gefallen hat 😉
Albert Warnecke 12. Mai 2006 um 13:28
Hallo Herr Knüwer,
fanden Sie es wirklich soo schlecht? Ok, die Bionadeflasche habe ich einem der Tablett-Mädels halb voll zurückgegeben. Ansonsten habe ich durchaus die eine oder andere interessante Information mitgenommen (auch aus den Vorträgen) und mich ansonsten gut unterhalten und einige neue Leute (unter anderem Sie) kennengelernt.
Und was das 1999 angeht: Zur Jahrtausendwende fand ich das Klima doch etwas hyterischer – solange es kein Dotcomtod 2.0 gibt, haben wir auch noch keinen Hype 😉
Beste Grüße
Albert Warnecke
Thomas Knüwer 12. Mai 2006 um 13:35
Nein, so schlecht wars nicht. Angesichts einer gewissen Übermüdung fehlt mir wohl das Ironie-Gefühl…
Christian 12. Mai 2006 um 13:36
(++) Ich würde hier gern Beiträge bewerten können. 🙂
Fischmarkt 12. Mai 2006 um 14:47
Der Tag danach. Knapp zwei Stunden Schlaf. Blogger (wie auch Kongress- und Partyveranstalter) sind in der Entertainmentbranche tätig. Es ist völlig egal, was und worüber sie schreiben, solange es nur halbwegs unterhaltsam ist. Wem das nicht vorher klar…
marcc 12. Mai 2006 um 17:05
Kleben Notebookbesitzer tatsächlich Aufkleber auf den äh… Deckel? Erinnert mich irgendwie an die 80er, da hatten alle irgendwelche Aufkleber auch so Schalenplastikköfferchen.
RB 12. Mai 2006 um 17:45
Erfrischender Kommentar! Andere scheinen ja für zwei belegte Brötchen und einen Automatenkaffee ihre Seele an der Garderobe abgegeben zu haben (das ist naemlich soooo Web 1.0 ;-).
Wolfgang L 12. Mai 2006 um 17:59
Wie Recht er hat. Selbsbefruchtung bloß leider ohne Fliegen
Marco Ripanti 13. Mai 2006 um 20:50
Die Geschmäcker sind nun mal verschieden…
Klar, auch ich würde lieber verhungern als Sushi zu essen, aber ich denke auch für Sie gab es mehr Lichtblicke bei dieser Veranstaltung als die Tatsache das Teppichboden anstelle von Parkett Ihren sichern Sturz verhindert hat 🙂
Ihrem Kollegen von der FTD ging es da nicht so gut 🙂
Herr Schrader muss den Hype des Web2.0 gar nicht sooooo gut beschreiben können … dazu waren ja unglaublich viele Experten da die Ihnen hierzu sicher alle Fragen beantwortet hätten.
Einen schönen Samstag Abend
Marco Ripanti
MiFoMM 14. Mai 2006 um 13:43
Thomas Knüwer schreibt hier erfrischend über die Party bei SinnerSchrader und so herrlich distanziert zu dem – neuen? – Web-2.0-Hype.
Hmm: Web 2.0???:
“Web 2.0 verwendet das Aal-Prinzip: Andere arbeiten lassen”(Andreas Weigend)
…
Mangold 15. Mai 2006 um 7:39
Ob das alles so stimmt oder nicht sei dahin gestellt, der Artikel ist für jene die nicht dabei waren wohl auf jeden Fall amüsant. Eins habe ich dann in diesem Artikel doch vermisst. Die Tatsache, dass Sie sich als Moderator des \“Track I\“ dieses Kongresses verdingt haben.
Ich muss gestehen, dass ich nach den unerträglichen Fragen – die Sie so herrlich süffisant gestellt haben – hoffte, erstmal des Längeren nichts mehr von Ihnen zu hören. Aber schwupp, da waren Sie auf boocompany verlinkt.
Thomas Knüwer 15. Mai 2006 um 9:48
Ja, so kanns kommen. Uns Journalisten wird man nie los. Auch unsere unerträglichen Fragen nicht. Diese Sache mit der Demokratie und Pressefreiheit wünscht sich halt mancher mal geändert.
Stimmt, ich habe moderiert. Ändert aber auch nichts an meinen Eindrücken. Oder sollten nach Ihrer Meinung meine Äußerungen anders ausfallen, weil ich dort aufgetreten bin? Können Sie nicht ernsthaft erwarten…
lanu 15. Mai 2006 um 10:03
\“Aber schwupp, da waren Sie auf boocompany verlinkt.\“
das klingt so negativ. ich möchte herrn knüwer an dieser stelle in schutz nehmen. dafür kann er nix.
che2001 15. Mai 2006 um 15:44
Tja, für Büffetjournalisten sind die Zeiten schlecht geworden. Nicht so bei der BASF, da gibt´s auch mal Langusten für die Presse. Wahrscheinlich waren aber gaaanz viele Anja Tanjas Mirko Meicos dabei, oder?
Next10: no game, no change 12. Mai 2010 um 18:16
[…] ist die Next, die heute und gestern erstmalig in Berlin stattfand. Was als Hausmesse der Multimediaagentur Sinner Schrader begann mauserte sich mit jedem Jahr mehr zu einer angenehmen […]