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Nachdem mein Bücher-Jahresrückblick von einigen Menschen als hilfreich und interessant befunden wurde, werde ich dieses Jahr versuchen, jedes vollendete Buch direkt hier zu verbloggen. 

„Ich mach jetzt Voyeurismus“, kommentierte die beste Ehefrau von allen den Kauf dieses Buches. Stimmt, aber dafür ist es irgendwie ja auch gedacht. „Mein Wäsche kennt jetzt jeder“ wurde geschrieben von Dorothee Achenbach, der Ehefrau des Kunstberaters Helge Achenbach, dessen Betrugsprozess in den vergangenen zwei Jahren die Kunst- und Medienwelt bundesweit beschäftigte. Die Aldi-Erbin Babette Albrecht zeigte ihn an, weil er als Vermittler Kunstwerke und Oldtimer mit einem höheren Preis an Albrecht verkauft hatte, als er selbst bezahlte. Somit stieg einerseits seine Provision, andererseits erzielte Achenbach einen Gewinn aus dem Verkauf. Im März 2015 wurde er deshalb zu sechs Jahren Haft verurteilt.

AchenbachDie Achenbachs waren nicht nur in der Kunstwelt eine wirtschaftliche, sondern auch in Düsseldorf eine gesellschaftliche Größe. Wir waren ebenfalls einige Male beim großen Neujahrsempfang eingeladen, doch habe ich keinen der beiden seit geschätzt drei Jahren mehr gesprochen, dies sollte man als Disclosure einfügen.

Und deshalb ist es eben Voyeurismus, dieses Buch zu lesen, in dem Dorothee Achenbach ihre Zeit als Betrugsangeklagtenehefrau im Zeitraum von Juni 2014 bis Juni 2015 schildert. Doch nichts Anderes will sie vielleicht auch befriedigen, denn natürlich dient das Werk auch der Refinanzierung des Lebens, nachdem das Vermögen des Mannes aufgezehrt ist und sie als freie Journalistin im Bereich Kunst vorerst keine Beschäftigung finden dürfte.

Eigentlich hatte ich auch nicht vor, das Buch überhaupt zu lesen. Doch dann schmunzelte die lesende Ehefrau, sie kicherte, sie las das Buch nicht – sie inhalierte es weg wie Thorsten Legat im Dschungelcamp eine Herde Raupen. So las ich auch und schmunzelte und kicherte und inhalierte ebenfalls.

Natürlich ist „Meine Wäsche kennt jetzt jeder“ kein Kandidat für den Friedenspreis des Buchhandels. Auch wirkt es etwas angestrengt, wenn sie ihren Mann als Bernhard Krämer tituliert, angeblich um eine größere emotionale Distanz beim Schreiben aufbauen zu können.

Doch einerseits ist es nette Unterhaltung – andererseits liefert es die andere Seite einer Mediengeschichte. Und solch einen anderen Blickwinkel erhält der Medienkonsument für gewöhnlich wieder nur medial gefiltert. Die „Jetzt redet die Ehefrau“-Storys finden in der Regel unter Führung einer Boulevard-Redaktion statt und ihre Länge ist beschränkt durch die Limitation einer Zeitung oder Zeitschrift.

Dorothee Achenbach dagegen hat 200 Seiten – und ist bereit, sie zu nutzen.

Zum Beispiel zur Medienkritik. Als die erste Meldung über Achenbachs Verhaftung erscheint, melden sich viele bei ihr mit Interviewwünschen – gerade so, als sei der Kunstberater nur mal eben Zigaretten holen:

„Geduldig erkläre ich per Mail oder am Telefon, dass das leider nicht geht, da Herr Krämer eingesperrt sei und nicht einmal die Familie ihn sehen durfte. Und, nein, er habe auch kein Telefon und keinen Computer.

Dafür hat jeder Verständnis, aber ich merke, dass kaum jemand weiß, was Untersuchungshaft bedeutet – ich wusste es vorher auch nicht. Es stimmt beispielsweise nicht, dass man sich aus der U-Haft das Essen von zu Hause oder gar aus Restaurants kommen lassen kann. Auch sitzt man nicht mit Untersuchungshäftlingen – dort sind auch ,normale‘, verurteilte Kriminelle.“

In welcher Welt sich manche Medienvertreter geistig befinden, zeigt auch diese Episode:

„Kurz nach der ersten Veröffentlichung telefoniere ich mit einem mir bis dato unbekannten Redakteur. Er beginnt mich unvermittelt zu beschimpfen, weil ich angeblich dieser Zeitung zuerst die Informationen über Bernhards Inhaftierung weitergegeben, ja womöglich verkauft hätte.“

Die Welt als Seifenoper, in der die Verhaftung des Ehemannes kein Schicksalsschlag, sondern eine Möglichkeit zum Geldmachen ist – wer ansonsten boulevardistische Widerlichkeiten hinschmiert, der denkt wahrscheinlich wirklich so. Da darf man auch nicht erwarten, dass sich jene Figuren, die behaupten journalistisch tätig sein zu wollen, Geschichten durch Unwichtigkeiten kaputtmachen lassen, also, Unwichtigkeiten wie dieses, sag schon, diese… Wahrheit.

So taucht eine „verheimlichte“ Liste mit Namen auf und wird mit der Vermutung medial breitgetreten, all diese Menschen seien betrogen worden. Achenbach schreibt:

„Die ,geheimnisvolle‘ Liste ist jedoch alles andere als geheim: Sie wurde in Zusammenarbeit mit einer Bank… für einen mit der Bank geplanten Kunstfonds erstellt und enthielt Bernhards Transaktionen der letzten 30 Jahre. Sie sollte Wertsteigerung der betreffenden Werke belegen, um Kunden zu akquirieren. Dies kommunizieren wir – es findet keinen Widerhall.“

Natürlich ist es bittere Ironie des Schicksals, dass die Familie Achenbach nun unter dem leidet, was sie lange genossen hat: mediale Aufmerksamkeit. Doch gleichzeitig hat sie das Pech, dass sich in ihrem Fall Ernsthaftigkeit in Form eines Betrugs in einer feuilletonistisch betreuten Industrie mischt mit dem Boulevard in Gestalt der schillernden Person Helge Achenbach. Und deshalb darf jeder mal mit den fragwürdigen Instrumenten der Witwenschüttler arbeiten.

Wo, zum Beispiel, ist dieser Text erschienen?

Dorothee Achenbach, die Ehefrau des angeklagten Kunstberaters Helge Achenbach, lässt sich gegenwärtig nicht mehr fotografieren. Zu elend sieht sie aus. Nur noch Haut und Knochen…

Vor der Tür steht keine Staatskarosse mehr, sondern nur noch ein Fahrrad. Das Auto ist längst gepfändet. Wenn die Mutter zweier Kinder Sprudelwasser einkauft, leiht sie sich das Auto der Freundin. „Die Freunde stützen mich. Sie gehen auch mit mir zum Supermarkt. Ohne gute Freunde könnte man die Zeit nicht überstehen“, sagt sie.“

Nein, das ist nicht aus „Bild“ oder „Express“, sondern allen Indizien aus dem Buch nach geschrieben von der senioren Feuilletonistin der „Westdeutschen Zeitung“.

Symbolbild: Das Düssel-Dorf

Symbolbild: Das Düssel-Dorf

Das muss die Achenbach aber doch gewollt haben, oder? Sie hat schließlich ein Interview gegeben.

Nun… Die Geschichte zeigt, dass selbst eine „WZ“-Redakteurin vor miesen Tricks nicht zurückschreckt. Denn Achenbach hatte die Journalistin (deren Name sie selbst nicht nennt) eingeladen, um über die jährliche Benefiz-Auktion zu Gunsten der Aidshilfe Düsseldorf zu sprechen, bei der jedes Mal ein sechsstelliger Betrag zusammenkommt. Im Buch ist zu lesen:

„Einige Tage vor der Auktion möchte die für Kultur zuständige Journalistin einer lokalen Zeitung mit mir über die teilnehmenden Künstler sprechen. Sie kommt bei mir zu Hause vorbei, doch da sie Angst vor dem Hund hat – was der natürlich sofort mitbekommt –, dauert das Gespräch kaum fünf Minuten… Ständig nach dem Hund schielen, erkundigt sie sich, wie es mir geht, und ich antworte wahrheitsgemäß: „Superschlecht“. Dieses Wort ist nicht nur die Schlagzeile eines längeren Artikels am folgenden Tag – es wird unter der Überschrift ,Frau Krämer bricht ihr Schweigen‘ über einen Nachrichtenticker verbreitet.

Eine andere Zeitung argwöhnt daraufhin, ich hätte anderen ein Exklusivinterview gewährt, nachdem man selbst lange vergebens angefragt hätte. Diese Zeitung thematisiert daraufhin den Verkauf meines Hauses… So kann sich jeder denken, dass ich das Haus in Not verkaufen muss. Das drückt den Preis.“

Fast scheint es, für solche Redaktionen ist die Wirklichkeit ein Videospiel (wenn man nicht wüsste, dass ihre Mitglieder zu analog sind, um außerhalb von Snake, Solitär oder Pacman irgendwas mit Videospielen zu tun zu haben). Und bei all dem glaubt man, dass die Leser zu doof sind, dies zu merken. Sind sie aber vielleicht nicht, wie Dorothee Achenbach zumindest subjektiv registriert: Immer wieder schreibt sie von Menschen, die verwundert sind ob der Berichterstattung.

Zum Beispiel bei der Versteigerung von Achenbachs Sammlung. Da darf die Feuilleton-Grande Dame der „Rheinischen Post“ in den Boulevard-Ring steigen:

„…Dorothee Achenbach leidet. Sie seufzt bei einigen Losen unüberhörbar, ein Beuys-Blatt hätte sie wohl gerne gehabt…“

Im Buch liest sich das dann so:

„Eine Journalistin, die neben mir stand, formulierte in ihrem Text Dramatisches – ich hätte gelitten, geseufzt, sogar mitgesteigert (man fragt sich wovon)… Schon morgens sprechen mich ein halbes Dutzend Leute, die mich ebenfalls dort trafen, darauf an.“

Doch nicht nur die Medienkritik macht „Meine Wäsche kennt jetzt jeder“ interessanter, als man zunächst denken mag. Da sind auch die Spitzen gegen den einsitzenden Ehemann. Der war nämlich in den Monaten vor der Verhaftung keinesfalls ein vorbildlicher Gefährte gewesen. Nun, im Gefängnis, bekommt er nicht mit, wie sehr seine Familie kämpfen muss. Fast bekommt man das Gefühl: Die Angehörigen haben mehr unter der Situation zu leiden als er selbst.

Das Haus der Achenbachs muss verkauft werden, doch eine bezahlbare Wohnung mit Garten ist kaum aufzutreiben. Im Gefängnis dagegen hat Achenbach als vorbildhafter Häftling die schönste Zelle unterm Dach bezogen. Seine Frau kommentiert bitter: „Der hat’s geschafft.“ Dort malt er nun und präsentiert sein erstes Acrylwerk der Familie beim Besuch:

„Er ist restlos begeistert von seinem Werk. Wir loben ihn höflich…

Bernhard war der gnadenloseste Kritiker, wenn es um Kunst ging. Mancher Nachwuchskünstler hat nach einem Gespräch mit ihm den Berufswunsch geändert. Und nun das.“

Man wünschte sich, mit diesem bösen Humor würde Dorothee Achenbach auch gegen Medien, Kunstszene und Justiz austeilen. Doch man ahnt: Sie traute sich nicht. Düsseldorf ist ein Düssel-Dorf und sie wird weiterhin hier leben. Vielleicht aber hat sie sich dies auch aufgespart. Denn nachdem sich „Meine Wäsche kennt jetzt jeder“ bereits über 40.000 Mal verkauft hat, könnte der nächste Schritt – auch angesichts ihres Schreibstils – ja ein Frauenroman sein. Vielleicht einer, der in der Kunstbranche spielt.

Wenn es den anderen 40.000 Käufern so ergangen ist wie mir und einigen anderen, die dieses Buch gelesen haben, dürfte zumindest ein fruchtbarer Boden bereitet sein für eine ordentliche Auflage.

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