Die Unaufhaltsamkeit des Medienwandels wird auch in Deutschland langsam Allgemeingut. Nachdem die klassischen Medien – für die der angelsächsische Begriff „Legacy Media“ viel passender erscheint – lange über Medienblogs und ihre Schwarzmalereien hergezogen sind, widmen sie nun lange Seiten und eine steigende Zahl von Sendeminuten genau jenen Szenarien, in denen ein Weniger an Journalismus nicht wünschenswert, aber denkbar erscheint.
In diesem Zusammenhang wundern mich zwei Dinge, die zunächst nichts miteinander zu tun haben: das Schweigen über Politico und das mögliche Aus für The European.
Als Politico im April mit seiner europäischen Ausgabe an den Start ging, hielt sich mein Interesse in Grenzen. Denn so weit fühlte ich mein persönliches Informationsbedürfnis in Sachen Europapolitik für gedeckt. Und die US-Ausgabe habe ich immer wahrgenommen als Medium für Brancheninsider.
Dann kamen die ersten Geschichten über die Google-Kartelluntersuchungen: tief recherchiert und doch so geschrieben, dass auch Nicht-Polit-Insider sie mit Gewinn lesen können; noch dazu in einem angelsächsischen Erzählstil mit gut strukturierten Spannungsbögen. Social Plugins zum Weiterreichen von Artikeln sind eingebaut, Kommentare Normalität (über die absurde Idee deutscher Medien, Kommentare nur zu bestimmten Zeiten zu erlauben, müssen wir gar nicht reden), Links nach außen werden sehr durchdacht eingesetzt. Was ich vor allem mag: Hier dürfen Geschichten so lang sein, wie der Autor es für richtig hält. Zwischen 2.000 und 15.000 Zeichen ist da alles dabei, wobei die Unsitte, längere Artikel auf mehrere Klicks zu verteilen, nicht gepflegt wird (als Beispiel zum Beispiel die Reportage „For them, there is no Schengen“ unter diesem Link). Allein die Optik dürfte ein wenig großzügiger sein, vermutlich jedoch läuft das europäische Politico auf der Content Management-Basis der US-Mutter – und die könnte ein wenig in die Jahre gekommen sein.
Bei weitem nicht alles, was Politico schreibt, ist für mich interessant. Doch wann immer ich die Seite besuche, stoße ich auf mehr als ein Stück, das mich interessiert, meinen Horizont erweitert, mein Denken bereichert. Kurz: Was die Redaktion da produziert ist aus meiner Sicht richtig guter Onlinejournalismus.
Was verwundert, ist die geringe Präsenz von Politico in anderen Medien. Zumindest in meiner medialen Filterblase werden selten Stimmen aus Politico zitiert, wird wenig auf das Angebot verlinkt. Das kann natürlich daran liegen, dass Politico auf Englisch schreibt und deutsche Medien ihren Lesern keine fremdsprachigen Quellen zumuten mögen. Blogs hingegen haben solche Hemmungen ja seltener, doch auch hier taucht Politico selten auf. Verstehen kann ich das nicht. Aber vielleicht hat einer meiner Leser ja Gründe dafür.
Vieles vom oben geschriebenen gilt auch für The European. 2009 hat der ehemalige „Cicero“-Onlinechef Alexander Görlach das Debattenmagazin online gebracht, ein Jahr später folgte eine englische Variante, 2012 ein Print-Magazin. Mir persönlich ist The European zu konservativ in seiner Ausrichtung, doch gut gemacht ist es auf jeden Fall.
Deshalb ist es traurig, dass Görlachs Projekt vor dem Aus steht. Bernd Förtsch mit seiner Börsenmedien wollte eigentlich einsteigen – doch dieser Deal ist geplatzt. Görlach hat den Mitarbeitern bereits gekündigt, es soll immerhin noch einen interessierten Verlag geben. Mir ist es ein Rätsel, warum die Legacy Media-Häuser nicht Schlange stehen: Wir leben in einer debattenfreudigen Zeit, das Angebot bringt Qualität und Redaktion mit, es hat eine klare Ausrichtung – klingt für mich wie ein spannendes Investment, aus dem man mehr machen könnte.
Es gibt einen Punkt, der Politico und The European eint: ihre Unbekanntheit im analoger ausgerichteten Teil meines Freundeskreises. Vielleicht ist dies nur in meinem Umfeld so. Doch trotz ordentlichem Medienkonsums kennt kaum einer der Nicht-Digitalirren diese Angebote. Das ist verständlich, denn viel berichtet wurde aus meiner Sicht nicht über die beiden. Woran liegt das? Vielleicht, weil sie keinen neuen Finanzierungsweg gehen? Über Krautreporter und Correctiv wurde viel berichtet. Doch beide Redaktionen versuchen wirtschaftlich andere Wege zu gehen als die Online-Angebote der Verlage: Krautreporter setzt auf Crowdfunding und pure Abos, Correctiv auf das Stiftungsmodell. Ist das die Erklärung?
Und bräuchten jene neuen Angebote nicht ohnehin etwas anderes als Berichte auf Medienseiten? Ich glaube, es wäre solchen Neulingen viel mehr geholfen, würden sie im Rahmen von Pressestimmen und Berichterstattung genauso zitiert und verlinkt wie „FAZ“ oder „Spiegel“. Somit entstünde eben der Eindruck eines neuen Namens, der auf Augenhöhe mit den Platzhirschen arbeitet.
Mir ist es jedenfalls ein Rätsel, weshalb zwei journalistisch hochwertig gemachte Angebote so sehr unter der allgemeinen Wahrnehmung liegen, wenn gleichzeitig so viel über den Medienwandel geschrieben wird.
Kommentare
Gregor 25. Juli 2015 um 20:31
Wenn ich mit Freunden außerhalb der Medienbranche über Krautreporter oder Correctiv spreche blicke ich auch nur in fragende Gesichter. In diesem Punkt ist das glaube ich im Text zu sehr die Sicht eines Medienmenschen.
Thomas Knüwer 26. Juli 2015 um 8:48
@Gregor: Ist bei mir anders – und mein Freundeskreis besteht nur zum geringen Teil aus Medienmenschen.
Die besten Tipps für Startup-CTOs und noch mehr wichtige Startup-News | t3n 27. Juli 2015 um 8:41
[…] gezeigt habe. „Mir ist es ein Rätsel, warum die Legacy Media-Häuser nicht Schlange stehen“, konstatiert Thomas Knüwer in einem lesenswerten Beitrag zum […]
Benjamin Wagner 27. Juli 2015 um 12:42
Gerade Sie sollten doch wissen,dass in den etablierten Medien nur so weit über den „Medienwandel“ gesprochen wird, wie gehofft wird, das Bekannte irgendwie zu retten (weil man es ja nicht schafft das neue zu zerstören oder wenigstens zu verbieten)
Ich habe übrigens beide nicht gekannt oder kenne sie nicht.