Man darf einfach mal festhalten: Keine Regierungschefin hat sich aktiver für die Förderung von Adressdatenhandel und gegen den Schutz privater Daten eingesetzt als Angela Merkel.
Im Sommer 2009 hatte die von ihr geführte Große Koalition die klare Wahl zwischen dem Schutz der Bürgerdaten und wirtschaftlichen Interessen – die Regierung entschied sich zu Gunsten der Wirtschaft. Damals ging es um das Listenprivileg. Dieses erlaubt die Speicherung personalisierter Daten – also inklusive Name, Adresse und Geburtstag – und deren Weitergabe für Marketingzwecke. Dabei dürfen die Daten auch an Dritte weitergereicht – oder besser: verkauft – werden.
Ohne diesen Adressdatenhandel aber sind Deutschlands Print-Verlage nicht überlebensfähig. Glauben Sie nicht? Knüwersche Übertreibung? Nö, ein Zitat. Genau dies behauptet damals der Verband der deutschen Zeitschriftenverleger VDZ. Nun geht es dabei einerseits um die Möglichkeit, Ex- und aktuelle Abonnenten mit nervigen Werbebriefchen und Call-Center-Anrufen zu terrorisieren. Andererseits aber zählt die Verlagsgruppe Burda zu den aggressivsten Ausnutzern dieser Praxis. Der Präsident des VDZ heißt übrigens: Hubert Burda.
Gelesen haben Sie in den klassischen Medien wenig, schließlich pinkeln in Krisenzeiten Redaktionen den eigenen Verlagen nicht ans Bein. Und die Datenschützer? Werden ganz grummelig, spricht man sie darauf an. So wie den Landesbeauftragten für Datenschutz in NRW, Ulrich Lepper. Als ich mit ihm zusammen in einer WDR2-Sendung zu Gast war, meinte er nur so was wie „Ja, das ist damals nicht so glücklich gelaufen, aber so ist das nun mal…“ Klar: All die Landesdatenschützer brauchen eben auch ihre gute Presse, so wie die schleswig-holtsteinische Heißluft-PR-Zubereitung Thilo Weichert.
Nun war der Sommer 2009 ja auch ein Wahlkampfsommer. Und da Deutschlands Politiker ja ohnehin keine Politik für Bürger machen sondern hauptberuflich Wahlen gewinnen, war das Einknicken in Sachen Listenprivileg auch dem Wahlkampf geschuldet. Oder?
Oder nicht. Drei Jahre später zeigt sich, dass die Bundesregierung unter Angela Merkel die Förderung des Adressdatenhandels offensichtlich als unabdingbare Wirtschaftsförderung ansieht.
Sie beschloss am 28.6. eine Änderung des Meldewesens – vor leeren Rängen und in 57 Sekunden:
Künftig dürfen Meldeämter ganz offiziell Adressdaten verkaufen. Bisher passierte dies auch schon – nun aber sind dem Adresshandel Tür und Tor geöffnet. Selbst wenn Bürger dagegen Einspruch erheben, haben sie keine Chance, geht es um den Abgleich von vorhandenen Daten.
Es ist Sieg der Datenhandelslobby. Und eventuell erklärt sich so ja auch die scheuklappige und hysterisch Art von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner in Sachen Facebook. Der Erfolg von Facebook und Social Media insgesamt ist nämlich ein Problem für die Datenhändler. Wenn ihre Kunden – die werbetreibenden Unternehmen – nämlich nicht mehr gigantische Streuverluste riskieren müssen, die beim Direktmarketing per Post an der Tagesordnung sind, dann wird Werbung im Social Web erheblich attraktiver als das Zumüllen der Briefkästen und das fruchtlose Abtelefonieren von Haushalten.
Halten wir also einfach für das nächste Mal fest, wenn ein Würdenträger von CDU, CSU oder FDP über den Datenschutz lamentiert: Es war seine Partei, die wie keine andere zuvor in der deutschen Geschichte den Datenhandel in Deutschland gefördert hat. Glückwunsch an die Lobbyisten der Datenhandelsindustrie und der deutschen Verlage.
Nachtrag vom 9.7.: Es geht immer noch lustiger, als wir denken. Denn nun dürfen wir uns fragen, wer Deutschland eigentlich regiert. Die Bundesregierung anscheinend nicht, denn Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner distanziert sich nun von dem Gesetz, dass die Regierung einbrachte. Sie sehe nun – nach dem Gesetzgebungsverfahren – noch „Diskussionsbedarf“ und außerdem sei ein Gesetz erst beschlossen, wenn es durch den Bundesrat sei. So sieht also Gesetzgebung anno 2012 aus: Die Regierung beschließt etwas und hofft, dass der Bundesrat es dann kippt.
Derweil hat Abgeordnetenwatch recherchiert, wie es zu diesem Irrsinn kam. Eigentlich sollte das Gesetz den Adressdatenverkauf nämlich explizit verbieten. Doch haben zwei Figuren des Bundestages in einer Art Handstreich den Text umgedreht. Da ist zum einen CSU’ler Hans-Peter Uhl, der in Sachen Kinderpornographie schon mal eine Bürgerwehr gründen wollte und später als Fanboy für den Staatstrojaner agierte. An seiner Seite handelte laut Abgeordnetenwatch die Düsseldorferin Gisela Piltz. Sie beweist, dass die FDP nicht nur eine Klientelpartei für Hoteliers, Ärzte, Apotheker und Rechtsanwälte ist – sondern auch für Adressdatenhändler. Ich werde mich in meinem Freundeskreis dafür einsetzen, dass sie bei der kommenden Wahl so wenig Stimmen erhält, wie möglich.
(Foto: Bundesregierung/Kugler)
Kommentare
SunTsu 8. Juli 2012 um 15:23
Vergessen wir bei diesem Walk of Shame nicht die selbst getätigte „Hehlerei“: Ankauf der „Steuercds“, also die staatliche Entlohnung (mit mehreren Millionen Euro) eines Menschen der Bankdaten rechtswidrig erspäht hat.
Die Regierung hat damit deutlich gemacht dass Erspähen von Daten ein lukratives Geschäft darstellt.
Petra 8. Juli 2012 um 15:52
Der Herr Knüwer ist auch schon aufgewacht.
Der unterstrichene Satz zum Link stimmt übrigens so nicht.
Meldeämter durften schon immer offiziell die Daten ihrer Bürger verkaufen. Ebenso wie z.B. auch Verkehrszulassungsstellen. Der Bürger durfte eben den Haken unten im Kleingedruckten nicht vergessen!
Das Gesetz besagt, dass Daten verkauft werden dürfen, nicht müssen.
Und besser, vielleicht effektiver als eine netzweite Empörungswelle ist der simple analoge Gang zur nächsten Gemeinderats- oder Stadtratssitzung, oder zur Kreistagssitzung
Fragen Sie in der Einwohnerfragestunde, wie der Adresshandel in der eigenen Gemeinde gehandhabt wird. Machen Sie Ihren Lokalpoloitikern die Hölle heiß!
Thomas Knüwer 8. Juli 2012 um 16:24
Danke für den Hinweis. Das war mir bekannt, es gab damals ja eine Story von „Panorama“ (wenn ich es richtig im Kopf habe). Aber ich habe das nicht scharf genug geschrieben – ist jetzt ergänzt.
Petra 8. Juli 2012 um 17:44
Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man über das Video wirklich lachen.
Freitag Nachmittag – die meisten Abgeordneten sind schon im Wochenende. Nur ein Häuflein Anti-Fußball-Fans, die die A…Karte (oder auch das kürzerer Stöckchen gezogen) haben und die unentwegte Petra Pau trotzen noch der antidemokratischen Flüchtlingswelle.
Es wäre auch mal schön eine Statistik zu entwickeln, wie uns die Politiker Entscheidungen während wichtiger Fußballspiele unterjubeln.
So wurden im Juni 2006 das unsägliche AGG und die letzte Mehrwertsteuererhöhung beschlossen.
Lesetipps für den 9. Juli | Netzpiloten.de – das Beste aus Blogs, Videos, Musik und Web 2.0 9. Juli 2012 um 9:54
[…] Bundesregierung fördert den Adressdatenhandel: Man darf einfach mal festhalten: Keine Regierungschefin hat sich aktiver für die […]
Elfie 9. Juli 2012 um 15:28
Wäre ja mal interessant zu erfahren, ob der Bundestag überhaupt Beschlussfähig war! Da gibt es doch bestimmt Mindestquoten was die Anwesenheit angeht? Ob man so etwas nachträglich darüber kippen kann?
J. S. 9. Juli 2012 um 17:29
Ein Abgeordneter hätte einen Antrag stellen müssen, um die Beschlussfähigkeit feststellen zu lassen. Warum dies aber nicht geschah? Vielleicht weil alle dachten, dass es um ein Gesetz gegen Adresshandel ging.
Wie wir jetzt wissen, wurde ja kurz vorher von den Abgeordneten Uhl (CSU) und Piltz (FDP) das Gesetz quasi umgekehrt.
Aktuelles 10. Juli 2012 10. Juli 2012 um 5:02
[…] Indiskretion Ehrensache » Bundesregierung fördert systematisch den Adressdatenhandel "Eigentlich sollte das Gesetz den Adressdatenverkauf nämlich explizit verbieten. Doch haben zwei Figuren des Bundestages in einer Art Handstreich den Text umgedreht." […]
Listen und Privileg 10. Juli 2012 um 10:40
Wieso tust Du nichts gegen das Listenprivileg ?
Meine Idee ist schon seit Jahren von Menschen die durch das Presserecht geschützt sind realisierbar:
– Gamefront verkauft meine Adresse nicht
– ct/heise verkauft meine Adresse nicht
die anderen 4-8 Abos nenne ich mal nicht. Ein ADAC-Mitglied sind auch Millionen. Die Verkaufen die Adresse wohl auch nicht.
– eine technische Zeitschrift schickt gerne separat Kongress-Werbung aber damit kann man leben und die verkaufen die Adresse auch nicht weiter
– Ein Orts-Verein eines Bundesvereines schickt Werbung lokaler Händler aber auch von sich aus und verkauft die Adresse nicht
– Ein anderer Verein finanziert Schreiben an Mitglieder wohl mit dem Beilegen von z.b. Sterbeversicherungs-Gruppenverträgen o.ä. Aber auch die verkaufen meine Adresse nicht
– mein Freemail-Anbieter hingegen verkauft meine Adresse an Lotterie-Betreiber.
…
Sowas ist als semi-moderiertes Wiki schnell aufgesetzt und man kann die guten Abos erkennen. Vielleicht schreiben US-Amerikaner im Land der freien Meinungs-Äußerung dann ein Abgleich_Script das die VDZ-Nummern per Firefox-Plugin abgleicht und die Verlage aufzeigt, welche Adressen verkaufen oder nicht auftauchen und das nach IVW-Verkaufszahlen sortiert.
Man braucht immer weniger oft Gesetze. Die Markt-Teilnehmer werden von sich aus erklären, die Adressen nicht zu verkaufen und das Listenprivileg als Subvention ihrer Konkurrenten abzuschaffen.
Ob das „Diktatur der Masse“ ist ? Die Mehrheit wäre vielleicht auch dafür, alle Verkehrsschilder abzuschaffen oder 10-Promille-Grenze einzuführen und alle Steuern abzuschaffen und nur noch auf Schulden zu leben, Hausaufgaben und Zeugnisse und Bewerbungstests abzuschaffen und Fastfood steuerfrei zu machen und durch Sondersteuern auf Gesundheits-Nahrung (Obst, Gemüse, Joghurt, Müsli, Tofu, Bio-Kost,…) zu verbilligen.
Die Mehrheit war auch gegen Manuel(?)Michael(?) Neuer bei Bayern München und für Poldi beim FC Köln und keiner gegen den doppelten Ost-Aufbau, die Schrott-Immobilien, die Solar-Subventionen und den Neuen Markt.
Analog-Käse würde ich ähnlich abschaffen: Du schreibst einen Brief an Dr. Oetker, Alfredo-Pizza usw. und fragst verbindlich, wer Analog-Käse einbaut und wer verbindlich erklärt, es nicht zu tun. Ein öffentliches Wiki und der Analog-Käse ist vorbei. Denn auch pizza.de usw. werden aufspringen und sich erklären. Das nennt man Leistungs-Wettbewerb.
Ich würde auch alle Verlage und Autofirmen und wer sonst noch Subventioniert werden musste von meinen Steuergeldern fragen wer genug für die nächste Rezession gespart hat und garantiert keine Hilfen vom Staat oder Kurzarbeitergeld braucht. Genau sowas ist die Aufgabe der Presse. Von den gesparten Geldern kann man in der Rezession dann seine Konkurrenten billig aufkaufen und darauf verzichten, von mir durchgefüttert werden zu müssen. Auch dafür braucht man nur den Schutz des Presserechtes und Null Politiker.
Stattdessen sollen wir Piraten wählen und in 20 Jahren sind die so erfolgreich wie rot-grün auf die ich im Nachinein gut hätte verzichten können und wir deutlich weniger Minister-Pensionen bezahlen müssten.
Und was wir von den Hauptstadt-Journalisten zu halten haben, wissen wir seit der Twitter-Presse-Konferenz vor einem Jahr.
Vote-not-Whom-Why-de wäre eine App wo man Politikern ihre Abstimmungen sieht und bevoten kann und sieht wen man warum nicht wählen möchte. Natürlich i18n weltweit nutzbar per html5 an jedem Gerät und sogar SmarTV. Die Votes sind per twitter und facebook aber natürlich auch anonym als separate Votings ersichtlich weil man bei anonym immer mit Fake-Votes rechnen muss. Allerdings kann man sich pro Gerät oder Ip-nummer nur einmal voten und auch nur für einen Wahlkreis. Das geht schon vernünftig speziell weil ja mit facebook/twitter/google+ echten OpenID/…-Votes als Referenz vorhanden sind damit nicht Stalin die Online-Wahl fast gewinnt wie bei der Online-Wahl des wichtigsten Russen oder so. Leider will keine Organisation das Projekt als Democracy-hancement protecten und anonym von Freiwilligen programmieren lassen.
Man würde in einer App also bequem sehen was für bzw. gegen einen Kandidaten oder Volks-Entscheidung steht.
Auch das ist ein Beispiel für falsche und richtige direktere Demokratie: Es sollte klar sein, das jeder der für Stuttgart21 ist, mit seinem Privatvermögen haftet. Da die Votes anonym sind, werden kostenlose Bank-Hinterlegungen eingeführt und beliebig viel Vermögen bis zum kalkulatorischen Erfolg von Stuttgart21 gesperrt und im Notfall offene Rechnungen davon bezahlt und danach ggf. die Bauruine billig versteigert ohne das das Volk auch nur einen Steuercent in Stuttgart21 oder die Expo-Weltausstellung oder München-Winterspiele stecken muss. So ähnlich wie Crodwfunding. Nur so funktioniert Demokratie. Weil sonst die Aldis oder Lidl enteignet werden und Rewe einen Tag später die Preise erhöhen kann und alle doppelt so weit zum Supermarkt fahren müssen. Demokratie ist, wenn man sich selber finanziert bekommt und nicht, wenn man andere bezahlen lässt wie unterm Adel oder im Parteistaat oder Schuldenmacherismus.
Die Blogger übersehen ständig viele Themen. Erst Polen war gegen ACTA. Bis dahin war das Thema den meisten egal. Hugo Egon Balder bzw. ein Kollege hatte die Tonleiter und die Pause bei der Gema angemeldet. Vor 30 Jahren oder so. Seitdem hat sich an GEMA-Struktur-Änderungen wenig getan. Usw.
Eigentlich wäre die Presse dafür da, Fehler systematisch zu erkennen und zu korrigieren.
Vor 5 Jahren gabs schon Analysen das kleine Blogs Themen aufgreifen und diese (wie Bäche) in größere Blogs aufgegriffen werden und somit verstärkungs-Tendenzen und Mainstream-Thema werden oder halt eben nicht.
Wie Deutschlands Medien eine demokratische Partei abschießen wollen 20. September 2012 um 20:32
[…] das wenden, was die Verlagslobby in den vergangenen Jahren durchgedrückt hat. Zum Beispiel das Listenprivileg, das Verlagen den Verkauf von Adressdaten erlaubt. Und aktuell das Leistungsschutzrecht, ein Gesetz, das Deutschland aus dem digitalen Zeitalter […]
Die Widerwärtigkeit des Hans-Peter Uhl 16. April 2013 um 11:10
[…] Doch das ist ihm egal. Hans-Peter Uhl will den Überwachungsstatt und ist dafür bereit, sogar die Opfer von Boston zu missbrauchen. Verwundern kann das nicht. Schließlich ist Uhl ein Fan des Staatstrojaners, forderte eine Bürgerwehr im Kampf gegen angeblich… […]