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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

Gewisse Dinge scheinen sich nie zu ändern. Zumindest haben sie das nicht im vergangenen Jahrzehnt. Zum Beispiel die Angewohnheit deutscher Politiker eine traurigen Katastrophe zu nutzen um den Einsatz digitaler Sicherheitstechnologien zu fordern, deren Legitimation fragwürdig ist.

Am 26.11.01 berichtete Netzwert zum Beispiel über das Thema Geldwäsche. Diese war in den Nachkrämpfen des 11. Septembers ein heißes Thema: Die Regierungen der westlichen Welt forderten Möglichkeiten die Finanzierungsströme von Terroristen besser verfolgen zu können. In Deutschland drängte vor allem die Landesbank Baden-Württemberg auf den Einsatz einer neuen Software namens Smaragd:

„Die neue Software überprüft die Datenflug (Kontobewegungen bei Banken) anhand einer Liste von 20 Kriterien, die alle auf Geldwäscherei hindeuten können, zum Beispiel die plötzliche und vorzeitige Rückzahlung eines Kredits, häufige Buchungen auf bisher fast ungenutzte Konten sowie eine starke Erhöhung der Anzahl von Haben-Buchungen in kurzer Zeit. Ebenso sucht das Programm nach Kontoinhabern, die Wertpapiere mit Verlust verkaufen oder häufig große Summen auf Konten in Steueroasen überweisen. Jedem Merkmal haben die Entwickler eine bestimmte Punktzahl zugeordnet. Wenn ein Kunde in der Summe eine bestimmte Anzahl von Punkten überschreitet, meldet ihn die Software als möglichen Geldwäscher.“

Die Misstrauischen unter den Lesern ahnen schon, was kommt. Während die einen Banken, so die Deutsche Bank, das System kauften, fürchteten andere, dass die Software viel zu viele Treffer auswirft und somit unbescholtene Kunden in Geldwäsche-Verdacht geraten könnten. Und natürlich machten sich auch die Datenschützer sorgen: Denn ob es für solch eine Rasterfahndung eine rechtliche Grundlage gab, war völlig offen. Die LBBW ficht das nicht an: Sie wollte Smaragd in den Markt drücken. Schließlich war der Produzent des Programms eine Firma namens DVD-Systempartner – und die war eine Tochter der Landesbank.

Deutschlands Politiker erreichen ja langsam Social Media, irgendwie. Ihre ersten Versuche außerhalb der Verkündigung von Wahlkampfterminen sind manchmal etwas tappsig, aber wenigstens tut sich etwas. Das galt vor zehn Jahren für die Anwendung von Computern insgesamt. Damals schrieb Netzwert über die saarländische Regierung:

„Um 10.03 fährt Hanspeter Georgi hoch – schon wieder. Den Finger hat er längst vom Tastenfeld zum Kinn gehoben, erwartungsvoll betrachtet er den Bildschirm seines Laptops. Als der Lautsprecher mit Fanfarenklang die Ankunft des Betriebssystems verkündet, müssen die Kollegen im Saal schmunzeln: Georgi bootet schon zum vierten Mal während der Sitzung des saarländischen Regierungsparlamentes.“

Im Juni 2001 war „Kabinett Online“ gestartet: Die oft 100 Seiten dicken Vorlagen für die Kabinettssitzungen wurden nicht mehr ausgedruckt, sondern als PDF verschickt. Die neuen technischen Möglichkeiten führten zu immer mehr Powerpoint-Präsentationen im Kabinettssaal, im internen Netz wurden zahlreiche Dokumente vorrätig gehalten. „Allein der Wegfall von Material und Transport spart 50.000 Mark im Jahr“, erklärte Regierungssprecher Udo Recktenwald. Einen sehr wahren Satz sprach Regierungschef Peter Müller: „Wer die Medienkompetenz der Mitarbeiter stärken will, muss zeigen, dass er sich selbst den Herausforderungen stellt.“

Nur in einer Kurzmeldung taucht in jener Netzwert-Ausgabe außerdem eine Diskussion auf, die sehr viel mit jenen des Jahres 2001 zu tun hat:

„Der Streit um das Sperren amerikanischer Nazi-Seiten eskaliert. Inzwischen führt er zu harten Meinungsverschiedenheiten innerhalb der SPD. So schimpft Jört Tauss, forschungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion und Web-Experte der SPD, die Provider in Nordrhein-Westfalen würden kriminalisiert. Dass sie von der Medienaufsicht gezwungen werden sollen, US-Nazi-Seiten zu blockieren, sei „Schaumschlägerei“. Außerdem mache die Medienaufsicht entsprechende Angebote auf diese Weise erst populär. Auch Arne Brand, Sprecher eines Arbeitskreises zum Thema Web (Virtueller Ortsverein), rügte seine Parteigenossen am Rhein. Bei mehr als drei Milliarden Web-Seiten und einer Verdoppelung alle 18 Monate sei eine Sperrung für einen Zugangsanbieter mit wenigen Angestellten nicht zumutbar. Genau das meint aber die NRW-Bezirksregierung.“

So viele Facetten stecken hier drin, die sich im Jahr 2011 ähnlich darstellen. Da ist einerseits die Haltung von Jörg Tauss, bei dem immer wieder eine Rückkehr ins politische Geschäft durch die Piratenpartei diskutiert wird. Da ist die Frage, ob rechtsradikale Angebote verboten werden sollen – oder ob das nicht kontraproduktiv wäre. Da ist die Frage, ob Provider zum Gehilfen der Politik werden sollen und ob eine technische Sperre überhaupt realistisch ist. Zehn Jahre später sind die meisten dieser Fragen so offen wie 2001.


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