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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

Sein Scheitern verklausulierte Viva-Chef Dieter Gorny in einen schwurbeligen Satz: „Wir müssen die Zukunftsfähigkeit den Marktverhältnissen anpassen.“

Was das bedeutete: Im Mai 2001 schraubte der Musiksender sein Online-Angebot Viva.tv massiv zurück. Das konnte nur überraschen, wer über einen extrem schnellen Online-Zugang und einen High-End-Computer verfügte. Und das waren zu jener Zeit nicht so fürchterlich viele Menschen. Für jene, die damals ihre ersten Surf-Schritte mit 56-k-oder-weniger-Modems machten, wirkte die Seite dagegen wie eine 24/7-Bildstörung.

Acht Monate zuvor war Gorny ob dieses Einwandes im Interview mit Netzwert recht zornig geworden. Hatte behauptet: „So ein Rauschen und Knistern kann doch unheimlich spannend sein.“ Dabei handelte es sich um eine Minderheitenmeinung. Genauer: Eine Meinung die höchstens Gorny und der technische Dienstleister Pixelpark mit seinem Chef Paulus Neef teilten. Das hatte sich dann auch im Mai erledigt mit dem Teilen. Viva.tv wurde abgespeckt – und Pixelpark hatte einen Kunden weniger.

Ja, es war die Zeit der Ernüchterung. Die Zeit, in der aus Ernüchterung Angst wurde. Und Angst war noch nie ein guter Ratgeber.

So fanden Unternehmen, die auf Endverbraucher zielten nur noch mühsam Investoren. Natürlich war der Markt überhitzt. Aber das Internet würde auch nicht weggehen. So wandelte sich die Herangehensweise. Galt es zuvor, möglichst schnell, möglichst viel Geld zu investieren um Interesse zu generieren (in der Hoffnung, aus Interessenten würden Kunden), so achteten die klugen Startups nun auf ihre Kostensituation. Das Wort „Bootstrapping“ war noch nicht erfunden – aber das Vorgehen war en vogue.

Davon handelte damals die Titelgeschichte. In ihr taucht zum Beispiel der Blumenversender Valentins auf. Damals schickte er 300 Sträuße pro Tag in die Republik. Gründer Eich Siekmann sagt, wenn es mit frischem Geld nichts werde, „dann bauen wir unser Angebot eben nicht so stark aus, sondern arbeiten bescheidener“. Es hat geholfen: Valentins existiert noch heute.

Natürlich bekamen die Mitarbeiter die neue Sparsamkeit ebenfalls zu spüren. Aktienoptionen waren für sie ja ohnehin nicht mehr attraktiv, mehr Geld aber bekamen sie auch nicht. Also mussten Titel her. Tolle Titel. Individuelle Titel.

In den USA trieb das lustige Blüten. Bei der Software-Firma Trellix gab es den Vizepräsident für Kundenfreue, bei Zwirl.com wurde aus der Salesperson ein Crusader, beim E-Commerce-Startup IN nannten sich Programmierer Internet Code Krieger. Und manchmal gab es sogar einen Schuss Ehrlichkeit. So wurde aus dem Kommunikationschef von Loudeye der „Sultan of Spin“.

Die sinkende Zahl neuer, marktschreierischer Firmen sorgte dafür, dass Raum für neue Themen blieb. Also neu in Form von: „Huch, da haben wir echt noch nie drüber geschrieben?“. Zum Beispiel Icann. Die Internet-Verwaltungsorganisation tauchte erst jetzt langsam in deutschen Medien auf. Und wie heute gab es schon damals viel Streit. Vorwurf Anno 2001: Icann diene nur den USA als Instrument, um das WWW zu beherrschen. Andererseits war den USA selbst ihr Einfluss mit maximal 50% des Direktoriums, zu klein. Der Verfassungsrechtler Michael Froomkin hielt Icann sogar für nicht konform mit der US-Verfassung. Gleichzeitig mauschelte Verisign hinter dem Rücken eines Großteils des Direktoriums einen Deal mit Icann über die Verteilung der .net-Domains aus. Bis heute aber hält sich die Berichterstattung über die so wichtige Institution Icann in deutsche Medien in Grenzen.

Lesen Sie kommende Woche: Das Wunder namens Zara.


Kommentare


Peter Vesterbacka – der Mighty Eagle der Angry Birds 17. Mai 2011 um 15:15

[…] Jobtitel, das scheint ein Relikt der New Economy zu sein. Vor 10 Jahren waren sie hübsch und hip – aber […]

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