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Wenn man in diesen Tagen mal so richtig schön beschimpft werden möchte, dann muss man nur erwähnen, zu den Zuschauern von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ zu gehören. Im persönlichen Treffen dreht sich mancher angewidert weg, im Netz gibt erschreckte Tweets oder Facebook-Kommentare. Wie man denn so etwas schauen könnte, wird man gefragt. So einen Dreck. Diesen Müll. Grauenhaft.

Auch unter diesem Blog-Artikel werden sich entsprechende Kommentare wohl versammeln, denn ich gebe zu: Ich schaue „Ich bin ein Star…“ – und das gerne und bekennend.

Nicht, weil einer der Camp-Bewohner mir besonders sympathisch ist oder ich mich gerne vor Kakerlaken grusele. Nein, das Dschungelcamp ist eine großartige Messlatte für den Stand der Medien in unserer Gesellschaft. Eigentlich ist es weniger eine Spielshow, denn eine Meta-Medien-Versuchsanordnung.

Denn das Format wäre von fürchterlicher Langweiligkeit, säßen dort im australischen Dschungel ganz normale Menschen. Es funktioniert nur, weil die Camper Personen sind, die ihren Lebensunterhalt mit medialer Wahrnehmung befeuern, wenn nicht gar komplett finanzieren. Weshalb sie auch glauben zu verstehen, wie die Medienwelt funktioniert.

Das ist vielleicht nicht mal ganz falsch. Nur ist ihre Karriere bei der Ankunft im Dschungelcamp eher selten auf einem besonderen Höhenflug – was darauf hindeuten könnte, dass es mit ihrer Medienweltkompetenz nicht so gut bestellt ist, wie sie selbst glauben.

Zum anderen nimmt ihnen die Sendung einen wichtigen Korrekturfaktor ihres öffentlichen Verhaltens: die Medien. Mit einem Mal können sie nur noch mutmaßen, wie die Welt sie sieht. Gleichzeitig aber wissen sie, dass die mediale Beobachtung so intensiv ist wie vielleicht noch nie zuvor in ihrem Leben. Somit gehören Mutmaßungen darüber, wie die Welt sie sieht zu den wichtigsten Gesprächsthemen im Dschungel.

Wir alle aber kennen den Effekt, wenn wir ständig über ein Thema nachdenken und uns ausmalen, was passieren wird: Wir verrennen uns. Genau das passiert auch bei „Ich bin ein Star…“: Die Gedanken der Teilnehmer landen in Sackgassen.

Verstärkt wird dieser Effekt noch durch die Umgebung: Natürlich ist das kein „echtes“ Dschungelleben. Trotzdem aber geht es am Abend nicht in kuschelige Hotelbetten mit Auswahl bei der Kissenhärte. Und wer schon mal in einem Regenwald war der weiß, dass die nächtliche Geräuschkulisse etwas anderes ist als die die Mischung aus gelegentlichem Autorauschen, Straßenbahnklappernd und Besoffenenrufen in Berlin-Mitte.

Über die Jahre und Staffeln hinweg wurde die Sackgassigkeit des Denkens immer schlimmer. Bei der ersten Staffel wusste keiner der Partizipanten, was auf ihn zukommen würde. Nie war der Ekel echter als damals. Staffel für Staffel schwächten sich die Dschungelprüfungen in ihrer Wirkung auf die Geprüften, das Publikum und auch die Medien ab. Gefühlt würde ich auch sagen: Der Anteil der Prüfungen an der Sendezeit hat abgenommen.

Viel spannender ist inzwischen das Miteinander der Teilnehmer. Fast jeder legt sich vor der Sendung eine Rolle zurecht. Die Frage ist: Kann er sie durchhalten? Und ebenso spannend: Wie werden diese Rollen miteinander kollidieren? In diesem Jahr führten Wunschverhalten und Grübelei über die Außenwahrnehmung zu einem Spektakel, das in die deutsche Medienhistorie eingehen dürfte. Wie Jay Khan versuchte, eine Liebesgeschichte zu inszenieren, wie sein Verhalten sich veränderte, nachdem Sarah Knappik dies öffentlich machte – das wird Verhaltenspsychologen und Medientheoretiker noch einigen Stoff liefern.

Nun klingt das kühl und berechnend. Tatsächlich aber ist vieles natürlich auch tragisch. Denn die meisten der Stars sind verglühte Meteoriten. Menschen, die sich im realen Leben verlaufen haben, sie haben Schulden, teilweise bis zum Anschlag. Sie wissen das – und geben es auch zu. Ab der 3. Staffel von „Ich bin ein Star…“ gab es immer mehr Referenzen zu diesem Zustand, heute ist das Dschungelcamp so eine Art Unanonyme Pleitoholiker-Gruppe: Wer dort mitmacht gibt öffentlich zu, dass er Geld braucht.

Auch das ist eine Anpassung an die Medienrealität: Heute wissen nicht nur die Zuschauer, dass dies die Hauptmotivation bei der Teilnahme ist. Nein, die Teilnehmer selbst wissen, dass die Zuschauer es wissen – also lassen sich auch Witze darüber machen.

Und wo ist das Mitleid? Schließlich haben sich hier einige tatsächlich verrannt in einer Welt, in der der schöne Schein die einzige Selbstbestätigung ist. Nun ruinieren sie sich womöglich ihre Karrieren.

Stimmt. Andererseits: Ihre Lebenswege sind schon mehr oder weniger ruiniert. Der Dschungel könnte eine Chance sein, wieder nach oben zu kommen. So mutiert „Ich bin ein Star…“ zum Va-Banque-Spiel: Top oder Flop, Aufstieg oder da bleiben, wo man ohnehin schon ist. Deshalb auch sind die mitleidlosen Witze von Sonja Zietlow und Dirk Bach genau das Gegenteil – die Überhöhung zur Witzfigur ist mehr Aufmerksamkeit als viele Kandidaten in den vergangenen Jahren erhielten.

Überhaupt -Witze. Wie RTL mit C-Prominenten und Ekel-Faktor eine eher tiefer gelegte Zuschauerschaft abholt, das ist TV-Standard. Wie aber mit tief ironischer Musikuntermalung und bösen Witzen, die oft nur mit Kenntnis der Nachrichtenlage außerhalb des Dschungels verständlich sind in anderen Zielgruppen gegraben wird – das ist meisterlich. Belohnung: Marktanteile über 50%.

Heute abend nun folgt das Finale. Und egal, wer gewinnt: Die drei Teilnehmer sind wieder so eine Mediengeschichte. Denn jene, die sich am stärksten auf ihre Rollen geworfen haben, sind raus. Kein sexy Unschuldslamm Indira mehr, kein Hetero-Loveboy Jay, kein Ich-bin-die-Ruhe-selbst Rainer. Es passt ins Bild des Dschungelcamps im Laufe der Jahre. In den ersten drei Staffeln wurde das Verhalten der Sieger immer exaltierter. 2009 ein Dämpfer mit Ingrid van Bergen – die Rückkehr zu mehr Authentizität.

Nun sitzen da noch drei Menschen:

Thomas Rupprath, dessen Rolle sich auf die des „Ich will der erste Sportler sein, der hier gewinnt“ beschränkt. Auch wenn er gern von „diesem Format“ spricht – er scheint derjenige zu sein, der am wenigsten über all die medialen Zusammenhänge nachdenkt.

Katy Karrenbauer fiel zu Anfang nur durch ihre Raspelstimme auf. Ihr selbst ist das bewusst: Schon länger rechnet sie mit ihrer Abwahl. Als letztes Mittel inszenierte sie ein Gespräch mit Indira über einen Selbstmordversuch in ihrer Jugend – das aber tat sie zu spät, als dass es noch negative Auswirkungen hätte haben können.

Und Peer Kusmagk. Seit Tagen irrlichtert er als Ausgestoßener durch das Camp. Er ist der, der das Medienspiel nicht mitspielen wollte und deshalb nicht mehr dazugehört. Er ist die Abkehr vom Yellow-Press-Glamour. Und dieses Ausgestoßen-Sein tut ihm weh, seine Tränenkanäle wurden hochdruckgeflutet.

Vielleicht ist auch dies eine Rolle – dann aber hat er sie perfekt gespielt.Gestern Abend fanden sich im deutschsprachigen Twitter-Gebiet nur Menschen, die ihn als Sieger forderten.


Kommentare


Jannis K. 29. Januar 2011 um 11:28

Bist du dir sicher, dass sich die Kandidaten diese Rolle aus ssuchen? Ich denke doch eher, dass RTL diese Rollen bestimmt, in der Auswahl des Materials, das sie zusammen schneidet. Wie man das eben so macht im Reality TV. http://www.youtube.com/watch?v=BBwepkVurCI

Deshalb frage ich mich immer, ob sich die Kandidaten danach noch einmal die gesamte Show anschauen und dann überrascht feststellen, was RTL ihnen da angedichtet hat, bzw. wie sie wahrgenommen wurden.

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klare soup 29. Januar 2011 um 11:33

„Nein, das Dschungelcamp ist eine großartige Messlatte für den Stand der Medie…“…

Nein, das Dschungelcamp ist eine großartige Messlatte für den Stand der Medien in unserer Gesellschaft. Eigentlich ist es weniger eine Spielshow, denn eine Meta-Medien-Versuchsanordnung….

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gargamel 29. Januar 2011 um 12:09

Das Schöne ist, dass RTL deren zurechtgelegten Rollen gnadenlos zunichte macht und die wahren Fratzen hinter den Masken zeigt.

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SvenR 29. Januar 2011 um 12:17

Ich bin auch bekennender Fan, seit ich bei Staffel #1 eher zufällig in der Mitte dazugestoßen bin.

Die Teilnehmer sind allesamt erfahrene »Medianer« und halten sich für absolute Medienprofis. Alle erarbeiten sich damit in kurzer Zeit ein ordentliches Gehalt (man spricht von immerhin € 50.000 für die Teilnahme, man müsste Mal schauen, ob und wie das versteuert wird, da sie Leistung ja unzweifelhaft in Australien erbracht wird).

Alle bekommen eine große mediale Aufmerksamkeit. Danach gieren sie ja auch. Viele haben – auch die, die nicht gewonnen haben – lukrative »Folgeaufträge« bekommen, Schmierenblattinterviews, Schundmagazinbeiträge, Spielshowteilnahmen, Ballermannkarrieren usw. usf.

Die Gewinner sind großteils sehr erfolgreich, sogar der sehr spezielle Ross Anthony.

Mein Mitleid ist daher sehr eingeschränkt. Natürlich leide ich (kurz)mit, wenn sie etwas ekliges essen, schwierige Parcours bewältigen oder im Zickenkrieg etwas abbekommen. Aber die machen das alle freiwillig und mit Hintergedanken.

Dass sie dabei heutzutage eine Rolle spielen, die sie sich vorher Mal eher besser und Mal eher gar nicht durchgedacht haben, finde ich nicht verwerflich. Sie wollen eine Geschichte erzählen. Das will ich auch, wenn ich eine Projekt-Präsentation »performe«.

Beispielsweise Giulia Siegel (schreibt man das so) hat sich ganz furchtbar vergallopiert, Peer Kusmagk wirkt sehr authentisch.

Die Einzige, bei der ich wirklich großes Mitleid verspüre, ist Sarah Dingens. Ihre »Rolle« erinnert mich mehr an eine tatsächliche pathologische Selbst-/Fremdwahrnehmungs-Störung. Ich kenne das von Menschen aus der Schulzeit, von der Ausbildung, Universität und im Arbeitsumfeld. Es ist nichts ungewöhnlich, wenn man es aber tagelang handwerklich perfekt aufbereitet ins Wohnzimmer geliefert bekommt, dann bewegt mich das schon.

Was mich auch für Sarah Dingens hoffen lässt, ist meine Erfahrung, dass selbst die mit den größten Störungen auch nach durchschreiten von echten Kriesen »wieder auf die Füsse gefallen« sind.

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Scribito – Ich erlaube mir zu denken » Post Topic » Klickbefehle … 29. Januar 2011 um 12:41

[…] Ich bin ein Star, der weiß, dass alle wissen, dass er kein Star mehr ist … Eine sehr lesenswerte Analyse von Thomas Knüwer über das Medienspektakel im Dschungel von Australien. „Suppa!“ Doch nicht […]

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micha 29. Januar 2011 um 14:30

Eine prima Beschreibung der Situation und eine Erklaerung warum man eben doch diese moderne Form von Brot und Spiele anschauen sollte.
Selten war aetzender Sarkasmus besser im deutschen Fernsehen zu sehen wie in diesen Folgen.
Ob und wer die Rollen festlegt interresiert doch genau so nur am Rande wie diverse Dschungelpruefungen.
Das Volk will unterhalten werden da es sich langweilt und RTL unterhaelt.
Vom Hartz4ler bis zum Wissenschaftler findet jeder seine Ecke die ihn daran interresiert.
Ich wuerde das als gelungen und erfolgreich bezeichnen wobei mir wirklich egal ist wer nun am Ende gewinnt oder nicht.

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Linkdump vom Mi, 26. Januar 2011 bis So, 30. Januar 2011 Links synapsenschnappsen 30. Januar 2011 um 13:27

[…] Ich bin ein Star, der weiß, dass alle wissen, dass er kein Star mehr ist – (Tags: TV Medien ibes ) […]

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Marcus Cyron 31. Januar 2011 um 11:25

Es ist faszinierend, wie selbst intelligente Menschen diesem Format weitaus mehr andichten wollen, als es wirklich ist: Ekel-TV mit Y bis Z-„Promis“. Da hilft auch keine philosophieren über die Medien, die Entwicklung der Medien, das Abbild, das uns uns selbst oder die Gesellschaft vor Augen führen soll und was sich noch alles als Stift und Tastatur gesogen wird. Das Ganze bleibt menschenverachtendes Fernsehen, das mit denen spielt, die entweder nichts mehr haben, nicht begreifen was sie machen oder eben nur mediengeil sind. Weder sollte es Plattformen dafür geben, noch Menschen so benutzt werden. Es wird einfach nicht besser, egal wie schön man es ich zu reden versucht.

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5 Dinge, die Journalisten vom Dschungelcamp lernen können 3. Februar 2016 um 15:48

[…] ich selbst großer Fan der Show bin, habe ich unter dem Titel “Ich bin ein Star, der weiß, dass alle wissen, dass er kein Star mehr ist, der aber nun so tu… aufgeschrieben. Aufgrund der verschiedenen Meta-Ebenen des Dschungelcamps halte ich es für ein […]

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