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„Junge, Junge, hätt ich Dir nicht zugetraut“, sagte der Chef der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt zu seinem Managing Partner Marcel mit hörbarem Respekt in der Stimme.

Nur ein kleines Zucken von dessen Mundwinkeln lässt erkennen, dass auch Marcel weiß, wie selten solch ernst gemeinte Komplimente aus dem Munde des Chefs rutschen. „Führung?“, fragt er.

„Klar. Los.“

Marcel schiebt seinen Kopf ein eine Aussparung der metallenen Wand vor den beiden. Der Laser, der seine Iris scannt, verleiht seiner Kopfform eine leicht rötliche Aura. Ein warmer Piepton dann öffnet sich die Sicherheitsschleuse.

Vor den beiden liegt ein kahler Gang mit vier Türen.

„Schön geht anders“, moniert der Chef.

„Keine Sorge, unsere Gäste bekommen das ja gar nicht zu sehen. Wir sind jetzt oberhalb ihrer Zell.., äh, Suiten.“ Marcel öffnet die erste Tür. Vor den beiden führt ein Gang aus Lattenrosten erst nach vorne dann nach rechts. Nur von unten dringt Licht herein. Der Chef blickt nach unten in einen von mehreren Räumen, deren Decke aus Glas besteht.

„Können die uns nicht…“

„Sehen?“, vollendet Marcel die Frage. „Nein, Nanotechnologie. Für unsere Gäste ist die Decke himmelblau. Wir aber können sie genau studieren. Dort unten zum Beispiel ist Matthias Döpfner.“

(Foto: Shutterstock)

Tatsächlich. Der Chef erkennt den groß gewachsenen Axel-Springer-CEO. Wie ein Moslem hockt er auf einem Teppich in Form des Apple-Logos. Vor ihm hängt ein überlebensgroßes Foto von Steve Jobs bei der Präsentation des Ipads. Immer wieder verneigt sich Döpfners Haupt bis die Stirn den Teppich berührt. Marcel holt sein Iphone hervor und öffnet eine App: „Ich mal man den Sound an, können wir hier alles über Iphone steuern.“ Schon ist Döpfners Stimme zu hören: „Steve Jobs, Dein Ipad komme, Dein Wille geschehe, wie im Internet so auch in Berlin…“

„Wie lang hält er das durch?“, fragt der Chef.

„Zwei Stunden. Dann darf er wieder zwei Stunden mit der Welt- und der Bild-App spielen.“

„Impressive“, sagt der Chef.

„Das ist noch gar nichts. Sehen Sie hier…“

Marcel ist ein paar Schritte weitergegangen und steht nun über dem nächsten Raum. Unten erblickt der Chef einen übergewichtigen Mann mit silbernem Haar vor einer Töpferscheibe. Kräftig knetet er den Ton zu einem Männchen. Kaum ist er fertig reißt er ihm Kopf und Arme ab und wirft sie in die Ecke. „Hombach?“, fragt der Chef.

„Yep.“

„Aber was macht er da?“

„Er töpfert Männchen. Und die kann er dann restrukturieren. Aber das Loch in der Mitte der Töpferscheibe schiebt immer Ton nach. Oder besser: Das macht Senior Consultant Sabine im Keller. Das Zeug steht symbolisch für das Unternehmen WAZ. So glaubt er, dass nichts wichtiges passiert, wenn er Personal abbaut oder Kosten kürzt.“

„Respekt.“

Marcel tippt auf sein Iphone. Ein Stimmengewirr erfüllt den Raum, während er auf dem Gang ein paar Meter weitergeht. „Darauf sind wir sehr stolz. Dort unten sind die ARD-Intendanten.“

Der Chef sieht sie tatsächlich alle unten sitzen in einer Art Stuhlkreis. Einer der Sitze wird jedoch belegt von Senior Consultant Lars mit merkwürdigen kurzen blonden Haaren und einer Brille. In diesem Moment neigt er sich vor und  sagt: „Und wie haben Sie sich dabei gefühlt“.  Die Intendanten reden durcheinander.

„Talkshow 24/7. Und dass Lars gar nicht Beckmann ist, merken die nicht. Becki fragt ja ohnehin nie nach.“

Der Chef runzelt die Stirn: „24/7. Aber müssen die nicht mal… Essen? Pinkeln? Schlafen?“

„Jaaaa, schon. Aber das Essen kriegen sie mit Tablett zum Platz, die Stühle haben wir aus der Uni-Klinik – da sind Pfannen drunter. Und irgendwann nicken sie halt weg…“

Zustimmendes Nicken des Chefs, während Lars Stimme ertönt: „War das hart für Sie?“

Marcel ist schon wieder weiter, er öffnet die zweite Tür und die beiden sind wieder auf dem Gang. „Die anderen sind im Westflügel“, sagt er.

„Noch mehr?“

„Als sich unser Media Asylum rumsprach haben wahnsinnig viele Chefredakteure, Verleger und Geschäftsführer angerufen. Wollten alle welche unterbringen. Wir mussten direkt erweitern. Wir sind Cash-flow-positiv from day one und spätestens in drei Monaten break-even.“

„Wow.“

„Yep.“ Hinter der Tür wieder ein Gitter-Gang und Licht von unten. Marcel tippt auf sein Iphone und ein Kampfruf erschallt. „LEISTUNGS-SCHUTZ-RECHT-KEINE-PENNIES-LEISTUNGS-SCHUTZ-RECHT-KEINE-PENNIES!“ Untermalt wird dies vom Stampfen von sechs Beinen. Unten marschieren Senior Consultant Alexandra und Junior Consultant Tanja-Anja im Kreis. Doch sie sind nicht allein. Ein schwarzhaariger Anzugträger marschiert mit. Jeder hält aufrecht einen Besenstiel in der Hand, an dessen oberen Ende ein Schild genagelt ist. Auf Alexandras steht: „Google raus aus USA – Winnetou ist wieder da“, auf dem von Tanja-Anja „Kopierpiraten müssen hängen“. Die Parole des Nadelstreifen-Mannes lautet: „Wir sind die vierte Macht!“

„Welte?“, fragt der Chef.

„Welte“, bestätigt Marcel und geht weiter.

Ein besonders bizarres Bild bietet sich dann im größten der Räume. Entgeistert blickt der Chef auf ein stroboskopisches Blitzlichtgewitter. Immer wieder schießen Schilder nach oben, mühsam erkennt der Chef, dass sie gehalten werden von Sekretärin Polia und Praktikantin Julia. Eines der Schilder zeigt ein Tagesschau-Logo, ein anderes ein Iphone mit der Tagesschau-App, dann wieder folgt ein Google-Logo und schließlich ein Portrait von Angela Merkel.

Aus den Lautsprechern tönen kaum als menschlich zu erkennende Töne. Ein Mann in der Mitte des Raumes brüllt wütend „UNGESETZLICH! WEGSPERREN“, als das Tagesschau-Logo erscheint. Bei der „Iphone-App“ fällt er jämmerlich in sich zusammen und schluchzt „Wir werden alle sterben…“, kaum erscheint der Google Schriftzug greift er in einen Eimer mit Tomaten und wirft eine knapp an Julias Kopf vorbei. Erst jetzt sieht der Chef, dass der Mann an einen Pflock in der Zimmermitte gekettet ist. Als die Kanzlerin erscheint kniet der Mann nieder, breitet die Arme aus und ruft flehend: „Gebt uns ein Leistungsschutzrecht, wir sind Eure treuen Vasallen!“

„Wer ist das?“

Marcel atmet gespielt betroffen durch. „Schwerer Fall. Dietmar Wolff. Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Zeitungsverleger BDZV.“

Der Chef nickt. „Eines musst Du mir noch erklären. Wir heilen die doch nicht, oder?“

„Ist nicht das Ziel. Deren Verleger und Chefs schicken die hin unter dem Vorwand, dass sei ein Bootcamp für die digitale Welt. Tatsächlich aber geht’s nur um eins.“

„Und um was?“

„Die aus den Büros rauszuhalten. Damit’s nicht noch schlimmer wird.“

Alle Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt lesen Sie hier.


Kommentare


berti 23. Dezember 2010 um 22:46

Köstlich, Thomas, das solltest Du zum Buch ausbauen. Die
Idee mit den Klostühlen werd ich unserer Onlineredaktion
vorschlagen, dann fällt der Übergang ins Altenheim auch
einfacher.

Antworten

Filmriss 24. Dezember 2010 um 3:49

aaargh, bitte nicht ganz so langatmig, aber zum Schmunzeln
schön 😉

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