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Es ist erstaunlich, wie wenig Wirbel Facebook gestern ausgelöst hat. Sicher, es gab einige Blogs, die über die Änderungen beim Marktführer unter den Social Networks berichtet haben. Doch insgesamt war in digitalen wie non-digitalen Medien erstaunlich wenig los.

Dabei ist die Einführung der neuen „Gefällt mir“-Funktion mehr als ein hübsches Funktiönchen:

facebook logo kleinSie ist der Versuch, Facebook zum Internet-Standard zu erheben, auf Augenhöhe mit Google – und in Konfrontation mit Google News.

Sie könnte eine gewaltige Änderung für Anbieter von Inhalten bedeuten.

Sie ist eine Marketing-Chance.

Und sie ist ein Pokerspiel von Mark Zuckerberg – vielleicht gar eine Gefahr für das Überleben von Facebook.

Die für die Nutzer offensichtlichste Änderung ist die Einführung von „Gefällt mir“-Buttons, die sich jede Web-Seite zulegen kann. Wer bei Facebook angemeldet ist, drückt den Knopf – und schon landet der Link in seinem Profil und somit im Nachrichtenfluss seiner Freunde. Das dürften viele praktisch finden: Bisher ist das Weiterreichen von Links ein wenig mühselig.

Für Seitenbetreiber ist die Integration der Funktion reizvoll: Viele von ihnen nutzen zwar schon Social Bookmarks, die wenigsten aber sind wirklich zufrieden damit. Kein Wunder: Die Häufung von Diensten zur Link-Weiterreichung erinnert optisch eher an einen durcheinander gewürfelten Legokasten – unkundige Nutzer dürften eher abgeschreckt werden. Da ist Facebook, vielleicht ergänzt um Twitter, eine saubere Lösung. Sprich: Nachrichtenseiten sollten nicht lange überlegen und gucken und abwägen – sie sollten noch heute das Facebook-Widget einführen.

Somit könnte sich sehr schnell eine neue Link-Kultur bilden. Mit einem Mal erledigen die Nutzer das, was bisher Google News tat – nur eben basierend auf der wahrgenommenen Qualität der Artikel. Setzt Facebook die Sache im eigenen Angebot richtig um, könnten der Newsstream zum persönlichen Nachrichtenfilter werden.

Die Vermischung der Link-Empfehlung mit dem emotionalen Begriff „I like“ ist dabei für Unternehmen spannend. Sie können die Funktion nutzen, wenn sie mehr Inhalte bieten als bisher. Denn die Masse der Verbraucher wird nicht unterscheiden zwischen Nachrichten und der neuen Version eines Eis am Stiel. „Brad und Angelina lassen sich scheiden“ – spannende Nachricht, müssen alle wissen, „Ilike“ drücken. „Magnum jetzt auch als Avocado-Zwiebel-Crunch“ – lecker, mag ich, „ilike“ drücken. Somit befeuert Facebook weiter das noch am Anfang stehende digitale Corporate Publishing: Unternehmen werden künftig viel mehr Inhalte schaffen als nur die Beschreibung eines neuen Produktes.

Auch für die Analyse von Kundeninteressen wird Facebook interessant werden: Denn anscheinend sind die Analysemöglichkeiten erheblich umfangreicher als bei Google Analytics. Das könnte dann auch manches Unternehmen dazu bewegen, seine Werbeaktivitäten auf Facebook selbst auszudehnen.

Der bekannte Investor Ron Conway sieht das ähnlich. Im Interview mit Techcrunch sagt er:

„Social media is here to stay and the social phenomenon that is bringing this about is consumers‘ willingness to share more about themselves, share more about what they’re doing… And this phenomenon is going to create huge commerce opportunities on the web…

Facebook is becoming the web. Everything you need is there.“

Wie bei all dem die Datenschutzfragen aussehen, wage ich noch nicht eindeutig zu beurteilen. Die Verwendung des OAuth-Standards ist für mich zunächst mal ein gutes Zeichen. Netzwertig hat aber schon mal die ersten Kritiker zusammengetragen. T3n hat aber schon mal eine sehr schöne Zusammenfassung für Nutzer veröffentlicht.

Doch genau da liegt die Gefahr für Facebook. Denn einerseits könnte Zuckerbergs Reich an der Simplizität ersticken: Wenn zu viele Nutzer Links auf Links auf Links weiterreichen könnte sich Otto Normalface überfordert fühlen von der Masse an Nachrichten. Da die Zahl der Quellen im Netz noch dazu unüberschaubar ist, könnte es sein, dass Freunde eine wichtige Meldung mal via Spiegel Online, mal via Welt, mal via Netzpolitik verlinken. Und so landet eine Nachricht über 20 Kanäle im Newsstream – und das ist ohne jeden Nährwert. Nachrichten müssen eben Gewichtet werden. Da wo alle das gleiche Gewicht haben, herrscht Durcheinander.

Da könnte der Wunsch nach einer neuen digitalen Heimat entstehen. Und Facebook macht die Tür auf: Künftig ist es einfacher, seine gesamten Daten aus dem Dienst zu ziehen und sie jemand anders anzuvertrauen. Die Facebook-Konkurrenten werden sich alle Mühe geben, dieses Verfahren leicht verständlich zu erklären.

Mark Zuckerberg scheint zu pokern: Wenn er gewinnt, ist Facebook ein echter Web-Standard. Wenn er verliert, ist Facebook das nächste Myspace – ein Social Network, das Management-Fehler ins Aus geschossen haben.


Kommentare


falk 23. April 2010 um 16:14

Like.

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Gerald Hensel 23. April 2010 um 16:16

Ich bemerke auf meinem Blog schon interessante erste Effekte. Komplett unrepräsentative Frühwahrnehmung nach einem Tag Einbau des ‚I like‘ Buttons, den neuen Fanbox und Recommendation Widgets: Facebook zieht an. Deutlich mehr Registrierungen für meine Fanpage, der Button wird benutzt. Dennoch habe ich das Gefühl, dass wir uns jetzt entgültig zumüllen. Wir liken bis der Arzt kommt und wissen kaum noch, was wir noch alles verarbeiten sollen. Einfacher wirds nicht.

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Dierk 23. April 2010 um 17:36

Wenn er verliert, ist Facebook das nächste Myspace – ein Social Network, das Management-Fehler ins Aus geschossen haben.

Hüstel … Es kann doch nicht wahr sein, einem mutigen Chef, der visionäre Entscheidungen trifft, für ein Scheitern ‚Managementfehler‘ vorzuwerfen. Natürlich werde es hinterher wieder alle besser gewusst haben, das macht allerdings noch keinen Managementfehler, für den es doch ein wenig mehr benötigt, z.B. keine Vision. Auch sollte eine Risikoabschätzung im Vorfeld nicht zu einer Pattsituation führen – kann so kommen, aber auch anders -, sondern schon deutliche Zeichen für die Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung. Die sehe ich nicht, auch nicht in diesem Artikel.

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SvenR 23. April 2010 um 18:10

Es fehlt nach wie vor die dislike-Funktion. Außerdem ist »I like« semantisch bei vielen Meldungen/Links einfach unpassend.

Trotzdem ein genialer Schachzug.

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[ thomas matterne | weblog ] 24. April 2010 um 14:14

Das schreiben andere…

+ + + Wie die Kirche Leute zum schweigen bringt + + +
Auch Stefan Niggemeier bloggt über die Vorgehensweise des Bistums Regensburg.

+ + + Facebooks Änderungen: eine Chance für Unternehmen – eine Gefahr für Facebook? + + +
Man könnte fast meinen F…

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Raventhird 24. April 2010 um 20:43

„Dennoch habe ich das Gefühl, dass wir uns jetzt entgültig zumüllen.“

Und genau deswegen, so behaupte ich, wird sich dieser Like-Button nicht in der umfassenden Art durchsetzen, die Facebook gerne hätte. Niemand will all seinen Freunden mitteilen, welche 10 Artikel er jeden Tag liked, zumindest nicht automatisiert über den Facebook-Stream, sondern maximal über seine Delicious-Page oä, auf die der Interessierte selbst zugreift oder per bewusstem Teilen eines Links. Und wer es doch tut, dem hört bald keiner mehr zu, das ist der Der Junge, der Wolf schrie-Effekt. Das lernen die Leute noch, egal, wie schnell das Echtzeitweb wird: Qualität geht auch bei Twitter und Co. vor Quantität.

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Wojciech Kaszuba 28. April 2010 um 13:34

Jetzt muss man auch Kommentare ueber Twitter oder Facebook schreiben koennen. Eine gewichtung ist doch leicht herstellbar. Je mehr Freunde den Artikel moegen steigt somit auch die Chance das ich ihn lesen werde.

Das es unuebersichtlich wird glaub ich allerdings nicht. Ich seh heute ja nur die „like“ aktivitaeten, wenn ein Artikel auch geteilt wird oder sich die betreffende Person in meinem Freundeskreis befindet und ich das Profil anklicke.

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Daumen hoch für Facebooks 30. September 2010 um 10:37

[…] Da fällt es auf, dass keiner der großen Verlage mit dem Facebook-I-Like-Button experimentiert. Als das Social Network ihn präsentiert war meine Meinung: Inhaltelieferanten sollten ihn definitiv testen – für Facebook könnte er ein Risiko werden. […]

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