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Wäre Rishad Tobaccowalla nicht indischstämmig, und wären Inder von Haus aus nicht von eher zurückhaltender Art, vielleicht hätte der CEO von Denuo getobt. Hätte seiner Frustration mit lauten Worten Luft gemacht.

So aber berichtete er während des Monaco Media Forum von Verhandlungen mit Kunden: „Wir reden nicht mehr mit Marketing-Leuten, wir reden mit Mini-Finanzvorständen.“ Und: „Klienten brauchen wieder mehr Eier“ (Hinweis: Er sagte „guts“ und man möge mir bitte eine andere Übersetzung liefern, als diese), „sie müssen endlich wieder Marketing machen.“

Es klang ein wenig verzweifelt

Vieles in Monaco drehte sich um digitale Werbung. Und letztlich sind sich alle einig: Da baut sich ein gewaltiger Damm auf. Mediaagenturen verschieben die Gelder ihrer Kunden nur zögerlich gen Internet, die Kunden selbst wissen nicht recht, was sie tun sollen – denn vielen mangelt es an Digitalkompetenz.

So greifen sie nach dem, was sie kennen: Zahlen. Die Forderung nach Messbarkeit von Online-Kampagnen ist so stark, dass Dienstleister Zahlenfluten liefern, die selbst Experten überfordern. „Das übersteigt meine Fähigkeiten“, gab Monaco-Media-Forum-Moderator Spencer Reiss, Redakteur bei „Wired“ zu, nachdem Razorfish sein Terminal-One-Statistikplattform vorgestellt hatte. Er war nicht der einzige.

Dabei ignorieren fast alle, dass jene Reichweitenmessungen klassischer Medien, die nun den Maßstab für das Digitale bilden, in weiten Teilen elegante Lügen sind. Da werden Zeitungen und Zeitschriften von drei, vier, fünf Leuten gelesen – im Durchschnitt. Glaubt das wirklich jemand? Die Quotenmessung im Radio beruht auf höchst wackeligen Methoden. Und das Fernsehen erzielt angebliche Genauigkeit nur ab einer gewissen Zuschauermenge – und unter dem Vorbehalt, dass tatsächlich jeder, der an der Quotenmessung teilnimmt sein Verhalten genau protokolliert.

Theoretisch ist das Online-Nutzerverhalten weitaus besser messbar. Und deshalb kommen oft geringere Zahlen heraus. Erst recht, wenn es um Werbung geht: Denn die hat technisch den Sprung ins Digitale bisher nur unzureichend nachvollzogen.

„Werbung hat sich in den vergangenen Jahren nicht verändert“, kritisierte bei einer der Startup-Präsentationen in Monaco das Gründerteam von Permuto. Wie auch Dappr will Permuto Anzeigen interessanter machen. Zum einen durch Interaktion, zum anderen durch eine Orientierung an Interessen statt an soziodemographischen Daten, ähnlich wie dies Google mit Adsense tut.. Gerade zweiteres biete Potenzial, meint Permuto: 75 % aller Google-Kunden seien Online-Händler. Die klassische Wirtschaft sei also bei dieser Art von Werbung noch nicht an Bord.

Schon weiter träumen jene, die sich den Online-Videos verschrieben haben. Hier lassen sich zwar höhere Preise erzielen als mit Bannerwerbung – doch reicht es noch längst nicht, um hochwertige Formate zu refinanzieren.

Zwei Entwicklungen sollen das ändern. Zum einen eine dramatisch bessere Bildqualität. Noch während der Tage in Monaco kündigte Youtube an, seine Bildqualität hochzufahren. Und Akamai-CEO Paul Sagan präsentierte auf dem Media Forum eine Demonstration echter HD-Qualität aus dem Netz – beeindruckend. Je besser die Bilder, desto länger die Verweildauer, glaubt Sagan: „Darin liegt die Monetarisierungschance.“

Nicht, dass Video jetzt ungenutzt bliebe. Sagen präsentierte interessante Zahlen einer Nielsen-Studie: Heute nutzten 700 Millionen Menschen Online-Videos, durchschnittlich betrachte jeder von ihnen 77 Filme pro Monat mit einer Durchschnittslänge von drei Minuten.

Und die sollen bald noch einfacher mit Werbung zu versehen sein. Das höchst spannende Startup Ooyala hat sich auf die Fahnen geschrieben, Adsense-artige Videowerbung zu ermöglichen, die Videoproduzenten mit ein paar Klicks auf ihre Werke ziehen können.

Vielleicht sind es dann solch einfache Methoden, die Werbekunden in das digitale Zeitalter führen – damit Rishad Tobaccowalla künftig wieder mit Marketingleuten reden kann und nicht mit Zahlenklaubern.


Kommentare


Usul 16. November 2009 um 21:21

Guts -> Mumm (oder auch Schneid, passt hier aber nicht so gut, finde ich). Mit Mumm ist es zwar keine Körperteil-Metapher mehr, passt aber glaub ganz gut von der „Schärfe“ der Formulierung her.

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Nzyan 17. November 2009 um 10:52

> man möge mir bitte eine andere Übersetzung liefern, als diese
‚Tschuldigung – „Arsch in der Hose“?

Nyzan

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mark793 17. November 2009 um 23:04

Dabei ignorieren fast alle, dass jene Reichweitenmessungen klassischer Medien, die nun den Maßstab für das Digitale bilden, in weiten Teilen elegante Lügen sind.

Zu dieser Aufassung kann wohl nur kommen, wer nie ernsthaft versucht hat, mit Agenturleuten über die beschränkte Aussagekraft und Vergleichbarkeit dieser Reichweitenzahlen zu diskutieren. Die jeweiligen methodischen Schwächen der Print-Mediaanalyse, Radio-MA und GfK-Einschaltquoten sind doch kein Staatsgeheimnis, sondern gängiger Smalltalk.

Und dabei lügen sich die Onliner doch kaum weniger in die Tasche. Zu lange hat man sich auf die scheinbare Objektivität von Klickraten, Logfiles und dem ganzen anderen Nerdkram verlassen, der aber nichts darüber aussagt, wer da vorm Monitor sitzt und klickt. Und gehnse mir weg mit Targeting und den ganzen vermeintlichen Wunderwaffen der Webwerbewelt. Da klaffen Anspruch und Wirklichkeit zum Teil auch noch sehr weit auseinander.

Zu guter Letzt: Daran rumzukritteln, dass Planer nun mal Zahlen wollen (und auch brauchen, um ihre Empfehlungen und Belegungsentscheidungen gegenüber den Werbekunden (und manchmal auch noch zwischengeschalteten Auditoren) gegenüber nachvollziehbar begründen zu können, zeugt nicht eben von großer Sachkenntnis auf diesem Gebiet. Die Agenturleute, mit denen ich spreche, wollen ja allesamt viel mehr Digital machen als bisher, mancher schwadroniert gar von digitaler Markenführung. Aber unterm Strich macht eine digitale Kampagne mit Bewegtbild, die auf allen Plattformen laufen soll, im Moment halt doch noch eine ganze Menge mehr Arbeit (allein schon die verschiedenen Formate und all das) als eine klassische TV-Kampagne. Da sind allmählich auch mal die Online-Vermarkter in der Pflicht, für mehr Standisierung ihrer Angebote zu sorgen. Sonst wird das so schnell nix mit dem binären Basismedium.

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