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Wann immer ich den Begriff höre, ergreift mich ein kalter Schauer des Unverständnisses: „Internet-Community“. Immer wieder fällt er, bei Politikern, Wissenschaftlern, Managern. Und, ja, auch Medien verwenden diesen Anglizismus gerne.

Fast immer, wenn jemand diese Vokabel ausspricht, tut er das auf eine spezielle Art. Es schwingt ein gewisser Ton mit, der signalisiert, dass der Aussprechende nicht Teil dieser „Community“ ist. Und dass er froh ist darüber. Fast verwunderlich, dass dem „Internet-Community“ nicht noch „ominöse“ vorgeschickt wird.

Wer solchen Sprechern zuhört und die Augen schließt, vor dessen Auge erscheint ein Bild dieser „Internet-Community“: Sie trägt wallende Gewänder, spitze Kapuzen und verbrennt gerne Kreuze. Oder Marken. Oder Familienministerinnen. Sie ist ein Geheimbund. Ein verschworenes Clübchen. Dessen Absichten? Undurchschaubar.

Herfried Münkler, Politik-Professor an der Berliner Humboldt-Universität hat diese Geisteshaltung für sich entdeckt und aufgeschrieben für die „Frankfurter Rundschau“: „Das Paralleluniversum des Internets ist… durch einen tiefen Graben – eine ontische Differenz – von der realen Welt getrennt.“

Blicken wir über die ontische Differenz hinweg. Dort, in der Parallelwelt sehen wir 14 Millionen Menschen im StudiVZ-Netzwerk. Durchschnittliche Nutzungsdauer: eine halbe Stunde pro Tag. Das ergibt eine höhere Reichweite als für jeden einzelnen deutschen TV-Sender. Ohnehin, sagt eine jüngst erschienene EU-Studie, ist jeder zweite Deutsche täglich im Web.

Oder Facebook: 250 Millionen Mitglieder weltweit, 3,8 Millionen aus Deutschland. Jeder zweite Chilene ist dort, jeder dritte Kanadier. Sehen Sie, liebe Leser, also ab von Reisen in diese Länder: Sie wären umgeben von Geheimbündlern aus einer Parallelwelt. Überhaupt: Vielleicht sollten Sie gar nicht mehr aus dem Haus gehen. Denn laut den Marktforschern von Nielsen nutzen zwei Drittel aller Menschen mit Online-Zugang Social Networks.

Ist das eine Parallelwelt? Abgeschottet von der Realität? Ein kapuziger Geheimbund? Umstürzler? Natürlich nicht. Jene ominöse „Community“ ist der Großteil der Menschheit, der sich einer fortschrittlichen Technologie bedient, um zu kommuniziert, zu lernen, sich zu informieren und auch um zu kaufen. Wenn das ein Geheimbund ist, dürfte die Weltrevolution nur noch 23 Minuten Minuten entfernt sein. Das ist kein Geheimbund – es ist eine Bevölkerung. Und somit keine Parallelwelt – sondern die schlichte Realität.

Und wer es bewegtbildig mag (gefunden im Blog von Gunnar Bender):


Kommentare


ring2 17. August 2009 um 11:26

Die Internet-Community darf kein rechtsfreier Raum sein!

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Gunnar Bender 17. August 2009 um 11:44

Sehr gut auf den Punkt gebracht. Werde nie vergessen, wie mich der Justitiar des ZDFs vor zehn Jahren auf einem Podium mal als \“Internet-Fuzzi\“ tituliert hat. 😉

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POK 17. August 2009 um 11:54

@ring2
Seit wann ist das Internet ein rechtsfreier Raum?
Straftaten werden auch verfolgt wenn sie über das www verübt werden!
http://www.lawblog.de/index.php/archives/2009/08/02/die-meinungsfreiheit-als-sondermull/

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Peterchen 17. August 2009 um 12:42

Die Internet-Community darf kein schmarrnfreier Raum sein!
@POK: ich glaube, der Einwurf war nicht so gaaanz ernst gemeint.

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Daniel 17. August 2009 um 12:52

Guter Artikel! Ich hab die Argumentation des werten Herrn Münkler jedoch wie folgt verstanden:

Die ominöse/verschwörerische/anarchistisch-kommunistische Internet-Community fordere (Zensur-)Freieit im Netz deshalb ein, weil sie selbst das Netz für ein (rechtsfreies) Parallel-Universum halte.

…was genauso daneben ist, als wenn er selber der Meinung wäre, da existiere dieser ontische Graben, aber just for the record.
Zusammen mit der idée fixe der virtuellen Kapitalisierbarkeit der Bilder vergewaltigter Kinder: Danke für das Ärgernis des Tages!

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Sascha Pallenberg 17. August 2009 um 13:23

Ach ja, da ist es wieder dieses Gefuehl nicht verstanden zu werden.
Das Gefuehl einen gesellschaftlichen Entwicklungssprung voraus zu sein. Halt, bevor ich nun wirklich falsch verstanden werde, es kommt nur auf, wenn ich solchen Ignoranten wie dem Onkel Muenkler zuhoeren muss, dessen Vorname darauf schliessen laesst, dass er mal ro richtig im alten Jahrtausend haengengeblieben ist.

Solange es genug von diesen Experten gibt und diese auch noch in den entsprechenden Positionen sitzen, freue ich mich und das nicht zu knapp. Warum?
Mehr Chancen fuer mich, weniger Konkurrenz und viel mehr Spass, dank solcher Artikel hier!

Wie immer…. genial!

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Wolfgang Thomas 17. August 2009 um 15:12

Die Internet Community sind tatsächlich etwa 42 Mio. Menschen aus Deutschland, d.h. mehr Menschen als bei der anstehenden Wahl CDU/CSU und SPD zusammen wählen werden. Statistisch gesehen sind die Online ziemlich durchschnittlich. Und die schweigende Mehrheit dieser Internet-Nutzer hat mit den wirren Ideen der Pirtaenpartei recht wenig zu tun, sondern nutzt einfach nur das Internet, weil es praktisch ist oder Spaß macht.

Der selbst erteilte Vertretungsanspruch einiger Weniger für die Generation Internet entbehrt jeder Grundlage und ist nicht einmal durch Zahlen gedeckt: die Vierziger (Alter 40-49) führen absolut gesehen in der Nutzer-Statistik, gefolgt von den Dreißigern und dann erst den Zwanzigern.

Da versucht man seit Jahren den Verantwortlichen klar zu machen, das Onliner völlig normale Menschen sind, und dann sowas…

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K.-H. 17. August 2009 um 18:00

Das Internet räumt nur die Möglichkeit ein, sich seiner gelegentlich mehr oder weniger gezielt zu bedienen, besser: der in ihm sich sammelnden Informationen. Das läßt sich natürlich entwickeln, gebrauchen, mißbrauchen, stets jedoch von Individuen (aus denen etwa auch Unternehmen bestehen, die ihrerseits einer individuellen Strafrechtszumessung nicht zugänglich sind ), die allein für ihr Handeln – auch strafrechtlich – verantwortlich sind, weder für`s Suchen noch für`s Finden von etwas, von dem sie nicht wissen, ob es überhaupt existiert. Das bedeutet zwar, das Rechtsstaatlichkeit herrschen sollte vor Arbeitserleichterungen für neugierige und herrschwütige Executivbeamte, die hierzulande bereits angekündigt haben, die Verfassung nicht achten zu wollen, wonach der Bund für internetgeleitete Fahndungserleichterungen nicht zuständig ist, sondern allenfalls die Länder – je für sich, was die Sache erschwert und beabsichtigt ist. Blindwütiger Populismus jedoch treibt manchen Politiker – aus Anlaß der bevorstehenden Wahlen – dazu, das Recht auch mal fahren zu lassen, um Strafe für Alle zu fordern – erstmal. Und dann sehen sie weiter.

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Benedikt 17. August 2009 um 18:53

verwunderlich, dass immernoch Menschen überhaupt das Web mit \“Abgeschottet\“ und \“Parallelwelt\“ assoziieren. Denn selbst die klassischen Medien berichten doch täglich von der Wirkung, welche das Internet auf die Welt hat. Sei es Iran, oder jetzt die Wahlen. Wunder.

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realien 18. August 2009 um 5:53

Die Debatte über die Freiheit des Internets (Netzfreiheit) wurde durch einseitiges Geschäftsinteresse desavouiert und im Gegenzug das IT-Netz allgemein für ein (rechtsfreies) Parallel-Universum erkannt. Es ist Sache eines jeden Staates – für gleiches zivilisiertes Recht für alle – Sorge zu tragen. Erst jetzt haben einige Zeitgenossen sich bevormundet und in ihrer Freiheit eingeschränkt gefühlt, eine uneingeschränkt bessere Lösung angeboten. Warum hat man von diesen Moralisten nichts wahrgenommen, bevor der Staat aktiv wurde?, wollten man etwa einfach alles so weiterlaufen lassen ?

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Martin 18. August 2009 um 8:00

Es ist wirklich, und das arbeitet der Beitrag schön heruas, verwunderlich, mit welcher Distanz viele Politiker und andere noch auf das Internet starren. Aber der Reflex ist klar und altbekannt: All das, was ich nicht verstehe oder womit ich mich nicht beschäftige ist zunächst mal suspekt. Wenn ich dann noch mitbekomme, dass es andere genauso sehen, werde ich in meiner Meinung bestärkt und so setzen sich Floskeln wie \“ominöse Internet-Community\“ fest.

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POK 18. August 2009 um 9:16

@Martin
Dieses Verhalten legen Politiker aber in allen Bereichen des Lebens an den Tag!
Nicht zu Letzt weil viele Medien mit auf den Zug springen. Und dann hat man das Problem das die \“normalen\“ Menschen sich diesen \“Meinungen\“ anschließen.

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peter 18. August 2009 um 10:40

vielleicht findet sich in Berlin ja ein Internet-Experte, der Herrn Münkler ein paar Nachhilfestunden gibt…

Ansonsten soviel zum \“rechtsfreien\“ Raum Internet:

http://www.faz.net/s/RubE2C6E0BCC2F04DD787CDC274993E94C1/Doc~E47D81F6992AF4C60B54C16B222010DA8~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Manchmal habe ich den Eindruck, der \“rechtsfreie\“ Raum ist jetzt schon überreguliert…

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Peter 18. August 2009 um 10:58

Sehr schön auf den Punkt gebracht. Artikel sollte direkt für alle Bundestagsabgeordneten zur Pflichtlektüre werden.

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Steve 18. August 2009 um 11:12

scheiße, ich kann in dem artikel nichts von kapuzenträgern lesen und sehe auch keine kreuz-verbrenner. dafür lese ich, dass sich der fr-autor mit der ontischen differenz beschäftigt und sich der artikel fast zur gänze auf diese differenz bezieht. daran ist nichts auszusetzen. aber das hat knüwer ausgespart. wahrscheinlich, weil er nicht versteht, was eine ontische differenz ist, trotz wiki-nachgucken.
ist aber auch schwierig.

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Jan Söfjer 18. August 2009 um 11:41

In der Tat schreibt Münkler nicht, dass es im Internet eine Parallelwelt gibt, sondern, dass die Verfechter der Freiheit im Netz dieses für eine Parallelwelt hielten.

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moldo 18. August 2009 um 21:32

natürlich hat der Professor nur onaniert, keine Frage. Deshalb hat er auch nix über Kapuzenträger geschrieben, das ist keine gute Wixvorlage 😉

Aber der Herr Knüwer hat das schon richtig übersetzt (ich hab nicht mal in Wikipedia nachgeguckt).

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Rene Glembotzky 22. August 2009 um 0:51

Haha Sascha, bei Frobbel tragen sie wirklich Kapuzen und verbrennen Bücher^^ 🙂

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