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Vielleicht beginnt ja der eine oder andere Verlagsentscheider in old Germany über Weihnachten mal zu grübeln. Ist ja ein wenig Zeit und das Wetter soll nicht so toll werden. Grübeln darüber, wie es die „LA Times“ geschafft hat, die Einnahmen ihres Online-Auftrittes auf die Höhe der gesamten Redaktionskosten zu heben.

Auch weiterhin halte ich diese Tatsache für einen wichtigen Moment in der Zeitungsgeschichte. Wie die – derzeit unter Gläubigerschutz waltende – Zeitung das geschafft hat, hat Chefredakteur Russ Stanton gegenüber Buzzmachine verraten. Es sind lehrreiche Sätze auch für europäische Zeitungshäuser. Der amerikanische Manager an sich neigt zum bulligen Sich-selbst-loben. Da macht „LA Times“-Chef Russ Stanton keine Ausnahme. Mir hat er bisher leider nicht auf meine Mail geantwortet, aber laut Abwesenheitsnotiz ist er bis zum Jahresanfang in Urlaub.

Medienberater, -professor und Blogger Jeff Jarvis aber hat ihn erreicht. Und was Stanton – mal abgesehen von der Betonung der Großartigkeit des eigenen Hauses – erzählt, ist eine simple Anleitung zum Online-Erfolg.

Das Wichtigste: Verlage können nicht erfolgreich sein, wenn sie ihren Mitarbeitern nicht die Möglichkeit bieten, zu lernen. Die Bereitschaft ist bei vielen da – doch von kaum einem Verlag höre ich, dass systematisch an der Fortbildung in Sachen Neue Medien gearbeitet wird.

Bei der „LA Times“ scheint das anders zu sein:
„…we’ve set up a 40-class curriculum on how to expand the skills our staff needs in these key areas. The most popular classes so far are learning the software program for posting to the web, headline writing to improve SEO, how to shoot and edit video, and 360-degree storytelling…“

Wenn es so stimmt – beeindruckend. Ach ja, anscheinend gibt es auch noch einen Redakteur für Innovationen – hab ich auch noch nie zuvor gehört.

Noch etwas finde ich bemerkenswert bei Stantons Äußerungen. Er schreibt einen gehörigen Teil des Erfolgs der Aufwertung der Blogs zu:

„Today, we have more than 40 blogs, all but six of which are produced by our staff…
At last count, about half our newsgathering staff — more than 300 professionals — are contributing to our blogs. In several of our traditional print sections (California, Sports, Books, Health, Travel), the entire staff is participating in that section’s main blog…
Today, our blogs account for 16% of our total monthly page views.“

Womit wir natürlich wieder mal bei der leidigen Diskussion über die traurigen Blog-Versuche deutscher Zeitungen wären. Warum können es die Amerikaner, aber wir nicht? Natürlich gibt es im US-Journalismus die historisch gewachsene Kultur der Kolumnen – in Deutschland dagegen nicht.

Doch die Verwendung von Weblog-Software und die dadurch entstehenden Möglichkeiten bedeuten ja auch nicht, dass nun jeder Redakteur zum Ich-Blogger werden muss. Die Software an sich und die Kultur der Verlinkung ist es, die Blogs für Nachrichtenseiten interessant macht. Denn wer verlinkt, wird auch zurückverlinkt. Und das steigert die Position in Suchmaschinen.

Begriffen haben das deutsche Internet-Seiten noch immer nicht. Nehmen wird das deutlichste Beispiel aus der jüngsten Zeit. Als Angela Merkel und Nicolas Sarkozy jüngst einen Artikel für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ verfassten, meldeten das praktisch alle großen Online-Seiten. Und dann ging es zu wie bei Welt.de:
„Angela Merkel und Nicolas Sarkozy haben in einem gemeinsamen Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ den Stabilitäts- und Wachstumpakts der EU in Frage gestellt.“

Aber glauben Sie jetzt bitte nicht, ich hätte den Link zum „FAZ“-Beitrag vergessen. Nein, dem Leser wird nicht geholfen, ihm wird nicht höflich offeriert, den Original-Beitrag zu lesen. Er wird festgetackert an der eigenen Seite, notfalls mit Ketten auf der Streckbank und wenn er versuchen sollte zu fliehen, so möge er übergossen werden mit heißem Teer und Schimpf und Schande.

Diese kindergartige Haltung bezahlen die News-Seiten mit einer schlechteren Platzierung bei Suchmaschinen, weshalb sie wieder dort Anzeigen schalten müssen.

Und übrigens: Natürlich werden dadurch auch Exklusivgeschichten schneller entwertet. Würden sich die Chefredakteure der großen Angebote auf eine gegenseitige Verlinkung einigen, so würde der investigative Journalismus aufgewertet. Denn dann landeten die Leser bei den Angeboten, die eine Geschichte ausgegraben haben und blieben nicht bei jenen, die sie abgeschrieben haben.

Vielleicht wäre das mal eine schöne Weihnachtsstrafarbeit für alle führenden Köpfe im deutschen Journalismus:
„Schreiben Sie 2009 mal: ,Verlinkung bedeutet Anerkennung bedeutet Förderung von Qualitätsjournalismus.'“

Jene Kultur ist bei Weblogs üblich. Deshalb sind Blogs häufig – relativ zu ihrer Bedeutung – erheblich besser in Suchmaschinen platziert, als die stur dahin treibenden Tanker der Verlage.

Und diese Platzierung wieder ist Gold wert in einer Zeit, da Menschen sich nicht mehr passiv von der Nachrichtenauswahl einer Redaktion berieseln lassen, sondern aktiv auf der Suche nach den Informationen sind, die sie interessieren und in der es möglich ist, sich ohne großen Aufwand eigene Nachrichtenfilter zu erschaffen.


Kommentare


ElMicha 23. Dezember 2008 um 13:03

Sehr gut sein ist Vergangenheit – gefunden werden Zukunft!

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Chat Atkins 23. Dezember 2008 um 14:13

Überdies gibt es doch diese praktische \’Öffne diesen Link in separatem Fenster\‘-Funktion, die den Leser nicht aus dem eigenen Beritt verscheucht, sondern ihn nur an der langen Leine führt und etwas Auslauf gibt.

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Niels 23. Dezember 2008 um 17:48

\“Womit wir natürlich wieder mal bei der leidigen Diskussion über die traurigen Blog-Versuche deutscher Zeitungen wären. Warum können es die Amerikaner, aber wir nicht?\“

Aufs Handelsblatt bezogen fällt die Antwort relativ leicht: Die Macher sind engagiert – die Technik schrottreif. Aber das Thema hatten wir ja schon mal.

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WeltWideWeb 23. Dezember 2008 um 19:26

> Er wird festgetackert an der eigenen Seite,
> notfalls mit Ketten auf der Streckbank und
> wenn er versuchen sollte zu fliehen, so möge
> er übergossen werden mit heißem Teer und
> Schimpf und Schande.\“

Ihnen ist die Rubrik \“Zweite Meinung\“ auf dem Internetangebot der Welt unbekannt?

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