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Gestern, auf dem Zukunfts- und Technologiekongress Picnic in Amsterdam, beschrieb der Medienberater, Ex-„Financial Times“-Journalist und Ex-Blair-Berater Charles Leadbeater die neue Medienwelt wie einen Strand mit Steinen: Bisher lagen dort große Felsen. Die werden nun überschüttet mit kleinen Felsen und haben keine Chance, dort wieder aufzutauchen.

Dieses Bild beschreibt nicht nur die Medienbranche, geht es um Inhalte. Ebenso beschreibt es die aktuelle Situation bei Internet-Geschäftsmodellen. Die Plattform-Frage ist vorerst entschieden. Das nächste Google, Facebook, Myspace oder Iphone ist nicht wirklich in Sicht. Stattdessen entstehen unendlich viele kleine Firmen, die handfeste Probleme lösen.

Dies führt uns zu einem Interview, dass Christian Nienhaus, neben Bodo Hombach neuer Geschäftsführer des „Waz“-Konzerns der „Financial Times Deutschland“ gegeben hat. Und nach dessen Lektüre man ihm zurufen möchte: „Erst kundig machen – dann reden.“ Christian Nienhaus wird es nicht zugeben wollen. Aber natürlich ist das Interview, das er der „FTD“ gegeben hat, auch getrieben vom Machtkampf um die „Waz“-Spitze.

Denn Nienhaus prügelt seinen Arbeitgeber, auf dass sein Blut quer durch Essen spritze. Das Print-Geschäft ist im steten Abschwung begriffen. Mit dieser deutlichen Äußerung bereitet er wohl die anstehende Abbauwelle vor und die gerüchteweise sehr, sehr übel ausfallen wird. Ergebnisse wird es wohl spätestens Anfang kommender Woche geben.

Andererseits besitze die „Waz“ aber im Internet „Nachholbedarf“. Nanu? Da wagt der Konzern als einziger in Deutschland mutige Schritte in Form des Westens und das reicht Nienhaus nicht?

Sicher: Der Westen hat viele Punkte, die kritikwürdig sind. Aus meiner Sicht sind die einzelnen Funktionen nicht vernetzt genug, journalistisch fehlt mir der Schwung. Trotzdem: Das Angebot ist nach meiner Meinung auf einem verdammt guten Weg, hat sogar den Abstand zum Hauptbewerber RP-Online verringert, ohne wie dieser irrsinnigen Meta-Foto-Galerie zu werden.

Nun muss man wissen: Der Westen ist ein Hombach-Projekt und Nienhaus wird nicht auf Dauer Teil einer Doppelspitze sein wollen. Der will Hombach weg haben. Und so gilt es das Vorzeigeprojekt des Opponenten waidwund zu schießen.

Wer aber auf die Jagd gehen will, braucht mehr als eine Steinschleuder. Nienhaus Äußerungen haben das Niveau einer intellektuellen Fletsche aus dem „Yps“-Heft. Denn was will er nun tun? Tja, also, das… jetzt so… weiß er… eigentlich auch nicht.

„Ich weiß nicht genau, wohin das Internet sich entwickelt.“ Na ja, wissen muss er es ja auch nicht. Aber eine Vorstellung? Eine Überzeugung? Nein, gibts auch nicht.

„Im Onlinebereich bohren wir alle noch nach Öl, und bislang ist noch keiner auf die große Ölquelle gestoßen.“ Ersetze „keiner“ mit „kein deutscher Verlag“. Und warum das so ist demonstriert Nienhaus mit seinen weiteren Äußerungen.

„Die Zeiten, in denen man glaubte, im Netz für seine Inhalte Geld verlangen zu können, sind vorbei“, sagt er, zum Beispiel. Stimmt. Und das ist ja der Fehler. Mit Inhalten lässt sich Geld verdienen, wenn sie tatsächlich Wert für den Kunden liefern. Für umgeschriebene Agenturmeldungen aber zahlt niemand. Und es zahlt auch niemand mehrere Euro für einen einzelnen Leitartikel.

Statt sich mit den Realitäten des Internet zu beschäftigen träumen deutsche Verleger lieber vom nächsten Felsen auf dem Strand. So auch Nienhaus: „Diejenigen, die behaupten, es zu wissen, müssten, wenn sie recht behalten, in fünf Jahren alle Milliardäre sein.“ Nein. Müssten sie nicht. Denn die Zeit der Felsen ist vorbeil. Diejenigen, die eine Vorstellung davon haben, wie es mit dem Web weitergeht, werden ordentlich florierende kleine und mittlere Firmen haben, von denen sie wunderbar davon leben können. Und unter ihnen versinken die Felsen, die noch immer davon träumen, den nächsten Felsen aus ihren Lenden zu drücken.

Das alles könnte Nienhaus auch ahnen. Wenn er sich mit dem Internet beschäftigen würde. Doch so ist das halt derzeit in deutschen Verlagen: Niemand beschäftigt sich mit dem Gesamtbild – und niemand fragt sich, warum die meisten Web-Aktivitäten so daneben gegangen sind.

Nachtrag: Gerade erst werde ich dank des Twitter-Feed vom Pottblogger auf einen weiteren „FTD“-Artikel mit gestrigem Datum aufmerksam.

Bei der Tagung des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) hat nämlich Gavin O’Reilly, Präsident des Weltverbands der Zeitungen (WAN) eine Beruhigungspille verabreicht. Zeitungen ginge es doch prima, Online-Leser würden nicht weniger Zeitung lesen als früher. Nun gibt es bekanntlich nicht „den“ Online-Leser und mein Verdacht ist, dass der eine Teil dieser Masse gar keine Zeitungen liest und der andere, weit kleinere zu den ganz heftigen Mediennutzern gehört. O’Reilly gelangt dadurch zu einer Weltsicht, die bemerkenswert ist:

„Gefährlich sei vielmehr die wachsende Zahl der Gratisblätter, warnte der Verbandschef. So entfallen etwa 23 Prozent der europäischen Zeitungsauflagen nach WAN-Angaben auf Kostenlostitel.“

Ja, sicher. Der gigantische deutschen Gratiszeitungsmarkt ist schuld an den sinkenden Einnahmen der Verlage und dem drastischen Leserschwund. Mal abgesehen davon, dass ich sicher bin, Leser würden für eine Zeitung zahlen, die qualitativ besser ist als das Kostenlos-Blatt.

Ach, da ist es doch erfrischend, wenn Sven Gösmann, Chefredakteur der „Rheinischen Post“ unter laut „FTD“ „großem Beifall“ sagt:
„Wir haben zu viele schlechte Zeitungen… Die Leser haben häufig nicht mehr das Gefühl, dass wir ihre Zeitung sind.“

Als in Düsseldorf wohnender darf ich sagen: Der Mann weiß wirklich wovon er redet. Schade, dass er es nicht im eigenen Haus ändert.


Kommentare


Frontbumpersticker 25. September 2008 um 19:00

Bei den Österreichischen Medientagen hat Nienhaus es passend formuliert:

\“Man muss zugeben, dass wir Printleute ein ganz wunderbares Geschäftsmodell für Print haben, aber noch keine Idee, wie wir dieses Modell eins zu eins aufs Internet übertragen.\“

[http://derstandard.at/?url=/?id=1220459110344)

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ralf schwartz, mediaclinique 25. September 2008 um 20:37

\“Niemand beschäftigt sich mit dem Gesamtbild – und niemand fragt sich, warum die meisten Web-Aktivitäten so daneben gegangen sind.\“

Und da es in den Verlagen selbst niemand tut, müssen wir es eben tun!
Wir wollen nur Erste Hilfe leisten, dort wo es noch nicht zu spät ist und man sich noch nicht auf der Intensivstation häuslich eingerichtet hat – ohne es selbst zu merken.

\“Die 6 Dimensionen des Qualitätsjournalismus!\“ hier: http://ralfschwartz.typepad.com/mc/2008/09/6dimensions.html
(Blogger und der durchschnittliche Journalist haben noch eine Menge zu lernen, ehe sie wahrhaft und nachhaltig erfolgreich sein werden.)

\“Verlage brauchen mutige Macher!\“ hier: http://ralfschwartz.typepad.com/mc/2008/09/verlagsmut.html
(Rückgrat braucht der Manager und Rückhalt der Journalist. Mehr denn je sind mutige Konzepte und Entscheidungen gefragt, um die in die Zukunft stolpernden Verlage zurück zum Qualitätsjournalismus zu bewegen. Der 7-fache Weg.)

\“Qualitäts-Rätsel Financial Times oder \’Wer findet den Artikel?\‘ \“ hier: http://ralfschwartz.typepad.com/mc/2008/09/financial-times.html
(Immer öfter frage ich mich nach dem Click auf eine interessante Überschrift in einem Feed: \’Wo nur – innerhalb lauter Redundanz und Click-Gier – ist der entsprechende Artikel?\‘)

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Nicolas 26. September 2008 um 0:34

Schade, dass Sie bei der Holtzbrinck-Gruppe tätig sind, Herr Knüwer, sonst könnten Sie ja viel mehr ausholen. Stichwort Tagesspiegel-Online oder StudiVZ oder pointoo, oder, oder, oder…

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Falk Madeja 26. September 2008 um 3:13

Der Punkt ist, dass die Gratis-Tageszeitungen überall in Europa ein Publikum finden, das zu einem grossen Teil sehr jung ist und eben viel im Internet ist. Zwei Gratis-Medien. Nienhaus hat sich bei ASV natürlich mit allerlei Abwehr-Projekten befasst, die einem Markteintritt von Metro zuvorkommen sollen. Und bei der WAZ dürfte es auch allerlei Stäbe geben, die sich damit beschäftigt haben. Für Deutschland sind die Gratis-Zeitungen wahrscheinlich gar kein Thema mehr… Mit \“Der Westen\“ hat die WAZ wenigstens ein Projekt, aus dem man lernen kann.

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Thomas Knüwer 26. September 2008 um 10:12

Es gibt einen ganz profanen Grund, warum Gratis-Zeitungen in Deutschland nicht Fuß fassen: Sie sind hier extrem schwer wirtschaftlich zu betreiben. Deutschland vereinigt sein Wirtschafts-, Finanz- und Polit-Zentrum nicht in einer Stadt. Somit fehlt der erste Anlaufpunkt für ein Gratis-Projekt. Gleichzeitig unterscheiden sich die Pendler-Ströme (und die sind Zielgruppe Nummer eines) maßgeblich von Städten wie London: Statt von außen nach innen verlaufen sie, z.B. in Berlin, quer durch die Stadt. Die Logistik wird somit erheblich teurer.

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Ugugu 26. September 2008 um 10:21

@Falk Madeja: Du irrst dich doppelt und dreifach: Wenn sich Verlage überhaupt noch bewegen, dann in die Richtung, in der sie den Werbemarkt vermuten. Publizistische Konzepte (falls die überhaupt in irgendwelchen verstauben Schubladen existieren) spielen eine untergeordnete Rolle. Zwar halte ich Gratiszeitungen langfristig auch für einen mittelgrossen Luftballon, allerdings, und dazu gibt es durchaus Belege, sind sie (noch) so etwas wie eine der letzten Felsgeburten.

Gratiszeitungleser mit Internetleser gleichzusetzen ist hingegen genau der Esel, dem Leute wie Nienhaus aufsitzen: Erst unter Einsatz minimalster Ressourcen nach Öl bohren, und dann verwundert feststellen, dass schlechtes Drillgerät höchstens für kurze Zeit Öl sprudeln lässt.

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Uwe 26. September 2008 um 13:02

Kritische und gute Gedanken, Thomas. Holtzbrinck und Burda sind aus meiner Sicht momentan die einzigen deutschen Verlage, die den richtigen Weg gehen. Sie investieren in viele verschiedene Internet-Startups, die zum Teil auch außerhalb des Kerngeschäfts Medien/Information agieren. Die klassische Schlacht um Mediaerlöse haben Zeitungen längst verloren, die Refinanzierungsmodelle für hochwertigen Content funktionieren nicht mehr. Autos kauft man bei AutoScout.de, Partnerschaften findet man bei Parship.de, Jobs bei Monster.de und Kleinkram bei ebay.de. Wozu also noch Kleinanzeigen in Zeitungen? Die großen Mediaspender werden mittelfristig die Budgets ebenfalls an die Mediennutzung anpassen, auch hier sind Print und TV die Verlierer.

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ralf schwartz, mediaclinique 26. September 2008 um 13:38

\“Die klassische Schlacht um Mediaerlöse haben Zeitungen längst verloren,…\“
> weil sie immer noch nicht aufgewacht sind!

\“… die Refinanzierungsmodelle für hochwertigen Content funktionieren nicht mehr.\“
> wenn jeder so denken würde, wären weder Rad noch iPhone auf dem Markt und erfolgreich!

Neue Perspektiven, Horizonterweiterung, Mustererkennung und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle gehören schon zum Geschäft.

Betriebsblindheit mit anschließender Hyperaktivität bringt einen allerdings nicht weiter – auch nicht im Verlag.

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Jens 28. September 2008 um 13:42

Ich versuche mal einen manuellen Trackback:
http://www.pottblog.de/2008/09/28/stellenabbau-bei-der-waz-mediengruppe-waz-gibts-neues/

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TutNichtsZurSache.com 28. September 2008 um 23:07

Eine vom Thema abweichende Frage, Herr Knüwer:

Warum lassen Sie eigentlich immer die Genitiv Kasusmarkierung -s beim Wort \“Internet\“ weg? Ist das Düsseldoofer-Slang?

Sie als Journalist sollen es eigentlich besser wissen. Traurig.

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Falk Madeja 29. September 2008 um 21:27

Lieber Herr Knüwer,

nee, Gratis-Zeitungen sind in Deutschland nicht existent, weil nicht \“extrem wirtschaftlich zu betreiben\“ sind. Sie sind in ihrer Organisations-Struktur (Vertrieb, Personal) fast jeder traditionellen Zeitung überlegen. Sagen wir mal, Ihre Worte sind so nicht korrekt. Gratis-Zeitungen wurden nur in Berlin mit juristischen Tricks und in Köln (20 Minuten) durch Dumping-Methoden der bestehenden Verlage aus dem Rennen geworfen. In Köln haben sie halt die Anzeigenpreise mit identischen Produkten auf Null gesetzt und dann war 20 Minuten pleite.

Wie heute die Zeitung Dag in Holland, www.taz.de/blogs/meineguete.

Der Vergleich mit London und Berlin ist komplett weltfremd. Stuttgart, Frankfurt, München etc. funktionieren in Sachen Pendler genau wie Stockholm, wo Metro – die Mutter aller Gratis-Zeitungen – herkommt. Metro Niederlande, die ich gegründet habe, funktioniert dagegen wie eine Art Berlin. Es gibt im öffentlichen Verkehr Ringlinien, Radialen und noch was mehr. Ich kann Ihnen versichern, dass Metro Niederlande sowohl bei den Lesern und als auch finanziell ein Riesenerfolg ist.

In Deutschland würde es eine Zentral-Metro mit 24 Lokal-Ausgaben geben – klingt ja wie Bild, oder?

Aber in Deutschland wird es wohl aus rein finanziellen Erwägungen keine Metro-Zeitung geben. Wer riskiert schon 100e Millionen für wage Gewinne? Heute stoppte in Holland also die Tageszeitung \“Dag\“ – und es wurden 20 Millionen Euro verbrannt.

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