Skip to main content

Als ich während der vergangenen Woche auf dem Techcrunch-Kongress in San Francisco war, blieb wenig Zeit zum Lesen. Deshalb landeten einige Artikel in meiner Liste „Guckste in Deutschland durch“.

Darunter war auch Michael Hanfelds Bericht zum Google-Zeitungsarchiv in der „Frankfurter Allgemeinen“. Den hatte ich schon gelesen und ihn auch auf der Faz.net kommentiert. Und obwohl er schon ein paar Tage alt ist, krieg ich mich auch beim zweiten Lesen nicht ein, weshalb noch ein paar Zeilen mehr nötig sind zu einem der unreflektiertesten Stücke, die ich seit langem in der „FAZ“ gelesen habe. Entstünde heute nochmals die Bibliothek von Alexandria – Michael Hanfeld würde sich darüber erzürnen. „Alle Bücher der Welt – kostenfrei – für jedermann! Unglaublich! Ausbeutung der Autoren! Der Verlage! Niedergang der Kultur!“, würde er vermutlich krakelen.

Zumindest darf man so sein Stück über das Google-Zeitungsarchiv werten.

Um genau zu begreifen, was Hanfeld da angreift, ist ein Blick auf die aktuelle Situation nötig. Zunächst: Es gibt einen gewissen Bedarf an historischen Zeitungsartikeln, gar eine gewisse Nachfrage, diese Artikel in ihrer historischen Optik zu sehen. Da sind einerseits Wissenschaftler, andererseits Journalisten, aber auch Hobby-Historiker bis hin zu Menschen, die Freunden die Zeitung von deren Geburtstag überreichen möchten.

Die Verlage bedienen diese Nachfrage praktisch nicht. Weite Teile des historischen Archivs sind digital nicht vorhanden. Sind sie digitalisiert, so meist nur die Texte, nicht aber die Optik. Es geht noch schlimmer: Bei vielen Blättern existieren nur noch extrem wenige, im Extremfall nur jeweils ein Exemplar alter Ausgaben. Wenn es brennt oder ein Wasserrohr bricht, bleibt nur die Hoffnung, das in Bibliotheken ebenfalls noch Archive exisiteren – oder jemand rechtzeitig alte Zeitungen als Mikrofilm hat abfotografieren lassen. Diese Mikrofilme zu betrachten wird dann schon schwierig, meist sind die entsprechenden Maschinen längst abgebaut.

Auch haben Zeitungen nie begriffen, dass ihre Preissetzung für Online-Archive deren Erfolg verhindert. Mehrere Euro für einen Artikel, den man vorher nicht ansehen kann? Zahlt keiner. Spätestens mit Itunes hätte die Erkenntnis kommen müssen: Preissenkung kann mehr Umsatz bringen. 20 oder 30 Cent für eine Reportage – das nimmt man schon mal mit. Im Gegenzug hätte der Preis für extrem hochwertige Inhalte aus Fachmagazinen ruhig höher gesetzt werden können – dort besteht eine größere Zahlungsbereitschaft.

All das haben die Verlage nicht erkannt, weshalb historische Ausgaben nicht erhältlich sind. Oder höchstens als teurer „Rechercheauftrag“. Ohnehin aber ist es nie gelungen, die alten Blätter online durchsuchbar zu machen – da mangelte es an Technologie.

Die Verlage also verdienen nichts mit ihren alten Ausgaben. Nun kommt Google und nimmt ihnen die Arbeit ab, lässt sie gar mitverdienen. Das ist keine gemeinnützige Wohltat – aber eine interessante Dienstleistung. Und es soll niemand erzählen, derzeit kämpften Zeitungshäuser nicht um jeden Cent.

Michael Hanfeld sieht das anders. Google, das Unternehmen also, das alte Zeitungen endlich ubiquitär macht, ist für ihn ein „Monopolist des Weltwissens und der Bewusstseinsindustrie“ der die „Urheber all der Zeitungsartikel, von denen das Nachrichtenportal ‚Google News‘ lebt… künftig nicht nur aktuell enteignet, alles, was sie und ihre beruflichen Vorväter jemals zu Papier gebracht haben, verschwindet unter dem Dach des ,Google News Archive'“.

Eine bemerkenswerte Demagogik. Weil Google die Artikel erhältlich macht, verschwinden sie. Weil jeder Zugang hat, entsteht ein Monopol. Und die Erde ist in Frankfurt eine Scheibe.

Lustig auch Hanfelds Wahrnehmung von Googles Adsense-Werbung. Mit der würden Nutzer dann „beschossen“, schreibt er. Wie sieht der Kollege wohl die Anzeigenkunden der „FAZ“? Schließlich belegen die in der Optik der Zeitung weit größeren Raum, als Adsense-Anzeigen auf dem Monitor. Würde er von „Streubombardement“ schreiben? „Flächenbrand“? „Killervirus“?

Hanfeld schreibt am Ende:

„Für all diejenigen, die ihr versammeltes Wissen – aktuell, im Archiv, auf Papier und online – selbst bewahren, weitergeben und darauf ihre wirtschaftliche Existenz aufbauen wollen, ist das der nächste Schlag der Raubkopierer, die mit der Digitalisierung der Bibliotheken dieser Welt schon weit fortgeschritten sind.“

Das Online-Archiv der „FAZ“ beginnt im Jahr 1993. Wer ältere Ausgaben haben möchte, muss einen Rechercheantrag stellen. Wie teuer der ist, konnte ich nicht in Erfahrung bringen: Solche Aufträge werden telefonisch nur zwischen 10 und 12 Uhr angenommen. Wenn Hanfeld also von jenen schreibt, die ihr „versammeltes Wissen“ „weitergeben“ und „darauf ihre wirtschaftliche Existenz aufbauen“, hat er seinen eigenen Arbeitgeber wohl nicht gemeint.

Wäre ich deutscher Verleger oder Verlagsmanager, ich hätte bei Bekanntwerden der Meldung zum Telefon gegriffen. Und bei Google angerufen. Und mich als erster deutscher Testpartner angeboten: Denn wer früh dabei ist, wird den Neugiereffekt der Nutzer mitnehmen und bekommt einen Zeitvorsprung. Selbst eine kleine Lokalzeitung kann so präsent werden – und mehr mit ihren alten Ausgaben verdienen als bisher.


Kommentare


Kinch 15. September 2008 um 17:14

Da steht wirklich, dass sei der nächste Schlag der Raubkopierer? WTF? Ist das schon Paranoia oder einfach nur inhaltsleere Rhetorik?

Antworten

Arnulf 15. September 2008 um 17:59

Wenn Google das Geld, das das Unternehmen mit meinen zehn Jahre alten Artikeln verdient, an mich weitergibt, ist dagegen nichts zu sagen. Wenn sie das Geld in die eigene Tasche stecken (oder mit den Verlagen mauscheln) ist das eine unerlaubte Nutzung – man könnte auch sagen, eine Raubkopie.
Übrigens: Es gibt die Deutsche Nationalbibliothek, die alle in Deutschland erschienenen Bücher, Zeitungen und Zeitschriften jedermann zugänglich macht, ohne die Autoren auszubeuten.

Antworten

Kinch 15. September 2008 um 18:27

Also ich verstehe die Logik dahinter nicht, Arnulf:
Google bietet den Verlagen an kostenlos deren Zeiungsarchive zu digitialisieren und gibt den Verlagen auch noch einen Teil des Geldes den ihre alten (bis dato nicht digitialisierten) Archive auf der Google-Webseite einbringen ab.
Wo findet nun die Raubkopier Seitens Google statt? Bricht Google Nachts in die Archive ein und stielt unter Androhung von körperlicher Gewalt die alten Zeitungen um sie zu kopieren?
Wenn eine unerlaubte Nutzung stattfindet, dann auf Seiten der Verlage, wenn sie nicht das Nutzungsrecht an ihren alten Artikel haben. Ich glaube aber kaum, dass das der Fall ist.

Antworten

niels 15. September 2008 um 18:27

Der Artikel war wirklich bemerkenswert wenig durchdacht. Dabei schreibt Herr Hanfeld sonst durchaus vernünftige Texte m. E.

Antworten

Detlef Borchers 15. September 2008 um 22:05

Hanfelds Ausfall mit den Raubkopierern ist wirklich erstaunlich, grotesk unlogisch und wird FAZlichweise aktuell nur noch von Schirrmachers Hass auf Frank Walter übertroffen. Dennoch ist Ihre Abwertung des Mikrofilms auch zu kritisieren: \“meist sind die entsprechenden Maschinen schon abgebaut\“. Vielleicht fragen Sie mal Zeitungsforscher, wie sie arbeiten…. –Detlef

Antworten

Sanddorn 15. September 2008 um 22:13

1. Eine neue Bibliothek von Alexandria ist im Aufbau.
2. Ich glaube die meisten Journalisten haben sich an den bequemen \“Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!\“ Zustand gewöhnt. Oder um mal G. Orwell zu bemühen „Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit. Und wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft“

Antworten

Stefani 16. September 2008 um 8:39

Danke, danke, danke! Das waren meine Gedanken schon zu der Zusammenfassung bei Turi.

Antworten

Alex 16. September 2008 um 12:19

Zum Thema Zeitungen und Internet bietet sich auch ein Blick auf den aktuellen Doonesbury-Strip. In dieser Woche wird Rick Redfern, der Prototyp des investigativen Journalismus, entlassen, weil seine Zeitung sich derartiges im Zeitalter der Internet-Zeitungen nicht mehr leisten kann.

Wo sehen Sie bei aller Internet-Freude die Zukunft von zeitaufwändigem, tiefer recherchiertem Journalismus, falls die Online-Einnahmen nicht mit den alten Printeinnahmen mithalten?

Antworten

Björn 16. September 2008 um 14:02

\“Wo sehen Sie bei aller Internet-Freude die Zukunft von zeitaufwändigem, tiefer recherchiertem Journalismus, falls die Online-Einnahmen nicht mit den alten Printeinnahmen mithalten?\“

Gegenfrage: Wo siehst du die Zukunft des gut recherchierten Journalismus wenn der Auflagenschwund der Printausgaben weitergeht, man aus dem Internet aber dafür nicht einen einzigen Cent mitnimmt?

Antworten

Thomas Knüwer 16. September 2008 um 15:16

An diesem Thema beiße ich gerade herum. In Kürze gibts meine Meinung dazu hier als Artikel.

Antworten

Ulf J. Froitzheim 16. September 2008 um 15:38

Im Prinzip ist es schon richtig, dass es den Zeitungsverlagen nicht zusteht, alte Ausgaben im Internet zugänglich zu machen, ohne den Autoren ihren Anteil abzugeben. Als Autor ist man es allerdings gewohnt, dass die Verlage einen nicht fragen (auch ich hätte dann für Preise plädiert, die nicht so abschreckend hoch sind, wie man das von Genios & Co. kennt) oder einen wenigstens an den Einnahmen beteiligen.
Nun nimmt nach dem Longtail-Prinzip die Wahrscheinlichkeit, dass ein einzelner Artikel gesucht wird, mit dem Alter zwar rapide ab, in der Summe aber lohnt sich das Ganze durch die Vielzahl alter Sachen, nach denen es Nachfrage gibt: Kleinvieh macht Mist, den im Detail nachzuverfolgen so viel Arbeit machen würde, dass sich eine pauschale (nicht aber ganz kostenlose) Regelung aufdrängt. Eine pragmatische Win-Win-Lösung könnte so aussehen, dass die Verlage und Google mit der VG Wort eine Lösung aushandeln, bei wir Autoren für unser altes Zeug (das Urheberrecht schützt die Werke über den Tod des Autors hinaus für 70 Jahre!) ein bisschen was abbekommen. Warum sollten nur die Verbreiter verdienen und nicht auch die Schöpfer des geistigen Eigentums, ohne die es nichts zu verbreiten gäbe?
Alles, was noch frisch genug ist zur weiteren Vermarktung, wüsste ich gerne vor Schnorrern und Plagiatoren geschützt. Über die Zeitspanne kann man ja reden – ob z.B. ein Zeitungstext nach zwei, drei oder fünf Jahren Allgemeingut werden kann.
Wenn ich schon mal rumspinne: Was spräche dagegen, das Archiv nur für registrierte Zeitungsabonnenten gratis freizuschalten?
Viel problematischer dürften alte dokumentarische Fotos zur Zeitgeschichte sein. Die haben meist einen höheren (Markt-) Wert als Texte. Bei eingescannten Zeitungsseiten incl. Bildern wird das noch Ärger geben.

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*