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Die fein coiffierten dunklen Augenbrauen von Senior Consultant Alexandra scheinen wie Blei in ihrem Gesicht. Sie ziehen die Kopfhaut nach unten und verengen ihre Augen zu Schlitzen. Sicher, es ist schon eine Zeit lang her, seit sie und ihr Kollege Lars auseinander gingen – im Streit. Doch nun ist klar: Da läuft wieder was zwischen ihm und Dauer-Praktikantin Julia. Lange war es nur ein Gerücht, nun werden die beiden Tag für Tag sorgloser. Und selbst Alexandra, sonst abgeschnitten vom Büroklatsch, hat mitbekommen, was Sache ist. „Dieses kleine Flittchen“, grummelt sie beim wiederholten Anblick von Lars Hand, wie sie im Vorbeigehen kaum wahrnehmbar über Julias Schulter huscht. Anscheinend wird es Zeit, der jungen Blondine mit dem endlos langen Haar und dem ebenso unkurzen Studium mal wieder eine Lektion zu erteilen.

Gerade recht kommt da der neue Kunde. Es ist der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft. Der hat ein Problem: Ende des Jahres darf es die herkömmliche Hühnerhaltung mit den engen Käfigen nicht mehr geben.

„Deshalb hat der Verband an einem neuen Modell mitgearbeitet. Heißt Kleingruppenhaltung“, erklärt Alexandra kurz darauf Julia im gläsernen Konferenzraum der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. „Und ich will, dass wir beide an dem Etat arbeiten“, sagt die Senior Consultant und ringt sich ein Lächeln ab, bei dem sich ihre Gesichtsmuskeln wie beim Armdrücken ein Ringen liefern zwischen Abneigungs- und Freundlichkeitsmimik.

Julia bemerkt das nicht: „Das ist ja soooo toll!“, freut sich die blonde Studentin. „Was müssen wir denn machen? Und was ist denn dieses Gruppendings?“

Alexandra legt ein paar Fotos des Verbands auf dem Tisch: „So sieht Kleingruppenhaltung aus“:


(Quelle: IKL)

Julia starrt mit weit aufgerissenen Augen auf die Fotos. Langsam füllen sich ihre Augen mit Tränen, ihre schmalen Finger beginnen zu zittern. „Nein“, schluchzt sie, „das, das kann ich nicht… Die armen Tiere… So wenig Platz… Das geht doch nicht…“

Alexandra lächelt genüsslich – aber nur nach innen. Dann legt sie den Arm um Julias Schulter: „Kindchen, so ist das halt bei uns PR-Leuten. Manchmal müssen wir uns für Dinge engagieren, die uns nicht gefallen. Aber sieh es doch so: Vorher hatten die kleinen Hühnchen noch viel weniger Platz.“

Julia wischt sich die Tränen mit einem Taschentuch ab und nickt tapfer: „Ja, das ist wohl so. Was soll ich tun?“

Einen Moment lang scheint Alexandra zu vereisen. Sie hätte mit mehr Widerstand gerechnet. Aber gut, das kommt schon noch. „Recherchier doch mal zum Thema. Vor allem in Sachen Boden- und Freilufthhaltung.“

Am folgenden Tag, einem Freitag, tippt Julia ihrer Kollegen mit siegesgewissem Lächeln auf die Schulter. „Ich hab was gefunden. Das mit der Kleingruppenhaltung, das ist doch ganz schlecht. Wollen wir nicht was über Freilufthaltung machen?“

Alexandra weiß, dass sie gewonnen hat: „Vielleicht ist das eine gute Idee, Julia. Aber ich bin nachher noch bei einem Kundentermin. Ich glaub, wir müssen das am Wochenende besprechen. Kannst Du Sonntag Nachmittag?“

Julia ist hin- und hergerissen. Einerseits wollte sie den Sonntag kuschelnd mit Lars im Bett verbringen. Andererseits: Hier geht es um die Freiheit geknechteter Kreaturen. Und um eine feste Stelle. Also, vielleicht um eine feste Stelle. Ihr Körper strafft sich, mit fester Stimme antwortet sie: „Wat mutt, dat muss, wie?“ Beide lachen.

Sonntag, Punkt 14 Uhr, öffnet Julia die schwere Tür der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Doch sie bleibt im Türrahmen stehen. Fast dunkel ist es, die Jalousien verhindern Lichteinfall. „Hallo?“, fragt sie mit zittriger Stimme in die Finsternis.

„Hier bin ich“, sagt Alexandra mit leiser Stimme: „Ich hab schon mal alles vorbereitet für eine neue Kreativtechnik, damit wir schneller fertig werden. Geh einfach vorwärts.“

Unsicher macht Julia einen Schritt vorwärts. War das ein Huschen neben ihr? Quatsch – noch einen Schritt.

Dann geht alles zu schnell, um es zu begreifen. Mit einem Mal werden ihre Beine nach oben gerissen, gefangen in einer Schlinge. Markerschütternd schreit sie los, dann gehen die Neonlichter des Großraumbüros an. Julia hängt kopfüber an der Decke, vor ihr steht Alex in einem schwarzen Overall und nimm ein taucherbrillenartiges Ding vom Kopf – „Nachtsichtgerät“, kommentiert die Senior Consultant trocken.

„Was soll das?“, fragt Julia mit zitternder Stimme. „Mach mich los“, setzt sie wenig überzeugend nach.

„Julia, Julia“, sagt Alexandra, während sie die sich langsam um die eigene Achse Kreisende umschleicht wie ein Tiger sein wundes Opfer. „Du musst noch viel lernen. Und das wird heute passieren. Wir arbeiten für einen Kunden. Und Du willst ernsthaft ,was anderes machen‘ als das, was der Kunde sich wünscht? Das geht doch nicht. Ich denke, Du musst die Welt aus einem neuen Blickwinkel kennenlernen. Und dafür ist diese kleine Übung da. Siehst Du schon, wie alles ganz neu wirkt, aus einer anderen Perspektive?“

Julia kommen die Tränen. „Das… Kannst… Du… HIIIIILLLFGRUMPFMMMMMH“, entfährt es der Praktikantin, als Alexandra ihr einen Knebel umbindet. Dann fesselt die Senior Consultant Julias Hände mit Klebeband, setzt ihr einen Kopfhörer der an einen Ipod angeschlossen ist. Ohrenbetäubend laut wummert es in Julias Ohr: „GACKGACKGACKGACK!! Ich bin ein Huuuuuuhhhn! Ich liebe Kleingruppen! Ich bin ein Huhn!!! Ich liebe Kleingruppen! GACKGACKGACK!!!“ Dann wird es dunkel um Julia: Alexandra verbindet ihr die Augen.

Eine endlos scheinende Zeit später wird es wieder hell und still. Alexandra nimmt Julia Kopfhörer und Augenbinde ab und lässt sie nach unten. Alles scheint sich zu drehen. „Nun“, fragt Alex, „was meinst du zu Kleingruppenhaltung von Hühnern?“

Benommen versucht sich Julia zu erheben – und scheitert. „Du verhamme Schlamme…“, murmelt sie. Prompt reißt es sie wieder empor.

„Gut, noch kein Lerneffekt. Aber das wird schon noch“, sagt Alexandra mit zickigem Oberton. Dann landen die Kopfhörer wieder auf Julias Ohren – und es wird dunkel.

Wieder vergeht Zeit, wieviel vermag die Hängende nicht zu sagen. Ihr Geist scheint zu schwinden, in ihrem Hirn tanzen Hühner beglückte Kleingruppentänze und legen goldene Eier in metallene Käfige. Dann – Licht.

Julia sinkt hinab, die Kopfhörer drücken zwar nicht mehr auf ihre Ohrmuscheln, doch ihr Denken ist beherrscht von einer Hühnerkönigin mit Gruppenhaltungsfetisch.

„Nun? Zur Einsicht gekommen?“, hört sie Alexandra aus weiter Ferne. Zitternde erhebt sie sich und setzt sich wie hypnotisiert an ihren Rechnern. Sie fährt ihn hoch, öffnet das Textprogramm und beginnt zu schreiben:

Handel bevormundet Verbraucher beim Eierkauf

Berlin – Eier aus der tiergerechten Kleingruppenhaltung könnten bis zu 30% preiswerter als Eier aus der Bodenhaltung angeboten werden

Durften Verbraucher bisher selbst entscheiden, was sie einkaufen möchten, so ist dies bald vorbei – zumindest, was den Einkauf von Eiern angeht. Denn nach Aussagen von Unternehmen des Lebensmittelhandels beabsichtigen diese keine Eier aus der neuen, tiergerechten Kleingruppenhaltung anzubieten. Hier will man stattdessen verstärkt auf Eier aus der Freiland- und Bodenhaltung setzen. „Wir haben die Entscheidung mit großer Verwunderung zur Kenntnis genommen“, so Dr. Thomas Janning, Geschäftsführer des Zentralverbandes der deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) in Berlin. Der ZDG mit seinem angeschlossenen Bundesverband Deutsches Ei geht aber davon aus, dass im Zuge einer weniger emotionalen und mehr sachlichen Auseinandersetzung Eier aus der Kleingruppenhaltung künftig flächendeckend in Deutschland angeboten werden. „Offensichtlich ist der Handel nicht ausreichend über die Vorzüge und die deutliche Abgrenzung der neuen Kleingruppenhaltung zur herkömmlichen Käfighaltung informiert“, stellt Dr. Janning fest.

Zum Hintergrund: Die Kleingruppenhaltung ist das Ergebnis mehrjähriger internationaler Forschungen und Untersuchungen sowie praktischer Erprobungen unter Berücksichtigung der Aspekte Tierverhalten, Tiergesundheit, Verbraucher- und Umweltschutz sowie Arbeitswirtschaft. Neben der Ökologischen Erzeugung sowie der Freiland- und der Bodenhaltung ist die Kleingruppenhaltung die vierte in Deutschland durch die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung zugelassene Legehennenhaltungsform. Und sie ist zudem die modernste und intensiv wissenschaftlich begleitete Haltungsform. Die Kleingruppenhaltung steht in voller Übereinstimmung mit dem im Grundgesetz verankerten Staatsziel des Tierschutzes.

Interessant ist auch, dass Eier aus der neuen Kleingruppenhaltung bis zu 30% preiswerter als Eier aus der Bodenhaltung angeboten werden könnten. So spricht nicht nur der Aspekt der tiergerechten Erzeugung und die Produktqualität, sondern auch der Preisaspekt für Eier aus der Kleingruppenhaltung. „Wir bedauern sehr, dass Handelsunternehmen Verbraucherinnen und Verbrauchern die Möglichkeit nehmen wollen, sich bewusst für Eier aus der Kleingruppenhaltung zu entscheiden. Wir sehen darin eindeutig eine Bevormundung der Verbraucher“, so Dr. Janning weiter. Zukünftig gilt beim Eierkauf also: Augen auf, denn Eier aus der neuen tiergerechten Kleingruppenhaltung erkennt man an der Packungskennzeichnung „Eier aus Kleingruppenhaltung“ sowie dem Begriff „Kleingruppe“ auf dem Ei. Auch die Herkunft des Eies ist auf der Schale aufgedruckt, DE steht für kontrollierte deutsche Erzeugung.“

Am Montag Nachmittag dann beruft der Chef der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt ein All-Heads-Meeting im gläsernen Konfi ein. Julia fehlt. Der Chef räuspert sich: „Also, ich habe eine traurige Nachricht für Euch. Julia hat einen Fehler begangen, wie ihn viele junge Menschen machen, die unseren Beruf ergreifen. Sie hat sich zu sehr mit unserem Kunden identifiziert. Gestern Nacht ist sie festgenommen worden. Sie hat versucht, eine Geflügelfarm mit Freilandhaltung abzufackeln. Das arme Ding ist in der Klapse zur Beobachtung.“

Die Mitarbeiter schweigen geschockt. Auch Alexandra. Nur ihre Hand legt sich vertrauensvoll auf den Oberschenkel ihres neben ihr sitzenden Kollegen Lars.

(Vielen Dank für den Hinweis an Marc T.)

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied
Backenfutter
Kaiserslautern
Have yourself a merry little christmas
DFB
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Kollerkommunikation
Die Zahl des Monats
Job-TV 24
Valentinstag
Sepp Blatter
Neue Sanftmut
Street Credibility
Nike
James Bond
Rolling Stones
Eröffnungsspiel
Paris Hilton
Bunte Pillen
Sigmar Gabriel
Gastautorin
Jack Bauer
Second Life
Markus Schächter
KPMG
Keine Re-Publica
Biblische Gärten
Der Deutsche Direktmarketing-Verband
Weihnachtsfeier
Winterdepression
BMW
Ruhr hoch n


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