Skip to main content

„Ach und wie lange machen Sie das schon, diesen Job im Call Center?“, säuselt Senior Consultant Lars in den Hörer.
Seine Tischnachbarin Sabine verdreht die Augen.
„Und macht ihnen das Spaß? Was soll das heißen, zur Sache kommen. Haben Sie mich angerufen oder ich sie“, dann grinst er und legt auf.
„Muss das sein?“, fragt Sabine genervt. „Kannst Du nicht einfach diese Call-Center-Tussen abmeiern, wie wir alle?“ Auch die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt hat ihr Sommerloch. Früher war sie zu dieser Zeit auch dünn besetzt, doch seit der letzten Krise hat der Chef durchgedrückt, dass jeder Mitarbeiter nur noch 20 Urlaubstage hat. Und nun ist selbst Ende Juli das Großraumbüro gut gefüllt. Nur Managing Partner Marcel weilt auf Mauritius.

Zu tun ist aber nicht viel. Und deshalb nutzt Lars jeden Anruf von Zeitschriftenwerbern, Lotto-Verkäufern oder Gewinnspielanpreisern, um die Rückschlagstrategie gegen unerwünschte Werbeanrufe auszuprobieren, die er im Internet gefunden hat: Ein Ablaufplan, wie ihn Call Center auch haben, sorgt im besten Fall dafür, dass der Anruf komplett umgedreht wird. Meist allerdings legt der Gesprächspartner auf.

Senior Consultant Sabine aber ist genervt. Weil es schon der dritte Anruf dieser Art heute war.
„An wievielen Gewinnspielen hast Du teilgenommen“, giftet sie ihren Kollegen an.
Lars verdreht die Augen nach oben: „An gar keinem. Hast Du nicht das Wallraff-Stück im Zeit-Magazin gelesen? Diese Behauptung, man hätte die Nummer des Angerufenen durch ein Gewinnspiel ist völliger Humbug.“

In diesem Moment verabschiedet der Chef zwei Anzug tragende Besucher, klopft dem einen noch auf die Schulter und sagt. „Keine Sorge, Simon, machen wir schon. Ist bei uns in guten Händen.“ Kaum hat sich die schwere Tür geschlossen, brüllt der Chef: „Alle in den Konfi ZACKZACK – Agenturmeeting!“

Und dann erfahren auch die Mitarbeiter vom neuen Kunden. Dem Deutschen Direktmarketing Verband, in dem der Chef gut verdrahtet ist. Und dessen Council TeleMedien- und CallCenter-Service will gut Wetter machen für die Call-Center-Branche.
„Wallraff hat denen richtig ins Kontor gehauen“, erklärt der Chef. „Wollen nen positives Image haben. Ganze Kampagne. Vorschläge bis morgen. Alexandra, Lars, Sabine, Julia – Euer Job.“

Bis spät in die Nacht sitzt das zusammengewürfelte Team beisammen im gläsernen Konferenzraum der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Doch begeistern kann es sich nicht für die eigenen Ideen.
Dazu kommen die persönlichen Spannungen zwischen der Senior Consultant Alexandra, ihrer Ex-Affaire Lars und seiner Jetzt-Wieder-Liebe Julia.
„Früher waren Dir unerwünschte Anrufe doch ganz lieb“, giftet Alexandra irgendwann gegen Mitternacht. „Und angeblich hast Du beim telefonieren immer so wenig an – vielleicht ist das ja ein hübsches Motiv.“
Lars errötet.
Julia verlässt hastig den Raum. Durch die geschlossene Tür ist ein Schluchzen zu hören.

Einig ist man sich nur in einem Punkt. Erstmal muss eine Pressemitteilung her, dass es eine Kampagne geben wird. Das zeugt von schneller Reaktion – und stärkt durch Nennung des Namens der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Gleich mal das Image.

Also heißt es am kommenden Morgen:

„Mit einer Kampagne für Call Center reagiert der Deutsche Direktmarketing Verband DDV auf die schädigenden und undifferenzierten Diskussionen in den Medien der vergangenen Monate. Die Kampagne entstand auf Initiative des Councils TeleMedien- und CallCenter-Service im DDV. Unterstützung findet die DDV-Initiative zudem von Kundendialog in Deutschland (KiD).

Dr. Simon Juraschek, Vorsitzender des Councils Telemedien- und CallCenter-Services im DDV: „Die so genannten Enthüllungen von Günter Wallraff, die ja auf unstreitigen Einzelerlebnissen beruhen, haben die gesamte Call-Center-Branche in Deutschland durch ihre pauschale Kritik zu Unrecht in Verruf gebracht. Viele Mitarbeiter fühlen sich mittlerweile als Opfer, die von der Öffentlichkeit denunziert werden. Wir müssen dieser Öffentlichkeit zeigen, was unsere Branche für sie leistet, und welchen Nutzen sie davon hat.““

Doch kaum soll die E-Mail das Haus verlassen geht nichts mehr.
„Oh nein – wir haben kein Internet mehr“, flucht Praktikantin Julia, die für die finale Aussendung verantwortlich ist.
Also muss die bulgarische Sekretärin Polia ran, schließlich ist ihr offizieller Titel „Office Manager“.
„Chich bin in Worteschlaiife von Täläkomm“, informiert sie die Crew.
Zwei Stunden später kommt sie endlich durch.
„IDIO!“, schreit sie dann und wirft den Hörer weg. „Täläkomm-Mann sagt, er chat mich nicht verstandän – uund dann Schluuss!“

Also muss doch Lars dran, weitere zwei Stunden später hat er den Mann vom magentafarbenen Call Center endlich überzeugt, dass die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt zwar über einen anderen Anbieter ins Netz geht, aber die Leitung von der Telekom gemietet hat. Und dass deshalb eine Leitungsprüfung in deren Bereich fällt.

Allein die Bilddatenbanken scheinen nicht zu funktionieren. Nach einer Stunde Warteschleife in deren Call Center ist aber auch dieses Problem behoben.

„Unstreitiges Einzelerlebnis“, brummelt Sabine, während sie Bildmaterial für die erdachten Werbemotive zusammensucht.

Am folgenden Tag dann präsentiert das Team dem Chef die Vorschläge.

„Beginnen wir mit unseren Anzeigenmotiven“, leitet Alexandra ein. Sie drückt einen Knopf und der Beamer wirft ein Bild einer üppigen Blondine an die Wand, die sich auf einem Arbeitsplatz räkelt. Ihre rechte Hand umschmeichelt das glückliche Gesicht eines lächelnden, jungen Mannes mit Headset auf dem Kopf.

Julia springt wütend auf und verlässt den Raum – es ist ihr Gesicht, dass auf den Pamela-Anderson-gleichen Body montiert ist.

„Ich habe hier mal Julias verdrehtes Köpfchen implantiert, weil es eine so sympathische Naivität ausstrahlt und so wunderbar zu dem jungen Herrn passt. Dazu, denken wir, passt wunderbar der Slogan: ,Ohne ihn, geht gar nichts – mein freundlicher Call-Center-Mitarbeiter‘.“

Der Chef nickt zustimmend: „Nicht schlecht. Gekauft. Weiter.“

Das nächste Bild zeigt eine Greisin im Sessel. Neben der einen Lehne steht eine Krücke, auf der anderen sitzt ein junger Mann mit Headset.

„Hier ist unser Claim“, setzt Alexandra gerade an, als das Telefon neben ihr klingelt. Sie geht ran. „Was? Nein, ich will keinen Urlaub am Gardasee gewinnen. Verpiss Dich, Du Call-Center-Hure!“

Sie sammelt sich und fährt fort: „Also hier schreiben wir drunter: ,Mit ihm kann ich immer reden – mein freundlicher Call-Center-Mitarbeiter.‘ Ein ähnliches Motiv können wir mit einem fetten Computer-Freak und einer hübschen Blondine machen.“

„Gutgut“, murmelt der Chef als das Telefon schon wieder klingelt. Diesmal geht er ran: „Ja. Nein. Nein, wir wollen auch kein Abo der ,Stadt-an-deren-Rand-die-kleine-PR-Agentur-liegt-Post'“ Wütend knallt er den Hörer auf: „Weiter!“

Alexandra atmet tief durch. „Unser Meisterstück also“, sagt sie und blendet das Bild eines südamerikanisch wirkenden Tempels ein. Treppen führen hinauf zu einem Thron, auf dem sitzt eine junge Frau mit Headset. Unten, am Fuß des Monuments, knien Menschen aller Alters- und Gewichtsklassen und beten sie an. Darunter steht: „Service, Freundlichkeit, Arbeitsplätze – was keiner schafft, schafft die Call-Center-Fee“.

Das Telefon klingelt. Lars schnappt sich den Hörer. Einen Moment lang schweigt er. Dann brüllt er „DU UNSTREITIGES EINZELERLEBNIS! WENN DU HIER NOCHMAL ANRUFST KOMM ICH RÜBER UND STOPFE DIR DEIN SCHEISS HEADSET IN DIE KEHLE!“

„Giftig. Guter Spirit. Gefällt mir“, sagt der Chef. „War das alles?“

Die anderen nicken.

„Nicht schlecht. Aber warum nutzt ihr nicht vorhandene Ressourcen?“

Das Team schaut ratlos.

„Direkte Ansprache und so. Haben doch Call Center. Wir machen eine Anrufwelle. Klingeln bei Verbrauchern durch. Bei möglichst vielen. Und dann überzeugen die Call-Center sie von den Vorzügen von Call Centern. So machen wirs.“

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied
Backenfutter
Kaiserslautern
Have yourself a merry little christmas
DFB
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Kollerkommunikation
Die Zahl des Monats
Job-TV 24
Valentinstag
Sepp Blatter
Neue Sanftmut
Street Credibility
Nike
James Bond
Rolling Stones
Eröffnungsspiel
Paris Hilton
Bunte Pillen
Sigmar Gabriel
Gastautorin
Jack Bauer
Second Life
Markus Schächter
KPMG
Keine Re-Publica
Biblische Gärten


Keine Kommentare vorhanden


Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*