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Der Kampf um die Rechtfertigung der eigenen Arbeit macht aus vielen Journalisten Boulevardjournalisten – unabhängig davon, wo sie arbeiten. Manch ein deutscher Berufskollege ist schnell zu verwirren. Zum Beispiel der Kollege beim Online-Dienst DE-Internet, der über die Apple-Quartalszahlen schreibt. Der schrieb über die nun offizielle Zahl verkaufter Iphones:

„Die Angaben sorgten für Verwirrung, liegen sie doch deutlich höher als bisherige Aussagen des Telekommunikationskonzerns AT&T, der die Geräte in den USA exklusiv mit seinen Mobilfunkverträgen vertreibt. Das Unternehmen gab kürzlich bekannt, dass binnen der ersten zwei Tage 146.000 iPhones von den Nutzern aktiviert wurden.“

Die Verwirrung scheint sich schnell gelegt zu haben. Sehr schnell. Unmittelbar nach der Verlautbarung stieg der Apple-Kurs im außerbörslichen Handel, derzeit liegt er mehr als fünf Prozent im Plus.

Verwirrung? Doch wohl nur bei einem deutschen Journalisten, der auf Biegen und Brechen eine sensationsheischende Meldung erschaffen will. Die Gründe für die Differenz erklärt der Autor später selbst, jeder der sich schon mal ein paar Minuten mit dem Thema Iphone beschäftigt hat, hätte genau diese Gründe anführen können. Warum also die Mystifizierung von erklärbaren Zahlen?

Schwenken wir zurück auf den vergangenen Mittwoch. In New York explodierte eine Gasleitung. So etwas passiert. Eine Bekannte erzählte mir, sie habe sofort eine Freundin in New York angerufen, die nicht weit von der Unfallstelle entfernt wohnt. Auf die Frage, ob es ihr gut gehe, habe diese geantwortet: „Warum fragst Du?“ Sie hatte Sirenen gehört, doch vor ihrer Tür war alles normal, wie gesagt, nicht weit von der Stelle entfernt, die DPA-Korrespondentin Nada Weigelt so beschrieb:

„„Explosion der Angst“ – Erinnerungen an 11. September kommen hoch

Am Tag danach erinnert nur noch ein Krater an das
Unglück. Wie eine offene Wunde klafft das riesige Loch in der 41. Straße im Herzen von Manhattan zwischen spiegelnden Wolkenkratzern und kleinen Läden. Tags zuvor ist New York an dieser Stelle vom schrecklichsten Augenblick seiner Vergangenheit eingeholt worden.
„Ich dachte sofort an den 11. September. Es war ein déjà vu“, erzählt Barmann Gary Croake (40) Journalisten. „Es war das gleiche Geräusch
wie vor sechs Jahren. Ich dachte, das Gebäude stürzt zusammen.“ Die Explosion einer veralteten Dampfleitung in unmittelbarer Nähe des quirligen Verkehrsknotenpunktes Grand Central Station war Gott sei Dank mit den Terroranschlägen 2001 auf das World Trade Center nicht zu vergleichen.“

Ach, sie war nicht zu vergleichen? Warum vergleicht DPA sie dann mit dem 11. September? Fast schon böse Ironie ist es, wenn zum einzigen Todesfall vermerkt wird:

„Damals starben mehr als 2700 Menschen in den Trümmern. Diesmal kam eine Frau ums Leben – ihr blieb das Herz stehen…“

Ein Text wie eine Satire. Nüchtern zusammengefasst gab es einen Leitungsschaden, einen ordentlichen Feuerwehr- und Polizeieinsatz, verständlicherweise verängstigte Anwohner in unmittelbarer Nähe und eine Frau, die sich zu Tode erschreckte.

DPA schreibt:
„Nach zwei Stunden hatten Polizei und Feuerwehr die Lagewieder im Griff. Keine Terrorattacke, kein krimineller Anschlag.“

Spätestens hier müsste die Meldung enden. Doch das würde eben nicht reichen, um die eigene Arbeit unter dem Kostendruck der modernen Medienwelt zu rechtfertigen. Und deshalb muss im Kampf um Aufmerksamkeit innerhalb der Redaktion mehr her. Verwirrung, eben.

„Gleichwohl zeigt das Unglück, wie tief die New Yorker immer noch von den grauenhaften Erlebnissen beim Zusammenbruch der Zwillingstürme geprägt sind. Zwar wird im Alltag kaum mehr von der traumatischen Erfahrung gesprochen, das Großstadtleben geht bewusst leichtfüßig über das Unfassbare hin. Aber am Mittwoch ist der Albtraum auf einen Schlag wieder da: Wieder diese riesige Rauch- und Dampfwolke, die als Künderin des Unheils über der Stadt schwebt, der seltsame Geruch, der alles einhüllt, Steine und Schlamm, Schreie, Verletzte und gellendes Sirenengeheul. Die Menschen flüchten in Panik, im Laufen halten sie sich Tücher vor’s Gesicht, eine junge Frau
verliert ihre Flip-Flops, ein Büroangestellter lässt in der Eile seine Aktentasche zurück.“

Wohlgemerkt: DPA war im Moment der Explosion nicht vor Ort. Das Katastrophenszenario ist frei abgeschrieben. Und nur ein paar Blocks weiter bleibt alles friedlich. Keine Panikwelle ergreift die Stadt, niemand macht sich auf, zu Fuß über die Brücken Manhatten zu verlassen.

Doch das etwas nicht ist, ist keine Geschichte. Nun sitzt da eine Korrespondent und will ihre Arbeit unterbringen. Sie ruft denjenigen an, der das Tagesgeschäft koordiniert. Und dem muss sie die Story verkaufen. Das Wort „verkaufen“ beherbergt schon die Falle. Es ist kein Themenabonnement mit der Sicherheit, dass der Text abgenommen wird. Es geht um das Verkaufen. Niemand hat das besser raus als der Boulevard.

Und deshalb mutieren viele Berufskollegen zu Boulevardjournalisten. Sie wollen verkaufen und dabei geht es nur noch mit Einschränkung darum, ob es eine gute Geschichte ist und eine wahre.

So mancher verkauft dabei noch etwas – seinen Berufsethos.


Kommentare


Stefan 26. Juli 2007 um 16:56

Danke fürs Nachforschen. Meinereiner hat die ganze Story von der Dampfexplosion ohne große Kritikgedanken geschluckt (allerdings interessiert mich das auh nur am Rande).

Hätte ich mir eigentlich denken können, dass die New Yorker so schnell nichts aus der Bahn wirft…

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verschwender 26. Juli 2007 um 17:31

Aus diesem Grunde lese ich nur noch Bild, da weiß ich, dass ich verarscht werde;-)

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Myrkel Ohh 26. Juli 2007 um 19:58

Erschreckend, dass sogar die DPA, die vielleicht nicht grade vor Seriösität und Objektivität platzt aber dennoch nen hauch davon vermittelt, ihre Berichte so
in die tiefen des bouvardsjournalismus abdriften lässt.

Echt nen super Beispiel, vielleicht sollten wir sowas wie nen bild.blog für die DPA machen!

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Christian 26. Juli 2007 um 23:25

Also ich habe kurz auf N24 reingezappt und dachte auch sofort an einen Anschlag. Wahrscheinlich hat\’s die dpa-Kollegin genauso gemacht…

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mtm 27. Juli 2007 um 0:51

Bravo. Genau auf den Punkt gebracht mit guten Beispielen. Gruss aus London (wo nach der letzten Bombe nur Flueche aufkamen, dass sich jetzt wieder die U-Bahn verspaetet… von wegen Terrorangst in der ganzen Stadt)

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hANNES wURST 27. Juli 2007 um 8:59

Eine gelungene Analyse, nur eine Sache müssen Sie mir erklären: den journalistischen Berufsethos. Ist das so etwas Ähnliches wie der hippokratische Eid, müssen Journalisten schwören nur zum Wohle der Menschheit Bericht zu erstatten? Muss ein Journalist seinem Gewissen folgen oder produziert er ein Produkt was sich verkaufen muss? Ist es nicht einfach schlechte Arbeit – vergleichbar mit einem Malermeister der die Farben von zwei Aufträgen vertauscht – wenn die dpa so berichtet? In der Folge wird die Reputation der dpa leiden und die Gewinne der dpa werden schrumpfen – es sei denn, der Markt bedarf eben gerade einer Nachrichtenagentur, die schon boulevardeske Texte anliefert, damit die Kollegen nicht mehr soviel dazudichten müssen um über das Sommerloch zu kommen.

Eine ganz normales Geschäftsgebaren also, und die ethischen Prinzipien, die hier verletzt werden, müssen Sie erst einmal erklären. Das allerdings kann dann als Werbung Ihrerseits gewertet werden – als Ziehkind und Lohnempfänger des so genannten \“seriösen Qualitätsjournalismus*\“.

*mit Blog

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SvenR 27. Juli 2007 um 9:12

Einfach ekelhaft.

Unser New Yorker Büro ist ganz in der Nähe von Grand Central, die meisten Kollegen kommen morgens über Grand Central nach Manhatten.

Genauso, wie ich mir am 11. September – zum Glück grundlos (kein Kollege oder Verwandter kam ums Leben oder wurde verletzt, das erfuhr ich aber erst nach einigen Tagen aufgrund der herrschenden Verwirrung) – große Sorgen um sie gemacht habe, habe ich mir sofort neue Sorgen gemacht. Diesmal war es nur so, dass auf meine E-Mail nur Antworten à la \“Da war was, gar nicht gemerkt!?\“ bekam. SpON schrieb alsbald auch unter nach wie vor boulevardesken Überschriften sachliche Artikel.

Ich war am 9. Juli vor zwei Jahren morgens nach London geflogen und gerade im Büro dort angekommen, als Canary Wharf abgeriegelt wurde. Somit weiß ich, wie sich das wirklich anfühlt. Muss man wirklich so tun, als ob jeder Pups terroristisch ist.

Wie gesagt, einfach ekelhaft.

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Andi 27. Juli 2007 um 11:17

Ich hab mich riesig aufgeregt, als die Tagesschau diese Meldung in ähnlicher Tonalität gebracht hat.
Die ARD hat ihr New Yorker Büro gleich gegenüber der Unglücksstelle und hat deswegen tolle Bilder gedreht. Aber die Meldung hat einen Nachrichtenwert der gegen Null tendiert: Eine Dampfleitung birst – ein Mensch stirbt. Das passiert wahrscheinlich zigmal im Jahr.

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Rainersacht 27. Juli 2007 um 11:45

Na ja, so einfach ist/war es ja auch nicht: Dampfleitung platzt, Oma stirbt am Herz. Wenn man ein bisschen in der US-Berichterstattung zum Unfall stöbert, findet man schnell, dass dieser Knall vermutlich nur der Anfang einer Serie ist. Die Fernwärmeinfrastruktur in NY stammt in wesentlichen Teilen aus der Zeit vor 1930 und wurde noch nie ernsthaft renoviert. Übrigens: Die Preise für Fernwärme sind in NY in den letzten zehn Jahren um 110% gestiegen. In diesem Sinne war die Dampfexplosion so zu sagen ein indirekter Terroranschlag der Betreiber auf die Bevölkerung.

Desweiteren: Googlen beweist, dass die 9/11-Assoziation bei Journalisten weltweit aufkam – außer eben in den USA…

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Jürgen Kalwa 27. Juli 2007 um 23:13

Das wird jetzt etwas länger:

Mir ist schon seit langem klar, dass viele Menschen/Journalisten die Alltäglichkeit meiner Heimatstadt New York nicht begreifen. Aber das hält sie nicht davon ab, ausgerechnet an New York die unerträgliche Schwere ihres Seins abzuarbeiten. Da unsere Krisen (Blackout, Winterwetter, Kriminalität, Beinahe-Pleite der Stadtverwaltung) oft derber ausfallen als man das in Europa kennt, spielt vielen Schreibern ihre eigene Ahnungslosigkeit und ihr Mangel an Einordnungsvermögen regelmäßig einen Streich. Leider kommt dabei selten ein luzider und angemessener Text heraus. So entsteht dann solches Blech: \“Zwar wird im Alltag kaum mehr von der traumatischen Erfahrung gesprochen, das Großstadtleben geht bewusst leichtfüßig über das Unfassbare hin.\“

Mal abgesehen von der stilistischen Gurke (weniger Boulevard als Hedwig Courts-Mahler) – es ist auch inhaltlich daneben. Wir reden nicht über den 11. September, weil wir eben – kollektiv – NICHT traumatisiert sind. Wir haben spätetens am 13. September 2001 begriffen, dass eine Stadt wie New York von etwas anderem lebt als von Furcht. Weshalb man New Yorkern solch einen Bullshit auch gar nicht einreden kann. Was Nada Weigelt für Probleme hat, weiß ich nicht. Ihr Bericht über das neue Buch von Don DeLillo (http://www.glaubeaktuell.net/portal/journal/journal.php?IDD=1179720192) jedenfalls deutet an, dass sie gerne in diese eine Kerbe haut: \“das ganze große Trauma dieses Landes.\“ Ihr Vorwurf an einen Mann, der im Unterschied zu ihr wirklich schreiben kann und sich in \“Falling Man\“ den 11. September vornimmt: Die Beschreibungen der wichtigen Figuren kreisen ihr zu sehr \“um sich und ihre persönlichen Probleme, so als wäre die Welt draußen nicht in Scherben gefallen\“. Dafür bewundert sie den Schriftsteller für Passagen, aus denen das Grauen nur so heraussteigt. Genüsslich zitiert sie etwa diese: \“Die Toten waren überall, in der Luft, im Schutt, auf den umliegenden Dachterrassen, in der Brise, die vom Fluss kam. Sie hingen in Asche und Tropfen an den Fenstern die Straßen entlang, in seinem Haar und an seinen Kleidern.\“ Aah, New York, der Orkus zum Anfassen, wo das Großstadtabenteuer dem Kleinbürger unter die Haut geht – das ist einfach nach ihrem Geschmack.

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Armin 28. Juli 2007 um 9:12

Juergen, das beschraenkt sich nicht auf New York, das ist ein internationales Problem. Ich lebe in England (und kenne auch Schottland sehr gut), da sehe ich das gleiche auch immer wieder.

Die Deutsche Presse versteht in grossen Teilen England (und Schottland, Wales ebenso) nicht. Die Britische Presse versteht zum grossen Teil Deutschland nicht.

Wie mtm oben schon angemerkt hat, in SpON stand alles moegliche von England oder Grossbritannien (das wird munter vermischt, auch wenn es nicht das gleiche ist) in Aufruhr und Panik nach den letzten Anschlaegen. Na ja. Klar, ein paar Leute haben Angst gehabt, aber die grosse Mehrheit war mehr veraergert ueber die Verzoegerungen. Und Glasgow hatte John Smeaton, nicht gerade ein Zeichen von Angst und Panik…

Das mag teilweise sogar an mangelnden Sprachkenntnissen liegen. Gerade bei SpON in den Bildern zu dem gegenwaertigen Hochwasser gesehen: Foto von einem Schild mit der Aufschrift \“Go slow, don\’t make waves\“. Das wurde mit \“Gehen sie langsam, machen sie keine Wellen\“ uebersetzt. Dummerweise hat das mit gehen nichts zu tun. Sondern mit fahren. Es ist eine Bitte an die Autofahrer langsam zu fahren, damit die keine Bugwelle erzeugen die in die Haeuser reinschwappt. Und Autos fahren halt, die gehen nicht.

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Lukas 28. Juli 2007 um 22:43

Nachdem das ARD-\“Nachtmagazin\“ mit der dramatisch vorgetragenen Meldung einer Explosion und eines eingestürzten Hauses begann, sprang ich schnell zu CNN und BBC. Als bei denen noch Sport und Börse liefen, war ich sofort wieder beruhigt. Auf diversen New Yorker Webcams konnte ich mir dann eine beeindruckende Dampfwolke (bzw. dichtesten Nebel) ansehen und das Thema war auch schon (bis auf die nette Szene, wie man bei der ARD noch im Live-Programm die passende Grafik erstellte) durch.

Interessantes zum Thema auch hier: http://nymag.com/news/intelligencer/35015/?ftr-promo

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Stefan 2. August 2007 um 10:35

Ein weiteres Beispiel ist heute auf Spiegel-Online zu finden. Leitartikel (10.33h) ist \“Mississippi-Brücke stürzte ein – viele Tote und Verletzte\“. So weit so gut. Startseiten-Beitrag Nummer Zwei ist jedoch \“Augenzeugen des Einsturzes: \’Plötzlich kippte meine Auto, wir fielen\’\“. Darin ist von \“gewagten Sprüngen über klaffende Lücken\“ die Rede und es werden zahlreiche betroffene Autofahrer zitiert: \“Da war ein Haufen Leute, die allen anderen geholfen haben. Ich nenne sie Engel\“, oder \“Ich dachte, ich wäre tot. Ich dachte wirklich, es ist vorbei\“. Natürlich kann man auch emotionale Zeugenberichte in einen Bericht über den Brückeneinsturz einbauen – aber muss man gleich einen ganzen Artikel draus machen? Mich erinnert das an RTL2-News.
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,497749,00.html

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