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Harald Martenstein ist zu den Stars des deutschen Journalismus aufgestiegen. Weil er so schön verquer schreibt und so zauselig daher kommt. Er ist der Catweazle unter den deutschen Journalisten. Und Zausel, die mag man. Meistens, zumindest. Und so wäre es ihm zu verzeihen, dass er sich aufregt, wenn Leser ihn kritisieren, gar beleidigen – wenn Martensteins Tirade in er aktuellen „Zeit“ nicht symptomatisch wäre für seinen Berufsstand. Harald Martenstein hat kein Blog. Also kein textliches. Ein bildliches schon, es läuft bei Watch Berlin (wie das Handelsblatt ein Teil der Holtzbrinck-Gruppe). Und nachdem sehr holprigen und langweiligen Start hat er sich langsam warm fabuliert.

Und natürlich gibt es noch seine Kolumne im „Zeit-Magazin“, die nach anfänglicher Kürzung wieder länger geworden ist, was ihr nach meiner Meinung überhaupt nicht gut getan hat.

In der aktuellen Ausgabe nun erklärt Martenstein seine Kolumnen handelten ja nicht von ihm sondern von der condition humaine. Was in diesem Fall zu weit gesteckt ist. Diese handelt von der condition journaliste.

Denn er wird konfrontiert mit einem – aus Sicht der meisten Berufskollegen – Auswuchs der Kommunikationsgesellschaft: kommunikationswilligen Lesern. Die schreiben ihm Briefe und die beantwortet er „zu spät“ oder „gar nicht…, aus Überforderung.“ Und ein winziger Teil, unter einem Prozent, bestehe aus Zuschriften beschimpfender Art. Und über diesen winzigen Teil erhitzt sich Martenstein gar fürchterlich.

„Es ist mir ein psychologisches Rätsel, wieso man über Fehler in der Zeitung ernsthaft wütend werden kann. Sogar Einstein hat sich manchmal verrechnet. Gottes Schöpfung ist fehlerhaft – ist Gott deswegen ein Schwachkopf?…
Es ist mir ein psychologisches Rätsel, wieso einer glauben kann, der Besitz einer Meinung sowie der Kauf einer Zeitung entbänden ihn von den Regeln der Zivilisation.“

Ja, wie kann er nur? Wie kann sich jemand erzürnen über ein fehlerhaftes Produkt, für das er Geld ausgegeben hat. Und das meist die Fehler nicht einmal zugeben mag, ihre Korrektur – wenn sie denn überhaupt kommt – sorgsam versteckt in den Ecken großblättriger Seiten?

Genau diese Haltung, die sich auch beim jenem Gartengespräch in dieser Woche widerspiegelte, ist das Problem. Sie haben vergessen, so sie je daran gedacht haben, dass sie an der Produktion eines Werkes beteiligt sind, für das Kunden Geld bezahlen. Und diese Kunden reagieren, wie Verbraucher nun mal reagieren, gefällt ihnen die wahrgenommene Leistung nicht: Die einen wandern still ab, die nächsten fragen nach, dritte schreiben nüchterne Beschwerden – und ein kleiner Teil tobt los, oft genug im Affekt. Konsumgüterhersteller haben für diese Reaktionen Call Center, Verlage lagern diese Aufpralldämpungsfunktion an nieder bezahlte Mitarbeiter aus. Dieses Serviceteam heißt Redaktion und ist zufällig deckungsgleich mit der Inhalteproduktion.

Nun hat jeder Call-Center-Mensch eine Form von Schulung, und sei sie improvisiert, erhalten. Darin geht es um die Kunst der Kommunikation und die Möglichkeiten, einen erhitzten Anrufer herunterzukühlen. Journalisten wissen nichts davon, sie dürfen froh sein, wenn sie einen „Wie schreibe ich einen guten Kommentar“-Kurs pro Dekade bekommen. Deshalb regiert bei ihnen das Versuch-und-Irrtum-Prinzip – oder die Unwilligkeit zur Kommunikation. Ist letzteres Stadium zu fest in der Seele des Angestellten verankert ist mit baldiger Notkommunikation zu rechnen, der Gesprächspartner ist dann meist auf der Payroll der Bundesanstalt für Arbeit gelistet.

Martenstein aber möchte ja kommunizieren. Und er stellt fest: Antwortet er auf die bösen Beschimpfungen ganz kühl, dann passiert nichts. Beschimpft er selbst, erhält er aber mäßigende, entschuldigende Antworten.

Kann das verwundern? Kommunikation ist oft wie Krieg: Wer den Gegner zu einer Wende zwingen will, muss eine Überraschung in petto haben. Der Autor eines unflätigen Leserbriefs erwartet vermutlich überhaupt keine Reaktion, bestenfalls noch eine leicht buckelige aber höfliche Antwort. Dass sich aber jemand die Zeit nimmt, eine ebenso beschimpfliche Resonanz auf Papier zu bringen – das ist eine Überraschung.

Im Internet ist das anders: Ein Weblog-Autor sollte auf Beschimpfung nicht mit Beschimpfung reagieren. Weil sie einfach zu schnell aufgeschrieben sind. Briefe muss man schreiben, ausdrucken, eintüten, abschicken. Blog-Kommentare muss man tippen. Hier ist die überraschende Wende ein klares Setzen von Grenzen – und die Einstellung der Kommunikation, wenn diese übertreten werden.

Doch hier geht es ja nicht um Blogs, denn Martenstein bloggt ja nicht. Er schreibt übrigens auch:
„Inzwischen habe ich geradezu Freude am Verfassen solcher Antworten. Ich kann meine Aggressionen ausleben.“

Nein, er bloggt nicht. Aber vielleicht sollte er es. Dann hätte er tägliche Aggressionsauslebung. Und das kann nur gesund sein. Herz und so, Sie wissen schon.


Kommentare


Katja 13. Juli 2007 um 11:13

\“Jeder Mensch hat die Freiheit, sich selber zu schaden\“ – sagt Martenstein – siehe Video. Passt auch prima auf ihn.

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Chat Atkins 13. Juli 2007 um 11:24

Er und jene Leser verhalten sich doch absolut ähnlich. Warum versucht er, eine Differenz zu konstruieren?

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Rainersacht 13. Juli 2007 um 11:39

Wie schriebst du dieser Tage so schön & treffend:

\“Journalismus gilt gemeinhin als Kommunikationsbranche. Es ist eines der größten Probleme des Berufsbildes, dass seine Mitglieder nicht kommunizieren wollen. Sie wollen senden. Diktatorisch und mit Alleinstellungsanspruch.\“

Das erklärt auch den Martenstein.

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Flusskiesel 13. Juli 2007 um 12:11

Mmh. Es ging Martenstein in seiner Kolumne doch darum, dass er von Leuten beschimpft wird. Es ging ja nicht um sachliche Kritik.
\“Catweazle\“ ist übrigens sehr treffend! 🙂

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lupe 13. Juli 2007 um 13:04

\“Deshalb regiert bei ihnen (den Journalisten) das Versuch-und-Irrtum-Prinzip – oder die Unwilligkeit zur Kommunikation.\“

Ursache der Unwilligkeit ist in vielen Fällen eine tiefsitzende Überheblichkeit, nicht mangelnde Schulung.

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weltherrscher 13. Juli 2007 um 13:27

irgendwie find ichs schon recht lustig, was der herr martenstein da geschrieben hat. aber ob der wirklich soviel humor hat?
ich habe da meine zweifel. ich glaube der dort zu erkennende humor ist nur gespielt, der hatte bestimmt bei abgabetermin noch gar nichts geschrieben. erst in letzter sekunde dann ist ihm dieser text gekommen. jetzt, nachdem das ding raus ist, bereut er bestimmt und verflucht den termin-gott.

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Erik 13. Juli 2007 um 16:40

?

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Erik 13. Juli 2007 um 16:44

Sorry für das \“?\“, aber ich habe in den letzten Tagen immer wieder meine Kommentare im blogg.de Nirvana wiedergefunden.

Frage mich gerade, warum Du zu Deinem Text das Video eingeklinkt hast. Wegen der Passage am Schluss? \“Jeder soll machen, was er will, solange sie mich in Ruhe lassen\“?
Komisch, dass hier keiner der Leser auf die verharmlosende Meinung von HM anspringt, Scientology sei eine Religion, wie Känguruhizismus auch. Sehr eigenwillig dieser Beitrag. Ein wenig, wie Pusteblume, nur nicht so informativ. Aber der hasste seine Zuseher ja auch, der Peter Lustig, zumindest wenn man den Gerüchten glauben darf. Aber das darf man ja, glauben was man will, solange man Herrn M. in Ruhe lässt.

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Jo 13. Juli 2007 um 16:57

Seine Leser zu beschimpfen mag originell sein – ein Todsünde bleibt es trotzdem. Und wie wusste schon Watzlawick: Man kann nicht nicht kommunizieren. Eine verspätete oder ausgbliebene Antwort ist eben auch eine.

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Olafkolbrueck 13. Juli 2007 um 17:38

Was Martenstein, Konsorten und viele Unternehmen nicht begreifen: Leser/Kunden, die sich beschweren, die interessieren sich noch für das Produkt, wollen ihm treu bleiben. Der Rest ist längst stillschweigend abgewandert.

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Thorsten 13. Juli 2007 um 19:33

Leser, die den Schreiber beschimpfen, interessieren sich nicht für das Produkt, sondern ausschließlich für sich selbst. Was in Redaktionen an Leser- oder Hörerreaktionen ankommt ist zu einem erstaunlich hohen Teil das wichtigtuerische Gequassel von Nichts-Besseres-Zu-Tun-Habern. Das hat wenig mit Kritik am Produkt zu tun und schon gar nicht mit der Beschwerde eines Konsumenten, der sein Recht wahrnimmt. Man kann auch wohl kaum die Beschwerde über einen, sagen wir, nicht funktionierenden Fernseher und den Anruf beim Callcenter vergleichen mit dem empörten Anruf in der Redaktion und der Beschwerde darüber, man habe schon wieder einen Anglizismus verwendet oder schon wieder einseitig über den Nahostkonflikt berichtet, wenn man in Wahrheit nichts anderes gemacht hat als *nicht* einseitig zu berichten. An Martensteins Text gibt es aus meiner Sicht nichts zu bereuen.

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Chat Atkins 14. Juli 2007 um 11:17

@ thorsten: Nun ja – wie Redakteure die Zumutung eines \’complaint management\‘ empfinden, das haben wir aus Ihrem Beitrag jetzt glücklich lernen dürfen. Kennen Sie eigentlich jeden Schreiber persönlich? Oder woher wollen Sie wissen, dass es \’Wichtigtuer\‘, \’Quassler\‘ und \’Nichtstuer\‘ sind? Ich neige übrigens der Ansicht zu, dass \’Präjudiz\‘ das richtige Fachwort für jene Form der Allwissenheit wäre, unter der Sie noch nicht einmal leiden. Wohin kämen wir schließlich, wenn wir unsere Elitaristen nicht hätten …?

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Thorsten 14. Juli 2007 um 11:43

Nun, wie gesagt – gegen \’complaint management\‘, wie Sie das nennen, ist nichts einzuwenden, wenn es denn um complaints geht. In Martensteins Text und in meinem Kommentar ging es um Beschimpfungen. In jedem Fall macht der Ton die Musik. Im Übrigen bitte ich darum, aus meinem Beitrag nichts Allgemeingültiges \’glücklich lernen\‘ zu wollen. Letzten Endes machen Sie sich dabei nämlich nur ein Ihnen selbst genehmes Bild.

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mdj 14. Juli 2007 um 23:49

Zum Watchberlin-Video:
Hallo, geht\’s noch? So einen uninformierten Beitrag hätte ich höchstens von einem Anti-Katholiken-Troll erwartet, da hat wohl keiner sich getraut ihm zu sagen, dass er im Hinblick auf Scientology-Geschädigte den Inhalt überdenken sollte.
Für brauchbare Infos hätte er nur mal www.xenu.net ansehen müssen, en.Wikipedia hätt\‘ auch gelangt. Es hat ja niemand was gegen den Glauben von Scientologen, es geht um deren *Praktiken*! Wenigstens steht er mit seinem Namen dafür gerade.

@Erik:
Ich hatte da mal nachrecherchiert (Quellen hab ich nicht mehr 🙁 ). Das Ganze ist ein Beispiel für verfälschende Berichterstattung, er hat wohl mal sinngemäß in einem Interview gesagt \“Ich mag Kindern nicht zumuten die anstrengen Drehtage durchmachen zu müssen, daher gibt es so wenig Beiträge mit mir und Kindern\“. Anschließend wurden nur die ersten 4 Worte breitgetreten.

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nerone 16. Juli 2007 um 4:26

Vielleicht habe ich Martensteins Kolumne falsch gelesen. Aber beschreibt er nicht, dass er die spannende Erfahrung machte über die Beschimpfung den kritischen und fluchenden Leser in eine sachliche Tonlage zu zwingen (unabsichtlich, wohlgemerkt. M. beschreibt doch, für ihn sei das komisch). Diese Beobachtung allein finde ich ziemlich conditio humana und eigentlich auch sehr lustig und alles recht brilliant formuliert.

Was den Scientologenbeitrag angeht:
Ich sehe da sitzt einer in seiner Küche am Tisch. Der blättert in ein paar Internetausdrucken. Hat die Zeitung auf dem Tisch. Greift sich, deutlich sichtbar, beim Sprechen die Worte aus der Luft, für die Argumente, die ihm aus dem Bauch heraus einfallen. Für das Medium (Internetfilmchen), die Dauer(2,5 Minuten) und das Setting (Küche), eine recht konsequente Umsetzung für seinen Kommentar gefunden hat. Natürlich ist das Leben schwerer und ungerechter, nur nicht immer. Was soll man noch alles sagen und schreiben, wenn jedes Feullieton, jeder Blogger, jedes Fersehprogramm das Thema schon durch hat? Ich finde Plädoyers zur Gelassenheit zwischendrin notwendig.
So uninformiert wie Martenstein sich gibt und es womöglich auch ist, so sind viele, die in der Küche sitzen, Zeitungen lesen und kommentieren. So uninformiert sitze ich im Übrigen vor meinem Rechner und betreibe meinen Blog. Mit dem Anspruch nicht alles wissen zu können, bilde ich mir ständig Meinungen zu irgendetwas. So what?

so oder ähnlich

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mdj 16. Juli 2007 um 13:44

@nerone:
Zugegeben, der Beitrag hatte offensichtlich nicht den Anspruch einer Dokumentation, dennoch sind, wenn ich den Berichten glauben darf, zu viele Leben an Scientology zerbrochen, als dass ich die \“Hysterie überhaupt nicht verstehen\“ (Zitat Martenstein) könnte. Vielmehr muss ich mich fragen, wo man sich informiert um so ein simples Bild zu bekommen. Witze machen kann ich über alles, aber bei verharmlosenden Darstellungen von Organisationen wie Scientology hört es auf, wobei ich nicht ausschließen kann, dass ich zu blöd bin um den wahren Inhalt seines Beitrags zu sehen. Vielleicht ist er gar postmodern irrational in seiner Art und eine Erinnerung daran, Scientology *gerade nicht* so harmlos zu sehen?

Wenn wir aber auf der Schiene bleiben, was kommt als nächstes? Ein Beitrag darüber, wie er sich mal über die NPD informiert hat und deren Umweltschutzgedanken ganz toll findet? Ausserdem machen die häufig tolle Dorffeste, da kann man die Hysterie um Landtagssitze doch überhaupt nicht verstehen… Warum die Hysterie mit Darfur? Da kann man doch prima Großwild jagen und die haben keinen harten Winter zu fürchten?

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nerone 17. Juli 2007 um 2:11

Hallo mdj,

ich will die Opferfrage nicht klein reden. Auch die Gefährlichkeit der Sekte ist zumindest für entsprechend veranlagte Menschen mit Sicherheit gegeben. Für einen Herrn Martenstein in seiner Küche und für mich am Bildschirm existiert indes keine Gefahr. Noch dazu wird Scientology vom Verfassungsschutz beäugt. Martenstein normalisiert aufgeheizte Medienballons.
Mich würde nicht wundern, wenn er einen Weg fände diese npd-geschichte so zu drehen, wie Sie es vorschlagen. und wahrscheinlich wäre sogar Darfur es Wert mit einem Blick zurück in die Medien zu überprüfen. Bei Martenstein geht es doch weniger um Information, als um Rezeption. Bei aller Betroffenheit bezüglich der Idiotie und Gefahr von Sekten und Gurus, kann ich an Martensteins Darstellung nicht böses und blödes finden. Was er sagt ist, dass die Gesellschaft nicht in Gefahr sieht und die Aufregung nicht teilt. Ich glaube übrigens auch, dass Gefahren für Gesellschaft und Kultur eher von den evanglikalen Bewegungen ausgehen als den Ausserirdischen.

so oder ähnlich

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