Gestern Abend, oder besser heute ganz früh um 0 Uhr 23, sendete das „Nachtmagazin“ der ARD einen bemerkenswerten Beitrag zum Thema Weblogs. Er könnte Ausdruck sein des Kampfes der Online-Freunde und -Feinde in deutschen Redaktionen. „Es könnte jeden treffen…“ So beginnen für gewöhnlich Sendungen wie „Taff“ oder „Blitz“ ihre Berichte über Vogelgrippe, Pilzerkrankungen, Killerköter oder Steuerfahnder. Gestern eröffnete das sich dem Qualitätsjournalismus zurechnende „ARD Nachtmagazin“ mit diesen Worten einen Beitrag zum Thema Weblogs.
Was folgte war eine Aneinanderreihung belangloser Spekulationen ohne konkrete Beispiele. Über viele Menschen fänden sich „Einträge im Internet“, schwallte Autorin Christin Jordan. Bemerkenswert: Auch sie arbeitet für den SWR, mutmaßlich als freie Autorin – dem Sender, der bereits durch tendenziöse und wenig kompetente Berichterstattung über das Netz auffällig geworden ist.
Aber lauschen wir weiter Frau Jordan. Die Beiträge über Menschen seien „oft beleidigend und diffamierend“ und geschrieben von „Nachbarn, Kollegen, Feinden“. Und das sei „ein typisches Phänomen des boomenden Internets“. Laut dem bloggenden Medienrechtler Carl Christian Müller „explodiert“ die Zahl der Fälle („Bumm“, kommentiert lakonisch der Journalist in mir). Es folgt das wenig bekannte Startup Servanti, eine Kopie des Bewertungsdienstes Qype. Servanti will angeblich automatisch beleidigende Kommentare löschen wollen.
Im Anschluss wurde Stefan Niggemeier interviewt. Oder besser: vorher, denn das Gespräch war aufgezeichnet. Niggemeiner versuchte den Dampf rauszunehmen, hatte aber keine Chance gegen Moderator Thorsten Schröder. Niggemeiners Einwurf, das Internet mache auch klüger wurde in weitem Bogen überhört: „Kommen wir nochmal zu den Grenzen“, betonierte Schröder die vorgefertigte Meinung. Süß übrigens, wie er Niggemeiner ankündigte als „bekannt durch seine Blogs im Internet“. Wo es sonst noch Blogs geben soll, wissen wir nicht, vielleicht meinte Schröder die Blocks in den Köpfen der Redaktion.
Eigentlich wäre dieser Beitrag nicht weiter erwähnenswert. Tendenziöse Berichte über das Internet haben wir bei den öffentlich-rechtlich subventionierten Privatsendern ARD und ZDF ja häufig genug erlebt. Diesmal aber lässt mich das Timing stutzen: Es gibt keinen aktuellen Anlass, diesen Bericht derzeit zu senden.
Oder vielleicht doch? Vergangene Woche erhielt das Blog der „Tagesschau“ den Grimme Online Award. Gefeiert wurde dies mit einer jubelnden Live-Schaltung nach Köln.
Ich habe den Eindruck, der blutige Kampf zwischen Online-Freunden und -Gegnern, zwischen denen, die sich ins Bloggen verliebt haben und jenen, die alles im Web für Dreckschmutzgewaltporno halten, tobt auch in der Redaktion von Tagesschau, -themen und Nachtmagazin. Und deshalb haben die Kollegen vom „Nachtmagazin“ der Chefredaktion gleich mal beigepustet, was sie halten von diesen „Blogs im Internet“: nichts.
Kommentare
Marcel 26. Juni 2007 um 11:30
es geht hier um etwas ganz anderes. es geht darum, dass die öffentlich-rechtlichen die notwendigkeit ihre expansion ins internet begründen. und dass tun sie damit, dass sie einen mangel an qualität im netz herbeireden.
hape 26. Juni 2007 um 11:30
Zur Motivation: Kann auch sein, dass dies zur Kampagne \“Im Internet gibt\’s nur Müll und Kommerz, deshalb müssen wir mit allergrößter Gebührengewalt im Netz auftreten\“ gehört. Letzte Woche gab\’s ja in der Printwelt ziemlich viel Prügel für die großmäulig angekündigte Internet-Offensive der ARD.
Andreas 26. Juni 2007 um 11:39
Vielleicht haben die nur gestern das Don-Alphonso-Bashing auf dem Niggemeier-Blog verfolgt?
Heinz 26. Juni 2007 um 12:03
oder sie haben einen neuen Praktikanten…
oder sie wachen auf…
oder sie werden gleich von der InitiativeD21 beraten 😉
Harald 26. Juni 2007 um 12:11
Wenn die das Alphonso-Post verfolgt hätten, wäre der Artikel noch unfreundlicher ausgefallen.
Christian 26. Juni 2007 um 12:12
Der Anlass \“Studie\“ (s. Kommentar Stefan Niggemeier) wird auch zu Beginn der Anmoderation genannt.
hape 26. Juni 2007 um 13:01
Wenn der Nonliner-Atlas der Anlass war, bleibt immer noch die Frage, warum das ins Internet-Bashing abgeglitten ist. So viel ich weiß macht dieser Atlas keine inhaltlichen Analysen, sondern erforscht nur quantitativ die Nutzung des Internets.
Oscar 26. Juni 2007 um 13:39
Wenn ich die Ankündigungen zur Internetoffensive der öffentlich-rechtlichen Anstalten richtig im Hinterkopf habe, lautet die Begründung vereinfacht gesagt so: Die Qualität im Internet ist derzeit überwiegend erbärmlich, ARD und ZDF sorgen da durch ihre erweiterten Angebote endlich für Qualität, deshalb ist das Engagement im Web auch Teil der Grundversorgung – wofür ja üppigst Gebühren eingefahren werden.
Da schadet es nix, jetzt aus allen Rohren zu feuern und dem zahlenden Publikum vorzuführen, was da täglich für ein Müll im Internet verbreitet wird.
Es wird langsam wirklich Zeit, dass diesem Gebührenspuk ein Ende bereitet wird. Ich habe am Samstag ein einziges Mal zu Gottschalk hineingezappt, und prompt erwischte ich eine Stelle, an der er den Sponsor (und seinen Werbepartner) DHL erwähnte. Ist das öffentlich-rechtliches Qualitätsfernsehen?
Andreas 26. Juni 2007 um 14:06
Pay-TV, wie Thoma (Helmut, nicht Ludwig) vor ein paar Jahren mal in einer Diskussionssendung süffisant zum Finanzierungsmodell der Öffentlich-Rechtlichen sagte. Ich könnte dem ja manchmal noch etwas abgewinnen, aber der Allmachtsanspruch ist einfach unerträglich. Einfach die Hand nach noch mehr Knete ausstrecken, die Politik wird\’s schon richten. Aber die Lufthoheit über den Internetstammtisch werden sie weder mit Geld noch ihren halbgaren Ideen gewinnen. Nicht nur Kleinbloggersdorf ist eine unbesetzte Zone.
Detlef Guertler 26. Juni 2007 um 14:31
Zur Ehrenrettung der ARD (wenn auch nur in einem Randaspekt) sei angemerkt, dass es nicht nur im Internet Blogs gibt, sondern auch in Intranets. Klaus Kleinfeld beispielsweise bloggte nur im Siemens-Intranet, so gerne wir Nicht-Siemensianer auch seine Einträge und die Kommentare dazu verfolgt hätten.
weltherrscher 26. Juni 2007 um 14:49
schöne neue welt.
was solls, jetzt kommen die blogs schon in den spätnachrichten.
morgen dann im spätprogramm (so bis 00:00 uhr).
übermorgen dann irgendwann in der tagesschau.
wenns dann soweit ist, sind wir alle fernsehen.
ich bin tagesschau!
ist doch super..
wenn mal ein tagesschau sprecher dann anmoderiert:\“der weltherrscher sagt in seinem blog dieweltistscheisse..\“, dann, dann hab ich endlich mein ziel erreicht.
köstlich?
Andreas 26. Juni 2007 um 15:15
Davon träumen also Blogger, bevor sie des Nachts von den Spätnachrichten geweckt werden.
Detlef Borchers 26. Juni 2007 um 22:21
Erstaunlich: Ich habe bewusst Blödsinnsdienst geschrieben, eine mittelzahme Bezeichnung, weil ich hier Gast bin und nicht pöbeln möchte. Dennoch scheint die deutsche Crew des von der Tagesschau mehrfach so hoch gelobten Reputation Defenders nicht reagiert zu haben. Was ist los in Mainz, Karneval?
Jörg Friedrich 27. Juni 2007 um 13:57
Wichtig ist, dass das Thema Meinungsbildung im Internet die Nachrichten erreicht hat. Zuschauer übernehmen ja nicht automatisch die Wertung von Beiträgen und Moderatoren. Ich denke, der Beitag wird viele neugierig gemacht haben, die noch nichts von den \“Blogs im Internet\“ gewusst hatten.
Stephan Fröhder 27. Juni 2007 um 16:00
@Das Märchen vom durch und durch bösen Internet….vielleicht ist ja auch am 23.6.\’07 im Chagallsaal der Städtischen Bühnen in Frankfurt am Main ein Bild von der Wand gefallen…