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Am vergangenen Freitag strahlte der Deutschlandfunk eine Diskussion über Bürgerjournalisten und Weblogs aus. In dieser saßen prominente Menschen beisammen, die unsäglichen Unsinn redeten. Der Kollege Niggemeier hat abgeschaltet. Verpasst hat er nicht viel am Freitag, bei einer von Gebühren finanzierten Am-Thema-Vorbei-Diskussion im Deutschlandfunk. Da saßen hoch angesehene Journalisten und redeten mehr über die Verstrickung der ARD ins Radsport-Doping denn über das angekündigte Thema.

Jenes lautete:

„Der Bürger recherchiert mit
Verändern Leserreporter und Blogger den Journalismus?
Amateurreporter treten immer dann auf den Plan, wenn herkömmlicher Journalismus an seine Grenze stößt. Bereits eine halbe Stunde nach dem jüngsten Massaker auf einem amerikanischen Campus gingen US-Sender mit wackeligen Bildern von dem Anschlag auf den Schirm. Gefilmt hatte sie ein Student mit seinem Handy, und der wurde dann auch gleich unter Vertrag genommen.

Die BILD-Zeitung prämiert eifrige Leser, die Geschichten und Fotos liefern. Die Kehrseite: Durch das Internet geraten viele Storys komplett außer Kontrolle, wird eine gute Geschichte schnell zur Inquisition. Und der Journalismus? Was wird daraus, wenn jetzt jeder mitschreiben und mitknipsen kann?

Es diskutieren:

Tissy Bruns, Tagesspiegel
Hans Janke, ZDF
Manfred Bissinger,Publizist
Prof. Siegfried Weischenberg, Professor f. Journalistik u. Kommunikationswissenschaft, Universität Hamburg

Moderatoren der Sendung sind Hans-Jürgen Jakobs (sueddeutsche.de) und Christian Floto (Deutschlandfunk).“

Ich sitze schockiert da, angesichts des desaströsen Zustands des deutschen Journalismus. Da sitzen einige Granden von öffentlichen Geldern finanziert – und dies möchte ich immer wieder betonen – und keiner, aber wirklich überhaupt keiner setzt sich mal vorher ein halbes Stündchen hin und bereitet sich auf die Sendung vor.

Wenn der journalistische Ehrgeiz, die Professionalität, die berufsimmanente Neugier dieser Runde bei jedem Thema so groß ist, wie in diesem Fall, sollte man von der Lektüre jedes ihrer Werke abraten.

Angefangen beim totalem Blödsinn in Sachen Blog-Leserzahlen bis hin zu Tissy Bruns kühner Argumentation, je mehr Blogger/Leserreporter (den Unterschied schien sie für sich nicht so klar gemacht zu haben), je mehr also die Öffentlichkeit sich für die Geschehnisse der Politik interessiere, desto mehr zöge die sich in Hinterzimmer zurück. Wäre es nicht logisch, die politische Berichterstattung einzustellen? Oder auch die Behauptung, die Macher des Bildblogs bewegten sich im Rahmen der Armutsgrenze, das Projekt sei nicht rentabel. Ernährt ja auch nur zwei Mitarbeiter und das nicht so, dass sie sich über die Beschaffung des nächsten Mittagessens Gedanken machen müssten.

Wer sich diese, jeden gesunden Menschenverstand marternde Aufzeichnung noch einmal antun möchte, findet bei Herrn Niggemeier den Link und eine erste Verständnislosigkeit angesichts dieser Altherren-plus-eine-Dame-Runde.

Ebenso traurig aber ist: Da sitzen zwei Moderatoren – und keiner greift ein. Die Laber-Gesellschaft darf herumschwadronieren, was das Zeug hält und niemand hält sie auf. Korrigiert die Redner, weist sie auf Fehler hin. Ein böser Verdacht liegt nahe: Auch Hans-Jürgen Jakobs, Chef von Süddeutsche.de und Deutschlandfunker Christian Floto hatten wenig Lust, sich auf die Sendung vorzubereiten.

In welcher Welt lebt diese Truppe? Deutschland im Jahr 2007 kann es nicht sein. Und ich fürchte jener Planet ist nur erreichbar durch Eintreten eines akuten Zustands weltfremder Alterssenilität.

An diesem Wochenende hab ich erstaunlich viel gelesen über aufrechte Journalisten. Über die Vertreter meines Berufsstandes, die sich wehren gegen Einflussnahme und wirtschaftliche Zwänge. Zum einen schrieb „Zeit“-Chef Giovanni di Lorenzo eine kleine Brandrede auf den Journalismus, zum anderen machte das „Manager Magazin“ die Arbeit von Spindoktoren öffentlich (beides noch nicht online).

Doch dieses Hochhalten des Qualitätsjournalismus, in das ich eigentlich einstimmen möchte, verliert jede Bedeutung angesichts des beschämenden Auftritts der Runde im Deutschlandfunk. Diese Dame, diese Herren, stehen für Qualitätsjournalismus. Doch wenn ihre Äußerungen exemplarisch für den Zustand der anspruchsvollen Medien in Deutschland sind, dann kann es nur eine Folgerung geben: Der Journalismus hat es nicht verdient als wertvoll für die Gesellschaft liebkost zu werden.


Kommentare


Mathias Bank 29. Mai 2007 um 12:16

Ich kann dir voll zustimmen. Die öffentlich rechtlichen machen meiner Meinung nach in letzter Zeit mehr Propaganda als manch Fernseh-Sender. Das machen sie aber nicht mit Fehlinformation, sondern einfach, indem sie wesentliche Themen totschweigen oder nur in einem Nebensatz nennen. Das betrifft leider nicht nur das Internet, auch der Sicherheitswahn unseres Innenpolitikers wird kaum kritisch hinterfragt. Die Interviews mit Herrn Schäuble sind an Lachhaftigkeit innerhalb der PrimeTime-Nachrichten dann nicht mehr zu übertreffen.

Leider fehlt dem zahlenden Bürger hier die Möglichkeit, Druck auszuüben.

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weltherrscher 29. Mai 2007 um 12:27

noch weniger einschalten.

dürfte durchaus druck ausüben.

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BrainBomb 29. Mai 2007 um 13:40

Ach, und im Privatfernsehen gibt\’s bessere Diskussionen? Oder in Bloggersdörfchen, wo jeder ein Experte für Bürgerjournalismus ist und alle anderen doof sind? Das öffentlich-rechtliche ist das Problem! Klar! Und der Schäuble mit seinem Sicherheitswahn, Tzz,Tzz. Das mußte hier natürlich auch noch mal gesagt werden.

Nur mal so ganz dumm gefragt. Hat der G8-Gipfel eigentlich ein Thema? Ich meine, außer Sicherheitszaun. Interessiert das zur Zeit einen Blogger? Ich meine, außer Thema \“Terminator Schäuble\“?

Wo sind denn all die Bürgerjournalisten? Gibt\’s die überhaupt?

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medienblogger 29. Mai 2007 um 14:54

\“Und der Schäuble mit seinem Sicherheitswahn, Tzz,Tzz. Das mußte hier natürlich auch noch mal gesagt werden.\“

Blogger lassen sich eben lieber von Google überwachen.

Zum Thema: Ich war auch ziemlich überrascht, wie so viel Unwissenheit sich auf einem Haufen ballen kann. Als Weischenberg die Sache mit der 450 sagte, fangen ja auch alle an zu lachen, was die Arroganz mit der in dieser Runde unwissend über Blogs geredet wurde, nochmal zusätzlich unterstreicht.

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Storyblogger – Björn Eichstädt 29. Mai 2007 um 18:39

Hab mir die mp3-Datei gerade mal angehört… Stille…

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FoolDC 30. Mai 2007 um 10:09

Ignoranz aller Orten. Die Diskussion wird von beiden Seiten mit einer Verbissenheit geführt, welche den Kenntnisstand über die jeweilige Gegenseite weit übersteigt. Wanderer zwischen den Welten wie den Gastgeber hier nehme ich da aus.
Wenn die Herren (und Damen) Qualitätsjournalisten ihren Job ordentlich machen würden, könnten sie sich diese Arroganz sogar leisten. Tun sie aber nicht (mehr), woran sie nicht ausschließlich selbst Schuld sind. Trotzdem ist es erschreckend, mit welcher Blasiertheit sich gerade die ÖR als Kulturinstitution gerieren und dabei offensichtlich an Realitätsverlust leiden. Wenn sich die ARD jetzt den großen Aufklärer in Sachen Doping mimt und ihren Experten durch die Sendungen schickt, den sie über Jahre im Keller eingeschlossen hatten, dann ist das an Heuchelei nicht zu überbieten. Das untergräbt die Glaubwürdigkeit. Die Leute suchen sich Quellen, die sie für verlässlicher halten, und die finden sie immer öfter im Netz.

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derherold 30. Mai 2007 um 20:26

Bitte, was erwartet man denn ?
Tissy B. ist nach revolutionären (?) Abfängen im gutbezahkten mainstream-Jounalismus angekommen, Bissinger wird nichts, aber auch gar nichts mehr Wichtiges auf die Reihe kriegen – sollen die etwa Blogs loben ?

Das Schwein lobt doch auch nicht den Metzger !

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Lyriost 1. Juni 2007 um 11:16

Es genügt allerdings auf Dauer nicht, wenn die ambitionierten jungen Hündchen den weltfremden altersschwachen Hunden ans Bein pinkeln. Die gehen von ihren Stamm-Bäumen nicht weg. Man muß sich eigene Bäume suchen. 😉

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Seridmoon 25. Juni 2007 um 16:32

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badcox 2. Januar 2008 um 22:36

(Bin beruflich mit dem Internet befasst.) Also, das ist sehr unterschiedlich. Bei über längere Zeiträume regelmäßig aktualisierten Blogs z.B., die technologisch weitgehend für Google optimiert sind, geht das recht schnell, also idR. binnen Stunden bis höchstens 1-2 Tagen. Andererseits: Selbst bei großen großen Websites, allerdings mit älterer Technologie (Frames, Seiten-IDs, statt sprechende Bezeichnung, ohne Tags oder Description und ohne Goggle-Sitemap usw.) können Ergänzungen von weiteren Themen bzw. Seiten tatsächlich bis zu mehreren Monaten dauern, bis sie in Google endlich auftauchen. (Schon erlebt!)

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Blogger: Am Ende Verleger – oder Verleger am Ende? 17. Februar 2016 um 11:02

[…] Das Erschreckende ist, dass ein anerkannter Redakteur wie Spehr all dies noch immer im Jahr 2015 schreibt. Er dokumentiert damit die Lernunwilligkeit der journalistischen Kaste. Hajo Schumacher schrieb 2007: “Auf jeden relevanten Blog, und davon gibt es tatsächlich einige, kommen tausende von zynischen Schwätzern, Rechthabern und muffelige, aus dem Fenster pöbelnde Korinthenkacker.” Immer wieder traurig auch diese Anekdote aus dem Winzerblog. Oder wollen wir “Tagesspiegel”-Redakteurin Tissy Bruns hernehmen und ihre kruden Äußerungen im Deutsch…? […]

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