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Die deutschen Zeitungsverleger meinen, für ihr Produkt werben zu müssen. Herausgekommen ist eine eher kontraproduktive Kampagne. Schon nach der Jahrestagung des Zeitungsverlegerverbandes BDZV machte ich mir ernsthaft Sorgen um die Branche, die mein Frühstück bezahlt. Diese Sorgen sind nun größer denn je, seit ich das heutige Handelsblatt, Seite 17, aufgeschlagen habe.

Dort findet sich ein Motiv der Kampagne „Die Zeitungen. Wer liest, versteht“, die vom BDZV in Auftrag gegeben wurde.

Ein Bild von Angela Merkel ist dort zu sehen, darunter „Berlin, 2005“, dann Segolene Royal „Paris, 2007“ – und dann Hillary Clinton „Washington, 2008“. Eine mutige Ansage, angesichts dessen, was die BDZV-Mitglieder derzeit schreiben.
„Süddeutsche“ von heute:
„Konkurrent im Windschatten – US-Senator Obama könnte für Hillary Clinton gefährlich werden“

Handelsblatt von heute:
„Charisma versus Organisation – Barack Obama und Hillary Clinton müssen beim Wettlauf um die Präsidentschaftskandidatur der US-Demokraten über ihre Biografie punkten“

„Financial Times“ von heute:
„Candidate Obama – A black politician whom America’s white voters can love“

Aber gut, no risk, no fun, sagt sich der BDZV. Doch auch die anderen Motive, zu finden auch auf der eher kruden (und in den Anzeigen nicht erwähnten) Homepage sind durchaus hinterfragenswert.

Dieses hier, zum Beispiel:

Steigende Kurse – dann Osama bin Laden – fallende Kurse. Einfacher Zusammenhang, versteht doch jeder. 9/11 und so. Nur: So stimmt das eben nicht. Die Kurse fielen schon vorher.
Dax-Eröffnungskurs am
3.7.2001: 6.103,9
20.8.2001: 5.219,75
11.9.2001: 4.680,80

Oder dieses Motiv: „Die Strafvollzugsanstalten in Deutschland sind ein Pulverfass“, steht da.

Nur, wer soll das geschrieben haben? Die Wortkombination Strafvollzugsanstalt und Pulverfass findet bei Genios – der Datenbank, auf die wir Zugriff haben und die fast alle großen Zeitungen archiviert – keinen Treffer.

Die meisten der Anzeigen aber sind nicht falsch, sie sind nur hinrissig. Zum Beispiel der Zusammenhang zwischen nordkoreanischer Atombombe und Sex in Südkorea, oder zwischen Weihnachstmärkten und Diabetes:

Die Kampagne deutet an, was Zeitungen gerade nicht tun sollten: Dem Leser einzelne Nachrichten an den Kopf werfen, auf dass er sich irgendeinen Sinne zusammenreime. Gute Zeitungen ordnen Nachrichten ein und liefern keine abstrusen Nachrichtenschnippsel.

Sollte also jemand den Kreativen kennen, der sich diesen Schwachsinn erdacht hat, so bitte ich darum, eine prächtig gefüllte Zeitung zu nehmen, sie zu rollen und sie ihm so lange über den Schädel zu ziehen, bis er auf die Knie fällt und zugibt: „Ich bin kein guter Werber, ich bin kein guter Werber.“ Eine vergleichbares Vorgehen schlage ich bei den Verbandsvertretern des BDZV vor, die diesen Mist zu verantworten haben.


Kommentare


Stefan_K 18. Januar 2007 um 18:27

Einmal schnell gegoogelt, schon gefunden: Ogilvy&Mather, FFM, hat\’s verbrochen. Wo die doch mal so einen guten Ruf hatten …

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GHLing 19. Januar 2007 um 8:08

Was für eine grausame Werbung. Oder besser: Anti-Werbung, in meinen Augen.
Bei dieser Werbung komm ich zu einem Schluss: Die beworbenen Produkte scheinen auf einer deutlich anderen Ebene zu kommunizieren als ich. Zumindest sind die Bilder so diffus und ohne Zusammenhang für mich, das ich damit einfach nichts anfangen kann und mich frage \“Was will mir das Bild sagen?\“.

Und die Aussage \“Der Claim der neuen Kampagne der Zeitungen in Deutschland verdichtet die einzigartigen Qualitäten des Mediums: Nur wer Zeitung liest, kann wirklich mitreden.\“ finde ich besonders lustig. Denn obwohl ich seit einigen Jahren keine Zeitung mehr in der Hand hatte (weil ich keine Zeit habe, sowas zu lesen), wusste ich genau worauf angespielt wird. Aber es erscheint ja einfacher, andere Medien (insbesondere das Internet) zu ignorieren und zu verteufeln, als darauf einzugehen und vielleicht zu merken \“Hoppla, da gibt es auch Nachrichten\“.

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herby 19. Januar 2007 um 9:00

Hauptsache Aufmerksamkeit scheint hier das Werbeprinzip zu sein, aber das kann Bild besser.
Vielleicht sollten die Profis dort nochmal zur Schule gehen.
Denn lohnt sich Zeitunglesen überhaupt noch? Meist denke ich mir, wenn ich einen Artikel lese, den Text kennst du doch schon. Vielleicht geträumt, doch dann fällt mir ein, ich habs schon gestern wortgleich im Internet gelesen.

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Stefan 19. Januar 2007 um 19:21

die Präsentierung der Schlagzeilen auf der Hompage find ich hingegen sehr gelungen. Man könnte das System noch etwas erweitern,(zB Userkommentare, Sortierung, Eingrenzung der Stichworte, Navigation, Artikelauszüge, zeitliche Eingrenzung, Leserbewertung) und schon hätte man ein innovatives \“Web 2.0\“-Nachrichtenportal…

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Korsa 19. Januar 2007 um 22:22

Warum brauchst du eigentlich so lange um auf den Punkt zu kommen?

Die Kampagne gefällt dir nicht!

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Mimi 20. Januar 2007 um 0:02

Ich komm mit der Kampagne gar nicht klar und kann weder die Entscheider beim BDZV noch die Verlage so richtig verstehen… Kennt jemand den Mediaplan? In welchen Medien wird geworben? Ich find\’s prinzipiell affig, in der TZ Werbung für die TZ zu machen. Da erreicht man ja zu 100% seine Zielgruppe. Schwachsinn.

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