Skip to main content

Gruner + Jahr-Chef Bernd Kundrun macht jetzt auch verstärkt auf Internet. Allerdings, glaubt er, würden am Ende wieder die Marken klassischer Medienkonzerne siegen. Könnte sein. Ich fürchte aber, Kundrun erkennt nicht, dass Marken heute viel weiter gehen als im klassischen Marketing – und dass die sozialen Kontrollsysteme des Internet den Medien künftig noch stärker zusetzen werden. Gehören Sie, geschätzter Leser, auch zu den Menschen, die immer jammern „Wer soll das alles lesen?“ und damit all das meinen, was da so im Internet stehe? Also Weblogs und Videos, die ja nicht gelesen, sondern geschaut werden, und Podcasts, die gehört werden?

Mutmaßlich sind Sie ja nicht so einer, sonst würden Sie das hier ja nicht lesen. Wenn doch, oder geht es Ihnen wie mir, begegnen Ihnen also solche Netz-Zweifler derzeit ziemlich häufig, so rate ich zu folgendem Vorgehen. Sie begeben sich in einen Kiosk, bevorzugt einen der großen in der Nähe eines Verkehrsmittels wie der Bahn oder dem Flugzeug. Dann lassen Sie für eine Minute den Blick schweifen entlang der Auslagen. Und dann sagen Sie laut, ruhig so laut, dass es Nebenstehende hören: „Wer soll das alles lesen?“

Niemand. Also nicht alles. Als Angestellter eines Print-Verlags rate ich natürlich zumindest zum ungehemmten Kauf möglichst vieler Zeitungen und Zeitschriften. Doch die Adepten der klassischen Medien wissen eben, was in solch einer Auslage ihre Vorlieben trifft. Der Titel „Bella“ deutet auf beschränkte Verträglichkeit mit männlichen Vorlieben hin, eine hochglänzende Bikini-Schönheit auf geringeres Interesse für die Prada-Kostümchen-Trägerin.

Wer viel im Internet unterwegs ist, der erkennt auch relativ schnell, was für ihn interessant ist und was nicht – genauso wie der Zeitschriftenkäufer. Nur läuft die Auswahl eben anders. In Weblogs ist es oft der Text, bei Online-Nachrichtenseiten manchmal die Optik. Aber hinzu kommen eben Verlinkungen und Volumen von Kommentaren – eine Auswahl auf sozialer Ebene, die so nicht recht vorhanden ist in der Offline-Welt.

Dieses System zu durchschauen und zu nutzen erfordert Training. Und je älter man wird, desto schwerer ist es, sich an so etwas grundlegend Neues zu gewöhnen – weshalb eben so viele Zweifler verzweifelt vor ihrem Monitor sitzen und murmeln „Wer soll das alles lesen?“

Diese sozialen Bewertungen verändern aber auch den Begriff der Medienmarke. In den klassischen Medien zählt der Name, der über dem Produkt steht. „Handelsblatt“ eben, oder „Financial Times Deutschland“ oder „Stern“. Was unter diesem Titel erscheint, bringt ein Qualitätsversprechen mit: Wer regelmäßig eines dieser Blätter liest, weiß wie gut sie sind, welchen Schreib- und Optikstil sie vertreten, welche Inhalte sie abdecken.

Doch wer entscheidet, welche Artikel dort erscheinen? Wer gibt den Autoren die Rechtfertigung, einen bösen Kommentar über Angela Merkel oder Klaus Kleinfeld zu verfassen? Überspitzt formuliert: Maximal zwei hoffentlich hochqualifizierte Menschen. Der Chefredakteur und der Ressortleiter, nämlich. Beide sind in der Regel beim Bewerbungsgespräch eines potenziellen Redakteurs zugegen. Ist der Artikel geschrieben, wird er nochmal von mindestens einem Kollegen gegengelesen, wenn Zeit da ist noch von ein bis drei Leuten mehr. Das ist nicht viel.

Wer im Internet schreibt, wird von weit mehr Menschen ausgewählt und kontrolliert. Nur wer ein gewisses Qualitätsniveau (wobei Qualität eben subjektiv wahrgenommen wird von einer signifkanten Menge Leser) wird so verlinkt, dass er ohne größere Suche auffindbar ist. Und erhält eine wahrnehmbare Menge an Kommentaren. Natürlich gibt es krude Weblogs mit bizarren Texten fernab der Wahrheit – doch tauchen sie eben im Alltag des Internet nicht auf. Genauso wie manches fragwürdige Print-Blatt eben bei 99 Prozent der Kioske nicht in der Auslage zu finden ist.

Ein Print-Autor also wird von einer Hand voll Menschen mit Fachwissen legitimiert, ein Internet-Autor von einer weit größeren Zahl nicht weiter erkennbarer Menschen, deren Kommentare aber oft genug auch auf Fachwissen schließen lassen.

Qualität contra Quantität plus Qualität, lautet also das neue Duell. Und so überrascht es nicht, dass Blogger eben auch zu Marken werden (ich muss dem Kollegen Turi da zustimmen): Sie bringen ein Qualitätsversprechen mit, das sie von anderen abhebt.

Womit wir eben bei Gruner + Jahr-Chef Kundrun wären. Der hat „Horizont“ gesagt:

„Wir befinden uns heute in einem fast anarchischen Anfangsstadium der Entwicklung der digitalen Medien. Vieles geschieht noch mit einem revolutionären Impetus, der bei der Internet-Avantgarde zu einer gewissen Infragestellung der traditionellen Medien führt. Doch ich glaube nicht, dass dieser antiautoritäre Reflex von Dauer sein wird. Auch in Zukunft werden die Menschen ihr Vertrauen den Marken schenken, die sich das verdient haben. Sie werden deren Autorität suchen.“

Und da könnte er falsch liegen. Denn wenn die Qualität der klassischen Medien weiter sinkt, und das tut sie, betrachtet man den sich auf Massenkompatibilität einschießenden „Stern“, zum Beispiel, dann ist nicht mehr viel mit Autorität, die es zu suchen gibt. Die bringen dann andere Marken mit, deren Legitimation zur Erklärung der Welt eben nicht auf Bewerbungsgesprächen oder verlagsinterner Buddy-Wirtschaft beruht – sondern auf der Unterstützung ihrer Leser/Nutzer/Kunden. Allein dass Kundrun später in diesem Artikel von „Laienautoren“ spricht, zeugt von tiefem Unverständnis der realen Situation.

Viele der „Laien“ sind „Experten“. Sie sind sogar viel mehr „Experten“ als manche „Journalisten“. Denn sie haben in gewissen Bereichen ein tieferes Wissen als ein Redakteur in der Regel haben kann. Nur verdienen sie eben Ihr Geld schwerpunktmäßig nicht mit dem Schreiben von Texten. Macht sie das zu Laien? Ist dann nicht ein Museumsdirektor ein Kunstlaie, denn er malt ja nicht selbst?

Und es geht ja noch weiter: Diese Leser/Nutzer/Kunden werden die Erzeugnisse klassischer Medien ebenso kritisch hinterfragen, wie die Töne, Texte, Bilder der Kundrun-Laien. Vielleicht hat dann auch ein Angebot wie Newstrust Erfolg, bei dem Artikel von Profi-Journalisten nicht nur vorgeschlagen werden, sondern auch nach Kriterien wie Ausgewogenheit gewichtet werden.

Wer aber die Welt weiter zwischen Laien und Profis unterteilt, der versteht sie nicht. Und wer die Welt nicht versteht, wird in ihr keinen Erfolg haben.


Keine Kommentare vorhanden


Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*