Skip to main content

Früher gehört es zum guten Stil von Journalisten, zu erwähnen, woher man eine Information hat, sofern sie ein anderer Journalist ausgegraben hat. Heute gibt es Spiegel Online und Reuters. Irgendwann vor einigen Wochen passierte Casino-König Steve Wynn die Dämlichkeit des Jahres: Als er den Gästen einer Party den Picasso präsentierte, den er für 139 Millionen Dollar gekauft hatte, landete sein Ellenbogen irgendwie im Bild – und zerriss die Leinwand.

Wann diese Geschichte passiert ist, ist offen. Zum ersten Mal wurde sie mutmaßlich in der „New York Post“ vom 9. Oktober erwähnt – ohne genaue Zeitangabe. Anwesend bei diesem Moment, der jedem Kunstfreund das Herz zerreißt, war Drehbuchautorin und Regisseuren Nora Ephron („Harry & Sally“). Und sie berichtete am Montag in ihrem Weblog, das Teil der Huffington Post ist ihre Sicht der Dinge:

„He raised his hand to show us something about the painting — and at that moment, his elbow crashed backwards right through the canvas.
There was a terrible noise.
Wynn stepped away from the painting, and there, smack in the middle of Marie-Therese Walter’s plump and allegedly-erotic forearm, was a black hole the size of a silver dollar – or, to be more exactly, the size of the tip of Steve Wynn’s elbow — with two three-inch long rips coming off it in either direction. Steve Wynn has retinitis pigmentosa, an eye disease that damages peripheral vision, but he could see quite clearly what had happened.
„Oh shit,“ he said. „Look what I’ve done.“
The rest of us were speechless…

Wynn said: „This has nothing to do with money. The money means nothing to me. It’s that I had this painting in my care and I’ve damaged it.“
I felt that I was in a room where something very private had happened that I had no right to be at. I felt absolutely terrible.“

Wer weiter liest, stellt fest: Die Sache passierte am 1. Oktober. Das ist mehr als zwei Wochen her. Heute aber findet sich nun in Spiegel Online ein Artikel über den Vorfall. Hübsch geschrieben, gerade so, als sei der Autor dort gewesen. Als Quelle wird Reuters mit angegeben. Nun stellt sich die Frage: Hat die Nachrichtenagentur so getan, als sei sie anwesend gewesen? Hat sie ohne Quellenangabe die Zitate aus Ephrons Blog kopiert und sich nicht mal die Mühe gemacht, das Datum des Vorfalls auszurechnen? Oder war es Spiegel Online?

So oder so: Stil geht anders.


Kommentare


Frank 18. Oktober 2006 um 11:01

naja, immerhin wird angegeben, dass Ephron berichtete – es fehlt nur wo und wann. Aber wer wird denn im Web kleinlich sein 🙂

Antworten

Detlef Borchers 19. Oktober 2006 um 0:18

Ist nicht eher die ganze Story ein einziger Fake oder urban Myth? Sein Super-Hotel Wynns in Las Vegas fußt doch komplett auf dem Mythos von Le Reve, von den Tapeten bis zur Show von Cirque Soleil. Auch wenn Wynn mit dem Gemälde bei einem Einkaufspreis von 48 Millionen Dollar und dem Verkauf zu 139 Millionen einen netten Gewinn realisiert hätte, glaube ich nicht, dass ihm der Verkauf genehm wäre. Zur Hotel-Eröffnung hat er jedenfalls erklärt, dass dieses Bild das ihm persönlich wichtigste seiner Sammlung wäre. Außerdem: 1931/1932, als Picasso das Bild malte, malte er auf schwere Leinwände, die nicht brüchig sind wie 2-300 Jahre alte Bilder. Bis jetzt sind Details zur möglichen Zerstörung des Bildes nicht auf den Mailinglisten der Restauratoren aufgetaucht, die sonst sehr schnell informieren. –Detlef

Antworten

Thomas Knüwer 19. Oktober 2006 um 9:43

Interessanter Einwurf, Herr Borchers. Was dagegen spricht ist aus meiner Sicht allerdings der Weblog-Eintrag von Ephron. Warum sollte sie da mitziehen?

Antworten

krz 19. Oktober 2006 um 15:21

Vor SPON hat die Print-FAZ groß im Feuilleton über den Vorfall berichtet. Schätze, SPON hat da abgeschrieben.

Antworten

Detlef Borchers 19. Oktober 2006 um 23:49

2. Versuch: Seit wann ist ein einziger Weblog-Eintrag eine Quelle? Die benamste Print-FAZ ist noch schräger, berichtet sie doch, wie Elaine Wynn nach New York fliegt, um einen Restaurator zu konsultieren. Da gackern ja die Hühner und Restauratoren gemeinsam. Beim Wert dieses Bildes wäre allenfalls der Restaurator eingeflogen worden — wenn nicht die Versicherungen längst ihre Spitzenkräfte vor Ort hätte, allesamt Top-Restauratoren. Wenn es kein urban Myth ist, werden Dutzende von Fachleuten beschäftigt sein, zu klären, ob da nicht Versicherungsbetrug im großen Stil begangen wird. –Detlef (mit einer Restauratorin verheiratet)

Antworten

Detlef Borchers 18. Januar 2007 um 11:35

Weil das Internet nichts vergisst, ein Kommentar hinterher: Wie auf Smoking Gun gelesen werden kann, hat Steve Wynn die Versicherungsgesellschaft Lloyds verklagt, weil deren Restaurator das eingedatschte Bild auf 85 Millionen taxierte. Nun will er die Differenz zum Kaufpreis von 139 Millionen als Schadensersetz. Und das bei einem Bild, das er für 46 Millionen gekauft hat. Wenn das kein satter Versicherungsbetrug in dieser trüben Geschichte ist und wenn das Schule macht, dann gibt es ein fröhliches Hauen und Stechen auf wertvolle Bilder.

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*