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In meiner mittelfrühen Kindheit malten wir uns im Sandkasten Geheimagentenausweise. Später gab es die vorgedruckt von „Yps“. Heute übernimmt das die „Bild“. „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann erinnert mich immer mehr an den Vater, der im Auto seinen Sohn auf den Schoß nimmt und, während der das Lenkrad begrapscht, „brumbrumm“ macht und lobt: „Da fährt der Kolja aber ganz schön schnell!“

Wahrscheinlich spricht Diekmann seine Kinder auch immer in dritter Person an „Der Kolja Milo muss jetzt aber ganz brav sein“, was nach meiner Meinung – aber ich bin ja kein Kinderpsychologe – zu einer späteren Schizophrenie führt. In die gleiche Kategorie gehören für mich übrigens Väter, die von sich selbst in der dritten Person sprechen („Der Papa geht jetzt arbeiten“): Die sind schizophren. Kai Diekmann würde ich solche Erziehungsmethoden verzeihen – er erfährt sie ja selbst ständig am eigenen Leibe von Ehefrau Katja Kessler.

Aber ich schweife ab.

Zurück zu Vätern, die ihren Kindern was vormachen. Oder Chefredakteuren, die ihre Leser wie Babys behandeln. Wie die der „Bild“.

Die sucht weiter Leserreporter, die Prominente immer und überall abschießen, was im Boulevardjournalisten-Jargon für „Fotografieren“ steht. Und für diese Leserreporter gibt es eben einen lächerlich aussehenden Nicht-Journalistenausweis. „Yps!“ ruft da eine ganze Generation Gimmick-geschulter Comicfreunde. Und hat ja eigentlich auch Recht – ein netter Gag ist dieser Ausweis.

Kai Diekmann aber erklärt ihn – und die gesamte Leserreporter-Aktion gleich zur Rettung des Abendlandes:

„Diese Aussage zeigt die unerträgliche Arroganz mancher Journalisten gegenüber ihren Lesern. Die Wahrheit ist: Bislang bestimmten ganz allein Journalisten den Inhalt von Zeitungen und Zeitschriften. Das ist jetzt vorbei: Jetzt machen Leser als Leser-Reporter und Bürger-Journalisten mit! Der Leser-Reporter bringt den Journalismus nicht in Misskredit, sondern ist eine fundamentale Erweiterung journalistischer Arbeit. In Zukunft wird diese Arbeit der Leser-Reporter immer wichtiger. Ganz einfach deshalb, weil die Amateurfotografen ? insbesondere bei unvorhergesehenen Ereignissen ? als Augenzeugen dort längst zur Stelle sind, wo Profis in der Regel erst hinreisen müssen.“

Ja, so reden derzeit viele. Und das ja eigentlich auch zu Recht, denn in der Tat wendet sich ja das Blatt in Richtung Jedermann-Schreiber. Nur: Bei „Bild“ bestimmen eben nicht sie, welche Fotos veröffentlicht werden, sondern die eigens dafür geschaffene Redaktion. Und deshalb hat das ganze mit Bürgerjournalismus herzlich wenig zu tun.

Die Begeisterung zahlreicher Medien für Fotozusendungen ihrer Leser aber wird sich ohnehin auf Dauer abkühlen – mit jedem als Manipulation entlarvten Motiv, mit jeder Klage wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte und jeder Rechnung eines Fotografen, dessen Bild einfach aus dem Internet kopiert wurde.

Und natürlich mit jedem Hinweis, dass Wilm Herlyn, der Chefredakteur von DPA mit seiner Teilnahme an einer solchen Aktion per Zusendung eines Oben-Ohne-Nacktfotos von Heiner Bremer an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten ist.


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