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Der SWR – sonst nicht gerade als einer der intellektuelleren Sender der ARD profiliert – präsentiert sich als Rächer der Entbilderten und kündigt Robbie Williams. Fotografen sind arme Säue. Das muss so deutlich geschrieben werden. Kürzlich, in Paderborn, unterhielt ich mich mit einem auf Sportfotografie spezialisierten Kollegen, der mir Unglaubliches aus der Formel 1 berichtete: Er sei zum Grand Prix an den Nürburgring gefahren, ordentlich bei der Formel-1-Zentrale akkreditiert. An dem Schalter aber, an dem er seine Fotografenplatzzulassung abholen wollte, herrschte Chaos: Die Formel-1-Mitarbeiter hatten die Umhängekarten im Londoner Büro vergessen. Ergebnis: Kein Fotograf durfte rein, der Verdienstausfall wurde nicht übernommen, ebensowenig die Reisekosten.

Ja, das ist ein Job, den ich nicht haben möchte, Fotografen haben meine höchste Anerkennung für ihren Knochenjob. Vor allem, wenn sie wie eine Schweineherde auf dem Weg zur Kotelettwerdung im Drittwelt-Schlachthof vor die großen Pop-Bühnen dieser Welt gepfercht werden, wo sie fünf Minuten lang den Star ablichten dürfen um dann wieder hinausgetrieben zu werden in dieser Amnesty-International-würdigen Objektiv-Stampede.

Nun häufen sich seit zwei Jahren die Berichte über drückerkolonnengleiche Rechteabkommen, die Fotografen unmittelbar vor Konzerten vor den Latz geknallt werden, sogar von angeblich so sozial eingestellten Jammer-Rockern wie Coldplay.

Jüngster Fall: Robbie Williams. Die Abnehmer der Bilder verhalten sich fast immer gleich. Entweder wird gar nicht über das Konzert berichtet oder es gibt den weißen Protestbereich in der Zeitung mit dem Hinweis „Hier hätte eine Konzertkritik stehen können.“

Origineller und zeitgemäßer hat die „Sächsische Zeitung“. Sie hat ihre Leser aufgerufen, die besten Handy-Fotos aus dem Robbie-Konzert ihr zuzusenden zur Veröffentlichung. Der Aufruf liegt online vermutlich hinter einer Registrierung. Die Bildergalerie aber gibt es hier – mit erstaunlich guter Qualität. Sachsen-Fernsehen zieht dann auch gleich mit.

Leider hat es bei der „SZ“ im Osten anscheinend keine Honorierung gegeben, nicht einmal eine Nennung. Im diesem Fall vermute ich – im Gegensatz zu dem, was bei „Max“ abläuft – keinen bösen Willen, sondern einfach Schlampigkeit.

Es nimmt vorweg, was die geld- und fotogierigen Tourmanager ohnehin nicht verhindern können: Dass nicht akkreditierte Fotografen die Stars ablichten, sondern die Fans. Gefallen kann das den Imagehütern (und darum geht es auch bei den engen Zeitfenstern, die Fotografen gesetzt werden) nicht: Die modernen Bühnen lassen Fans nah ran – und das über die gesamte Zeit des Konzerts. Folge: Die Bilder werden künftig nicht mehr von Profis geliefert, sondern von Amateuren.

Und noch jemand versetzt dem Robbie-Management einen kräftigen Tritt in die Testikel: Der Südwestdeutsche Rundfunk hat die Tour-Partnerschaft gekündigt:

„Ursprünglich hatte SWR3 verschiedene Aktionen rund um das Konzert geplant, unter anderem ein zweitägiges Sonder-Radio-Programm. Hörfunkdirektor Hermann: „Aus Solidarität mit den Kollegen kommt das nicht mehr in Frage. Unser öffentlich-rechtlicher Auftrag verpflichtet uns zur Wahrung einer freien Berichterstattung – ehrlichen Journalismus kann man nicht kaufen.““

Ja, klingt schön, wenn sich ein Öffentlich-Rechtlicher so ins Zeug wirft für die Unabhängigkeit des Journalismus. Die ja ohnehin fraglich ist, wenn ein solcher Sender über ein Konzert berichtet, bei dem er selbst auf dem Plakat steht.

Eine Frage allerdings muss sich Hermann gefallen lassen: Hätte er dies auch gewagt, wenn die Robbie-Tour grandios laufen würde und alle dem Superstar zu Füßen lägen, wie bei der vorangegangenen Konzertserie? Oder sagt sich der SWR nur: Wir wollen lieber nicht Teil einer Tour sein, die derzeit eher trübe Kritiken und Berichte einfängt und den Schwarzmarkt einbrechen lässt:

„Und das ganze Spektakel war für die Zuschauer gar nicht mal so teuer ? jedenfalls wenn man lange genug mit dem Kartenkauf gewartet hat. Denn nachdem erst nur ein einziges Konzert in Dresden angekündigt war, für das die Karten innerhalb kürzester Zeit ausverkauft waren, machte ein Zusatzkonzert den einen Strich durch die Rechnung.

Die MTV News sammelten Voxpops von betroffenen Händlern:
Fünf Euro will ich noch haben für die Karte. Ich stehe hier schon seit Stunden und will die nur noch loswerden.
Wenn ich die Karte nicht für 35 losbekomme, gehe ich selber. Ich muss ja auch auf mein Geschäft kommen.“


Kommentare


DonDahlmann 14. Juli 2006 um 18:57

Die fünf Minuten, bzw. \“die drei ersten Lieder\“ Nummer gibt es schon seit Ewigkeiten und sind, man glaubt es kaum, deswegen zu Stande gekommen, weil es a) die Bands da oben genervt hat zwei Stunden lang angeblitzt zu werden und b) die Fans wegen der Fotografenmeute in den ersten Reihen schlicht weg nichts sehen konnte. So weit, so nachvollziehbar. Es gibt auch kein \“Recht\“ als Fotograf in eine Halle oder auf eine Rennstrecke zu kommen. Das alte Problem mit dem \“Hausrecht\“ der Veranstalter.
Problematischer sind allerdings die neuen Regelungen, dass man Bilder nach Ablauf einer gewissen Zeit nicht mehr benutzen darf. Auch das ist allerdings nicht mehr so ganz neu. Einige Teeniebands haben glaube ich in den 90er Jahren damit angefangen, da die ja andauernd das Outfit geändert haben und das Merchendising sich gleich mit. Druckten die Agenturen und Zetungen aber weiter alte Bilder ab, lagen die T-Shirts wie Blei in den Regalen.
Eine Sauerei und, soweit ich weiß, ein Novum ist allerdings die Sache mit Robbie Williams. Da wird man derartig unverschämt, dass es schon wieder zum lachen ist: Der Fotograf muss sämtliche Rechte an seinen Fotos abtreten, er muss sogar die Negative der Fotos der Agentur übergeben, und er darf damit rechnen, dass die Herren über die Bilder mit denen machen, was sie wollen: \“Wir sind berechtigt, unsere Rechte aus dieser Vereinbarung uneingeschränkt an Dritte zu übertragen, abzutreten, zu verpfänden, Sublizenzen zu erteilen oder in anderer Weise hierüber zu verfügen, ohne dass es einer Mitteilung an Sie bedarf\“. Auf gut Deutsch: Mit den Bildern, die ein Pressefotograf bei einem Konzert schießt, kann eine Agentur oder Künstlervertretung noch einen hübschen Reibach machen, vor allem bei Fanartikeln. [Zitat/Quelle]

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Torsten (taxi-blog.de) 14. Juli 2006 um 21:21

Hatte der Fotograph aus Paderborn zufällig die Initialien MK?

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Piranhase 15. Juli 2006 um 0:38

Welche Negative sollen abgegeben werden? Knipsen die Fotografen heutzutage nicht mit modernen Pickelkameras?

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peter 15. Juli 2006 um 10:25

Sorry, aber vielleicht bin ich ja schon zu misstrauisch unterwegs – aber warum setzt sich ein Radio-Sender für Presserechte von Fotografen ein? Mir kommt das spanisch vor. Ich glaub eher, die hatten ganz andere Gründe.

Schlauer hat\’s die Agentur von Depeche Mode gemacht: Die haben erst gar keine Akkreditierung zugelassen. Da wird die Band auch nicht genervt.

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Cats 15. Juli 2006 um 12:40

Ich stimme dem Don und auch dem anderen Don (Link aaS) zu. Alles andere steht dann heut nachmittag in meinem Blog. 🙂

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marcc 15. Juli 2006 um 16:44

Ich meine, die \“nur die drei ersten Lieder\“-Nummer gibt es, weil die Stars da noch ganz ordentlich aussehen und nicht verschwitzt oder erschöpft und unvorteilhaft in der Presse erscheinen.

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Chat Atkins 15. Juli 2006 um 18:00

Bleibt die Frage, was die bisherigen Pop-Fotografen machen, deren professionelle Bilder gar nicht mehr gefragt sind.

In der guten, alten Medienlandschaft 1.0 wackeln wirklich die Kulissen – Stichwort: \“Fragmented Media\“ oder \“End of Gatekeeper-Journalism\“ – und es sind diejenigen, die eigentlich darauf angewiesen wären, die im Zuge der gierigen Komplett-Vermarktung der Welt ihre Geschäftsgrundlagen über den Haufen reißen. Luschtich …

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arboretum 15. Juli 2006 um 23:46

Leider hat es bei der \“SZ\“ im Osten anscheinend keine Honorierung gegeben, nicht einmal eine Nennung.

Bei 36 der 47 Fotos in der SZ-Bildergalerie standen die Fotografennamen dabei.

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Michael Quack 16. Juli 2006 um 23:08

Die Regel gibt es vor allem weil alle das so machen und weil das immer schon so gemacht worden ist.

Und natürlich auch, weil ziemlich viele Fotografen zu dämlich sind nicht unangenehm aufzufallen, ihre Blitzmenge nicht auf ein Minimum reduzieren können und ganz allgemein ein Ärgernis darstellen.

Es bedeutet aber auch, dass sämtliche Stimmungsbilder weg sind, alle Bilder verschwinden, die zeigen dass (wenn) Musiker sich richtig in die Arbeit reinwerfen, und wenn Campino seine alten Knochen noch mal ins Publikum werfen sollte, dann sieht das keiner mehr. Macht er nämlich nicht während der ersten drei Stücke. Bilder wie diese (Cover \“Bis zum bitteren Ende – live\“ von 1985) haben dazu beigetragen die Jungs berühmt zu machen. Heute wollen sie von mir die Unterzeichnung eines Vertrages. Deswegen fotografiere ich sie nicht mehr. Ich bin aber auch schon bei Iggy Pop, Ozzy Osbourne und Deep Purple nach Hause gegangen, weil die Verträge unterzeichnet haben wollten. Meine Redaktionen haben mitgespielt, man hat nicht mal den Fehler begangen denen per weisser Stelle oder \“Hier hätte….\“-Beitrag mehr Plattform als nötig einzuräumen. Die Konzerte wurden totgeschwiegen, dem Management wurde das jeweils mit Begründung mitgeteilt. So was tut denen dann auch weh.

Man kann es drehen und wenden wie man will, Pressebilder sind ein wesentliches Moment für den möglichen Erfolg eines Künstlers (oder Pappkameraden). Bilder die man während der ersten drei Stücke macht, taugen dafür nicht. Ich hab neulich noch Bilder während eines Konzerts gemacht, wo die Security zur Vorgruppe nur vorgab, dass nicht geblitzt werden durfte – sonst gab es keine Beschränkung. Der Headliner des Abends durfte dagegen nur während der ersten drei Stücke fotografiert werden. Needless to say dass es von der Vorgruppe trotz reduzierten Licht und durch Vorhang kleinerer Bühne weit mehr und bessere Bilder gibt. In\’s Knie geschossen.

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niels | zeineku.de 17. Juli 2006 um 13:19

\“Ja, klingt schön, wenn sich ein Öffentlich-Rechtlicher so ins Zeug wirft für die Unabhängigkeit des Journalismus. Die ja ohnehin fraglich ist, wenn ein solcher Sender über ein Konzert berichtet, bei dem er selbst auf dem Plakat steht.\“

Allerdings – die Praxis der sog. Medienpartnerschaften ist bisher viel zu selten Gegenstand von Kritik geworden. Nur im Umfeld des letzten Schleichwerbe-Skandals wurde das Problem hier und da mal angedeutet.

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