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Sie können mich jetzt gerne konservativ nennen. Verstaubt. Vielleicht auch ignorant gegenüber Neuerungen. Aber es gibt einfach Orte, an denen ich nicht umworben werden möchte. Vergangenes Wochenende, Freitag, später Abend. Münster. Auf dem Rückweg von einer Veranstaltung, die ich moderierte, noch mal eben tanken auf dem Heimweg nach Senden um bei Muttern zu übernachten.

Tanken, das ist ja ein merkwürdiger Moment. Man entsteigt dem Auto, die Trommelfelle vibrieren noch leicht von der Mixtur aus dem – zugegeben: meist nur für Männer – angenehmen Kompressor-Brummen und bevorzugter Musikauswahl, in dem Fall das konzertvorbereitende jüngste Album von Adam Green.

Die sich öffnende Tür saugt kühle Nachtluft, leichtes Frösteln setzt ein, schließlich liegt der wärmende, aber den Schaltvorgang behindernde Mantel im Kofferraum, so schnell wird sich schon nicht erkältet und ohnehin ist Erkältung ja eine Virensache und keine Temperaturfrage. Zehn Meter weiter rollen einzelne Früh-Heim-Ausgeher und Freitagslangarbeiter in ihren Opeln und Volkswagen über leicht nassem Asphalt gen ländlicher Heimstatt.

Dies könnte der seltene Moment sein, in Muße die Menschheit zu betrachten. Das Landjugendvolk, zum Beispiel, das seine in bizarren Metallicfarben lackierten und bis auf Straßenhöhe tiefer gelegten Aufreißer-Polos parkt, um den Kinoabend im Burger King ausklingen zu lassen, der gleich neben der Tankstelle liegt. Blondierte Teenagerinnen-Haare weht der fettgeruchschwangere Wind hoch, ihre Begleiter brüllen ein „Ey, wo biss du?“ in die Ein-Euro-Vertragsverlängerungshandys.

Hinter einem parkt ein klapperiger Peugeot mit Kennzeichen aus einem fernen Landkreis im Norden. Ihm entsteigt ein Anfangzwanziger mit blasser Haut und starker Brille, ein Informatikstudent könnte er sein, die achten selten auf ihre Kleidung. Es ist Freitag, es sind Semesterferien, die letzte Klausur war heute fällig und nun geht es in die Heimat.

Über all das könnte man nachdenken, während die Zapfpistole 50 Liter Treibstoff in den Darm des Kraftfahrzeugs pumpt. Wenn da nicht jener Bildschirm an der Zapfsäule wäre. Aus dem Lautsprecher neben ihm wabert Pop-Allerlei von DSDS-Ekligkeit, sein Bildschirm flimmert Werbung in die Nacht.

Wer näher tritt, erkennt die Touchscreen, auf ihr lassen sich Nachrichten abrufen, Staumeldungen und Filmchen. So als ab hier 30-Tonner anrollten und ihre gewaltigen Bäuche über Stunden füllten mit steuerbeschwerten Mineralölprodukten.

Nein, hier mag ich nicht mehr tanken. Ich fand schon Werbung in öffentlichen Toilettenkabinen unerträglich, während eines Autostopps brauche ich sie ebenso wenig. Nie mehr diese Westfalen-Tankstelle an der Ausfallstraße Richtung A43, die glaubt mit der Zeit zu gehen.

Irgendwann werden auch andere so denken. Dann, wenn der erste Monitorsüchtige immer wieder auf die Zapfsäule eintippt, während hinter ihm Hup-Symphonien losbrechen. Nach zwei Minuten ruft er genervt: „Ja, ja, nur noch eben gucken, wie Schalke gespielt hat.“


Kommentare


HCL 31. März 2006 um 12:30

schalke? *grins* schön getextet!

an werbung an sich hab ich mich gewöhnt, auch an eigenartige plätze, aber heftig finde ich 1. bewegtes und 2. akustisches. wäre in der tat ein grund dort nicht mehr zu tanken. sollte man auch so weitergeben.
wenn solche sachen zu umsatzeinbussen führen würden, wäre wohl irgendwann auch wieder schluss damit.

und wenn die schalke-fans dann deswegen dort häufiger tankten, würde der umsatz ja auch sinken, weil der durchsatz nicht so gross ist, oder?

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Walter 31. März 2006 um 14:30

Tja, sieht ganz nach einer Scheidt&Bachmann-Ausstattung (der Zapfsäule aus. Sie wissen schon, jenes traditionsbeladene Unternehmen aus Mönchengladbach, das einmal mit Eisenbahn-Signalen seinen ersten Thaler verdient hat.

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emma 1. April 2006 um 23:13

also ich könnte es ja verstehen, wenn ein durchschnittlicher Tankvorgang 20 Minuten dauern würde. Umsatzsteigernd, und das ist ja das eigentliche Ziel von Werbung, wäre die Methode sicherlich auch, wenn ein Spritbrauchender die Auswahl verschiedener Benzinsorten nutzen könnte. So auf die Art: ah da gibt es aber einen schönen Dieselkraftstoff, da bring ich was der Tante Helga mit. oder: schönes Bleifrei haben die hier da schlag ich doch gleich mal zu und tanke den Kofferraum auch gleich voll.
Kurz: man tankt so viel man braucht oder bezahlen kann und fährt weiter. Aus Neugier werden vielleicht mehr die Tanktstelle ansteuern, aber sonst?

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