Wir Journalisten sind innerlich fiese Säue. Gerne weiden wir uns daran, wenn sich Granden unserer Branche an die Kehle gehen. Doch, das macht Spaß, gebe ich gerne zu, Journalisten sind halt koffeeinabhängige Berufszyniker. Jüngstes Beispiel ist die Wortschlacht zwischen dem Medienmagazin „VISDP“ und Thomas Leif, dem Vorsitzenden des Journalisten-Vereins Netzwerk Recherche.
Die aktuelle Ausgabe des Medienmagazins „VISDP“ ist ein Genuss für uns Medien-Sadisten. Das Blatt mag ich ohnehin, nicht nur wegen des Prometheus. „VISDP“ ist das bonbonbunte Gegenstück zum vermufften „Journalist“ und zum abstürzenden „Medium Magazin„.
Die jüngste Ausgabe von „VISDP“ – in für Männer nicht akzeptablem Pink gehalten – beschäftigt sich noch einmal mit jenem Pressekodex, den das Netzwerk Recherche vor kurzem in die Öffentlichkeit warf. Ich hatte diese Werk auch sofort meiner persönlichen Vergessenheit anheim geführt, ohnehin habe ich ja in Vielem eine andere Meinung als Herr Leif.
In der Februar-Ausgabe von „VISDP“ hatte Herausgeber Hajo Schumacher sich das Konstrukt vor die Brust genommen und mit der Scheuklappen-Mentalität, mit der jener Kodex behauptet „Journalisten machen keine PR“, in den Raum geworfen, dass ja irgendwie alles PR ist. Schönes Todschlagargument.
Im Detail aber bewegte sich seine Argumentation erheblich näher an der Realität als die des Netzwerks. Beispiel: Darf sich für das Netzwerk Recherche ein Journalist-oder-Nicht-Journalist noch „Journalist“ nennen, wenn er für das PR-Organ „ADAC-Magazin“ schreibt? Nach Pressekodex ist die Antwort klar: Nö.
Nun ist es einfach nötig, mal die Fronten abzustecken. Einerseits haben wir da Helios Media, den Verlag von „VISDP“. Der wird von einem Politik-Lobby-Berater betrieben und gibt auch Magazine wie den „Pressesprecher“ heraus. Außerdem hat er einen Pressesprecherverband gegründet. Würde er sich also gegen PR-Arbeit stellen, hätte er ein Problem mit dem anderen Teil seiner Kundschaft. Und auch Attacken gegen Lobbyismus fallen schwer, schließlich gehören zum Portfolio auch die Lobbyisten-Blätter „Politik & Kommunikation“ sowie „European Agenda“.
Auf der anderen Seite ist da Netzwerk-Vorsitzender Thomas Leif, SWR-Chefreporter. Er hat sich mit dem Thema Lobbyismus, sagen wir, recht zeitnah zum Pressekodex auseinandergesetzt. Pünktlich zu dessen Erscheinen nämlich hat der SWR kurzfristig eine Dokumentation Leifs ins Programm genommen. Was „VISDP“ entsprechend geißelt:
„Ist es eine Form von PR, Kungelei oder Lobbyismus, wenn erstens der Medienkodex, erstellt von einem e.V., exakt zu dem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gelangt, da zweitens ein Film über PR und Lobbyismus im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesendet wird, gemacht von einem der Kodex-Mitautoren, der drittens zur gleichen Zeit ein von ihm herausgegebenes Buch zum Thema vorgestellt, erschienen bei der steuerfinanzierten Bundeszentrale für politische Bildung…“
Womit abgesteckt wäre, dass beide Seiten Interessen verfolgen, dies aber nicht offen zugeben. So etwas nennt man wohl Lobbyismus.
Traurig aber ist, dass Leif seine Eigenvermarktung mit Hilfe eines eigentlich sinnvolen Vehikels betreibt, dem Netzwerk Recherche nämlich. Die Ignoranz gegenüber der Lebenssituation freier Journalisten, von denen wohl viele aktuelle oder potenzielle Netzwerk-Mitglieder sein dürften, ist bemerkenswert. „Journalisten machen keine PR“ – das hat etwas vom Poeten, der nur gut sein kann, wenn er arm ist, bis er schließlich schwindsüchtig in seiner Kissengruft der Welt entschwebt.
Zunächst einmal: Selbst fest angestellte Journalisten machen PR. Für ihren Arbeitgeber, zum Beispiel, wenn sie Diskussionen moderieren oder im Fernsehen talken. Sie machen im Auftrag PR, wenn sie Moderationen oder Vorträge für Unternehmen akzeptieren – so wie das übrigens auch jener Herr Leif tut. Und schließlich machen sie PR für sich selbst durch Blogs, Bücher und öffentliche Auftritte.
Freie Journalisten sind zur PR-Arbeit gezwungen. Denn ansonsten können sie schlicht nicht überleben. Wenn sogar Branchenblätter für eine der am besten verdienenden Berufsgruppen 75 Euro pro Druckseite offerieren, tritt der Traum vom unabhängigen Journalismus zurück hinter den knurrenden Magen.
Das ist auch zunächst kein Problem: Denn der Journalist an sich gehört einem gewissen gehobenen Bildungsniveau an, man kann ihm einigermaßen die geistige Leistung zutrauen, PR für das eine Unternehmen zu machen und über ein anderes, aus einer anderen Branche eine journalistische Arbeit abzuliefern. Über PR-Auftraggeber dagegen sollte man nicht journalistisch arbeiten. So schwer ist diese Trennung also eigentlich nicht.
Ist das Netzwerk Recherche konsequent, wird es weite Teile seiner Mitglieder rauszuwerfen. Aber, ups, dann gehen natürlich auch die Mitgliedsbeiträge flöten. Vielleicht müssen jene Mitglieder dann beim Jahreskongress eine Binde tragen auf der „PR-Fuzzi“ steht. Purist Leif wird mit gutem Beispiel sicher voran gehen.
Er selbst aber wird weiß genau, dass es nicht so einfach ist mit dem Leben als freier Journalist. Zumindest wenn er mit denen redet, die seinen Arbeitgeber SWR mit Beiträgen beliefern. In seiner „VISDP“-Gegenrede zetert Leif gegen die Verleger, denen die Vermischung von Journalismus und PR ja ganz recht ist, weshalb sie auch nicht an der Reinheit ihrer journalistischen Mitarbeiter interessiert sind.
Was er ignoriert: Beim SWR ist das nicht anders. Da wurden die Redaktionen – wie bei allen öffentlich-rechtlichen Sendern – eben auch zusammengefahren, der Kosten wegen. Und deshalb sind vor allem Magazinsendungen angewiesen auf die Beiträge freier Mitarbeiter. Die aber könnten sich bei der Masse der benötigten Filme leicht auf eine feste Stelle einklagen, weshalb es komplizierteste Konstrukte gibt, um die Menge, die ein einzelner freier Journalist liefern darf, zu limitieren. Wer sich einmal mit einem Freien des WDR über dieses Thema unterhält, glaubt, dass er mit einem Atomphysiker spricht. Diese Honorarobergrenze führt dazu, dass die Journalisten eben noch andere Arbeit annehmen müssen: Unternehmens-Filme, zum Beispiel, zu PR-Zwecken.
All das weiß Herr Leif natürlich. Er sagt es nur nicht. Und deshalb umweht die merkwürdige Art, wie dieser Kodex entstanden ist und der zeitliche Zusammenhang mit Leifs eigenen Veröffentlichungen ein stinkender Stallgeruch: Es geht hier allein um PR. PR für Thomas Leif.
Kommentare
Sebastian 24. März 2006 um 15:27
Und dennoch ist es überfällig, gegen das zunehmende Verquicken von Journalismus und PR vorzugehen. Auch wenn manche den Ansatz als überehrgeizig verstehen und so wenig er auch in Einklang mit der Lebenswirklichkeit Einzelner zu bringen ist. Man darf nicht vergessen, dass das Netzwerk seinen Kodex „Leitbild“ genannt hat. Ich verstehe es mehr als eine normative Orientierungshilfe.
Stefan Niggemeier 25. März 2006 um 20:41
Diese Eigen-PR-Aktion hätte Herr Leif aber sehr, sehr, sehr langfristig vorbereitet. Gemeinsam mit drei Co-Autoren (Carsten Brosda, Michael Haller und Christian Schicha) veröffentlichte er schon am 21. April 2004 einen langen Text in der „Frankfurter Rundschau“ und in „epd Medien“, in dem er einen Medienkodex forderte. Überschrift: „Leitlinien für einen seriösen Journalismus“. Hat er das schon vorsorglich gemacht, für den Fall, dass er irgendwann einmal einen passenden Film dazu drehen würde? Oder hat er den längst fertigen Medienkodex zurückgehalten, bis endlich der Film fertig war?
Vor dem „wachsenden PR-Einfluss“ warnten Leif und das Netzwerk Recherche auch am im August 2005 in einer Erklärung (epd Medien, 6.8.05). War da auch gerade ein Film von Leif im Fernsehen?
Und was war der Anlass von Leif, am 28.2.04 (ebenfalls in epd Medien) für das Netzwerk Recherche Änderungen am Pressekodex des Presserates zu fordern?
In den Archiven finden sich soviele Stellungnahmen von Leif gegen den Einfluss von PR auf Journalisten und für einen Medienkodex, wie er ihn versteht, dass es mir einigermaßen absurd erscheint, an einem einzigen Termin davon eine Verschwörungstheorie wie die oben festzumachen.
tknuewer 26. März 2006 um 20:21
@Stefan Niggemeier: Stimmt, Leif setzt sich schon länger mit dem Thema auseinander. Zwei Dinge sind diesmal aber anders. Es geht um ein Buch und einen Film. Vor allem aber: Die Art und Weise wie der Kodex auf den Markt kam, ist doch erstaunlich. Statt ihn auf dem Jahrestreffen gemeinsam zu erarbeiten, scheint er einfach vorgegeben worden zu sein.
tknuewer 27. März 2006 um 9:31
Selbstverständlich sollte es nicht so klingen, als ob ALLE freien Journalisten PR-Arbeit machen müssten. Aber eine ganze Menge, darunter viele richtig gute.
PR Blogger 27. März 2006 um 17:12
In diesem PR Blogger Blogoskop geht es um effiziente Websites, die Trennung von PR und Journalismus, das Streben nach Reputation Viral Marketing in Communities und in der Musikbranche sowie um einen innovativen Podcast aus Berlin. Es reicht nicht, einfach…
hajo schumacher 28. März 2006 um 17:53
das problem und amit das einfallstor der pr in den journalismus ist doch der verschämte umgang aller mit dem thema. die lösung heisst meines erachtens: transparenz. die erfüllung einer oder mehrerer der folgenden drei punkte wäre dabei sehr hilfreich.
1. die branche braucht eine allgemein akzeptierte definition von pr (was nicht leicht ist).
2. keine kriminalisierung, kein kategorisches stigmatisieren von kollegen zu nicht-journalisten, nur weil sie womöglich sogar in ihrem eigenen blatt für die gesponserte golf-, immobilien- oder fonds-beilage für ein paar euro zugeliefert haben (was nach nr-massstäben pr ist).
3. der gläserne journalist: offenlegung aller pr- oder grenzwertigen aktivitäten (also bezahlte jobs) oder alternativ: hinterlegung bei einem vertrauensgremium.
Sebastian Esser 28. März 2006 um 18:29
Das Problem an der Formulierung „Journalisten machen keine PR“ ist doch, dass sie zu allumfassend ist. Wer definiert, was eine Verschwörungstheorie ist und was unerlaubte PR? Hat Leif den Kodex gemacht, um für seinen Film zu werben? Nein. Hat er für seinen Film geworben? Ja. Der Effekt ist der selbe. Ich glaube auch nicht, dass Stefan Niggemeier Partei ergreift für Thomas Leif, nur weil er bei dessen Seminar Referent ist (siehe Auszug aus dem letzten NR-Newsletter). Nimmt man den Medienkodex wirklich beim Wort, müsste man das anders sehen.
„# 14: Hospitanzen fuer kuenftige Recherche-Trainer.
Vom 10. bis 14. April 2006 findet im NDR in Hamburg ein Modellseminar zum Thema „Recherche-Optimierung und Redaktions-Management“ fuer besonders an Recherche interessierte Kolleginnen und Kollegen statt. Dieses neu konzipierte „Inhouse-Seminar“ wird von Dr. Thomas Leif und Georg Restle (WDR/Monitor) gestaltet. Gastreferenten sind u.a. Marcel Rosenbach (Der Spiegel) und Stefan Niggemeier (frei; bildblog.de)“
hajo schumacher 28. März 2006 um 19:46
immerhin 1000 euro steuerfrei.
Stefan Niggemeier 28. März 2006 um 21:06
Journalisten-Preise sind PR? Und deshalb darf man sie nicht annehmen? Oder nicht vergeben? Oder was? Und die Teilnahme als Referent an einem Recherche-Seminar ist PR? PR für wen? Für mich? Für den NDR? Für Thomas Leif? Für die Recherche?
Ich fürchte, damit haben wir die Diskussion komplett auf dem lustigen ViSdP-Niveau, und ich bin raus hier.
tknuewer 29. März 2006 um 10:55
Moooment: Genau das aber ist doch das Problem eines Medienkodex, der eine so harte Linie setzt. Natürlich ist ein Journalistenpreis PR. Was denn bittschön sonst? Ziel eines von Unternehmen gesponserten Preises ist es, sich entweder in ein gutes Licht zu rücken oder ein Thema in die Medien zu drücken.
Das Auftreten als Referent oder Moderator bei einer Firmenveranstaltung ist ebenfalls PR: Denn das ziert den Veranstalter.
Und geht es um ein journalistisches Seminar, ist es Eigen-PR. Das wäre jetzt aber sehr philosophisch, wollte man die unter die PR fassen, die der Kodex meint.
alles ist so negativ! 8. April 2006 um 16:54
Ich habe früher gerne Krimis gesehen oder gelesen. Inzwischen finde ich die ziemlich langweilig. Ich folge dem allgemeinen Trend zum Dokudrama. Wenn Sie sich langweilen, hier ein bischen Literatur: Die vom “Netzwerk Recherche” herausgegebe…
Marcus Lindemann 21. Mai 2006 um 0:57
@ hajo Schumacher: Steuerfrei? Bin mal auf die Entscheidung des Finanzambtes gespannt – wie die Ihre Regeln auf Blogs anwenden. Bislang galt: Wer den Preis für ein konkretes Werk bekommt, muss versteuern – lediglich Auszeichnungen für das Lebenswerk sind steuerfrei.
Tom Schimmeck 8. November 2007 um 13:47
Sehr geehrter Herr Knüwer,
es sei Ihnen unbenommen, ihre Existenz als \“fiese Sau\“ und \“koffeeinabhängiger Berufszyniker\“ zu fristen. Unsere Verfassung toleriert es sogar, die ballaballabunte Selbstvermarktung der Lobbyentertainer von Helios unter dem Namen \“visdp\“ prima zu finden. Doch dass Sie von sich auf den kompletten Berufsstand der Journalisten schließen, verbitte ich mir.
Thomas Knüwer 8. November 2007 um 14:11
Ironie ist nicht Ihre Sache, oder?
Franz 8. November 2007 um 14:26
Es heisst uebrigens: Totschlagargument.
Der nackte Kaiser beim Netzwerk Recherche 4. Juli 2011 um 21:50
[…] Leif war der große Macher. Er zog reichlich Reputation aus seinem Tun. Große Worte schwang er, große Worte donnerte das Netzwerk Recherche vom Altar des Schönen, Wahren und Guten. Oder war beides nicht eigentlich […]