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Ist ein neuer Kunde gefunden, ist allerletzter Einsatz gefordert. Gerade beim ersten Projekt. Und erst recht in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt.

Sie schweigen. Alle. Und schlucken.

Egal ob die Senior Consultants Alexandra, Sabine und Lars, Junior Consultant Tanja-Anja oder Praktikantin Julia. Nur Sekretärin Polia entfährt ein fröhlich juchzendes „Yiiiiiihhhh!“.

Denn gerade hat der Chef verkündet, dass es einen neuen Kunden gibt: T-Mobile. Und: Die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt soll als erstes Projekt gleich die Pressearbeit beim einzigen Deutschland-Auftritt von Robbie Williams machen. In Berlin. Ein Riesending.

„Das muss hinhauen. Brauchen ganz große Presse. Dann sind wir wieder oben“, sagt der Chef mit aller Deutlichkeit. Und: „T-Mobile muss überall auftauchen. In jedem Bericht. In jedem Bild. Ich will Results, Results, Results“, ruft er und schlägt mit der flachen Hand auf Polias Tisch am Ende des Großraumbüros, worauf die dort aufgestellte Blumenvase umfällt und das Wasser den sandfarbenen Zegna-Anzug des Chefs verschmutzt: „Fuck!“, schreit er und verschwindet im Büro.

Zwar ist die Tür zum Büro des Chefs schallgeschützt, doch Alexandra, Polia, Sabine, Julia, Tanja-Anja und Lars eilen trotzdem hinaus, ins Treppenhaus, und schließen die Pforte der kleinen PR-Agentur um dann gemeinsam loszujubeln.

„Rooooobbiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeee“, schreit Tanja-Anja aus.

„Das wird sooooooooo geil“, ist Sabine sicher.

„Ein Selbstläufer. Über das Konzert schreibt doch jeder. Wir müssen nur das Magenta da irgendwie reinkriegen“, sagt Lars lässig.

„Und wir sehen Roooobbiiiiiiiiiiiiiiieeeeee“, ruft Tanja-Anja während sie vor Begeisterung wie ein Flummi durch das Treppenhaus hüpft.

Selbst Alexandra kann sich der Gruppenbegeisterung nicht verschließen: „Und wir kriegen bestimmt Backstage-Karten. Und organisieren die Pressekonferenz. Und da sehen wir ihn bestimmt…“

„Aus nächster Nähe…“, ergänzt Tanja-Anja und fällt in Ohnmacht.

„Die spielt doch…“, sagt Lars gerade und erkennt seinen Irrtum sofort, als Tanja-Anjas Schädel ein dumpfes „Plock“ von sich gibt, bevor er auf dem rauen Betonboden aufschlägt, den der fast bankrotte Architekt damals als Bauhaus-Stil gepriesen hat.

Die Gehirnerschütterung stellt sich als leichte heraus – Glück gehabt. Als Robbie landet, arbeitet die Maschinerie der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt auf vollen Touren, präzise wie die Jaeger-Le Coultre am Handgelenk des Chefs.

Dann die Pressekonferenz.

Auf einem Monitor hinter der Bühne verfolgen Sabine und Tanja-Anja die Veranstaltung. Es läuft gut, verdammt gut.

„Er ist so süß“, seufzt Tanja-Anja. „

Und so locker“, ergänzt Sabine.

Nach dem letzten Wort Robbies drängt dieser sich umringt von seiner Entourage aber nicht durch den Gang links der Bühne, wie verabredet, sondern rechts.

„Sie kommen auf uns zu, Robbie muss an uns vorbei!“, presst Sabine aufgeregt hervor.

„Robbiiiiiiiiiiieee“, kreischt Tanja-Anja und hüpft hoch.

Leider hat sie die Stahlrohrverstrebung über ihrem Kopf nicht bemerkt. Aber mit Ohnmacht und Gehirnerschütterung haben sowohl sie als auch Ersthelferin Sabine jetzt Erfahrung.

Am Sonntag Abend das Konzert. Die kleine PR-Agentur dreht ein großes Rad. Alexandra und der Chef beschmusen T-Mobile, Julia verteilt am Eingang des Pressebereichs die PR-Materialien, Lars hakt die Liste der anwesenden Journalisten ab. Sabine, Polia und Tanja-Anja kümmern sich auf der Tribüne um die Medienvertreter.

Doch die scheinen nicht begeistert. „Der von der ,Welt‘ sieht aber gelangweilt aus“, wispert Sabine zu Tanja-Anja, in einer Applauspause. „Und der vom ,Standard‘ ist richtig angesickt. Das läuft nicht gut. Aber er ist doch so süüüüüüß“, ergänzt diese, bevor sie bei den ersten Tönen von „Angels“ hysterisch „Rooobiiiiiiieeeeeee“, schreit.

Auf dem Weg zur After-Show-Party eine kurze Lagebesprechung der Fußtruppen, während Alexandra und der Chef das T-Mobile-Management begleiten.

„Ganz nett fanden die meisten es“, sagt Lars.

„Und T-Mobile?“, fragt Sabine.

„Pfffft – interessiert die Schmierfinken doch Nulpe. Da haben sie die besten Plätze und schreiben nicht, wem sie es zu verdanken haben.“

„Das können wir uns nicht leisten. Wir müssen alle Mittel einsetzen. Sonst verlieren wir T-Mobile“, ergreift Sabine die Initiative.

„Und Robbbiiiiiiiiiiii auch“, seufzt Tanja-Anja.

Sabine richtet sich auf: „Dann müssen wir mit allen Mitteln kämpfen. Habt ihr gehört? Mit allen!“

Tanja-Anja ist die erste, die sich ins Geschehen wirft. Charmant plaudert sie mit dem Musikkritiker der „Welt“. Ihr sei etwas warm, sagt sie und komplimentiert ihn zum Parkplatz. Robbies Hauptsponsor? Nein, den werde er nicht erwähnen. Tanja-Anja stellt sich in Positur und reißt sich die enge, weiße H&M-Bluse mit einem Ruck auf, dass die Knöpfe über den Asphalt fliegen: „Erwähn T-Mobile und du bekommst das!“ Erregt drängt er sie an den nächsten Wagen, so dass ihr Kopf auf die Kühlerhaube knallt. Am nächsten Morgen wird der Arzt in der Charité sie darauf hinweisen, dass mit Gehirnerschütterungen nicht zu spaßen ist.

Lars setzt auf die Macht der Worte. Er führt die Frau vom „Tagesspiegel“ an einen Tisch in einem stillen, abgedunkelten, besenkammergroßen Raum. Er setzt sich ihr gegenüber, und richtet die Schreibtischlampe auf sie. Dann kratzt er sich mit dem Fingernagel seines linken Ringfingers dezent an der Wange und senkt seine Stimme zu einem heiseren Räuspern: „Siehst Du, die Familie hat viel für Dich getan. Sie hat Dich hierher eingeladen, sie hat Dir zu Essen und zu trinken gegeben. Sie hat Dir Robbie auf die Bühne gestellt. Ist es nicht an der Zeit, dass Du etwas für die Familie tust?“

Sabine hat sich derweil den freien Journalisten geschnappt, von dem sie weiß, dass die Geschäfte nicht gut laufen. Zärtlich fährt ihr Zeigefinger über seine rechte Schulter. „Sag mal Volker… Du möchtest doch sicher wieder bei der nächsten Pressereise dabei sein, oder? Da wäre die Erwähnung eines gewissen Unternehmens in Zusammenhang mit Robbie echt hilfreich, verstehst Du?“

Die Macht der Worte hat bei Lars nichts gefruchtet. Also wählt er jetzt männliche Waffen. Auf der Herrentoilette drängt er den Mann vom „Standard“ in eine Kabine und zückt ein Springmesser: „So, Freundchen. Entweder T-Mobile taucht in Deinem Artikel auf, oder ich fliege nach Wien und schnitze Dir Robbies Logo in deine Sachertortenfresse, kapiert?“

Polia verbindet derweil das Angenehme mit dem Nützlichen. Mit einer eleganten Handbewegung landen die KO-Tropfen im Glas des gut gebauten Schreibers von der „Financial Times Deutschland“. Der wird am nächsten Morgen entkleidet und allein in seinem Hotelzimmer aufwachen und sich daran erinnern, dass er irgendwas in den Robbie-Artikel schreiben muss. Aber was? Die letzte Nacht verschwindet in einem Nebel des Vergessens.

Kurz vor Mitternacht läuft Sabine ihr One-Night-Stand von vor zwei Wochen über den Weg, er arbeitet beim „Stern“. „Hallo“, haucht sie, „soll Deine Frau eigentlich immer noch nichts von uns erfahren?“

Lars hat sich inzwischen warmgespringmessert. Er drängt gerade sein siebtes Opfer in die Toilettenkabine und trägt ihm in sanftem Ton sein Anliegen vor. So sanft, wie einst Brando im Paten, selbstverständlich. Der blonde Mittvierziger mit den kurzen Haaren und dem exzellent sitzenden Anzug schaut Lars einen Moment lang an. Dann sagt er: „Mein Name ist Kai-Uwe Ricke.“

Am nächsten Tag, zurück in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt, erfahren die Mitarbeiter vom Ende der Geschäftsbeziehung mit T-Mobile.

Tanja-Anjas Blick wirkt leer. Einen Moment lang steht sie starr, dann wispert sie leise: „Aber, aber, Roobiiiiiiiiieeeee“. Bevor Lars sie auffangen kann, macht ihr Kopf „Plock“.

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs


Kommentare


Radio-Day mit Funkhaus Wallrafplatz und DRadio Wissen 26. Juli 2010 um 10:51

[…] dann für eine Tour de Force gesorgt: Netzpolitik, Medienwandel, Zucchini-Salat-Rezept, eine Lesung der Kleinen PR-Agentur um Rande der Stadt – das war ganz schön bunt. Gute Sendung, finde ich – und vielleicht mögen Sie, liebe […]

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