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Weblogs können nicht die Welt retten. Aber sie sind eine spannende Entwicklung, deren Einfluss noch nicht einzuschätzen ist. Mancher deutsche Kommunikationswissenschaftler aber mag sich damit nicht beschäftigen.

Kürzlich schrieb ich fürs Gedruckte über Weblogs und Wahlkampf. Bemerkenswert war, dass sich kaum ein Kommunikationswissenschaftler von Ruf (und Professoren-Titel) fand, der dazu etwas sagen konnte oder wollte.

Natürlich müssen sich nicht alle Medienforschende auf Weblogs stürzen, aber sie sollten dieses Instrument zur Kommunikation zumindest wahrnehmen und in laufende Trends einordnen. Das aber scheint in Deutschland überhaupt nicht zu passieren.

Jüngstes Beispiel dafür ist ein Interview von Marcello Machill, Professor für Journalistik (Hübsches Wort, übrigens. Ist die Lehre von der Logik nicht auch die Logistik?) an der Universität Leipzig,  Schwerpunkt Neue Medien, mit der "Leipziger Volkszeitung" (gefunden bei Medienrauschen und im Lummaland).

Dass Professoren in Leipzig so ihre Probleme mit Neuen Medien haben, konnte mein Mail-Postfach ja schon mal spüren. Herr Machill aber setzt einen bemerkenswerten Maßstab an Realitätsferne und Ideenlosigkeit. Wobei ich erstmal einwerfe: Hoffentlich ist dieses Interview ein grottig schlecht abgestimmtes Gespräch oder ein E-Mail-Interview. Denn sollte der Herr Professor so reden, wie es zu lesen ist, sind seine Vorlesungen als Sedativum unbedingt empfehlenswert.

Inhaltlich beweist er zunächst, dass er wenig Ahnung von Produktionsabläufen in klassischen Medien hat:

"Das Problem der Netztagebücher ist, dass sie sehr subjektiv sind und keine Qualitätskontrolle stattfindet. Die Schreibenden sind nicht in Redaktionsstrukturen eingebunden und müssen ihr Produkt beispielsweise nicht dem Redaktionsleiter oder Chefredakteur vorlegen."

Subjektiv nämlich ist die Berichterstattung in klassischen Medien oft genug ebenfalls – und sie wird immer subjektiver. Vor allem im Fernsehen gewinnt das persönliche Erleben des Reporters immer stärker über die klassische Information. In Print-Produkten ist diese Entwicklung ebenfalls zu beobachten, manifestiert durch die Auslagerung von reinen Fakten in Kästen.

Einem Chefredakteur oder Redaktionsleiter allerdings werden nur die wichtigsten Teile eines Print-Produktes vorgelegt. Die Chefs würden sich auch bedanken, wenn sie jede Zeile lesen müssten. In kleineren Redaktionen (zum Beispiel im Lokalen) gibt es solche eine Kontrolle oft gar nicht mehr. Der Redakteur schreibt und ist allein verantwortlich für das, was er zu Papier bringt.

Dann darf Herr Machill die Bedeutung von Weblogs runterschrauben:

"Die Weblogs werden von Vielen überschätzt. Sie haben nicht die Bedeutung, um eine Kontrollfunktion ausüben zu können."

Ach nein? Nun, vielleicht nicht jedes Weblog und überall. Für die – mit den Web-Angeboten klassischer Medien – relativ geringen Klickraten sind die Wirkungen aber oft erstaunlich. Siehe die Korrekturen die Bild.de nach Einträgen im Bildblog vornimmt. Etwas ähnliches gibt es übrigens auch für die "Ostsee-Zeitung".

Und was die Bedeutung betrifft: Es ist doch erstaunlich, dass sich Fälle häufen, in denen große Medien Geschichten aus Blogs aufgreifen. Herr Machill umschreibt das so:

"Es ist richtig, dass Journalisten Weblogs durchstreifen, um dort auf neue Themen zu stoßen. Da-durch haben die Blogs jedoch nicht automatisch eine erhöhte Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit."

Nur: Wenn der Journalist noch an Standesregeln glaubt, nennt er die Quelle. Also das Weblog. So änderte das honorige "Wall Street Journal" gerade eine Story – und gestand ein, dass es die Information aus einem Weblog hatte. Andere nehmen Weblogs als Quelle für ihre Wirbelsturm-Berichterstattung. (gefunden in der Blogbar). Also werden diese Artikel entweder nicht gelesen – oder die öffentliche Wahrnehmung von Blogs steigt doch an. Was denn nun, Herr Professor?

Ach nein, Weblogs darf man ja nicht zitieren:

"Frage: Beispielsweise wurden während des Tsunamis Weblog-Erfahrungsberichte in Zeitungen abgedruckt …

Antwort: Es ist gefährlich, Äußerungen abzudrucken, ohne vorher persönlich mit dem Verfasser gesprochen zu haben. Es könnte sich lediglich um einen Wichtigtuer handeln, der sich als Augenzeuge präsentiert und die Geschehnisse dadurch verzerrt. Falls eine Überprüfungsrecherche nicht möglich ist, dürfen diese Berichte nicht übernommen werden."

Was für ein weltfremder Unsinn. Zunächst antworten die meisten Blogger recht flott, wenn man sie bittet, aus ihren Texten zitieren zu dürfen (Was übrigens bei längeren Passagen auch zum Geschäft seriöser Journalisten gehören sollte…)

Vor allem aber glaubt wohl niemand, dass sich "Wichtigtuer" die Mühe machen, komplette Blogs zu imaginieren in der Hoffnung, irgendwann schaue mal nen Wirbelsturm rein und dann würden sie zu Stars. Die Katastrophen-Augenzeugen sind in der Regel Leute, die schon seit längerer Zeit im Netz schreiben. Somit sind sie ansatzweise (natürlich bei weitem nicht vollständig) einzuschätzen. Aber die Quellenlage ist so ordentlich, dass die Informationen verwertbar sind.

Auch die Errungenschaft von RSS scheint noch nicht nach Leipzig gedrungen zu sein. Oder die IT-Sicherheit der dortigen Uni blockt das, kann ja sein:

"Es können ja nicht täglich hunderte von Websites durchforstet werden. Im Onlinejournalismus sind daher vertrauensvolle Marken und Gatekeeper wichtig."

Also nochmal für die Leipziger unter uns: Es gibt Programme, die anzeigen, wenn in einem bestimmten Weblog ein neuer Eintrag steht. Das ist wie ein Zeitungsabo.

Außerdem: Weblogs sind oft genug die Gatekeeper. Die Angebote der Großmedien sind oft so unübersichtlich, dass der Zeitaufwand zu hoch ist, die ordentlich zu durchforsten. Blogger dagegen listen interessante Artikel aus bestimmten Bereichen auf. Wer also an einem ähnlichen Themenbereich interessiert ist, wie ein bestimmter Weblog-Autor, hat seinen Gatekeeper gerade bei den Online-Journalen gefunden. Steve Rubel sei als Beispiel für meine Lesegewohnheiten genannt, oder auch Jason Kottke.

Womit wir beim Wandel der Bedeutung klassischer Medien wären. Während in Leipzig private Internet-Schreiber als hübsche Anekdote registriert werden, ist man anderenorts schon weiter. Denn TV, Print und Radio stehen vor einer gefährlichen Klippe.

Mit der New Economy legten sie wuchtig an Inhaltsvolumen zu, den Werbekunden sei Dank. Damals wurden in aller Eile Redaktionen aufgeblasen, sechsstellige Gehälter für Studenten des Kölner Journalismus-Studiengangs (ohne Examen) waren möglich. Folge: Die Qualität in Sachen Nachrichteneinschätzung sank das erste Mal, wer jung ist, hat halt gerade in diesem Bereich seine Defizite. Als die Blase "Puff" sagte, waren die Redaktionen dick, fett und abbaubar. Auch das drückte die Qualität.

Nun, da größtenteils wieder ein normales Arbeiten möglich ist, haben sich die Zahl der Falschmeldungen und die Fehlerquoten so ins Gedächtnis der Nutzer gebrannt, dass sie erheblich skeptischer geworden sind.

Deshalb haben private Blogger,

– die teils mit Foto und Namen für das stehen, was sie schreiben,
– häufig ohne Starallüren sich korrigieren und entschuldigen,
– und bei denen die Nennung von Quellen oft eine Frage der Blogger-Ehre ist,

leichtes Spiel. In einer Nachrichtenwelt, in der die personalisierte Berichterstattung en vogue ist, sind sie – und das in sie gesetzte Vertrauen – eine logische Folge.

Wer sie deshalb jetzt abtut als unwichtig, denkt bis zum nächsten Bordstein. Weblogs und alles rund um Citizen Journalism (Bürgerjournalismus klingt blöd, oder?) haben das Potenzial, die Medien nachhaltig zu verändern. Ob sie das tatsächlich tun werden, ist offen. Wer heute schon davon überzeugt ist, dass sie unwichtig sind, der sollte seine Meinung zumindest untermauern, statt platte, pseudowissenschaftliche Floskeln abzulassen.


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