In der jüngsten Ausgabe der "Zeit" darf Sprach-Fanatiker und Journalisten-Lehr-Herr Wolf Schneider träumen. Oder besser albträumen. Über mangelnde Wucht und Schönheit in der deutschen Sprache. Tja, statt zu träumen, hätte er besser suchen sollen. Dann würde er sie auch heute noch finden.
Ach ja, das waren noch Zeiten, als die deutsche Sprache noch geformt wurde zu Hämmern, die mit Wucht die Glocken zum Klingen brachten. Von Rosa Luxemburg träumt Wolf Schneider, von Schiller und Redakteuren und Lehrern. Nirgends mehr kann er heute Sätze finden wie "Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!" Früher, ach, früher war halt alles besser.
"Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin"… Ähm… OK, ein beliebter Satz, dessen Geburtsstunde mancher eher in die Sponti-Bewegung der 80er gewähnt hätte, denn ihn Rosa Luxemburg zuzuschreiben. Aber: Ist das wirklich "groß"? Und gibt es solche Qualitäten heute wirklich nicht mehr?
Versuchen wir es doch mal mit folgenden Sätzen:
Es war im Ausverkauf, im Angebot, die Sonderaktion
"Tausche blödes altes Leben gegen neue Version"
Ich hatte es kaum zu hause ausprobiert, da wußte ich schon
An dem Produkt ist was kaputt- das ist die Reklamation
Guten Tag, ich will mein Leben zurück!
Guten Tag, ich gebe zu, ich war am Anfang entzückt
Aber euer Leben zwickt und drückt nur dann nicht
wenn man sich bückt
Mmh… Auch nicht so schlecht, oder? Diese Zeilen hab ich am Samstag gehört, beim wunderbaren Konzert von Wir sind Helden. Nun erwarte ich nicht, dass Wolf Schneider – am vergangenen Samstag 80 Jahre alt geworden, herzlichen Glückwunsch nachträglich – sich auch noch in der aktuellen Rock-Szene auskennt. Ehrlich gesagt, würde es mir vielleicht auch ein wenig Angst machen, wenn ein 80-Jähriger die gleiche Musik hört wie ich, aber das ist eine andere Diskussion.
Allerdings: Wer das Leid der Welt beklagt, sollte sich in der Welt auch umschauen. Vielleicht entdeckt er dann Autoren, die vielleicht andere Worte benutzen als Luxemburg, aber durchaus kunstvoll damit umgehen.
Die hier zum Beispiel:
ein volk steht wieder auf – na toll – bei aldi brennt noch licht
deiche brechen richtig – oder eben nicht
der kuchen ist verteilt, die krümel werden knapp
deiche brechen richtig – oder eben nicht
Kommentare
Simon 9. Mai 2005 um 16:30
Ist zwar eigentlich nicht meine Musikrichtung, aber im HipHop gibt es auch richtig gute Sätze. Fanta4 sprühen nur vor Sprachwitz z.B.
Goldman 10. Mai 2005 um 16:16
Ich finde den Kommentar äußerst dünn. War Rosa Luxemburg Musikerin? Werden die Texte dieser nervigen „Wir sind Helden“ in die Geschichtsbücher eingehen und damit an wirklichem Gewicht gewinnen?
Der Vergleich hinkt doch enorm. Sicher finde man auch heute noch große Worte – aber sie sind nicht monumental. Und man findet wichtige Worte – aber sie sind nicht mehr gewichtig.
Und „Wir sind Helden“, mal ehrlich, die bringen in beiden Kriterien nicht den Ansatz dazu, das müsste schon auf anderer Ebene geschehen.
Tino Seeber 10. Mai 2005 um 16:23
Da schließe ich mich meinem Vorschreiber an.
Und empfehl trotzdem:
Nikitaman – Stell dir vor …..
Mia 11. Mai 2005 um 11:39
früher sagte man eben
„Umsonst strecke ich meine Arme nach ihr aus, morgens, wenn ich von schweren Träumen aufdämmere, vergebens suche ich sie nachts in meinem Bette, wenn mich ein glücklicher, unschuldiger Traum getäuscht hat, als säß‘ ich neben ihr auf der Wiese und hielt‘ ihre Hand und deckte sie mit tausend Küssen. Ach, wenn ich dann noch halb im Taumel des Schlafes nach ihr tappe und drüber mich ermuntere – ein Strom von Tränen bricht aus meinem gepreßten Herzen, und ich weine trostlos einer finstern Zukunft entgegen.“
und heute
„du bist new york city
und ich bin wanneeickel“
so what?
Daniel FR 12. Mai 2005 um 0:50
Da fällt mir der schöne Kommentar von Wolfgang Neuss ein (der Mann hat übrigens vieles schön kommentiert): „Stell dir vor, es geht, und keiner kriegt’s hin.“
Desiree 13. Juli 2006 um 18:44
Oh was wohl die gute Rosa Luxemburg sagen täte, wenn sie verglichen wird mit postpubertierenden sogenannten künstlern des genre moderne deutsche popmusik? Solche die sich dafür angagieren dass Deutschland wieder ein Gesicht bekommt, mit den selben Mitteln denen sich schon 1931 bedient wurde um dem deutschen Volk ein Einheitsgefühl zu geben.(Ich spreche hier von der \“Du bist Deutschland Campagne) Nun wage ich doch zu bezweifeln dass sie sich das gefallen lassen würde, geschweige denn ihre worte mit lehren phrasen gleichstellen ließe die mensch einfach überall findet und nur zusammen mit einer melodie verkaufen muss.
Nein da gäbe es doch tatsächlich bessere Vergleiche.Wobei die Frage doch wohl eher ist ob sich zwischen Worten, die wohl damals ein gewisses Gewicht besaßen und heute nicht minder wert sind und Worten die die heutige Zeit betreffen überhaupt ein Vergleich gezogen werden muss bzw sollte.