Es gibt noch immer Journalisten und Medienentscheider die glauben, diese „jungen Leute“ würden irgendwann zu ihnen kommen. Und dann wäre der Fall der Printauflagen gebremst, Paid Content würde die Verlagskonzerne retten, das lineare Fernsehen nähme Netflix & Co. wieder Zuschauer ab und Radio habe keine Probleme mit Podcasts.
Warum das passieren sollte, bleibt nebulös. Im Print-/Onlinetextbereich soll der Druck es besorgen (wer kein Abo abschließt, kann die Inhalte einer Medienmarke nicht mehr lesen), bei Video und Audio ist die Argumentationslage noch dünner.
Vor 9 Jahren schrieb ich: „Ich sehe keinen logischen Grund, warum Tageszeitungen künftig noch existieren sollten.“ Damals glaubt ich noch, dass es Zeitschriften nicht so heftig erwischen würde – in dem Punkt wurde ich eines Besseren belehrt.
Nun gehört es ja zu den Floskeln des Wirtschafts- und Geschäftslebens, dass es hilfreich sei, sich eines Themas mit „unverstelltem“ oder „frischem“ Blick anzunehmen, „von außen draufzugucken“ oder etwas „neu zu denken“.
Doch nicht immer sind Floskeln ja grundlegend falsch. Zum Beispiel liefert das folgende Youtube-Video solch einen frischen Blick. Also, höflich gesprochen. Mit weniger Watte umhüllt sollt es all jenen, die der ganz oben genannten These noch folgen den Teppich unter den Füßen wegziehen.
Rezo, jener Youtuber, der den Europawahlkampf mit seinem Video „Die Zerstörung der CDU“ stark beeinflusst hat, war bei den Space Frogs zu Gast. Das Thema: „Zeitung“. So wie bei jenem CDU-Video redet Rezo in der Sprache der jungen Generation Klartext – über das Konzept Zeitung, über das Vorgehen von Journalisten, über die Inhalte der „Bild“.
Und wie er das sagt, ist es schwer, seine Ansichten nicht zu teilen. Fernsehprogramm abgedruckt – warum? Kinoprogramm – absurd. Wen sollte es interessieren, dass Heidi Klums Vater nicht auf der Hochzeit seiner Tochter weilte: „Das ist privat.“ Ja, genau. Und dabei unterscheidet Rezo zwischen jenen Journalisten, die ihren Job gut machen und jenen, die es nicht tun. Aber: „Die meisten Zeitungen sind Billo-Shit-Unterhaltung.“
Am Ende dann eine großartike und leider sehr wahre Volte: Rezo bringt Youtuber und Journalisten auf Augenhöhe, indem er die von Redaktionen gern gewählte Verklärung zur Szene übernimmt:
„Eure Print-Szene ist wie die Youtube-Szene. Es gibt ganz viele Sachen, es gibt ganz viel Unterhaltung, es gibt auch gute Sachen. Das ist bei Print so, das ist bei Youtube so – verstehe ich.
Bei Youtube haben wir auch ein paar Leute die Sachen machen, wo man sagen kann: Es ist eigentlich nicht gut, dass es das gibt… Was machen wir? Wir zeigen mit dem Finger drauf und distanzieren uns klar davon und wir analysieren das und sagen: Das ist nicht cool. Aber machen das die Zeitungen eigentlich? Übermedien macht das. Bildblog macht das. Aber warum machen das nicht alle Zeitungen?…
Wenn ihr das nicht tut, dann fangt mal damit an. Denn sonst ist eure Szene nen bisschen beschissener als unsere.“
Hier die 14 sehenswerten Minuten:
Nachtrag vom 23.8.19: Es ist zum Fremdschämen. Das Video löste einigen Wirbel in der deutschen Medienszene aus. Und was tun Journalisten, wenn ihnen vorgeworfen wird, zu verallgemeinern, falsch darzustellen und zu übertreiben?
Genau: Sie verallgemeinern, stellen falsch dar und übertreiben. Mittendrin die Journalistengewerkschaft DJV, deren Chef Frank Überall 2018 meine Aussagen in gleicher Art übersteigerte und verdrehte.
Die Zusammenfassung der Reaktionen liefern die Space Frogs in einem weiteren Video:
Kommentare
Igby-Ybgy 20. August 2019 um 10:47
Weiß nich’… Ich mochte das Rezo-CDU-Video sehr, aber hier kann ich nur bedingt mitgehen. Ich sehe nur zwei gerade dem Teenager-Alter entwachsene Jungs, die etwas zum ersten Mal tun: in eine Zeitung sehen nämlich. Und sich dann auf dem Reflexions-Niveau von Leuten, die etwas zum ersten mal tun, über die vordergründigsten Dinge erregen. Weisheiten dieser Preisklasse kann man sich seit ungefähr immer an jeder Bushaltestelle abholen. Ein Mitte der 90er wahllos aus einer Kiffergruppe herausgepickter Zivi, behaupte ich mal, hätte beim Blick auf eine damalige BILD-Zeitung über nichts nennenswert anderes gestaunt.
Warum soll das jemanden, der sich auch nur ein bisschen mit der Materie befasst, interessieren? Warum sind ausgerechnet abgedruckte Fernseh- oder Kino-Programme des Teufels, wenn die Oma sie doch noch liest? Spielt Promiklatsch IM NETZ keine Rolle? Und warum sind die so atemlos aufgeregt, ist doch nicht ihr erstes youtube-Video?
Nicht mal der Verweis auf die angeblich zurückhaltende gegenseitige Kritik im Printbereich stimmt so wirklich: Die taz etwa arbeitet sich seit Jahrzehnten an der Bildzeitung ab, von noch linkeren Postillen wie "konkret" oder dem "Neuen Deutschland" mal ganz zu schweigen.
Rezo und dem Frosch kann man das nicht übelnehmen – die blicken da wie gesagt ja scheinbar zum ersten Mal drauf und für ihre Teenie-Zielgruppe ist das sicher erhellend. Aber vom (zumindest ehemaligen?) Vertreter eines historisch gesehen insgesamt ja doch recht stolzen und verdienstvollen Teils der Medienlandschaft erwarte ich doch ein bisschen mehr, als schon vor derlei Kritik auf Kleinkindniveau in bzw. auf die Knie zu gehen. Das macht dann nämlich wenig Hoffnung für ja wirklich nötige Reform-Prozesse im Pressebereich – denn die sollten ja wohl auf substanziellerer Ebene ansetzen.
Thomas Knüwer 20. August 2019 um 13:48
Na ja, Sie schreiben ja selbst: Die beiden schauen zum ersten Mal auf eine Zeitung. Sind sie die einzigen? Oder sind sie typischer Teil ihrer Generation? Wenn letzteres der Fall ist, wird diese Generation nicht mehr zur Zeitung finden. Mehr noch: Sie finden das Produkt sowohl in der Physis wie im Content so fernab von ihrer Welt, dass sie auch unter der gleichen Marke erscheinende Digitalitalprodukte nicht mehr goutieren werden – zum Teil auch, weil es ihnen selbst peinlich wäre.
Skythe 20. August 2019 um 15:56
"Im Print-/Onlinetextbereich soll der Druck es besorgen"
Ein wunderbar zweideutiger Satz, Thomas. 🙂
Igby-Ybgi 20. August 2019 um 23:40
… mag ja sein. Ich glaube auch, dass ein Großteil der heute unter 22jährigen für die klassischen Presse-Marken wohl auf ewig verloren sein dürfte, falls die nicht noch eine überraschende Wende hinlegen – (und vor allem ihre seltsame Abo-Strategie überdenken,)
Ich glaube aber nicht, dass es hilft, unverdaute und unbewiesene Binsenweisheiten zu "großartigen und leider sehr wahren Volten" zu erklären, nur weil sie von einem dieser ominösen jungen Leute kommen, von denen jetzt immer alle reden. Rezo mag kein Dummkopf sein, aber hier spricht er von Dingen, von denen er offenbar keine Ahnung hat und für die er sich nach eigener Aussage nicht mal sonderlich interessiert. Es spricht nämlich nun wirklich gar nichts dafür, dass die "youtube-Szene" in irgendeiner Weise selbstkritischer oder gar demokratischer strukturiert wäre, als die "Presse-Szene".
Wenn in den eigenen Reihen was schief läuft, zeigt der youtuber also selbtlos mit dem Finger drauf und der Pressemann hält in der gleichen Situation lieber die Klappe? Warum? Weil ihn die Illuminati dazu zwingen? Wer definiert, was "eigentlich nicht so gut, dass es das gibt" heißt? Rezo? Bibi? Und warum wird dieser fast schon verschwörungstheoretische Quark hier in einem meiner Lieblings-Blogs auch noch abgefeiert?
Fragen über Fragen.
Das Traurigste daran ist übrigens, dass Rezos naives BILD- und FAZ-Unboxing in den nächsten Tagen wohl wieder eine Riesen-Stumpfsinnswelle durch die klassischen Medien schieben wird – und ich mich dafür hassen werde, sie hier verteidigt zu haben.
Thomas Knüwer 21. August 2019 um 8:56
Dem muss ich widersprechen. Die Youtube-Szene hat mehrfach gegen Youtuber agiert, die in ihrem Tun fragwürdig waren. Allerdings: Das bekommt man schwer mit, weil in Medien für uns ältere Menschen darüber nicht berichtet wird. Insofern unterscheidet sich die Youtuber-Szene definitiv vom Journalismus. Wo gibt es denn eine Breitseite gegen das, was die Funke-Gruppe so in ihrer Yello Press veröffentlicht? Das Kritischste ist doch noch die "Herzblatt"-Kolumne in der FAS, die ein wenig darüber witzelt. Wer thematisiert die Verschiebung des Overton-Windows nach rechts im Hause "Zeit"? Wer hinterfragt die aktuelle Form des "Spiegel"? Das tun unabhängige Medien und erst wenn die für Wirbel sorgen, springen vielleicht klassische Redaktionen auf.
Brokkoli 2. September 2019 um 11:51
Hallo,
nur so nebenbei,
die Jugendlichen von heute haben doch nicht mehr die Aufmeksamkeitsspanne um eine Zeitung zu lesen.
Genau so gut könnten sie fragen wer in Zukunft noch Goehte liest.
Thomas Knüwer 2. September 2019 um 13:46
Das ist leicht nachweisbarer Unfug. Die Jugendlichen von heute folgen erheblich komplexeren Erzählungen und haben eine längere Aufmerksamkeitsspanne. Übrigens ist das Lehrmaterial an Schulen heute auch komplexer als zu meiner Zeit. Was sie nicht mehr haben: Zeit für Inhalte, die ihnen keinen Mehrwert bringen.
Igby-Ybgi 21. August 2019 um 9:44
… na ja, um mal versöhnlicher zu werden: Klar würde man sich mehr Selbstkritik auf Seiten der klassischen Medien wünschen und sicher habe ich als über 40Jähriger keinen Plan, was da genau in der youtuber-Szene an internen Korrektur-Bewegungen läuft. Ich schwinge mich aber auch nicht nach Ansicht eines einzigen Schmink-Tutorials zum General-Kritiker des Filmchen-Streamers auf – und halte es wie dargelegt einfach für wenig ergiebig, sich von einem stolzen Nicht-Zeitungsleser das Zeitungswesen erklären zu lassen. Erst recht, wenn es auf intellektuell so dürftigem Niveau geschieht.
Was Ihre Beispiele anbelangt: Ich habe nicht das Gefühl, dass die Machenschaften der Yellow-Press hierzulande mit Anlauf totgeschwiegen werden. Viel eher werden sie doch als Unterhaltungsformate schlicht zurecht nicht ernst genommen. Es prangert ja nach 70 Jahren unbehelligten Vor-sich-hin-Existierens auch niemand den Druck von Groschenromanen an. Wo wäre auch der Nachrichtenwert? Und was die ZEIT und deren aktuellen Rechtsdrall betrifft: Gab es da nicht gerade eine ziemlich flächendeckende Diskussion zur Seenotrettung und der Frage "Oder soll man es lassen?" – die auch die generelle Verschiebung des Diskurses thematisierte?
Tut mir leid, ich sehe das alles nicht. Und mir wird auch gerade klar, was mich an dieser Argumentations-Linie so stört: Sie ist – tut mir leid – einfach so nah an den Diskussionsmustern der rechten Szene: Wird MEINE Meinung nicht stets und immer angemessen abgebildet – und gegenteiligen Meinungen nicht deutlich und häufig widersprochen, muss ja das System im Eimer sein.
Ist es zum Glück noch nicht. Und sollte es ernsthaft in Gefahr sein, wird es von Rezo wohl eher nicht gerettet.
BX_Orange 25. August 2019 um 14:39
>> Tut mir leid, ich sehe das alles nicht. Und mir wird auch gerade klar, was mich an dieser Argumentations-Linie so stört: Sie ist – tut mir leid – einfach so nah an den Diskussionsmustern der rechten Szene: Wird MEINE Meinung nicht stets und immer angemessen abgebildet – und gegenteiligen Meinungen nicht deutlich und häufig widersprochen, muss ja das System im Eimer sein.
Sorry, aber dieser Kontaktschuld-Mist (bzw. "guilty by association") ist mittlerweile das übliche Ablenkungsmanöver von jeder Form von Medienkritik. Ob valide oder nicht, spielt keine Rolle. Im Zweifelsfall kann man immer noch den Hammer rausholen und das als irgendwie extremistisch darstellen.
Die Entfremdung von Zeitungsverlagen und Publikum ist schon seit Jahrzehnten im Gange. Unterricht in Sachen Medienkompetenz anno 1997 im bayrischen Gymnasium, Motto: "Das ist eine Zeitung, so liest man sie" incl. welche Rubriken es gibt, welche objektiv sein sollen und welche eine Meinung wiedergeben.
Damals war "das Fernsehen" oder insbesondere "das private Fernsehen" der große Gegner der Zeitungen, Comics, Musikvideos und Popmusik der erklärte Gegner. Jetzt sind aber auch die sehr etablierten Verlage samt der linearen Kanäle selbst Ziel der Kritik geworden. Und das noch lange vor dem Erstarken des Rechtspopulismus. Denn irgendwann wird deutlich und ohne große Archivarbeit nachvollziehbar, wie Themen aufgebaut und verschwiegen werden, Empörungswellen aufgebaut, verstärkt und geschwächt werden. Das ist längst Ziel verschiedener wissenschaftlicher Arbeiten.
Das Thema ist aber auch, dass die Vielfalt verschiedener Meinungen innerhalb einzelner Print-Magazine und zwischen den Print-Magazinen deutlich abgenommen hat. Das liegt in meinen Augen nicht an einer "zentralen Steuerung", sondern dass zwei Faktoren reinspielen: Erstens ist jedes Massenmedium genau der Ort, an dem Menschen arbeiten wollen, die ihre Meinung und ihre Perspektive oder zumindest ihren Namen in die breite Masse tragen wollen. Das führt zur Prägung durch einen Schlag Mensch, der weniger Journalist denn viel mehr Aktivist ist. Zum anderen wird ein Publikum angesprochen, bei dem man weiß, dass es dieses Produkt kaufen wird. Über Jahrzehnte hat man versäumt, junge Leser zu interessieren. "Junge" Formate wurden erfunden, Altersklasse U30. Und diese Themen waren tatsächlich anders – und haben keinen Einzug in die Hauptprodukte gehalten. Das Kalkül hinter der Trennung in erstklassige und zweitklassige Produkte ging offensichtlich nicht auf. Statt auf das "Hauptmagazin" sind die Leser zur Onlinevariante abgewandert. Die Kunden des Hauptmagazins machen den demografischen Wandel der CSU mit – Medienschaffende, Leser und Politiker schwimmen in ihrer eigenen Suppe, ihrer eigenen Filterblase, die zunehmend kleiner, beschränkter und kompromissloser wird. Und genau das führt dann zu solchen Dingen wie oben beschrieben.
Vogl 21. August 2019 um 19:09
BILD und Verwandtes ist nicht gerade die beste Wahl, wenn die Presse kritisiert werden soll. Hier werden nur Auifgeregtheiten präsentiert wie auch bei YouTube
Anders die "YouTuber-Szene", die man wohl eher mit halbwegs seriösen Blättern vergleichen kann. Aber dieser 14-Minuten-Beitrag von Rezo ist bestenfalls zwei Minuten von Belang (Interviewwunsch) der Rest ist einfach Alberei.
Empfehle zum Thema (alles auf YouTube) ein paar Minuten Volker Pispers: Wem gehören die Medien? und dann Arnulf Ratings Beitrag zum 60. "Jubiläum" von BILD.
Igby-Ybgi 24. August 2019 um 0:07
Nachtrag und ein gutes Beispiel dafür, wie man das Alles auch sehen kann, mit diesem Rezo:
https://www.haz.de/Nachrichten/Medien-TV/Uebersicht/Zorn-auf-Zeitungen-Warum-Rezo-in-seinem-neuen-Video-ueberreisst
Richard Heller 25. August 2019 um 22:52
Ich muss mal eine Lanze für die Print-Zeitung brechen: Wenn die Bude zu renovieren ist, was breiten wir dann aus? Die Zeitung. Mit einem iPad gelingt das nicht ganz so gut.
Das ist auch Medienkonsum. Vielleicht nicht ganz so, wie die ehemaligen und selbsternannten Gatekeeper wie Frank Überall, aber auch erst recht auch wie Jasper v. Altenbockum und all‘ die anderen derartigen Figuren sich das gedacht haben.