Zweimal schon saß ich im Rahmen einer SXSW bei Vorträgen von Buzzfeed-Chef Jonah Peretti, einen großartigen Redner. Beide Male saßen neben mir deutsche Journalisten in Leitungsfunktionen, die sich am Ende von Perettis Vortrag in einem Zustand zwischen Fassungslosigkeit und Verwirrung befanden. Denn was er da vortrug in Sachen Datenanalyse und Social Media Monitoring war nicht Meilen entfernt von ihrem Tun – der Unterschied machte Welten aus.
In diesem Jahr saßen sehr viele der nach Texas gereisten Medienmenschen aus Germany bei einem Interview im größten Saal des Austin Convention Centers, das für mich eine ähnliche Sprengkraft besaß wie Perettis Auftritte. Nur löste diese Stunde eher Gleichgültigkeit aus. Vielleicht weil der Interviewte eher ruhig sprach und keine Folienwuste mit aufregenden Datenvisualisierungen mitgebracht hatte?
Die Rede ist von Jim Bankoff, dem CEO und Chairman von Vox Media.
Acht verschiedene Seiten gehören inzwischen zu diesem Konglomerat, das 150 Millionen Nutzer monatlich erreicht und bereits 400 Mitarbeiter beschäftigt – die Hälfte davon wurde 2015 eingestellt. Überhaupt ist Vox auf bemerkenswertem Wachstumskurs: 2008 begann alles mit dem Wandel eines Oakland As-Fanblog zur Sport-Site SB Nation. 2011 warb der ehemalige AOL-Mann Bankoff eine Truppe von Autoren der AOL-Tochter Engadget ab und startete die Tech-Seite The Verge. Von da an ging es schneller: 2012 folgte das Gaming-Magazin Polygon, ein Jahr später das Food-Angebot Eater, das Immobilien-Blognetzwerk Curbed und das Modeangebot Racked. 2014 kam der prominente „Washington Post“-Blogger Ezra Klein mit dem Politik-/Nachrichten-Projekt Vox.com an Bord, 2015 übernahm Vox schließlich re/code, die prominente Tech-Seite der ehemaligen „Wall Street Journal“-Autoren Kara Swisher und Walt Mossberg. Das geht nicht ohne Geld: Über 400 Millionen Dollar steckten Investoren bisher in das Unternehmen, zuletzt im vergangenen Sommer NBC Universal 200 Millionen bei einer Bewertung von einer Milliarde Dollar.
Bankoff ist kein Mitreißer und Showredner. Gelassen saß der leicht Graumelierte im Sessel und beantwortete in ruhigem Ton Fragen. Und was er da sagte, positioniert Vox als Gegenentwurf zu Buzzfeed oder Huffington Post.
Denn die vermarkten jede Menge unterschiedlicher Inhalte unter einem Dach. Im Fall von Buzzfeed reicht das Spektrum von rennenden Bassetts bis zur Polit-Reportage in der Länge einer alten „Spiegel“-Titelgeschichte. Solch eine Masse von Inhalten hilft natürlich bei der Werbevermarktung: Im Fall einer Huffington Post sorgen viele Inhalte für viele Klicks – das klassische Modell. Buzzfeed dagegen zeigt nur Werbung, die gemeinsam mit dem Kunden erarbeitet wurde. Doch auch hier sorgte die Masse der Nutzer für höhere Reichweiten – und so für höhere Einnahmen.
„Die Huffington Post wächst, weil sie immer mehr Sektionen aufbaut“, sagte Bankoff: „Aber so verwässert man, wofür eine Marke steht.“ Und seiner Meinung nach sind Marken, die für ein klares Themengebiet stehen, glaubwürdiger. Beispiel: Ein Freund empfiehlt ein Restaurant, man fragt, woher der Tipp stammt. Sagt er „Eater“ strahle dies mehr Kompetenz aus als wenn er den Hinweis von einer allgemeingültigen Medienmarke wie „USA Today“ bekommen habe: „Marken, hinter denen Menschen mit Leidenschaft stecken, machen Inhalte überzeugender.“
Deshalb suche sein Unternehmen nach genau solchen Leidenschaftlichen, die bereits eine Digitalspur in einem bestimmten Feld hinterlassen haben: „Es geht darum, die besten Talente zu finden und zu fördern.“ Als Beispiel nennt er Nilay Patel: Er gehörte zu jenen von Engadget abgeworbenen und startete als Redakteur bei The Verge. Dann half er, Vox.com aufzubauen um dann den Chefredakteursposten bei The Verge zu übernehmen.
Es gehe darum, Berichterstattung eine menschliche Tonalität zu geben. „Voice Driven Entities“ nennt Bankoff das und mir fällt keine gute Übersetzung ein. Die „Voice Driven Entities“ seien auch wirtschaftlich erfolgreich, „vielleicht weil das Nachrichtengeschäft so sehr zu einer durchschnittlichen Massenware (commodity) geworden ist.“ Andererseits suchten die Menschen nach vertrauenswürdigen Informationen und der Anschein, menschlichen Kontakt zu Autoren zu haben, mache ein Angebot vertrauenswürdiger.
Ohnehin gehe es um die Qualität der Inhalte: „Man kann Content nicht nur effizienter und günstiger produzieren – sondern auch besser. Es gibt zu viele grottige Nachrichtenseiten. Uns geht es um eine hochqualitative Nutzererfahrung.“
„We’re in the business to create brands that people love and do advertising that doesn’t suck.“
Vox denkt geschäftsmodelltechnisch also komplett aus Sicht der Leser – während Huffington Post und andere dies aus Vermarktungssicht tun.
Deshalb auch verzichtet Vox allerdings auf die Zusammenarbeit mit den üblichen Anzeigenplattformen – deren Arbeit liegt nicht im Interesse der Leser, denn die von ihnen ausgespielte Werbung ist meist nicht hochwertig, deren Integration verlangsame die Seiten: „Werbung muss nicht nur für die Anzeigenkunden funktionieren, sondern auch für die Nutzer.“
Mit diesem Konzept beschränkt Bankoff bewusst den Kreis möglicher Anzeigenkunden. Vox werbe um Unternehmen, die das Image einer Marke verändern oder fördern wollen und nicht Onlinehändler, die mit massenhaften Re-Targeting Sportschuhkäufern hinterherlaufen: „Für Markenimagebildung brauche ich ein hochwertiges Umfeld. Das geht nicht auf Google oder Facebook.“ Dabei spielten Nutzerdaten natürlich auch eine Rolle. Doch stünden sie nicht dogmatisch im Vordergrund: „We are data informed, not data driven.“ Allerdings gilt dies wohl nicht für Nutzer, die aus Deutschland kommen: Ihnen werden munter Google-Anzeigen präsentiert.
Trotzdem: All dies funktioniert nach Bankoffs Aussage: Während weltweit die Preise für Displaywerbung sinken, „steigen unsere TKP, die Anzeigen werden schneller ausgeliefert und haben eine höhere inhaltliche Qualität“. Dem Rest der Medienwelt schickt er einen Gruß: „Wenn ihr Medienunternehmen nur über Programmatic Exchanges finanziert wird, haben sie hoffentlich ein wirklich gutes Businessmodell…“
Und wie passt Social Media da hinein?
„Social Plattformen sind für uns essentiell, denn wir wollen nah an den Nutzern sein. Wir passen unsere Storys den jeweiligen Plattformen an“, sagte Bankoff. Dabei soll die jeweilige Tonalität der eigenen Marke aber erhalten bleiben. Oder kurz: „Be true to the plattform – be consistent in the voice and the brand.“
Zusammengefasst sehe das Geschäft von Vox Media so aus: „We’re in the business to create brands that people love and do advertising that doesn’t suck.“
Es hat mich überrascht, dass die deutschen Medienvertreter so gelangweilt erschienen. Bankoffs Auftritt war eine rechte Ohrfeige für sie, gefolgt von einer linken und einem fetten Tritt in den Hintern. Denn vieles von dem, was bei Vox erfolgsrelevant ist, sorgt in der deutschen Branche für Scheitern.
Was können Verlage in Deutschland von Vox Media lernen?
1. Digitale Talente fördern
Erfolgreiche und gut schreibende Blogger, Podcaster mit Gefolgschaft, Youtuber, Instagramer – all sie gibt es in Deutschland nicht erst seit kurzem sondern letztlich seit rund 10 Jahren. Trotzdem ist die Zahl derjenigen, die von Medienunternehmen angeworben wurde, überschaubar. Und in den allermeisten Fällen gingen sie ebenso frustriert wie jene, die sich als bereits Angestellte im Digitalen einen Namen machten. Talentförderung? Nicht zu entdecken, eher schon Talentdemotivation.
2. Markenführung für den Lesermarkt
Spiegel Online und „Der Spiegel“; Stern.de und „Der Stern“; FAZ.net und „Frankfurter Allgemeine“; Handelsblatt Online und „Handelsblatt“; RP Online und „Rheinische Post“ – dies sind nur einige der Publikationen, bei denen Onlineauftritt und gedrucktes Objekt wenig miteinander zu tun haben. Sie sind anders positioniert, die Internetten haben nur unvollständigen oder gar keinen Zugriff auf Zeitungsinhalte, das Markenbild ist so scharf gestochen wie der Blick eines Seniors mit fortgeschrittenem Augenlinsenkatarakt. Vor sechs Jahren habe ich das mal ausführlicher aufgeschrieben, nach Bankoffs Auftritt scheint mir dieser Artikel noch heute weitestgehend aktuell.
3. Markenführung für den Anzeigenmarkt
Auch weiterhin ist mir ein Rätsel, warum kein mir bekanntes Verlagshaus das Modell von Wiwo Green kopiert hat. Die Ökomanagement-Seite der „Wirtschaftswoche“ setzte von Beginn an auf weniger Werbung, diese jedoch wurde teurer verkauft – weil durch die thematische Abgrenzung eine hochwertige Leserschaft mit klaren Interessen entstand. Klar: Somit ist kein Targeting möglich. Aber Targeting über Ad Server führt eben zu grauenhaften Werbeeinblendungen, die das optische Bild des Mediums ruinieren. Und weil diese Werbung überall ausgespielt werden kann, sinken dann auch die Preise.
4. Mensch statt Marke
Vielleicht haben mich Bankoffs Aussagen auch deshalb so bewegt, denke ich, weil ich manches davon schon mal geschrieben habe. Zum Beispiel die Idee, leidenschaftlichen Autoren Freiräume zu geben, so dass diese sich zu Marken entwickeln können. 2008 schrieb ich unter dem Titel „Weil der Journalist sich ändern muss“, dass Journalisten alles personalisiert hätten – nur sich selbst nicht. Mit 170 Kommentaren brach eine teils wütend geführte Debatte los. Doch auch heute noch verweigern sich die allermeisten fest angestellten Redakteure dieser Idee, dass sie als Mensch eine höhere Attraktivität für den Leser besitzen könnten, als ihr Arbeitgeber.
5. Social Media Storytelling
Es war einer der Trends der SXSW 2016: Marken wie Medien erklärten, dass Social Media kein Vertriebskanal mehr sei, sondern Geschichten angepasst auf die jeweiligen Plattformen erzählt würden. Davon ist in Deutschland wenig zu sehen. Die Instagram-Accounts von Medien mäandern planlos umher, auf Facebook werden Links weitergereicht, der Einsatz von Bildern auf Twitter zählt schon zu den Höhepunkten. Angesichts der handwerklichen Schnitzer vieler Medienhäuser darf man kaum darauf hoffen, dass hier Besserung eintritt.
Dies ist ein Beitrag aus einer Reihe zu meinen Eindrücken von der SXSW2016. Alle Beiträge finden Sie unter diesem Link.
Kommentare
laaarry 30. März 2016 um 10:29
Korrektur: 2008 schrieb ich unter dem Titel “Weil der Journalist sich ändern muss”, dass die Journalisten alles personalisiert hätten – nur *nicht* sich selbst.
Thomas Knüwer 30. März 2016 um 10:43
@laaarry: Danke – geändert!
Blogposting 04/05/2016 – Nur mein Standpunkt 5. April 2016 um 11:31
[…] Was deutsche Medien von Vox Media lernen könnten […]