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Deutschlands Cafés sind in den vergangenen Jahren erheblich kundenfreundlicher geworden. Viele erinnern sich ja kaum noch an die Zeit, da es auf den Terrassen der Lokalitäten hieß: „Draußen gibt’s nur Kännchen.“ Fragte der Gast warum, hieß es gern mal „Sagt der Chef“, oder „Aus Prinzip“.

„Aus Prinzip“ ist das Gegenteil von „kundenfreundlich“. Es besagt, dass jeder gleich behandelt wird und eine Sache nun mal so ist wie sie ist. Und das nicht, weil es gute Gründe gibt, sondern vor allem, weil eine höhere Macht, und sei es nur der Chef, dies nun mal so beschlossen habe. Im Gasthaus „Zum Prinzip“, gibt es keine Sonderwünsche oder wenn, dann nur gegen Aufpreis. Hier ist der Kunde nicht König, sondern in Umsatz buchbare Massenware. Das heißt nicht, dass es im Gasthaus „Zum Prinzip“ schlecht schmecken muss – nur macht es eben keinen Spaß dort hinzugehen (gut, es sei denn, der Gast hegt einen Hang zum Service-Masochismus).

Aus Prinzip, schreibt heute „w&v“, versteckt das Hannoveraner Lokalzeitungshaus Madsack künftig seine selbst geschriebenen Artikel hinter einer Bezahlwand. Vize-Chef Thomas Düffert erklärt: „Unsere journalistische Leistung hat einen hohen Wert und kann deshalb nicht kostenlos zur Verfügung gestellt werden.“

Nun hat Düffert vor einiger Zeit schon einmal bewiesen, dass er schöne, PR-konforme Sätze formulieren kann, die durch Realität und den Geschäftsbericht des eigenen Hauses nicht so richtig gedeckt werden. Nun zeigt er uns, dass sich Geschichte wiederholt. Denn jenes Argument für eine Bezahlwand ist ja nicht neu.

Schon vor über 10 Jahren glaubten Verlage, Menschen zahlten zweimal für journalistische Inhalte: einmal mit der Datenleitung und der Hardware – dann auch nochmal per Abo. Und das für Inhalte die sie – im Gegensatz zu Musik und Film – genau einmal konsumieren werden. Und bei denen sie erst nach dem Konsum wissen, ob diese Inhalte ihren Qualitätsvorstellungen entsprachen. Und es ermüdet mich, dies zum xzillionsten Mal aufzuschreiben.

Düffert aber glaubt, die Menschen zahlen. Warum? Aus Prinzip. Oder besser: Er glaubt, die Inhalte seines Hauses aus Prinzip nur gegen Geld anbieten zu können (was möglicherweise auf gewaltige Defizite der Online-Werbevermarktung Madsacks hindeutet) . Nur: Das wird auch 2012 so nicht funktionieren. Erst recht nicht, wenn Verlage weiter Merkwürdigkeiten in Sachen Technik und Datenschutz treiben. Wer sich bei Madsacks Abo anmeldet bekommt erstmal zu lesen, dass seine IP-Adresse gespeichert werden müsse, damit er künftig seine Daten online verwalten könne. Dynamische IP-Adressen, der Normalzustand bei fast der kompletten Onlinerschaft Deutschlands, scheinen Hannover noch nicht erreicht zu haben. Ach ja, und natürlich dürfen sich Abonnenten über reichlich Werbemails aus dem Hause Madsack freuen. Denn schön versteckt, es darf ja keiner merken, verklausuliert der Verlag, dass die eingegebenen Daten  zur „zur weiteren Pflege der Kundenbeziehung herangezogen“ werden dürfen.

Und ganz nebenbei: Als Journalist würde ich Zeter und Mordio schreien. Die Redakteure, deren Inhalt künftig nur noch von einem winzigen Staubkörnchenanteil der Bevölkerung gelesen werden, können ihre weitere Karriere in die Tonne kloppen – denn sie existieren im öffentlichen Diskurs nicht mehr. Madsack dürfte das nicht unrecht sein: So lassen sich Entlohnungen drücken.

Und auch in Sachen PR-Heißluft hat Düffert weiterhin – wahrscheinlich aus Prinzip – etwas zu bieten. Denn laut „w&v“ behauptet Madsack:

„Die Konzern-Tochter Madsack Online (MOL) hat die App auf Basis von Adobe Digital Publishing Suite entwickelt. Madsack sei der erste Zeitungsverlag, der die Technik in Deuschland einsetze, so das Unternehmen.“

Wow, klingt toll, oder? Wichtig ist dabei der Zusatz „Zeitung“. Denn auf der Adobe Suite basieren natürlich schon eine Reihe deutscher Apps, zum Beispiel „Wired“, aber genauso die des „Kicker“ (wobei der vielleicht als Sportzeitung durchgeht) oder die von „Chip“.

Und wie ist sie nun, die „Hybrid-App“ HAZ24? Wenig berückend. Sie ist Teil des Apple-Zeitungskiosk – immerhin das ein Fortschritt in Sachen Datenschutz. Dort zahlt der Nutzer dann 1,59 Euro pro Ausgabe der „Hannoverschen Allgemeinen“, die so wenig schön mit „Haz“ abgekürzt wird. Es gibt überraschenderweise keine Probeausgabe, was für erfahrungsgemaäß die Zahl der Nutzer senkt.

Dabei wagt die App eine ungewöhnliche Navigation: Es gibt nur eine Seite. Diese enthält im oberen Teil besonders hervorgehobene Artikel, die mit Zusatzelementen versehen sind. Darunter finden sich Ressorts, deren Anreißer ständig neu gezogen werden. Immer wieder leeren sich die Leisten, die App erreicht durch dieses ständige Aufrufen – keine Überraschung – eine schneckige Geschwindigkeit, Abstürze sind (Hinweis: ich benutze noch ein iPad 1) die Normalität.

Noch dazu macht das die App nicht einmal halb brauchbar, ist kein Internet-Zugang vorhanden. Einige der Artikel werden dann offensichtlich geladen – die meisten des unteren Bereichs nicht. Einen Hinweis darauf konnte ich nicht entdecken. Entsprechend fallen die Rezensionen bei iTunes aus. Die positiven beschränken sich auf die ersten Tage (was darauf hindeutet, dass es sich um Mitarbeiter des Verlags handelt), die jüngsten drei sind vernichtend.

Die grundsätzliche Optik von HAZ24 ist aufgeräumt, das lässt sich gut lesen – aber schlecht navigieren. Die Navigation erfolgt über die zentralen Elemente der App und ansonsten über viel zu kleine Pfeilchen. Auch über Wischen lässt sich der nächste Artikel erreichen, hingewiesen wird darauf aber nicht – merkwürdig. Noch dazu werden die Möglichkeiten des iPad verschenkt. Videos gibt es keine, Bilder werden nicht auf volles Bildschirmformat gezogen.

Und die Qualität? Lokalzeitung, halt. Lokalzeitung, die versucht sich groß zu tun. Von den 6 Hauptthemen stammen 2 aus Hannover und eins aus der Region, 2 weitere aus Deutschland und eines aus Afrika. Wie gut nun die Storys aus Hannover sind, egal ob Hauptthema oder Unterthema, kann ich nicht beurteilen. Sie sind geschrieben ohne Fehl und Tadel. Auffällig dann aber die Geschichte über die Online-Kampagne gegen den ugandischen Rebellenführer Joseph Kony. Wie so oft, wenn sich eine Lokalzeitung in die weite Welt wagt, droht sie auszurutschen. Die Zweifel an jener Kampagne werden nur beiläufig erwähnt, in aller Länge lassen sie sich zum Beispiel bei Ethan Zuckerman nachlesen. Für die „Haz“ sind sie nebensächlich, denn „der Erfolg“ gibt der Kampagne „recht“. Was für eine merkwürdige Moralvorstellung – wer Erfolg hat, ist im Recht? Wie es anders geht, demonstrierte übrigens der „Guardian“: Er bat seine Leser um Meinungen und Hinweise, wie mit dem Thema umzugehen sei – mit Erfolg.

Genau solch etwas wird für die Madsack-Blätter künftig nicht möglich sein. Denn: Der Verlag entzieht ja seine wichtigsten Inhalte dem öffentlichen Diskurs. Künftig werden sie nicht mehr über Social Media weiterempfohlen und dürften auch aus Google weitgehend rausfallen. Gleichzeitig sinken die Online-Werbeeinnahmen drastisch ab – jener Bereich, der weiter kräftig wächst. Im Februar waren es laut Nielsen 13,9% plus gegenüber dem Vorjahresmonat. Zum Vergleich: Der Wert für Tageszeitungen betrug minus 4,4%.

Die Redaktionsmitglieder werden – so lange das Unternehmen sie noch bezahlt – für eine stetig sinkende Zahl von Lesern schreiben. Die Bedeutung des Traditionshauses wird marginalisiert, die Einnahmequellen werden immer dünner fließen. Aber das Hauptgeschäftsziel von Madsack ist ja laut Geschäftsbericht das Aufkaufen anderer Zeitungshäuser und die Ausnutzung von Synergien. Die anderen Verlage und deren Mitarbeiter dürfen sich dann wohl auf ein vergleichbares Vorgehen einstellen – aus Prinzip.

Und irgendwann, wird sich das Management die Augen reiben, weil Madsack ein wirtschaftliches Problem bekommt. Denn das Internet ist ein gewaltiges Königreich des Kunden geworden. Und der findet für fast alles einen Ausweichanbieter, der ihm offeriert, war er sich wünscht.

Schon bald wird es sehr, sehr still werden im Gasthaus „Zum Prinzip“ im Herzen Hannovers.


Kommentare


FF 12. März 2012 um 22:05

Jo. Mal eine richtig unerlaubte off-the-record-Bemerkung: schon der Name „Madsack“ ist doch absolut unbezahlbar.

Jammerschade, daß es schon einen Bond-Film mit einem Medienmogul als Superschurken gibt… Carver hieß der, oder? Das ist doch gar nichts gegen einen Mr. Madsack…

Sorry for that. 😉

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Mike 13. März 2012 um 8:16

Das Bedauerliche ist die Quasi-Monopolstellung von Madsack in der Region Hannover: HAZ und NP kommen beide aus dem Verlagshaus, daneben gibt es nur noch die Bild Hannover. Und auch das Regionalangebot der Bildzeitung ist, wenn man es denn lesen wollte, nur sehr eingeschränkt online verfügbar. Das heißt, hannoversche Lokalpolitik und lokale Öffentlichkeit der Landeshauptstadt finden im Netz nicht mehr statt. Ob dieser Schritt der Madsack tatsächlich zahlende Leser bringt, wage ich allerdings zu bezweifeln.

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Tim 13. März 2012 um 8:56

Das sind doch gute Nachrichten für pfiffige Lokaljournalisten in Hannover, die sich selbständig machen wollen.

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Martin 13. März 2012 um 10:11

Zum Thema Paid Content empfiehlt sich auch dieser differenzierte Artikel von Ken Doctor. http://www.niemanlab.org/2012/03/the-newsonomics-of-paywalls-all-over-the-world/

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stilstand» Blogarchiv » Die Sache mit der Paywall 13. März 2012 um 15:50

[…] Tscha, doppelt gekniffen! Das Schlimmste aber ist, dass die gleichen Leute, die künftig kaum noch wahrgenommen werden, trotzdem Loblieder in die Tastatur hämmern müssen, wie superdupertoll doch dieses neu(gierig)e Leserbeglückungssystem aus dem Hause Madsack sei, vor allem für jenen Leser, der – lässt er sich drauf ein – prompt in Werbemails ersäuft: “Als Journalist würde ich Zeter und Mordio schreien. Die Redakteure, deren Inhalt künftig nu… […]

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Das Prinzip 13. März 2012 um 23:02

Die Lokalberichte gibts dann im Lokalfenster der ÖR oder den Lokalradios auch (werbefinanzert oder gez-finanziert) kostenlos.

Da gibts es halt noch eine Monopolstellung. Richtig viel verdienen kann man damit vielleicht (noch) nicht. Vielleicht fehlen einfach (noch) die bezahlten und werbefinanzierten Vertriebswege z.b. auf Handy-Apps oder keiner nutzt sie (NewsStand, iBooks-Author). Als kalkulatorische Referenz müsste man die Lokalradios nehmen und dann mal schauen ob und wie man mit Internet-Texten/Bildern/Videos etwas ähnliches hinbekäme. Die lokalen Zeitungen sind ja wohl oft an den Lokal-Radios beteiligt, was laut Historie zum Schutz der Lokalverlage dienen sollte.

In dem Zusammenhang eine wohl noch relativ aktuelle Meldung: Pro7 soll keine lokale Werbung in Kabelnetzen einspielen dürfen weil das die lokalen Verlage bedrohen könnte. RTL hat Lokalfenster in diversen Bundesländern wobei ich nicht weiss, wie lokal die Werbung dort ist.

Die Branche müsste schon länger konvertieren. User-Feedback („Leser2.0“), E-Vertrieb, Micropayment usw. könnten schon seit Jahren normal sein. Der 60-Euro-Weltbild-Reader liefert leider nicht den Startschuss für den E-Vertrieb.

Verlage und Gewerkschaften machen sich dabei nicht zum Helden nachhaltiger Lebenslöhne oder Anpassung von Geschäftsmodellen an neue Technologien. Demnächst müssen wir diese Branchen retten und zusehen wie Großverlage die Kleinverlage kaufen. Wie bei den Lokalradios (Rahmenprogramm) gibts dann Rahmenzeitungen unterm alten Lokalzeitungsnamen mit Lokal-Anteilen. Weniger Verlage gibt wohl weniger Meinungs-Vielfalt. Aufgekaufte lokale Biersorten sind wenigstens noch nach dem alten Rezept gebraut.

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Konstantin Neven DuMont 16. März 2012 um 7:32

Ich finde es bemerkenswert, dass hier kein einziger Madsack-Mitarbeiter aufschlägt, um die Verlags-Strategie zu verteidigen. So etwas hätte es früher eher nicht gegeben.

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DeeJoe 31. März 2012 um 18:45

Platzhirsch-Effekt:

Ganz klar ist es schade, dass einige Infos nicht schnell zur Verfügung stehen. Aber Oberwichtiges lese ich bei ndr.de, und alles Andere – Stadtplanerisches und so – lese ich eben mit zwei Tagen Verspätung. Das reicht dann auch noch. Zahlen? Niemals!

Übrigens: Auf den Draußen-nur-Kännchen-Caféterrassen von früher gab es nie Leute, die einem auch noch wiederholt nervige lärmende Werbung zwischen Tasse und Mund geschoben haben….

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Netzwert Reloaded LIX: And then we came to the end 1. August 2012 um 11:30

[…] Gleichzeitig wurde das Archiv geöffnet: Alle Ausgaben der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung” seit 1948 sollten abrufbar sein. Das Ziel: So sollten Nicht-Leser zu Online-Abos animiert werden weil sie die Qualität der Redaktion erkennen sollten. Was in weiten Teilen gut klang sollte zu einer Irrfahrt der Niedersachsen durch Digitalien werden. Mal hü, mal hott – und nun wieder einmal Paid Content – nicht, weil es Erfolg versprechend ist, sondern aus Prinzip. […]

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