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Heute morgen ist im Bundestag etwas sehr schmunzeliges passiert, betitelt als „Kürschnergate“. Für all jene, die es noch nicht auf Twitter oder den Nachrichtenseiten mitbekommen haben, hier eine kleine Einführung:

Babette, die Mitarbeiterin einer Grünen-Abgeordneten, wollte ihre Kollegen bitten, ihr den Kürschner mitzubringen. Dabei handelt es sich um ein Handbuch mit Adressen, Daten und ähnlichem, das den Werkstätigen im Polit-Betrieb wohl in ihrem täglichen Schaffen unabdingbar erscheint. Dummerweise verschickte Babette diese Bitte an einen Verteiler, der sämtliche über 4000 Mitarbeiter des Bundestags enthält.

Erstaunlich war dann die Reaktion. Denn über Stunden gingen die Nationen-Verwalter recht kreativ mit der Sache um. ZDF.de schreibt:

„Fast zwei Stunden lang passiert nichts. Um 11.20 Uhr mailt dann ein Mitarbeiter des SPD-Abgeordneten Sönke Rix wieder an alle: Er schickt Babette und allen anderen einen Link zu ironischen Regeln für E-Mail-Versender und empfiehlt Punkt 20. Der trägt den Titel „Versenden Sie Mails an alle“. Daraufhin gibt es kein Halten mehr. Immer mehr Bundestagsmitarbeiter schreiben zurück. Einige wollen einfach nur aus dem Verteiler genommen werden, andere machen sich darüber lustig. „Ich grüße hiermit meine Mutti“, tippt einer und klickt auf allen antworten…

Das sei wie Speeddating für den Bundestag, sagt dort ein Mitarbeiter eines CDU-Abgeordneten. Man würde im Sekundentakt neue Leute kennenlernen. So schlägt ein Herr Siebert per Mail an alle vor, dass sich doch alle um 14 Uhr treffen könnten, um gemeinsam den neuen Kürschner abzuholen, ein anderer startet eine Verlosung unter allen eingegangenen Mails: Für die kreativste Massenmail würde er zwei Karten für das Berliner Handballteam „Füchse“ verschenken.“


Wäre dies in der wilden Welt des World Wide Web so passiert, trüge des den Fachbegriff Mem (zur Definition bitte hier entlang). Solche Phänomene leben von ihrer Neuartigkeit. Sie müssen nicht herausragend spektakulär oder aufwendig gemacht sein. Das wichtigste: Sie überraschen einen Großteil ihrer Adressaten und bringen diesen zumindest zum Schmunzeln.

Nun ist diese Form des Mems nicht neu, vielmehr ist sie überkommen. Scherze vie E-Mail sind doch eher nostalgisch und erinnern uns an die Zeit vor zehn bis zwölf Jahren, als auch die letzten Büroameisen ein E-Mail-Postfach bekamen und die Großzahl der Unternehmen ihr Privatnutzungsverbot für die elektronische Post aufgaben. Längst sind Mems größtenteils abgewandert in Richtung Social Media, verbreiten sich via Facebook, Youtube und Twitter.

Tobt sich im Bundestag also eine Retro-Fraktion aus? Nein. Es ist eher die Überraschung, dass es jemand wagt (wenn auch unabsichtlich) eine Mail an alle zu verschicken. Und nachdem der erste darauf mit Witz reagierte, wenn auch einem typischen Bürowitz, brechen die Dämme. Überraschend ist sicherlich auch, dass die Haus-IT recht gelassen reagierte und nicht direkt jede weitere Mail unterband. Befeuert wurde das Kürschnergate durch die Möglichkeit, Menschen kennenzulernen. Mit über 4000 Mitarbeitern ist der Bundestag vergleichbar mit einer Konzernzentrale. Auch dort kennt nicht jeder jeden. Gleichzeitig wüsste man aber gern, wer der Typ oder die Typine ist, die man häufig auf dem Flur oder in der Kantine sieht. Oder wie der aussieht, dessen Name man im CC vieler Mails liest.

Viele Großunternehmen haben darauf mit Mitarbeiterverzeichnissen im Intranet reagiert. Diese werden meist nur als Telefonbücher genutzt – bis sie mit Bildern bestückt werden. In solch einem Moment passiert das, was auch Facebook einst erlebte. Die Nutzer klicken sich durch und verbinden Gesichter mit Namen und Positionen.

Heute im Bundestag machten sich einige institutionsweit bekannt: Indem sie eine jener witzigen Antworten schickten. Mutmaßlich haben viele der Mitarbeiter direkt mal in jenem Kürschner geguckt, wer denn so e-mail-schlagfertig war. Und prompt kam die Idee: Wir müssen uns treffen. Ob es dann um 14 tatsächlich einen Kürschnerabhol-Flashmob gab, habe ich bisher nirgends sehen können. Doch allein das Ansinnen zeigt: Wir Menschen wollen die anderen kennenlernen, die etwas mit uns gemein haben – zum Beispiel den Arbeitsplatz. Wir wollen sie treffen, mit ihnen kommunizieren und das nicht nur ernsthaft. Genau dies ist der Stoff, der Facebook, Twitter und all die anderen groß gemacht hat.

Und deshalb ist der Fazit des #kürschnergate für mich: Der Bundestag braucht kein Handbuch – er braucht ein Social Network im Intranet.


Kommentare


bogenschlag 25. Januar 2012 um 17:32

Der Plural vom ›Mem‹ lautet im Deutschen übrigens ›Meme‹, nicht ›Mems‹. Und Meme sind, vom Ursprung des Bergriffes her, auch mehr und grundlegenderes als nur kuriose Internet-Phänomene. Wer sich ernsthaft dafür interessiert, dem sei zum Einstieg in die Thematik Susan Blackmores ›Die Macht der Meme‹ oder als absolute Kurzeinführung auch der erste Teil ihres TED-Vortrags (http://goo.gl/8N5S) empfohlen.

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Aktuelles 26. Januar 2012 26. Januar 2012 um 10:36

[…] Warum Social Media so reizvoll ist, das verrät uns jetzt die Babette „Der Bundestag braucht kein Handbuch – er braucht ein Social Network im Intranet.“ […]

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Achtung! dpa liest mit. | Public Correlations 26. Januar 2012 um 11:25

[…] sollen usw. Eine E-Mail-Lawine rollte an, die den halben Bundestag für Stunden unterhielt. Thomas Knüwer hat es sehr charmant zusammengefasst und die Faszination der Kommunikation im Netz […]

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