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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

Jetzt mal ehrlich, Hand hoch: Wer unter den Lesern ist unter 35 Jahren und kennt den Begriff „First Tuesday“?

Mutmaßlich dürften das nicht viele sein. Vor genau zehn Jahren aber war ein großes Hypen und Hecheln um jene Veranstaltung. An jedem ersten Dienstag im Monat trafen sich in London Startup-Gründer und Geldgeber zu Drinks und Gesprächen. Bald wurden daraus institutionalisierte Veranstaltungen, die Stück für Stück andere Städte eroberten.

Im Juli 2000 bot dann der israelische Investor Yazam 50 Mill. Dollar für die Muttergesellschaft. Die First-Tuesday-Gründer taten das richtige: Sie verkauften. Vermutlich erkannten sie sehr gut: Ohne sie war das Unternehmen nichts wert – es hatte keine Werte im eigentlichen Sinn. Anfang 2001 trudelte dann Yazam. Darüber, wie es weitergehen sollte, zerstritten sich das First-Tuesday-Team. Vorzeigefrau Julie Meyer, mit angeblich 25.000 echten E-Mail-Kontakten eine Art Arianna Huffington der Dotcom-Tage, stieg aus. Sie gründete Ariadne Capital, einen Kapitalgeber, der heute noch existiert und vor allem in Großbritannien aktiv ist. Meyer ist dort noch an Bord.

Und der First Tuesday? Starb Stück für Stück. In Frankfurt wird die letzte Veranstaltung 2006 gelistet. Die Idee aber lebte weiter. Wenn sich heute die Web-Szene zum Twittwoch oder Mobile Monday trifft, so wurde die Ideensaat mit dem First Tuesday gelegt. Solch ein Erbe hat nicht jede Idee jener Tage.

Wo wir gerade bei Erben sind, reden wir mal über Verlage.

„Rückzug der Klassiker“ war eine Geschichte der Netzwert-Ausgabe vom 22.1.2001 überschrieben. Unterzeile: „Medienkonzerne stutzen ihre Online-Töchter zusammen – ein Fehler.“

Verzeihen Sie mir die Wortwahl, aber: Scheiße, lagen wir damit gut.

In Deutschland war gerade erst das Online-Angebot der „FAZ“ ans Netz gegangen – und prompt akut unerreichbar: Der Verlag hatte die Nachfrage vollkommen unterschätzt. In den USA dagegen waren die Kürzungen in vollem Gange. 69 Leute bei NYT.com, 34 bei Knight Ridder, 400 bei der News Corp. In Deutschland baute die Milchstraße 30 Leute ab – wollten den Online-Umsatz aber um 80% steigern. Verblendung in Pöseldorf.

Die zitierten Experten gaben Ratschläge, auf die kein Verlagsmanager hören wollte:

„Das ist die Zeit zu investieren und nicht mit der Herde mitzulaufen… Wenn man in einer Schwächephase durchhält wird man am Ende mit einem mächtigen Geschäftsmodell herauskommen und jeden anderen wegblasen. Das Internet ist eine Realität, auch wenn die entsprechenden Aktien nur aufgeblasen waren.“
Scott Kurnitt, About.com

„Es war erst zuerst notwendig, Online-Redaktionen aufzubauen. Denn das Internet erfordert einen neuen Stil von Journalismus und den etablierten Redakteuren fiel es äußerst schwer, das neue Medium zu beliefern. (Die Verlage) sollten nun der Fachkompetenz ihrer Redakteure vertrauen und diese stärker heranziehen, auch für das Online-Medium zu schreiben. Dann müssen in einer Online-Redaktion nur noch wenige Redakteure sitzen, die ihren Kollegen aus Print oder TV eine Orientierung geben und zum Beispiel aktuelle Nachrichten aus den Diensten in die Online-Ausgabe einstellen.“
Berthold Heil, Price Waterhouse Coopers

Ein anderer Artikel würde heute wohl manche Entscheider in Deutschland noch immer überraschend. Die niederländische Polizei testete damals den Einsatz von dem, was man heute Smartphone nennt, im Streifendienst. Klar, die Funktionen waren noch begrenzt, Wap war damals die bevorzugte Technik-Methode. Doch die ersten Erfolge waren bemerkenswert. So berichtete einer der Polizisten: „Ich würde eher meine Waffe hergeben als dieses Gerät.“ Denn das Handy machte viele Fahrten zum Revier unnötig – es blieb mehr Zeit vor Ort bei den Bürgern.

Warum das heute in Deutschland überraschen könnte? Weil die Ex-Technologienation noch immer keinen digitalen Polizeifunk hat – obwohl er in fast allen EU-Ländern Standard ist. Polizisten nutzen noch immer private Handys oder Mobiltelefonie, die ihnen die Polizeigewerkschaft zur Verfügung stellt. Alles ist sicherer als der Uralt-Polizeifunk. Aufregen mag sich in der Politik darüber niemand – das ist Technik, die interessiert in Deutschland doch niemand.

Und dann war da noch dieses Mietshaus im Pariser Moskova-Viertel, Rue du Poteau 93. Unauffällig nach außen – und doch ein Vorbote dessen, was kommen sollte.

Die Hausgemeinschaft beschloss, sich bei der Vernetzung gegenseitig zu helfen. Offliner erhielten Hilfe von Onlinern. Es entstand ein lokales Social Network – das damals niemand so genannt hat. Über ein Intranet förderten Kleinanzeigen den Waren- und Dienstleistungsaustausch. Der Herr aus dem 6. Stock führte ein Tagebuch mit Beobachtungen, Erlebnissen und Sinnsprüchen – Blog hat das außerhalb der Tech-Szene niemand genannt. Mit-Gründerin Catherine Terjean-Stern sagte Netzwert:

„Wir wollen im besten Sinne an die Tradition der Dorfgemeinschaften anknüpfen. Jeder lebt für sich, aber es gibt immer die Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen – ohne mit einem Telefonanruf zu stören… Der Vorteil des Netzes liegt darin, dass wir Kontakte untereinander knüpfen können, ohne alles miteinander zu teilen.“

Hat da jemand Facebook gesagt?

Lesen Sie kommende Woche: SMS von Özdemir.


Kommentare


Armin 24. Januar 2011 um 11:57

„Der Herr aus dem 6. Stock führte ein Tagebuch mit Beobachtungen, Erlebnissen und Sinnsprüchen – Blog hat das damals auch noch keiner genannt. “

Sicher? Leider geht die Wayback Machine nicht weiter zurueck, aber ich habe mindestens am 23/Sep/2001 ein Weblog (ok, kein „Blog“, aber ein „Weblog“) gehabt und auch so genannt. Ich bin mir sicher dass ich nicht der erste war und das „Weblog“ zu dem Zeitpunkt auch schon ein paar Monate alt war (die Domain hatte ich am 20/Jun/2001 registriert).

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Thomas Knüwer 24. Januar 2011 um 13:23

Armin, Du hast natürlich Recht. Denn in den USA tauchten die ersten Mitte der 90er auf. Das „keiner“ bezog sich natürlich auf die breite Masse. Ich hab es etwas verständlicher neu formuliert.

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Armin 24. Januar 2011 um 14:40

Danke Thomas, so hoert sich das besser an.

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