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Ich hab echt mit mir gerungen. Ob ich, wie bisher in jedem Jahr, auch 2011 ein paar Prognosen für das anstehende Jahr machen soll. Denn selten zuvor habe ich in den vergangenen Wochen genau solche Vorhersagen gelesen.

Andererseits: Dieses Blog begann einst mit dem Meckern über sterbende Traditionen

(Fotos: Shutterstock)

Also im folgenden meine rein subjektiven und leicht zu verreißenden Vorhersagen für 2011 – nach einem kleinen Blick auf das, was ich für 2010 erwartet hatte.

Damals erwartete ich für 2010:

1. Das Jahr der App: Yep, das war ein Treffer.

2. Kampf um Netz-Neutralität: Ein wenig voreilig, aber das Thema kochte dann am Jahresende langsam hoch – wir dürfen mehr davon 2011 erwarten.

3. Siegeszug des Real Time Web: Ne, nicht so richtig. Auf Twitter trifft das sicher zu, insgesamt aber lag ich hier daneben.

4. Twitter-Turbulenzen: Auch ein Fehlgriff. Der Dienst wächst weiter, soll operativ profitabel sein und experimentiert nun mit Werbung. Turbulenz ist anders.

5. Kein Facebook-Börsengang: Treffer. Der wird erst 2012 kommen.

6. Social Media Kampagnen: Jein. In den USA ja – in Deutschland noch etwas zurückhaltend. Wird sich 2011 massiv ändern.

7. Wandel der Unternehmens-Homepage: Weiterhin nötig – als Vorhersage aber ein Fehlschlag.

8. Medienkrise geht weiter: OK, das war nicht wirklich visionär – aber richtig.

9. Hulu stirbt: Nope, das war nix. Allerdings ist die große Expansion auch nicht passiert.

So, dann wollen wir…, äh, dann schaue ich mal, was 2011 bringen wird.

1. Der Kampf um die Hauptstadt.

Wer glaubte, die deutsche Politik würde medien- und webkundiger darf als Euphoriker gebrandmarkt werden. Tatsächlich tut sich erschreckend wenig, manches wird eher schlimmer. Bisher hat allein die CDU (unter den großen Parteien) einen Hauch von digitalem Denken erkennen lassen. Bei allen anderen sieht es schlimm aus. Der katastrophale Jugendmedienschutzstaatsvertrag wurde erst in NRW gekippt – und vermutlich spielte dabei auch die Chance eine Rolle, der Ministerpräsidentin einen über den Schädel zu geben.

20011 wird all das noch heftiger werden. Die Debatten, die Protestaktionen, die völlig schwachsinnigen Volksvertreteräußerungen. Es wird einen Kampf in der und um die Hauptstadt geben. Denn die Meinungsäußerung von Wählern im Web ist eben inzwischen Normalität geworden. Und gleichzeitig gehen sie auch gern mal auf die Straße.

All das ist eine Gemengelage, die in einem Superwahljahr kräftig Zündstoff liefern dürfte…

2. Verleger-Panik und Ipad-Depression

Immer wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Verlagsmanager daher – und verbreitet noch größeren Stuss als seine Kollegen. Das wird 2011 so weitergehen. Denn auch dem letzten Dösbaddel wird langsam klar werden, dass die Medienhäuser die Transformation ins digitale Zeitalter verpennt haben. Und das es jetzt möglicherweise schon zu spät ist. Symbol der Panik wird das Ipad werden, besser: die Ipad-Apps. Sie werden nicht die neue Erlösquelle. Vielmehr werden sich die meisten Verlage mit unsagbar uninspirierten Progrämmchen blamieren. Zugeben werden sie das nicht: Wir werden hübsche und unseriöse Zahlenspiele erleben wie der Versuch einer Gesamt-Multimedia-Reichweite. Gerade so, als ob die Anzeigenkunden so blöd wären, das nicht zu kapieren.

Am Ende dieses Jahres werden viele Print-Häuser sturmreif geschossen sein. Und dann werden Fusionen losgehen und Zeitungen sterben. Aber das passiert dann 2012.

3. Online-News

Flipboard hat viele fickerig werden lassen. Die Begeisterung vieler Nutzer für diese Ipad-App lässt eine ganze Reihe Menschen nicht ruhen. Wir werden in diesem Jahr viele Programme, egal ob Web- oder Mobile App, sehen, die den durch das Social Web personalisierten Nachrichtenstrom neu aufbereitet.

4. Mobiles Klondyke

Die Goldrauschstimmung in der Mobile-App-Szene hätte Jack London für mehrere Romane gereicht. Derzeit zahlen viele Unternehmen zu viel Geld für ideenlose Standard-Apps. Das wird sich langsam drehen. Die Standardanwendungen wird es zu sehr geringen Beträgen geben, nur tatsächlich einzigartige Apps werden teuer. So wie in Klondyke: Der Goldrausch ist irgendwann vorbei.

5. Facebook, Facebook, hossassa!

Facebook-Nutzer wappne Dich: 2011 wird es eine Flut von Marketing-Kampagnen im Netzwert geben, gegen die selbst Moses und seine Arche keine Chance hätten. Die meisten dieser Kampagnen werden unbeachtet bleiben – einige aber werden auch so gut sein, dass die Nutzer gerne mitmachen.

6. Das Krachen der großen Agenturen

Stück für Stück wird sich das digitale Marketing in diesem Jahr verändern. Es wird vom Anhängsel der klassischen Kampagnen zum Kernstück der Werbung. Viele große Werbeagenturen sind dafür nicht eingerichtet. Ihre Ideen sind austauschbar, ihre Vorstellung der technischen Hürden naiv. Spätestens wenn beim 423. Nutzer-laden-ihre-Fotos-hoch-Wettbewerb nur noch 7,5 Verbraucher mitmachen wird es krachen: 2011 und 2012 werden die Jahre, da kleine, wendige Agenturen die Chance haben, sich erstaunlich große Kunden zu krallen – wenn sie kreativ sind und das Web verstehen.

7. Social Media Wohltäter

Ein Trend aus den USA wird nach Europa schwappen: Werbung wird zum Gutunternehmertum. Auslöser ist der Erfolg des Social Web. Werbevordenker haben natürlich erkannt, dass es im Großen wie im Kleinen häufig darum geht, dass Menschen in Digitalien sich helfen. Und dass sie Informationen über eine solche Hilfsaktion oder -gemeinschaft an sich heranlassen. Außerdem sind Themen wie Umweltverschmutzung oder soziale Problem und Armut weiter auf der Agenda.

Unternehmen werden sich in diesem Jahr als Wohltäter positionieren und mit digitaler Unterstützung Werbegelder in gute Zwecke umleiten – zur Polierung des Images und der Hoffnung, damit als angenehmer Teil der Gesellschaft empfunden zu werden. Das kann man verlogen finden – andererseits ist es besser als Nerv-Werbung. Den Vorreiter macht, wie in den USA Pepsi, die sich voll auf ihre Refresh-Kampagne gestürzt haben. Diese hat in Nordamerika anscheinend so gute Ergebnisse gebracht, dass sie 2011 in Europa starten soll. Ein anderes Vorbild ist die Make-a-wish-foundation von Southwest Airlines oder Kellogg Cares.

8. Das Zittern der Bücher

2011 wird die Buchbranche in Deutschland merken, dass sie ein Problem bekommt. E-Reader werden sich weiter verbreiten – auch maßgeblich getrieben durch das Ipad2. Dessen Display wird das Lesen noch augenstressfreier machen. Gleichzeitig werden mehr und mehr Bücher über Self-Publishing herauskommen.

9. Das Internet – ein Fischmarkt

Groupon und Co. werden uns das Jahr über beschäftigen: Coupons über das Web werden in aller Munde sein, alle großen Handelsunternehmen werden sich in diesem Feld probieren. Allerdings haben Coupons in den USA eben eine andere Tradition als in Deutschland. Ob es ein Strohfeuer ist oder nicht, werden wir 2012 erst entscheiden können.

10. Freut Euch nicht zu früh

Vielleicht ist es mein angelernter Pessimismus, erworben in langen Jahren der Liebe zum SC Preußen Münster (als Fan dieses Vereins rechnet man immer mit dem Schlimmsten). Ich aber mache mir große Sorgen um die Gesamtwirtschaft – weil alle sagen, wir müssten uns keine Sorgen machen. Die einhellig blumigen Wachstumsprognosen machen mir eher Angst. Denn wenn viele Nationen, die für uns wichtig sind, Schuldenschwindsucht haben, dann wird das auch Deutschland nicht einfach so abschütteln. Wie wackelig die Lage ist, zeigten auch die ersten Experten, die wegen des Winterwetters fürchteten, das Wachstum würde spürbar leiden. Ein Wetterwechsel reicht schon aus – das könnte böse enden.


Kommentare


Huge 5. Januar 2011 um 17:28

Eine Eigenschaft der Zukunft ist es ja, in einem fundamentalen Sinn ungewiss zu sein – insofern bin ich mal gespannt, was sie tatsächlich bringt. In jedem Fall doch ein kluger und lesenswerter Artikel. Nur das mit der Arche, das war der Noah (bin nicht sicher, ob der Fehler einen ironischen Hintergrund hatte).

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Nico 5. Januar 2011 um 17:34

du hast dich da verschrieben. du meintest SPD und nicht CDU beim Thema digitale Denke. 🙂

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christoph salzig [Mobile] 5. Januar 2011 um 18:58

Das Haar in der Suppe am Ende hätte meines Erachtens an den
Anfang gehört, da die Situation in einigen europäischen
Nachbarländern und den USA durchaus furchteinflössend ist. Um
Deinem Pessimismus aber wenigstens ein bisschen den Zahn zu ziehen:
Preußen kämpft um den Aufstieg – wenn das kein Grund zum Optimismus
ist, dann weiß ich auch nicht. Ich hoffe, das man sich in Münster
dieser Tragweite auch bewusst ist;-)

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» LDW I: Social Media Kosten, iPad Shopping Apps und Trends 2011 » Rascasse GmbH – Agentur und Beratung für Digitale Innovationen 6. Januar 2011 um 10:10

[…] Vorwärts » 2011 und 2012 werden die Jahre,
da kleine, wendige Agenturen die Chance haben, sich erstaunlich
große Kunden zu krallen – wenn sie kreativ sind und das Web
verstehen. Thomas Knüwer, Indiskreation Ehrensache […]

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SvenR 6. Januar 2011 um 13:32

20011?

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Commentarist. – ichschwörsdir 17. Januar 2011 um 21:45

[…] eine sehr gute Idee, schön umgesetzt und auch formell so gehalten, dass sie Spaß macht. In seinem Orakel-Post prophezeite Thomas Knüwer, dass „wir […] in diesem Jahr viele Programme, egal ob Web- oder […]

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Glaskugelige Kaffeesatzlesereien 2012 1. Januar 2012 um 15:53

[…] Glaskugelige Kaffeesatzlesereien 2011 […]

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