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So. 2012.

Zeit für die jährliche Wette gegen mich selbst hier im Blog: Was wird in Sachen MedienInterwebsMarketingZeugsundso passieren? Also jetzt mal abgesehen davon, dass uns spätestens im Februar Witze über Maya-Weltuntergänge tierisch auf den Geist gehen werden?

Dazu natürlich erstmal ein Blick auf die Prognose 2011:

1. Der Kampf um die Hauptstadt: Yep, tobt.

2. Verleger-Panik und iPad-Depression: Halber Treffer, würde ich sagen. Die Ernüchterung über die Möglichkeiten des iPad setzte bei den Verlagsmanagern zwar ein, gleichzeitig brauchten einige große Medienhäuser aber bis Jahresende um überhaupt eine App auf die Beine zu stellen. Jene Apps – namentlich die von „FAS“ und „Süddeutsche“ – sind absehbar die Ernüchterungsbringer für 2012 – denn sie sind grotesk schlecht. Was nicht kam: die Gesamtmedienreichweite. Dabei hatte ich unterschätzt, dass Deutschlands Verleger einfach nicht in der Lage sind, gemeinsame Projekte in einer für andere Branchen normalen Geschwindigkeit umzusetzen. Das aber ist ja eigentlich gut, nur so kann Wettbewerb funktionieren.

3. Online-News: Die neuen Nachrichtenfilter sind da, und es werden weitere kommen.

4. Mobiles Klondyke: Nope, da lag ich daneben. Noch immer ist Deutschland Smartphone-Entwicklungsland. Insofern wird da noch eine ganze Menge kommen.

5. Facebook: Ja, jetzt ist jeder auf Facebook. Aber ich hätte nicht gedacht, wie uninspiriert Deutschlands Marketing-Leute und Werber die Möglichkeiten der Plattform nutzen.

6. Das Krachen der großen Agenturen: Hat zumindest begonnen, wie der Wechsel der Jung-von-Matt-Köpfe Karen Heumann und Armin Jochum zu Kemper Trautmann und die danach von Jean-Remy von Matt angezettelte Schlammschlacht zeigt.

7. Social Media Wohltäter: Da lag ich komplett daneben.

8. Das Zittern der Bücher: Fehlschlag. Die Buchbranche in Deutschland ignoriert weiterhin mutig, dass eine steigende Zahl ihrer Kunden den Kindle gar nicht so doof finden.

9. Groupon: Das ging nun schneller als erwartet. Erst verbreitete sich das Geschäftsmodell rasend schnell, dann machten die Zahlen anlässliche des Groupon-Börsengangs klar, dass es für die Plattformen keineswegs eine sichere Goldgrube ist.

10. Freut Euch nicht zu früh: Tobt die Wirtschaftskrise auch in Deutschland? Oder kommen wir mit einem blauen Auge davon? Das darf wohl jeder für sich entscheiden.

So, und nun kommen wir zum Jahr 2012….

1. Deutschland wird Twitter-Land

Noch ist Deutschland Diaspora in Sachen Twitter. Doch achten Sie einmal darauf, wie in einigen massenmedialen Feldern der Dienst mit einem Mal auftaucht. Ein gutes Beispiel: „The Voice of Germany“, die TV-Show mit der bisher besten Mobile App. Auch ist zu ahnen – und das fällt auch unter Kaffeesatzleserei -, dass Thomas Gottschalk in seiner neuen Show auf Facebook und Twitter setzen wird. Die ständige Erwähnung von Twitter wird Wirkung zeigen – in Form von neugierigen Neu-Nutzern. Hinzu kommt die steigende Zahl von Prominenten, vor allem Sportlern, außerhalb der Bambi-Kandidaten-Liste, die mit einer bemerkenswerten Authentizität und Entspanntheit twittern. Zum Beispiel Rennfahrer Gary Paffett oder Eishockey-Profi Simon Danner. Wer ihnen folgt stellt fest: Es gibt ziemlich viele tweetende DTM-Piloten und ein ordentlicher Teil der DEG Metro Stars sind ebenfalls dabei. Sprich: 2012 wird Twitter auch die Wahrnehmungsschwelle in den analogen Teilen der Gesellschaft überschreiten.

2. Foursquare legt zu

Dieser Screenshot stammt vom Freitag Abend aus dem ISS Dome, dem Heim der Düsseldorfer EG. 11 Leute bei Foursquare – das klingt nicht nach viel. Aber… Es handelt sich um einen Momentaufnahme über 30 Minuten vor Anpfiff und bei einem Spiel gegen den Tabellenletzten Nürnberg, das am Ende 4234 Zuschauer gesehen haben werden. Sprich: Mindestens 0,25 Prozent der Anwesenden haben sich eingecheckt. Sportveranstaltungen sind ein guter Gradmesser für Location Based Services, denn hier geht es natürlich auch um demonstrative Checkins: „Ich bin da! Beim großen Match! Bei dem Team, an dem mein Herz hängt!“ Nun bin ich ja auch recht häufig bei Spielen. Und noch im Frühjahr lag der Anteil der Foursquare-Nutzer bei 0,1 Prozent. Da tut sich also etwas und der Nachholbedarf Deutschlands in Sachen Smartphones wird sein Übriges tun.

3. Neue Nachrichtenangebote

In Sachen deutsche Online-Nachrichten und -Informationen wird 2012 ein richtungsveränderndes Jahr. Schon 2011 gaben viele Verlage wie die „Süddeutsche“ zu, was sie lange verschwiegen: Dass ihre Web-Auftritte sehr wohl profitabel sind. Andere haben daraus bereits Konsequenzen gezogen: Im kommenden Jahr wird wohl die deutsche Huffington Post starten und Spiegel Online wird als Kooperationspartner gehandelt. Doch es gibt ja auch noch WSJ.de, das mit meinem Ex-Kollegen Ralf Drescher einen kompetenten Chefredakteur bekommen wird. Gespannt sein dürfen wir auch auf Robert Basics neues Projekt Buzzriders. Dabei wird es nicht bleiben: Es wird noch weitere Neulinge geben und sie werden zeigen, dass Online-Journalismus mehr und besser sein kann, als verblödete Klickstrecken und austauschbare Agenturmeldungen. Und: Sie werden innerhalb von ein bis zwei Jahren profitabel arbeiten.

4. Zerbröselnde Parteien

Der Erfolg der Piratenpartei hat dann ja doch eine Menge in Bewegung gebracht, leider aber wenig Substanzielles. Allein die Grünen legten in diesem Jahr einen mutigen Entwurf in Sachen Netzpolitik vor. Ob dieser eine einmalige PR-Nummer war oder tatsächlich Grundlage für mehr bleibt abzuwarten. Die SPD hat nun einen ihr nahe stehenden Think Tank, doch eine richtige Netzpolitik ist nicht auszumachen, Sigmar Gabriel möchte am liebsten das Internet kontrollieren. Die CDU zerreißt sich ob des Themas selbst, einerseits ist sie Heimat der Netz-Feinde und Fortschrittsablehner, was echt doof ist für eine Partei, die von sich behauptet, wirtschaftsfreundlich zu sein. Andererseits gibt es eine Reihe von Netzpolitiker-Behauptungen wie Peter Altmeier, der sich gar nicht einbekommt ob der eigenen Großartigkeit, die sich in der Nutzung von Twitter manifestiert. Tja, und dann ist da noch die FDP, die in Sachen Netzpolitik ja teils vernünftige Positionen vertritt, aber so abgewirtschaftet ist, dass Moodys bei einer Rating-Einstufung die gesamte Bandbreite des Alphabets bemühen würde. Doch gegen Ende des Jahres wird der Bundestagswahlkampf 2013 so langsam beginnen. Somit müssen alle irgendwelche Positionen finden, sollten die Piraten nicht durch Stockfehler massiv an Unterstützung verlieren. So manchen Apparat wird das überfordert: Es wird gegen Ende 2012 viel Streit und Ärger um digitale Themen geben – und es wird richtig lustig werden.

5. Deutsche Börsengänge

Irgendwann im Laufe des Jahres wird Facebook an die Börse gehen. Im Gegensatz zu Groupon oder Zynga wird dies zum Finanzmarkt-Großereignis. Wir haben ja nun alle in den vergangenen zwei Jahren gelernt, wie sehr die Börse vom Herdentrieb geprägt ist. Und deshalb werden wir auch in Deutschland Börsengänge von Web-Unternehmen sehen, zumindest werden sie im Laufe des Jahres 2012 geplant und dann vielleicht im ersten Quartal 2013 steigen.

6. Startup-Hype

So langsam bekommen ja nun auch die Klassik-Medien mit, dass es in Berlin erfolgreiche und im Rest der Welt längst mit viel Ehre bedachte Jungunternehmen gibt. Sie werden nun mehr mediale Öffentlichkeit bekommen, im Guten wie im Schlechten. Denn während die einen sie als die neuen Helden der Wirtschaft feiern, werden andere Medien nur auf die Ausrutscher warten um triumphierend zu berichten, dass diese Startups ja nur Geld verbrennen und nie welches machen werden. Meine Befürchtung ist, dass viele der Startups in Sachen Kommunikation nicht ausreichend gewappnet sind für diese neue Aufmerksamkeit.

7. Das Apple-Jahr

2012 wird das Jahr des Apfels. Im Frühjahr wird es wohl das iPad 3 geben, im Herbst das neue iPhone und irgendwann wohl auch einen Fernseher. Das ist ein verdammt voll gepacktes Programm. Doch CEO Tim Cook wird alles daran setzen, dieses abzuarbeiten. Denn gelingt es ihm, hat er den Rücken frei und muss nicht ständig hören, dass unter Steve Jobs alles besser war. Es wird ein großer Triumphzug werden, der gegen Ende des Jahres aber die Gerüchteküche so dauerhaft und für das Unternehmen ungesund hochkochen lassen wird, dass 2013 ein schwarzes Jahr werden könnte: Denn dann wird es wohl mehr um die langweiligen Dinge wie iMacs und Laptops gehen.

8. Android-Ernüchterung

Einher gehend mit Nummer 7 wird Android mehr Probleme bekommen. Schon jetzt ist ein Grummeln zu vernehmen. Die Offenheit des Systems ist einerseits toll und Android grundsätzlich ein gutes Betriebssystem. So lange aber die Endgerätehersteller keine einheitlichere Linie finden, bleibt die Programmierung von Apps für Android ein nicht unerheblicher Angang. Gleichzeitig ist für den Normalnutzer nicht klar erkennbar, welches Gerät nun welche Android-Version fährt und was das für ihn bedeutet. Noch viel stärker als im Laptop-Markt wünschen sich die meisten Kunden vor allem funktionierende Geräte mit zahlreichen Variationsmöglichkeiten. Hinzu kommt die Frage, ob Android Sicherheitsprobleme herauf beschwört. Die Möglichkeit von Handy-Viren ist nicht neu, tatsächlich gab es bisher aber keine große Ausbreitung solcher Schad-Software. Diese Gesamtgemengelage wird Android viel vom Status des coolen Apple-Gegners nehmen. Dies wird sich aber zahlenmäßig im Handy-Markt nicht auswirken: Dort wird Android das bevorzugte System für günstige Handys werden. Doch im Tablet-Markt wird der Marktanteil in Deutschland auch 2012 deutlich unter 10% bleiben.

9. Marketing mit Schmackes

Digitales Marketing ist schon heute Realität. Doch selbst bei vielen großen Marken arbeiten die Verantwortlichen für Digital und Klassik nebeneinander her. Angesichts der Unsicherheit ob der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung 2012 treten zahlreiche Unternehmen aber schon jetzt auf die Werbebremse. Das könnte dem Online-Bereich zugute kommen, denn er erhält bisher deutlich weniger Mittel und dürfte auch weniger zusammengestutzt werden. Um für weniger Geld zumindest die gleiche Wirkung zu erzielen wird Marketing integrativer. Somit werden wir in Deutschland mehr kreative und crossmediale Kampagnen erleben. Ob die gut und kreativ werden? Abwarten. Die Großagenturen hier zu Lande wirken in Sachen Internet wie gelähmt. Die vielleicht aktuell kreativste Werbeagentur heißt seit diesem Jahr definitiv Torben, Lucie und die Gelbe Gefahr – und die können ja nicht alles machen.

10. Smartphones als Hassobjekt

Die digitale Spaltung erreicht zum zweiten Mal das mobile Zeitalter. „Was willst Du mit so nem Ding?“, giftete ungefähr 1997 meine damalige Freundin und meinte das Handy, das ich erwarb. Damals gehört es noch zum guten Ton, nicht erreichbar zu sein. (Fun Fact: Eben jene Dame sollte später im Marketing eines Mobilfunkunternehmens ihre erste Anstellung finden.). Dabei ist nicht das Unverständnis über die Anschaffung bemerkenswert, sondern die Aggressivität der Wortwahl. Ähnliches erlebten wir dann beim Online-Zugang („Braucht kein Mensch.“) und in diesem Jahr bei Facebook („Da entblößen sich alle – widerlich!“). 2012 wird das Jahr werden, in dem sich in Deutschland viele Freundschaften an der Präsenz eines Smartphones und dessen auch nur Sekunden dauernder Benutzung im Beisein eines Nicht-Smartphoners. Wir können uns aber auch sicher sein: Jener Nicht-Smartphoner wird sich ein Jahr später genauso verhalten und behaupten, dies nie so gesagt zu haben.

So, dies sind die glaskugeligen Kaffeesatzlesereien, die Sie, liebe Leserinnen und Leser, mir wie in jedem Jahr in den Kommentaren um die Ohren hauen dürfen. Damit wir mit viel Schwung ins Neue Jahr starten können.

Übrigens: Welche medialen Hoffnungen sich nicht erfüllen, das können sie beim geschätzten Sebastian Matthes lesen.


Kommentare


Thomas Koch 1. Januar 2012 um 16:10

Sehr gut und lesenswert! Zum Thema Marketing und Agenturen möchte ich ergänzen, dass die derzeitige „Lähmung“ darauf zurückzuführen ist, dass Marketing und seine Kreativ- und Media-Agenturen sich zum Jahresende mehr mit sich selbst beschäftigen – als mit dem Markt und seinen Endverbrauchern. Das ist die denkbar schlechteste aller Alternativen. Es kann den Markt nicht voranbringen. Die Medien werden die Mit-Leidtragenden sein. Daran können auch ein paar kleine, innovative Agenturen nichts ändern. Wenn sich das nicht ganz schnell zum Besseren wandelt, wird 2012 kein gutes Jahr…

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Der Ruhrpilot | Ruhrbarone 2. Januar 2012 um 6:45

[…] Internet: Glaskugelige Kaffeesatzlesereien 2012…Indiskretion Ehrensache […]

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RSS-Reader-Roundup | 2. January 2012 | Bastian Dietz 2. Januar 2012 um 7:07

[…] Glaskugelige Kaffeesatzlesereien 2012 […]

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Timm 2. Januar 2012 um 14:42

Sehr schönes Glaskugellesen – wir werden sehen, ob es wirklich so lange dauert, bis Netzthemen auch in der öffentlichen Diskussion richtig ankommen. Hier gibt es tatsächlich mittlerweile einen erheblichen Nachholbedarf… Viel hängt hier IMO auch davon ab, wie es mit den „echt weltbewegenden“ Themen so weitergeht – eine größere Naturkatastrophe oder eine Eskalation in Nahost könnte uns und somit den Piraten das Thema tüchtig ans untere Ende der Liste drücken und evtl. den etablierten Parteien tatsächlich noch mal den ***** retten.

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E. The Future of Books? | medienrauschen 6. Januar 2012 um 15:18

[…] Verlage ignorieren den Trend E-Book”, zieht Thomas Knüwer in seinem Rückblick auf 2011 ein Fazit. Doch der Eindruck täuscht unter Umständen. Denn, dass sich E-Books nicht in einer […]

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5 Gründe, warum es mit Twitter bergab geht | Christian Buggischs Blog 5. Februar 2012 um 18:39

[…] Thomas Knüwer: Glaskugelige Kaffeesatzlesereien 2012 […]

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Glaskugelige Kaffeesatzlesereien für 2013 3. Januar 2013 um 14:20

[…] Hm, also, das war jetzt so… Also, ich meine die Prognosen für das abgelaufene Jahr… Die waren eher… “geht so”, um ehrlich zu sein. Ich glaube, in den Jahren, in denen ich diese Ausblicke schreibe, lag ich noch nie so weit daneben wie im Jahr 2012.  […]

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