Skip to main content

In vielen deutschen Redaktionen dürfte es heute recht still gewesen sein. Bedrückend still.

Denn die IVW veröffentlichte heute die Detail-Auflagenzahlen. Und die sind ein weiterer Schlag ins Kontor. Nein, eine Überraschung sind sie nicht – doch redet sich eben mancher Redakteur immer noch ein, es werde irgendwann wieder aufwärts gehen. Vielleicht war dann froh, als sein Chefredakteur oder Geschäftsführer behauptete, das sei nicht schlimm mit dem Sinken der Auflage: Da werde „teure Auflage abgeschmolzen“ – was bedeutet, über Jahre hinweg wurden Exemplare massiv subventioniert, praktisch also verschenkt.

Werfen wir einen Detailblick auf die Trümmerlandschaft. Wie immer bei mir gilt: Ich lasse nur die hart verkaufte Auflage gelten, also den Einzelverkauf und die Abos. Denn nur sie sind tatsächliches Abbild des Leserinteresses. Im Jahresvergleich hier also die Veränderungen einiger Blätter:

„FAZ“: Abo -1,3%, EV -4,83%, Gesamt -2%

„Süddeutsche“: Abo -1,09%, EV -3,75%, Gesamt -1,5%

„Die Welt“: Abo -0,66%, EV -10,34%, Gesamt -3%

„Frankfurter Rundschau“: Abo -9,26%, EV +5,36%, Gesamt -6,8%

„Stuttgarter Zeitung“ & „Stuttgarter Nachrichten“: Abo -3,02%, EV +0,21%, Gesamt -2,8%

„Hamburger Abendblatt“: Abo -5,83%, EV -2,9%, Gesamt -5,4%

„Financial Times Deutschland“: Abo -5,45%, EV -7,21%, Gesamt -5,5%

„Handelsblatt“: Abo -4,45%, EV -23,47%, Gesamt -6,1%
Sonderauswertung: Das „Handelsblatt“ seit Antritt von Chefredakteur Gabor Steingart: Abo -2,79%, EV -22,46%, Gesamt -4,5%.

(Bei Rechenfehlern bitte ich um Hinweise in den Kommentaren – danke!)

Auch wenn es einzelne Lichtblicke gibt wie die Berliner Zeitungen – das Bild für Tageszeitungen ist verheerend. Die Grafik der IVW macht deutlich, dass der Auflagenverlust schneller wird. Und wohlgemerkt: In dieser Grafik sind die sonstigen Verkäufe enthalten, jene Maßnahmen also, die das Bild schönen.

Inzwischen helfen kehren auch keine neuen Besen mehr: Claus Strunz beim „Hamburger Abendblatt“ und Gabor Steingart beim „Handelsblatt“ positionieren sich selbst zwar geschickt in den Medien – treiben die Auflage aber sogar überdurchschnittlich nach unten.

Betrachten wir die Situation mal nüchtern und wenden ein ganz staubiges Instrument der Betriebswirtschaftslehre an – das BCG-Portfolio. Es verrät uns etwas darüber, was gerade falsch läuft und warum das schon bald Folgen haben könnte.

Jene Portfolio-Matrix lernt der gemeine BWL-Student spätestens im zweiten Semester kennen. Sie ist kein Allheilmittel, mit Fehlern behaftet und kann heftig kritisiert werden. Doch zur groben Einordnung ist sie ein schönes Bild.

Die Boston Consulting Group hat dabei zwei Dimensionen aufgemacht. Eine vom Unternehmen nicht beeinflussbare: das Marktwachstum. Und eine beeinflussbare: der relative Marktanteil. Dieser errechnet sich aus dem eigenen Marktanteil, geteilt durch den Marktanteil des stärksten Konkurrenten. Die Denke dahinter: Ein Unternehmen kann günstiger produzieren, je mehr es verkauft. Und wenn es mehr verkauft als der Rivale, produziert es günstiger als dieser und kann dann versuchen, noch stärker zu werden.

Platziert man nun die einzelnen Töchter eines Unternehmens in diese zwei Dimensionen, so ergeben sich vier Felder: Dogs, Cash Cows, Stars und Question Marks. Und für die gelten nach Meinung von BCG Standardvorgehensweisen.

Kurz  gesagt: In Stars sollen Unternehmen investieren, die Dogs sollen eingestellt oder verkauft werden. Bei Cash Cows soll desinvestiert werden unter Mitnahme der fließenden Gewinner – und die Question Marks muss man sich genauer anschauen.

Wo stehen die Produkte der Verlage?

Sonntagszeitungen wachsen leicht, je nach Einordnung sind „FAS“ und „Welt am Sonntag“ Question Marks oder Stars. Alles gut. Magazine und Fachzeitschriften lassen sich schwer generell einordnen. Einige wachsen, andere nicht. Bei Online ist die Sache klar: Der Markt wächst. Fragt sich, wer der relevante große Rivale ist. Im Lesermarkt sind dies andere Nachrichtenseiten. Somit müsste man eine Langfrist-IVW- oder andere Reichweitenbetrachtung anstellen. So könnte es sein, dass RP-Online (Ziel: größte Regionalangebot in NRW) als Star gesehen werden kann, Der Westen dagegen als Question Mark. Im Werbemarkt dagegen dürften die Nachrichtenseiten alle zu Fragezeichen mutieren, da Google und Facebook Marktanteile gewinnen. So oder so aber lautet der BCG-Rat: investieren oder genau anschauen.

Und nun Zeitungen. Markt: sinkend. Und somit sind sie entweder Dogs oder Cash Cows. Sprich: Entweder abgeben oder melken.

(Fotos: Shutterstock)

Genau das passiert derzeit in vielen Fällen – nur gibt es niemand zu. Nehmen wir nur einmal die Georg von Holtzbrinck-Gruppe. Die investiert schon einige Zeit in Richtung online. Mehrfach passierte das unglücklich. So hätte der Anteil an der VZ-Gruppe (StudiVZ & Co.) ein grandioses Investment werden können. Zweimal gab es die Gelegenheit zu verkaufen – man ließ sie ungenutzt. Aus heutiger Sicht unfassbar dumm. Trotzdem machen die Stuttgarter weiter und erzielen dort auch Erfolge.

Derweil wird im Tageszeitungsbereich abgebaut. So ließen die „Saarbrücker Zeitung“ und der „Trierische Volksfreund“ diese Woche verlauten, sie stiegen aus der Tarifbindung aus. Natürlich nicht um zu sparen, blähte die PR-Maschine, sondern aus „grundsätzlichen Erwägungen“. Man plane Investitionen in „schwere Technik“, da brauche man „keine zusätzlichen Belastungen, die uns bei der Umsetzung unserer Ziele behindern“. Das klingt beruhigend, klar, die Redaktionen werden noch früh genug Sturm laufen. Nach meinem Wissen können auch die bestehenden Verträge der Redakteure nicht gekündigt werden, bleiben also tarifgebunden (sollte ich da falsch liegen, bitte ich um Hinweis in den Kommentaren). Aber die freiwilligen Leistungen kann man schon mal zurückfahren und neue Redakteure dürfen sich darauf einstellen, unter Tarif zu verdienen – denn über Tarif zu zahlen, daran hindert einen Verlag heute schon nichts.

Damit niemand auf falsche Gedanken kommt: Ich finde das alles andere als schön. Journalisten verrichten eine Arbeit, die angemessen bezahlt gehört, wie ich schon mal anlässlich der vergangenen Re-Publica schrieb. Aber: Aus Sicht des Unternehmens als Ganzem ist dieses Vorgehen bei Tageszeitungen schlicht logisch.

Der Haken: Die Investitionen in den Online-Bereich fließen bei fast allen Verlagen nicht in die Nachrichtenangebote – sondern in Startups. Offensichtlich sieht da mancher Tageszeitungshäuser als Ganzes. Auch das kann man so machen. Doch werden dann eben auch Gelegenheiten verpasst. Denn im Internet lässt sich ja auch mit News Geld verdienen. Spiegel Online, RP Online, Unister, Nachrichtenmanufaktur (Redaktion von N-TV.de) – sie alle schreiben schwarze Zahlen.

Für die Zeitungshäuser wird aber Stück für Stück die Luft knapp. Viele dürften schon heute nicht mehr den Spielrauf haben für nennenswerte Investitionen in den Online-Bereich. Weiterhin schuften dort Journalisten, die teils deutlich schlechter bezahlt werden als ihre Print-Kollegen und die keine Zeit für tiefe Recherche haben – und natürlich auch keinen Etat für Reisen. Gleichzeitig rutscht den Verlagen ihr Stammgeschäft weg.

Die Folgen sehen wir ansatzweise schon jetzt. Wieder beobachten wir Holtzbrinck bei der aktiven Portfolio-Arbeit: die „Main Post“ wurde an die „Augsburger Allgemeine“ abgegeben. Wie es den Würzburgern geht, lässt sich nicht sagen. Den Augsburgern geht es blendend, wie manchen Lokalverlagen.

Denn tatsächlich trifft die Krise der Zeitungen zuerst die Großen. Ihre Nachrichten sind digital überall zu finden – sie haben kein Alleinstellungsmerkmal. Im Lokalen dagegen sieht es immer noch bei einer Reihe von Verlagen gut aus. Noch. Denn die sinkenden Auflagen schlagen erst mit Verspätung bei den Werbebuchungen durch. Hinzu kommt, dass praktisch jedes größere Unternehmen derzeit Marketingetats in Richtung Online verschiebt. Die Lokalzeitungsverlage aber sind dort mit Auftritten vertreten, die oft genug peinlich sind.

Und deshalb behaupte ich: 2012 geht das Tageszeitungssterben in Deutschland erst so richtig los. Das heißt nicht, dass Zeitungen direkt verschwinden. Zuerst kommen die Verkäufe. Doch auch dadurch werden Blätter verschwinden, so man sie als eigenständige Einheiten mit einer erkennbaren Stimme ansieht. Wenn diese Verkäufe beginnen, wird mancher alt eingesessene Verleger zu grübeln anfangen: Wenn der alte Branchenfreund verkauft, muss ich dann vielleicht auch? Dann lässt jener Verleger mal prüfen, ob es Käufer geben könnte und zu welchem Preis.

Doch so viele Interessenten wird es nicht mehr geben. Auf Print spezialisierte Häuser sind schon heute schwer zu verkaufen, behaupten die auf Übernahmen spezialisierten Berater von Bartholomäus. Wenn nun immer mehr Verleger Verkäufe überprüfen lassen, bekommen das die potenziellen Käufer mit – und das lässt den Preis sinken. Immer schneller, denn es wird Panik bei den Verlegern einsetzen.

Dieser Prozess verläuft nicht in Wochen oder Monaten. Er wird Jahre brauchen. Wer aber heute Journalist unter 50 ist und hofft, bis zur Rente bei einer Tageszeitung arbeiten zu können – dem sei hiermit viel Glück gewünscht. Er wird es brauchen.

(Disclosure: Ich habe von 1995 – 2009 für das „Handelsblatt“ gearbeitet, Teil der Georg von Holtzbrinck-Gruppe.)


Kommentare


iamneopunk [Mobile] 20. Januar 2011 um 20:00

Weißt du zufällig, wie es mit der Zeit aussieht? Ist keine Tageszeitung, klar, aber ich hab mal gehört, die sei sogar am wachsen. Und wie sieht es mit der taz aus? Super Blog und super App btw 🙂

Antworten

Christoph Kappes 21. Januar 2011 um 0:34

Für defizitäre Produkte ist die BCG-Matrix nicht gedacht. Die sind schon poor Dogs, bevor man BCG ruft.
Ich wäre auch nicht sicher, ob ich Print und Online-Produkte in eine Matrix packe – vielleicht sind es unterschiedliche Strategische Geschäftseinheiten in unterschiedlichen Geschäftsfeldern?
Und auch bei Kennziffern wie Growth und Market Share kann man durchaus der Ansicht sein, dass es nicht um Reichweite geht, sondern Umsatz, ganz klassisch Old Economy. Oder, wenn schon, dann um ARPU, nicht um Reach.
Will sagen: soooo einfach geht das nicht 😉

Antworten

Thomas Knüwer 21. Januar 2011 um 9:56

@iamneopunk: Der Zeit geht es ziemlich gut, auflagentechnisch wie wirtschaftlich.

Antworten

21.01.: Well Spent Youth : ByteFM Magazin 21. Januar 2011 um 13:39

[…] Fragezeichen-Modell, entworfen von der Boston-Consulting-Group, analysiert Thomas Knüwer in seinem Blog die Entwicklung Auflagenzahlen von Tageszeitungen und stellt fest: es geht (weiter) bergab. Nur […]

Antworten

Schnatterinchen 21. Januar 2011 um 18:03

Für die Printmedien und Journalisten mag das z.T. bitter sein – aber bei einem solchen technischen Medienwandel von einem Medium zum anderen ist der Niedergang des herkömmlichen alten Mediums absehbar und geradezu „naturgesetzlich“ und insofern verschmerzbar. Obgleich Printmedien in meinen Augen nach wie vor auch gute Seiten haben und ich obige Feststellung ohne jede Häme treffe. Für die Leser bringt dieser Medienwandel schon heute ein Überangebot an frei verfügbaren journalistischen Texten im Internet – Printmedien und Journalisten durchleben derweil ökonomisch recht prekäre Zeiten. Es ist sogar fraglich, ob der Journalismus im Internet ökonomisch überhaupt jemals wieder Fuß fassen kann wie zu seinen Printzeiten ohne Internet. Die immens größere Verfügbarkeit journalistischer Texte im Internet hat zur ihrer finanziellen Entwertung geführt.

Antworten

Paul Pretzel 21. Januar 2011 um 22:37

„Und nun Zeitungen. Markt: sinkend. Und somit sind sie entweder Dogs oder Cash Cows. Sprich: Entweder abgeben oder melken.“

Sehe ich auch so.

Aber, man beachte die Feinheiten: Das Internet hat ein wesentliches Defizit gegenüber der Presse: Die Presse kann Politiker ins Amt (Westerwelle) und aus dem Amt (Westerwelle) schreiben. Solange dem so ist, haben Zeitungsverleger recht gute Karten.

Vielleicht sieht das zukünftige Marktmodell ganz anders aus: Zunächst einmal Konzentration, die Fusskranken gibts günstig. Wenn dann die regionalen Monopole stehen, kommt die Forderung an die Politik: Erhalt des Mediums Tageszeitung durch die Einführung eines Pressebeitrags (analog zum Verdummung- äh Rundfunkbeitrag aller Haushalte, mit denen Aahh-Ärrr-Dääh unt Zett-Eeh-Äff weiter flüssig gehalten werden). Dafür gibts Montag bis Samstag ein Wurstblatt, Sonntags noch ein Käsemagazin obendrauf. letztlich dann auch nur Umverpackung für Reklame, wie heute schon.
NB: Auch Stiftungen können ihre Vorstände und Aufsichtsräte vergüten, nicht unverhältnismässig, versteht sich, weil verhältnismässig reichlich genügt doch.

Antworten

» Wenn Mammons Hammer kreist I: Gute Nacht, Nachtkritik? Postdramatiker 23. Januar 2011 um 13:15

[…] ein leistungsschutzrecht geschützt werden sollen vor dem Niedergang (aktuelle Zahlen kommentiert Knüwer), ob nicht Zeitungen dann den Leistern, über die sie berichten, vielleicht ebenfalls für deren […]

Antworten

Eine verbreitete Praxis « … Kaffee bei mir? 20. Februar 2011 um 8:26

[…] Der Gedanke des Teilens ist den deutschen Medien fremder als die Oberfläche des Saturn. An ein Miteinander wie bei Al Jazeera oder Guardian ist nicht einmal zu denken. Wie sagt der Kölner? Kenne mer nit, bruche mer nit, fott damit (kennen wir nicht, brauchen wir nicht, weg damit). Es geht nicht um Service für die Leser. Es geht um Besitzstandswahrung. […]

Antworten

Ein Bäckermeister, Verleger, Autoren und das Leistungsschutzrecht « … Kaffee bei mir? 25. Mai 2011 um 13:25

[…] Leider muß man sagen, daß sie den Trend verschlafen haben. Mit der zunehmenden Bedeutung des Netzes brach den Zeitungen ein großer Teil der Werbekunden weg. Die haben nämlich die Chancen des Internets erkannt und werben – für weniger Geld – lieber dort. Werbung war immer eine der Haupteinnahmequellen für Verlage, ihr Verlust macht sich in den Absatzzahlen und Umsätzen schmerzhaft bemerkbar. […]

Antworten

Neonliberal.atDer Komet kommt. Vom Aussterben der Zeitungen – Neonliberal.at 1. November 2011 um 11:23

[…] um das Medienblog IndiskretionEhrensache.de zu zitieren: ” Wer heute Journalist unter 50 ist und hofft, bis zur Rente bei einer Tageszeitung […]

Antworten

20 Prozent Einsparung ist das neue Schwarz 19. September 2012 um 18:38

[…] Und derweil haben die Verlage verschlafen, ihre Online-Angebote auf den Stand der Zeit zu bringen (mehr dazu hier). […]

Antworten

Weil der Verlag sich ändern muss – ein paar Denkanstöße 30. Januar 2013 um 18:08

[…] Folge: galoppierendes Missmanagement. Denn eine solche Profit-Center-Struktur soll ja vor allem dazu dienen, knappe Ressourcen eines Unternehmens an die richtigen Stellen zu leiten. Wer von Online-Töchtern aber verlangt, sie müssten sich vollständig selbst tragen (und das am besten auch noch vom ersten Tag an – welches Verständnis von Marktwirtschaft!), sorgt für eine falsche Ressourcenallokation im eigenen Unternehmen. Das Alte wird zu Lasten des neuen gefördert. Und entsprechend ist auch ein Portfolio-Management anhand des BCG-Modells nicht möglich. […]

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*